Transkript
Schwerpunkt/Leitlinie Geburtshilfe
Die Betreuung und die Reanimation des Neugeborenen
Revidierte Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie in Zusammenarbeit mit der gynécologie suisse/SGGG
Diese Empfehlungen, erstmals im Jahr 2000 ausgearbeitet, wurden 2007 und 2012 von der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie unter Einbezug der SGGG überarbeitet, jeweils aufgrund der neuen Daten und Evidenzen sowie Revisionen internationaler Empfehlungen. Die derzeit gültige Version dieser Leitlinie soll als Empfehlung verstanden werden, die im individuellen Fall angepasst werden kann und soll.
Jean Claude Fauchère und Kollegen*
Korrespondenz: Daniel Surbek
Diese Empfehlungen beziehen sich in erster Linie auf die Betreuung von Neugeborenen, die älter als 34 0/7 Schwangerschaftswochen (SSW) sind und ein Geburtsgewicht über 2000 g haben. Sie gelten für die Situation in der Gebärabteilung sowie für die gesamte Perinatalzeit. Sie richten sich an alle Gebärkliniken der Schweiz sowie an alle Pädiater, Neonatologen, Geburtshelfer, Anästhesisten, Hebammen und Neonatologie-Pflegefachfrauen (s. Kasten).
Organisation
Allgemeines Bis zu 10% aller Neugeborenen benötigen im Sinne einer Stabilisierung in den ersten Lebensminuten einfache respiratorische Unterstützungsmassnahmen. Weiterführende Reanimationsmassnahmen sind hingegen nur bei etwa 1% der Neugeborenen notwendig. Weil Risikosituationen nicht immer vorausgesehen werden können, müssen bei jeder Geburt ausgebildetes Personal und die technische Ausrüstung für eine allfällige Reanimation vorhanden sein. Eine optimale Betreuung von Neugeborenen erfordert:
Kasten:
Wichtige Änderungen der neueren Empfehlungen (2012)
Folgende wichtige Änderungen der Empfehlungen wurden seit der letzten Revision 2007 vorgenommen: I Abnabelung: Bei allen Neugeborenen nach vaginaler Geburt ohne Reanimationsbedarf
soll die Abnabelung erst 60 Sekunden nach vollständiger Entwicklung vorgenommen werden, wenn keine mütterliche Indikation zur raschen Abnabelung besteht. Bei Frühgeborenen, welche durch Sectio entbunden werden, soll die Nabelschnur vor der Abnabelung 3- bis 4-mal ausgestrichen werden. I Beatmung: Termingeborene Kinder sollen primär mit Raumluft reanimiert werden. Falls die Sauerstoffsättigung (präduktale Pulsoxymetrie) trotz adäquater Beatmung zu tief bleibt, soll eine zusätzliche Sauerstoffverabreichung in Betracht gezogen werden. Dabei wird ein normaler Sättigungsanstieg nach Geburt angestrebt (Algorithmus). I Adrenalin soll, wenn immer möglich, intravenös verabreicht werden. Im Fall einer intratrachealen Applikation sollen 50–100 µg/kg/Dosis gegeben werden. I Tubuslage: Der zusätzlich zu den klinischen Untersuchungen (Auskultation, Thoraxexkursionen) durchgeführte Nachweis des exspiratorischen CO2 ist die schnellste und zuverlässigste Methode zur Sicherstellung der intratrachealen Tubuslage. I Therapeutische Hypothermie: Neugeborene Kinder ≥ 36 SSW mit klinischen Zeichen einer moderaten bis schweren hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie sollen im Neonatologiezentrum mit therapeutischer Hypothermie behandelt werden. Erst nach erfolgter Rücksprache mit dem Zentrum und bis zum Eintreffen der Transportequipe sollen alle Wärmequellen (Wärmestrahler, -bett) ausgeschaltet werden.
I Kommunikation zwischen Hebammen, Geburtshelfer und Pädiater (Neonatologen)
I ausreichende Information über das neonatologische Risiko noch vor der Geburt
I Antizipation der zu erwartenden Störungen
I umsichtige Planung und Vorbereitung von Material und Personal
I klare und ruhige Führung der Reanimation durch eine in neonataler Reanimation kompetente Fachperson.
