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Fortbildungsbericht
Müdigkeit und Erschöpfung in der Schwangerschaft und Stillzeit
Ursachen und medikamentöse Therapie bei Fatigue
Vielen Frauen leiden während Schwangerschaft und Stillzeit unter Erschöpfung. Dies kann vielfältige Gründe haben. Einige davon, beispielsweise ein Mangel an Eisen oder Vitamin D, können mit einer entsprechenden Therapie behoben werden.
«Von Müdigkeit oder auch Fatigue sprechen wir, wenn eine Person unter einem anhaltenden, ausgeprägten Energiemangel leidet, der die Möglichkeit zur geistigen und körperlichen Arbeit beeinträchtigt». Dies erklärte Prof. Dr. med. Irene Hösli, Leiterin Geburtshilfe am Universitätsspital Basel, einleitend in der Fortbildung* zu den Ursachen von Müdigkeit und Erschöpfung in der Schwangerschaft und Stillzeit. Typisch sei auch, dass Schlaf in diesen Fällen keine Erholung bringe. Zur standardisierten Erfassung einer Fatigue kann beispielsweise die «Fatigue Severity Scale» (FSS) verwendet werden. Nachdem diese Skala lange Zeit hauptsächlich bei Patienten mit Multipler Sklerose zum Einsatz kam, wurde sie 2008 in deutscher Übersetzung in der Schweiz erstmals an einer grossen Zahl gesunder Probanden und Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen, die häufig mit Fatigue einhergehen, getestet und validiert (1).
Fatigue und ihre Folgen
Prof. Hösli wies darauf hin, dass zwischen einer Fatigue als primäres Symptom einer Erkrankung (Begleiterscheinung) und einer Fatigue als sekundäres Symptom (Folgeerscheinung, z.B. bei Anämie) unterschieden werden sollte. «Man nimmt heute an, dass ein gewisses Mass an Fatigue in der Schwangerschaft physiologisch ist», erklärte sie weiter. So wird im ersten Trimenon bei fast allen Schwangeren eine Zunahme einer Fatigue beobachtet, während es im zweiten Trimenon bei einem Teil zu einer Besserung
*Quelle: «Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafprobleme in der Schwangerschaft und Stillzeit». Workshop der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft Perinatale Pharmakologie (SAPP). 19. März 2015, Zürich.
und im dritten zu einer Stabilisierung kommt (2). «Vermutlich hängt dies zum Teil mit den hormonellen Veränderungen während der Schwangerschaft zusammen. Daneben spielen wohl aber auch die kardiovaskulären, respiratorischen und metabolischen Veränderungen sowie die fetale Entwicklung und die Doppelbelastung der meisten Schwangeren eine Rolle», so die Referentin. Zu den Folgen einer Fatigue während der Schwangerschaft gehöre, dass es bei betroffenen Frauen während des Geburtsvorgangs zu einem veränderten uterinen Kontraktionsmuster komme, so Hösli. Dies könne eine Verlängerung des Geburtsprozesses und möglicherweise ein höheres Risiko für eine Sectio nach sich ziehen (3). Eine Fatigue während der Schwangerschaft erhöht zudem das Risiko, dass die Frau auch postpartum unter einer Fatigue leidet (4).
Erhöhter Eisenbedarf in Schwangerschaft zu beachten
Die Eisenmangelanämie stellt eine der Erkrankungen dar, die mit dem sekundären Symptom einer Fatigue einhergehen können. Prof. Dr. med. Christian Breymann, Zürich, erklärte, weshalb der Eisenbedarf gerade in der Schwangerschaft erhöht ist. «Dafür ist einerseits die Zunahme an Erythrozyten verantwortlich, andererseits wird in zunehmendem Mass Eisen zum wachsenden Feten und in die Plazenta transferiert. So steigt der Bedarf der Frauen von 1,5 mg/Tag vor der Schwangerschaft auf über 7 mg an». Damit könne der Vorrat in den Speichern, abhängig von der Versorgung vor der Schwangerschaft, rasch aufgebraucht sein. Eine 2012 in Zürich durchgeführte longitudinale Untersuchung bei 470 Schwangeren in der 16. bis 20. Schwan-
gerschaftswoche zeigte, dass bei 38% von ihnen ein Eisenmangel oder auch eine Eisenmangelanämie vorlag (5). Eine Eisenmangelanämie kann jedoch für Mutter und Fetus ernsthafte Konsequenzen haben. «So wird ein Hb von unter 9 g/dl mit einer erhöhten Abortrate, einem retardierten Wachstum des Kindes und einer erhöhten Frühgeburtlichkeit in Verbindung gebracht», so Prof. Breymann. Mütterlicherseits kann eine Eisenmangelanämie zu Plazentainsuffizienz und einer erhöhten Mortalität führen (6, 7). Zudem scheint ein Eisenmangel auch die Schilddrüsenfunktion negativ zu beeinflussen (8).