Personal Im Idealfall ist eine Person ausschliesslich für die Versorgung des Neugeborenen verantwortlich. Sie soll fähig sein, eine Reanimation einzuleiten, das heisst die Luftwege freizulegen und eine Maskenbeatmung durchzuführen. Für weitere Massnahmen, insbesondere für eine intratracheale Intubation, soll Hilfe von einer in der neonatalen Reanimation geübten Person (Neonatologe, Pädiater, Anästhesist) angefordert werden. Auch bei einer vermeintlich risikofreien Geburt können beim Neugeborenen unvorhersehbare Probleme auftreten. Daher sind ein funktionstüchtiger Reanimationsplatz inklusive Zubehör und die rasche Verfügbarkeit einer in der neonatalen Reanimation geübten Person Voraussetzung für jede Gebärabteilung. Die primäre Verantwortung für das Neugeborene liegt beim Geburtshelfer. Dieser kann die Verantwortung im Einzelfall an einen Kollegen einer anderen Fachrichtung, vorzugsweise der Pädiatrie/ Neonatologie, übertragen. Bei einer geplanten Hausgeburt sollen im Idealfall eine Person für die Gebärende und eine in neonataler Reanimation kompetente Person für das Neugeborene anwesend sein. Ärzte, Hebammen und Pflegepersonal, welche Neugeborene bei der Geburt betreuen, sollen regelmässig strukturierte Kurse zu Standards und Fertigkeiten in der neonatalen Reanimation absolvieren.
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Diese Kurse erfolgen im Namen der SGN im jeweils verantwortlichen Neonatologiezentrum.
Antepartaler Transport von Risikoschwangeren Die Entbindung von bestimmten Risikoschwangeren benötigt im Hinblick auf die optimale Betreuung der Mutter und des Kindes spezialisierte Kenntnisse, Fähigkeiten und Ausrüstung, die aus Häufigkeits-, Erfahrungs- und Kostengründen nicht in jeder Geburtsklinik vorhanden sein können. Ein kleiner Teil von Schwangeren bedarf daher rechtzeitig vor der geplanten oder bevorstehenden Entbindung einer Verlegung in ein perinatales Zentrum mit neonatologischer Intensivstation.
Indikationen für eine pränatale Verlegung Eine intrauterine Verlegung in ein perinatales Zentrum ist in all jenen Situationen angezeigt, in denen das Neugeborene voraussichtlich eine Reanimation oder Intensivmassnahmen brauchen wird.
A) Absolute Indikationen sind: I drohende Frühgeburt vor 32 0/7 SSW I falls keine Neonatologieabteilung in
der Klinik vorhanden: drohende Frühgeburt vor 34 0/7–35 0/7 SSW oder geschätztes Geburtsgewicht < 2000 g, sonst relative Indikation I voraussehbare schwere Anpassungsstörungen, die Intensivmassnahmen erfordern I höhergradige Mehrlinge (Drillinge und mehr) I pränatal diagnostizierte, versorgungsbedürftige Fehlbildungen.
B) Relative Indikationen (in Zweifelsfällen und je nach lokalen Verhältnissen soll mit dem Perinatalzentrum Rücksprache genommen werden) sind: I intrauterine Infektion I hämolytische Erkrankung des Feten I fetale Rhythmusstörungen I intrauterine Mangelentwicklung (ge-
schätztes fetales Gewicht < 5. Perzentile) I chronische oder instabile Erkrankung
der Mutter (Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Diabetes mellitus, Zustand nach Transplantation, Autoimmunopathien usw.)
I mütterlicher Suchtmittelkonsum I Fetus mit letalen Fehlbildungen, bei
denen Intensivmassnahmen als nicht sinnvoll erachtet werden.
Neonatale Adaptation
Die Umstellung vom intra- zum extrauterinen Leben erfordert eine Reihe von biologischen Anpassungsvorgängen, die für die Integrität vor allem des Zentralnervensystems wichtig sind. Die Geburt und die ersten Lebenstage sind aber auch ein emotionales Ereignis, das einen prägenden Einfluss auf die zukünftige ElternKind-Beziehung hat. Die perinatale Betreuung muss diese biologischen und emotionalen Bedürfnisse einbeziehen und adäquat gewichten. Zur Vorbereitung für die Erstversorgung gehören: I Gebärzimmer warm halten (möglichst
≥ 25 °C) I Wärmelampe und Licht anschalten I Unterlagen der Mutter durchlesen
und abwägen, ob die Unterstützung durch eine erfahrene Person zur Betreuung des Kindes notwendig werden könnte I Material überprüfen I Hände waschen, Handschuhe (nicht steril) tragen I Stoppuhr/Apgar-Uhr nach vollständiger Entwicklung des Kindes starten.