Prävention und Therapie der Eisenmangelanämie
Prof. Breymann betonte, dass es wichtig sei, zwischen Prävention einer Eisenmangelanämie und ihrer Therapie zu unterscheiden. «Während orales Eisen für die Prävention ausreichen kann, genügt es aufgrund der schlechten Resorption für die Therapie einer bestehenden, mittelschweren bis schweren Anämie im Allgemeinen nicht». Die WHO empfiehlt zur Prävention einer Eisenmangelanämie vor und während der Schwangerschaft eine Supplementierung von 30 bis 60 mg/Tag (9). In Gegenden mit hoher Prävalenz einer Eisenmangelanämie (> 40% der Frauen) werden 60 mg empfohlen. Zur oralen Eisensupplementierung stehen Eisensalze (Fe2+) wie Eisensulfat und ein Eisen-III-Komplex (Fe3+) zur Verfügung. «Die Eisensalze werden gut resorbiert, sofern sie nicht zusammen mit Nahrung genommen werden», erklärte Breymann. Allerdings führt die Einnahme von Eisensalzen häufig zu Nebenwirkungen, vor allem gastrointestinaler Art (10). «Will man aufgrund einer ungenügenden Wirkung die Dosis erhöhen, so muss die Einnahme in mehreren Dosen über den Tag verteilt erfolgen. Sonst steigt lediglich die Rate an Nebenwirkungen, die Resorption wird nicht verbessert», machte er deutlich. Als Alternative für eine orale Eisentherapie, zum Beispiel bei Unverträglichkeit der Eisensalze, kommt der Ei-
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sen-III-Komplex in Frage. Dieser hat sich als gleich gut wirksam, jedoch besser verträglich erwiesen (11). Bei einer mittelschweren bis schweren Anämie sowie bei fehlendem Effekt oder unerwünschten Wirkungen einer oralen Eisensupplementierung ist der Einsatz von intravenösem Eisen angezeigt. Schweizer Empfehlungen sehen ab einem Hb von 9 g/dl die Umstellung von einer oralen auf eine intravenöse Eisensupplementierung vor (Abbildung 1) (12).
Anämie in der Stillzeit
Eine Anämie ist auch in der postpartalen Phase von Bedeutung. «Studien zeigten, dass Frauen mit einer postpartalen Anämie zum Beispiel eine verminderte Lebensqualität, eine verminderte physische und mentale Leistung sowie eine gehemmte Laktation und eine längere Hospitalisationsdauer aufweisen», führte Breymann aus. Die WHO empfiehlt daher auch in dieser Phase eine Eisensupplementierung von 30 bis 60 mg/Tag (bzw. von 60 mg in Gegenden mit hoher Prävalenz einer Eisenmangelanämie) (9) – für die Dauer von drei Monaten. Eine Schweizer Untersuchung zeigte, dass selbst nicht anämische Frauen mit einem bereits vor der Entbindung bestehenden Eisenmangel von einer oralen Supplementierung postpartum profitieren können (13). Bei anämischen Frauen dagegen führte eine intravenöse Supplementierung zu signifikant höheren Ferritinwerten und insbesondere langfristig zu einem besseren Wiederauffüllen der Eisenreserven als eine orale Supplementierung (14, 15). Gemäss Schweizer Empfehlungen ist in der Stillzeit ein Wechsel von einer oralen auf eine intravenöse Supplementierung bereits ab einem Hb von 9,5 g/l angezeigt (Abbildung 2) (12). Dass die Behandlung der postpartalen Anämie tatsächlich zu einer Verbesserung einer bestehenden Fatigue führte, konnte im Rahmen einer 12-wöchigen Studie gezeigt werden (16). «Man kann hier also wirklich etwas Gutes tun», schloss Prof. Breymann.
Vitamin-D-Versorgung in der Schwangerschaft
Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari, Zürich, sprach über die Bedeutung von Vitamin D im Zusammenhang mit Fati-
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gue in der Schwangerschaft. Einleitend gab sie zu bedenken, dass es sich hier eigentlich gar nicht um ein echtes Vitamin handelt, da der menschliche Organismus Vitamin D bei Sonnenexposition in der Haut aus Cholesterinvorstufen selbst produzieren kann. «Das Problem ist aber, dass die Sonne – je nach Jahreszeit – kein verlässlicher Partner für die Vitamin-DProduktion darstellt. Ein Weiteres ergibt sich daraus, dass aus Gründen der Tumorprävention ein guter Sonnenschutz wichtig ist. Die Nahrung liefert nur geringe Mengen an Vitamin D, ausser, man würde pro Tag zwei Portionen fetten Fisch oder 15 bis 20 Eier essen», so die Referentin. Daher weisen rund 50% der Bevölkerung (inkl. Kinder) einen Vitamin-DMangel (< 50 nmol/l; < 20 ng/ml) auf (17). «Gemäss Daten aus Belgien, Griechenland und den Niederlanden haben während der Schwangerschaft 10 bis 30% der Frauen in Europa einen schweren Vitamin-D-Mangel, definiert als ein 25(OH)D-Spiegel von < 25 nmol/l (bzw. < 10 ng/ml)». Um die Relevanz dieser Zahlen zu verdeutlichen, ergänzte Bischoff-Ferrari: «In diesem Bereich erwarten wir bei Erwachsenen bereits eine beginnende Osteomalazie». Ein Vitamin-DMangel während der Schwangerschaft wird mit einem erhöhten Risiko für Präeklampsie in Verbindung gebracht (18). «Zudem scheint das Risiko für Frühgeburten/Sectio und für Schwangerschaftsdiabetes, aber auch das Risiko für ein vermindertes Geburtsgewicht, eine verminderte Knochendichte sowie für Autoimmunerkrankungen des Kindes erhöht zu sein». Eine mögliche Rolle von Vitamin D in Bezug auf Müdigkeit in der Schwangerschaft sieht die Referentin in seiner Wirkung auf die Muskulatur (19). «So führt Vitamin D über einen entsprechenden Rezeptor an der Muskulatur zu einer Proteinsynthese und zu einer Kräftigung der Muskulatur», erklärte sie. «Ein Vitamin-DMangel begünstigt daher eine VitaminD-Mangel-Myopathie. Diese lässt sich durch eine Behandlung gut beheben, so dass sich die Schwangere etwa innerhalb von 4 Wochen wieder besser fühlen sollte». Daneben verbessert eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D auch die Muskelkraft und das Gleichgewicht (19). In einer randomisierten Studie wur- Abbildung 1: Empfehlungen zur oralen beziehungsweise intravenösen Eisensupplementierung bei Anämie in der Schwangerschaft (12). Abbildung 2: Empfehlungen zur oralen beziehungsweise intravenösen Eisensupplementierung bei Anämie in der Stillzeit (12) Tabelle: Empfehlungen für eine Vitamin-D-Supplementierung während der Schwangerschaft (21, 22). Vitamin D Empfehlung bei allen Schwangeren 600 IU/Tag Als sicher geltende maximale Zufuhr 4000 IU/Tag de zudem gezeigt, dass die Zufuhr von 4000 IU/Tag in den Wintermonaten das Wohlbefinden (Energie, Konzentrationsfähigkeit, Interesse an Aktivitäten etc.) der Studienteilnehmenden (ambulante Patienten) im Vergleich zu 600 IU/Tag signifikant verbesserte (20). Die aktuellen Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit sehen für schwangere und stillende Frauen eine Zufuhr von 600 IU/Tag Vitamin D vor (Tabelle) (21). Als sichere maximale Zufuhr werden aktuell 4000 IU/Tag angesehen (22). Prof. Bischoff-Ferrari meinte dazu: «Solch hohe Dosen braucht es aus meiner Sicht allerdings nicht, es geht hier lediglich um die Sicherheit.» Hollis und Kollegen haben in einer der seltenen Studien, die mit schwangeren Frauen durchgeführt werden konnten, eine Dosierung von 4000 IU Vitamin D pro Tag untersucht und als sicher beurteilt (23). Abschliessend wies Prof. Bischoff-Ferrari darauf hin, dass bei Schwangeren, die keine Vitamin-D-haltigen Supplemente einnehmen, der Vitamin-D-Spiegel bestimmt werden sollte, um einen allfälligen Mangel individuell auszugleichen. I Dr. Therese Schwender Referenzen: 1. Valko PO et al.: Validation of the fatigue severity scale in a Swiss cohort. Sleep 2008; 31: 1601–07. 2. Bialobok KM, Monga M.: Fatigue and work in pregnancy. 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