Abnabeln Bei Früh- und Termingeborenen nach vaginaler Geburt ohne Reanimationsbedarf und ohne mütterliche Indikation zur raschen Abnabelung (z.B. Blutung) und insbesondere bei Neugeborenen mit Hypovolämierisiko (v.a. nach Vakuumentbindung oder Entwicklung aus Beckenendlage) kann durch eine Lagerung des Kindes etwa 20–30 cm unterhalb des Introitus vaginae und durch die Abnabelung erst 60 Sekunden nach der Geburt eine plazento-neonatale Transfusion erreicht werden1.
Klinische Beurteilung der Adaptation Folgende 4 Kriterien sind für den Einsatz allfälliger Reanimationsmassnahmen wegleitend: (Abbildung, Algorithmus): 1. Atmung: Vorhanden, nicht vorhan-
den? Schnappatmung? In der Regel beginnt ein gesundes Neugeborenes innerhalb der ersten 60 Sekunden
nach Entwicklung zu atmen oder zu schreien. 2. Herzfrequenz: Vorzugsweise mit Stethoskop oder durch Palpation an der Basis der Nabelschnur ermitteln. Ist die Herzfrequenz über 60 pro Minute beziehungsweise über 100 pro Minute? Die Palpation des peripheren Pulses ist zur Bestimmung der Herzfrequenz nicht geeignet. 3. Tonus: Ein sehr hypotones Neugeborenes wird mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Atemunterstützung brauchen. 4. Kolorit: Wird das Kind zentral rosig (Farbe der Zunge beurteilen)? Die meisten Neugeborenen sind initial blass-zyanotisch, da die fetale O2-Sättigung nur 40–60% beträgt und die Hautdurchblutung noch vermindert ist. Nach einigen Minuten breitet sich ein rosiges Kolorit über den ganzen Körper aus. Die Beurteilung der Oxygenierung anhand des Hautkolorits kann schwierig sein. Insbesondere bei Vorliegen einer Anämie wird eine zentrale Zyanose erst bei tiefen Sauerstoffsättigungswerten klinisch fassbar. Falls ein Neugeborenes klinisch zyanotisch bleibt, sollte die Oxygenation spätestens nach 5 Lebensminuten mittels Pulsoxymetrie gemessen werden. Ein sehr blasses Hautkolorit kann zum andern ein guter Indikator für eine behandlungsbedürftige Situation bei Anämie oder Azidose sein.
Apgar-Score Der Apgar-Score ist eine standardisierte Bewertung der postnatalen Adaptation
1 Bei der Spätabnabelung sollen auch kulturell geprägte, individuelle Wünsche der Gebärenden bezüglich Abnabelungszeitpunkt berücksichtigt werden. Die Spätabnabelung bei Frühgeborenen ist mit einem höheren mittleren Blutdruck und Hämatokrit sowie einer reduzierten Hirnblutungshäufigkeit assoziiert, jedoch nicht mit einer besseren Stabilität in den ersten 4–6 Lebensstunden bei Neugeborenen. Deshalb kann keine Empfehlung bezüglich Abnabelungszeit formuliert werden bei Neugeborenen, die einer Reanimation bedürfen. Bei Kaiserschnittentbindung von termingeborenen Kindern wird eine umgehende Abnabelung nach Kindsentwicklung empfohlen. Bei frühgeborenen Kindern kann die Nabelschnur vor der Abnabelung 3- bis 4-mal Richtung Kind ausmassiert werden. Bezüglich Verabreichung von Oxytocin vor Abnabelung bei Kaiserschnitteinbindung sind die Daten bezüglich optimalen Zeitpunkts, Dosierung und Effektivität dieser Massnahme unklar.
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Abbildung: Algorithmus: Stabilisierung und Reanimation des Neugeborenen
und des Erfolgs anfälliger Reanimationsmassnahmen. Der Apgar-Score ist jedoch ungeeignet für die unmittelbare Entscheidung über den Einsatz therapeutischer Massnahmen. 1, 5 und 10 Minuten nach der vollständigen Entwicklung des Kindes wird jeder einzelne Apgar-Parameter mit einer Punktzahl beurteilt und protokolliert. Bei Zustandsänderungen und nach therapeutischen Massnahmen können Zwischenbestimmungen innerhalb, aber auch über die ersten 10 Lebensminuten hinaus durchgeführt werden (Tabelle).
Massnahmen bei normaler Adaptation
Bei einer normalen Adaptation atmet das Neugeborene ab Geburt spontan; es hat eine Herzfrequenz > 100/min., einen guten Tonus und wird im Verlauf der ersten 5–10 Lebensminuten rosig. I Dieses Kind wird mit vorgewärmten
Tüchern sofort abgetrocknet und der Mutter auf den Bauch gegeben. I Absaugen ist nicht bei jedem Kind erforderlich. Wenn gesunde Termingeborene innerhalb der ersten 60 Sekunden nach der Geburt regelmässig atmen, einen guten Muskeltonus entwickeln und das Fruchtwasser klar ist, soll auf das Absaugen von Mund, Rachen und Nase verzichtet werden.
Unnötiges Absaugen ist für das Kind unangenehm, kann zu Schleimhautläsionen und reflektorisch zu Bradykardien und Apnoen führen. I Der Apgar-Score wird im Alter von 1, 5 und 10 Minuten erhoben. Kurz nach der Geburt wird das Neugeborene bei guter Adaptation erstmalig an die Brust der Mutter angelegt. Idealerweise soll Mutter und Kind ein kontinuierlicher Haut-zu-Haut-Kontakt von 2 Stunden nach der Geburt ermöglicht werden, mindestens jedoch bis nach dem ersten Ansetzen. In dieser Zeit muss von der zuständigen Hebamme/Pflegefachfrau punktuell das Wohlergehen des Neugeborenen überprüft werden. Insbesondere ist darauf zu achten, dass Mund und Nase des Neugeborenen frei sind, wenn das Kind bei der Mutter auf der Brust liegt. Routinemassnahmen und die weitere Versorgung des Neugeborenen erfolgen 2 Stunden nach der Geburt respektive frühestens nach dem ersten Ansetzen des Kindes. Sie umfassen eine erstmalige Kontrolle des Neugeborenen durch Hebamme, Geburtshelfer, Pädiater oder Neonatologen; sie sind auf einem Wickeltisch und unter einem Wärmestrahler bei guten Lichtverhältnissen durchzuführen. Bei der ersten Kontrolle werden die weitere Adaptation und die Körpermasse
beurteilt sowie allfällige Fehlbildungen ausgeschlossen: I Körpermasse: Gewicht, Länge und
Kopfumfang (auf Perzentilenkurven eintragen). I Atmung: Atemfrequenz (normal: 30–60/min.), Zeichen eines Atemnotsyndroms (Einziehungen, Stöhnen, Nasenflügeln, Zyanose, Tachypnoe)? I Kreislauf: Herzfrequenz (normal: 100–160/min.), Peripherie warm und gut durchblutet? I Wärmehaushalt: Rektaltemperatur (Zielbereich 36,5–37,5 °C). Durch Messung der Rektaltemperatur lässt sich eine Analatresie frühzeitig diagnostizieren. I Fehlbildungen: Extremitäten, Genitale, Rücken, Gaumen. Eine Magensondierung zum Ausschluss einer Ösophagusatresie oder einer oberen intestinalen Obstruktion ist nur indiziert, wenn ein Polyhydramnion, ein schaumiger Speichelfluss oder eine Atemstörung bestehen. Auf eine systematische Sondierung der Nasengänge zum Ausschluss einer Choanalatresie ist zu verzichten. Die Beobachtungen und Massnahmen werden auf einem Überwachungsblatt für Neugeborene protokolliert. I Die Haut wird von Blut- und Mekoniumresten gereinigt, ohne dass die Vernix caseosa vollständig beseitigt wird. Die Vitamin-K-Prophylaxe und bei Indikation eine aktive und passive Impfung gegen Hepatitis B werden gemäss geltenden Richtlinien durchgeführt. Eine Gonoblenorrhö-Prophylaxe mit Silbernitrat oder anderen desinfizierenden Augentropfen wird nicht mehr empfohlen.
Vorgehen bei gestörter Adaptation
Reanimationsplan Falls die klinische Beurteilung zeigt, dass ein Neugeborenes keine regelmässige Atmung aufweist oder seine Herzfrequenz < 100/min. bleibt, kommen zu den Massnahmen, die bei einer normalen Adaptation durchgeführt werden, je nach Zustand des Kindes weitere hinzu. Das Öffnen der Atemwege und die Belüftung der Lungen sind dabei die wichtigsten Massnahmen in der neonatalen Reanimation. In den meisten Fällen
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Tabelle:
Apgar-Score
Kolorit
Atmung* Tonus Reaktivität** Herzfrequenz
0 Stamm blau oder blass
keine schlaff keine 0
1 Stamm rosig, Extremitäten blau oberflächlich mittel träge < 100/min
*Bei beatmeten Kindern Atmung mit einem Strich (–) beurteilen ** Reaktivität = Spontanmotorik, Schreien, Niessen, Husten
2 Stamm und Extremitäten rosig kräftig schreiend kräftig lebhaft > 100/min
genügen diese auch, um ein Kind zu stabilisieren. Weitere, komplexere Interventionen sind hingegen nutzlos, bis diese zwei ersten Massnahmen korrekt durchgeführt worden sind. Die möglichen Schritte und ihre Indikation sind in einer Synopsis im Algorithmus (Abbildung) zusammengefasst. Die einzelnen Schritte sind wie folgt kommentiert:
Wärmehaushalt I Die Reanimation wird in einem war-
men Raum durchgeführt (möglichst um 25–26 °C). I Der Wärmestrahler ist bereits 10 bis 15 Minuten vor Geburt eingeschaltet. I Das Kind wird rasch abgetrocknet und dann in warmen Tüchern auf den Reanimationstisch unter den Wärmestrahler gebracht; feucht gewordene Unterlagen werden durch trockene, vorgewärmte Tücher ersetzt.
Korrekte Lagerung I Eine korrekte horizontale Lagerung
auf dem Rücken mit dem Kopf in Mittelstellung mit leichter Deflexion ist wichtig für optimal durchgängige Atemwege. Hyperextension oder eine Flexion des Kopfes sollten vermieden werden, da dadurch die Atemwege eingeengt werden. I Durch eine kleine Windelrolle unter den Schultern können die Atemwege besser offen gehalten werden. I Die traditionelle Kopftieflage hat keine bewiesenen Vorteile für die Lungenfunktion und soll nicht mehr durchgeführt werden.
Absaugen I Katheter Ch (Charrière) 10 ohne Sei-
tenlöcher verwenden. Mundsaugkol-
ben oder mechanische Vorrichtung mit Falle verwenden. I Mund und, wenn notwendig, beide Nasenöffnungen absaugen; Katheter nicht in die Nase einführen. I Wiederholtes langes Absaugen erschwert das Einsetzen einer Spontanatmung. Die Berührung der Rachenhinterwand kann einen vagalen Reflex mit Bradykardie verursachen. I Ein Absaugmanöver sollte nicht länger als 5 Sekunden dauern. Der Magen wird nur bei adäquater Oxygenierung und stabilisierter Atmung und unter folgenden Bedingungen abgesaugt: Polyhydramnion, Atemnotsyndrom oder bei schaumigem Speichel. I Gelingt es nicht, den Katheter bis in den Magen vorzuschieben, besteht der Verdacht auf eine Ösophagusatresie. Das Kind sollte wegen Aspirationsgefahr auf den Bauch gelegt und Mund und Rachen sollten wiederholt schonend abgesaugt werden. I Das Absaugen von mehr als 20 ml Magenflüssigkeit ist verdächtig für eine obere gastrointestinale Obstruktion. Bei einem solchen Verdacht muss eine offene Magensonde gelegt und alle 10 Minuten abgesaugt werden. I Mekoniumhaltiges Fruchtwasser: Das intrapartale oropharyngeale Absaugen hat keinen Einfluss auf das Outcome des Neugeborenen, deshalb wird diese Intervention als Routinemassnahme bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser empfohlen. I Bei stark mekoniumhaltigem Fruchtwasser und deprimierter Atmung sollte besonders vor einer allfälligen Beutelbeatmung das Mekonium unter laryngoskopischer Sicht abgesaugt werden. Unter der Voraussetzung, dass
die betreuende Person die dazu notwendige Fähigkeit besitzt und das entsprechende Material vorhanden ist, wird das Kind intratracheal intubiert. Dabei wird der Endotrachealtubus mit einem Mekoniumaspirationsadapter an das Vakuum angeschlossen und das Mekonium unter Sog entfernt. Dieser Absaugvorgang mit Einführen und Entfernen des ganzen Tubus kann wiederholt werden, sofern die Herzfrequenz normal bleibt. Sonst soll eine effiziente Beatmung mit Beutel/ Maske begonnen werden, insbesondere bei anhaltender Bradykardie. Das Absaugen mit einem Katheter durch den Tubus ist bei dickem Mekonium meist unzureichend.
Maskenbeatmung Bei ungenügender oder fehlender Spontanatmung respektive bei der Herzfrequenz < 100/min. soll das Neugeborene mit Beutel und Maske beatmet werden. Der Kopf wird dazu in Mittelstellung leicht deflektiert und der Mund etwas geöffnet gehalten. Bei termingeborenen Kindern soll die Beamtung mit Raumluft begonnen werden. Die ersten 5 Inflationen sollten über 2–3 Sekunden angehalten werden, um die Expansion der Lungen zu unterstützen. Dabei wird der Inspirationsdruck mittels Manometer am Beutel gemessen; oft genügt ein Inspirationsdruck von 20–30 cm H2O. Gelegentlich muss jedoch dieser bei Termingeborenen bis auf 30–40 cm H2O erhöht werden. Falls kein Druckmonitoring möglich ist, soll so viel Inspirationsdruck verabreicht werden, um einen Anstieg der Herzfrequenz zu erreichen. Danach wird die Beatmung mit einem den Bedürfnissen des Kindes angepassten Druck (sichtbare Thoraxbewegung, Anstieg der Herzfrequenz?) und mit einer Frequenz von 40–60/min. durchgeführt. Obwohl bislang keine Studien spezifisch den Einsatz eines zusätzlichen positiven endexspiratorischen Druckes (PEEP) bei positiver Druckbeatmung zum Aufbau einer funktionellen Residualkapazität unmittelbar nach der Geburt untersucht haben, ist davon auszugehen, dass die Anwendung von PEEP vorteilhaft ist und somit benützt werden soll, sofern das notwendige Material vorhanden ist. PEEP kann sehr einfach mit T-Stück-Systemen
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verabreicht werden; bei Anwendung eines selbst expandierenden Beatmungsbeutels muss zusätzlich ein PEEP-Ventil aufgesetzt werden. Der Erfolg der Beatmung wird aufgrund folgender Kriterien beurteilt: I Thoraxexkursionen sind sichtbar I als wichtigstes Erfolgszeichen steigt
die Herzfrequenz > 100/min. an I Kolorit wird rosig. Die Beatmung wird so lange fortgesetzt, bis das Neugeborene eine regelmässige und suffiziente Atmung aufgenommen hat. Unter fortgesetzter Maskenbeatmung soll eine Magensonde eingelegt werden, um in den Magen abgewichene Luft abzuleiten. Die Larynxmaske hat ihre Wirksamkeit bei Termingeborenen sowie bei Kindern ≥ 34 SSW und > 2000 g Geburtsgewicht gezeigt. Somit kann die Larynxmaske als Alternative für geschultes Personal zur Beatmung von Termingeborenen betrachtet werden, dies vor allem in Situationen, wo eine Maskenbeatmung oder eine Intubation nicht erfolgreich durchgeführt werden kann. Die korrekt durchgeführte Beatmung mit Beutel und Maske führt jedoch in den meisten Situationen zum Erfolg. Zudem kann sie einfacher erlernt werden. Allenfalls kann ein Güdeltubus eingesetzt werden.
Rolle des Sauerstoffs in der neonatalen Reanimation
Der Einsatz von reinem Sauerstoff (FiO2 1.0) in der Neugeborenenreanimation ist durch neuere Untersuchungen infrage gestellt worden, da tiefere Sauerstoffkonzentrationen oder reine Luft (FiO2 0.21) bei den meisten Neugeborenen nach der Geburt ebenso effizient sind wie Sauerstoff in hoher Konzentration. Besorgnis besteht bezüglich der möglichen Auswirkungen von 100%igem Sauerstoff auf die Atmung, die zerebrale Durchblutung sowie bezüglich der potenziellen Zellschädigung durch toxische Sauerstoffradikale, insbesondere wenn nach einem Zell- und Gewebeschaden durch Hypoxie hohe Sauerstoffkonzentrationen appliziert werden. Generell soll Sauerstoff als Medikament betrachtet und damit streng indiziert und dosiert werden. Die grosse Mehrheit der Neugeborenen braucht keinen zusätzlichen Sauerstoff unmittelbar nach der Geburt.
Eine isolierte periphere Zyanose bei einem reaktiven Neugeborenen mit normaler Herzfrequenz stellt keine Indikation für eine Sauerstoffapplikation dar. Neuere Daten zeigen, dass bei gesunden Termingeborenen die präduktale transkutane Sauerstoffsättigung bei normaler Adaptation während der ersten 10 Lebensminuten von 40–60% auf Werte > 90% ansteigt (Abbildung 1). Wenn Sauerstoff appliziert wird, muss das immer mittels transkutaner präduktaler Sauerstoffsättigung (tcSaO2) kontrolliert und dosiert werden. Die angestrebte präduktale tcSaO2 unter Sauerstoffapplikation soll nach der 10. Lebensminute zwischen 90 und 95% liegen (FiO2 ↑, wenn tcSaO2 < 90%); (FiO2 ↓, wenn tcSa↓ > 95%).
Neugeborene ohne Reanimationsbedarf Bei ungenügender Sauerstoffsättigung (Abbildung) respektive bei zentraler Zyanose nach der 5. Lebensminute mit regelmässiger Atmung und normaler Herzfrequenz wird das Neugeborene stimuliert und Sauerstoff über eine Gesichtsmaske angeboten (Flow 4–5 l/min., initale FiO2 0,30–0,40). Diese Sauerstoffmaske sollte dicht und gleichmässig über Mund und Nase gehalten werden. Unnötiges Hinund Herbewegen der Maske verursacht Fluktuationen der Sauerstoffkonzentration. Die FiO2 wird in 10%-Schritten erhöht bis zur Normalisierung der Sauerstoffsättigung.
Neugeborene mit Reanimationsbedarf Termingeborene Kinder sollen primär mit Raumluft beatmet werden. Bei normokardem, jedoch insuffzient atmendem Kind richtet sich die Indikation für zusätzlichen Sauerstoff nach den transkutanen Sauerstoffsättigungswerten (mit präduktaler Pulsoxymetrie gemessen). Bei normaler Herzfrequenz und persistierender Zyanose soll die Sauerstoffzufuhr so titriert werden, dass die Sättigungswerte normal ansteigen. Falls jedoch bei Bradykardie trotz adäquater Beatmung innert 30 Sekunden keine Normalisierung der Herzfrequenz eintritt, soll die Sauerstoffzufuhr rasch auf 100% erhöht werden.
Volumen-/Puffer-Therapie
Venöser Zugang Bei intubierten oder kardiopulmonal instabilen Neugeborenen muss ein venö-
ser Zugang gelegt werden. In dringenden Situationen und bei Schock wird am besten ein Nabelvenenkatheter eingelegt. Nach der Stabilisierung des Kreislaufs wird die Infusion mit einer 10%igen Glukoselösung mit 3 ml/kg/Std. fortgesetzt, entsprechend einer Glukosezufuhr von 5 mg/kg/min.
Volumentherapie Bei Vorliegen von Zeichen einer Hypovolämie oder Kreislaufinsuffizienz wie verminderte periphere Durchblutung, schwach palpable Pulse, Blässe und Tachykardie muss ein Volumenersatz (über 5–10 min.) erfolgen. Dazu kommen folgende Lösungen infrage: I NaCI 0,9% oder Ringerlaktat (initial
10 ml/kg, Wiederholung je nach Blutdruck und Klinik) I Erythrozytenkonzentrat (bei akuter Anämie ungetestetes 0-Rh-negatives Blut verwenden). Dosierung: 10 ml/kg, evtl. wiederholen. Albumin 5% ist als Volumenersatz in der neonatalen Reanimation kontraindiziert.
Puffertherapie Bei einer metabolischen Azidose soll die Behandlung der primären Ursache angestrebt werden. Die Gabe von Natriumbikarbonat kann schwere Nebenwirkungen verursachen (paradoxe intrazelluläre Azidose, osmotisch bedingte Myokarddysfunktion, Verminderung des zerebralen Blutflusses und Hirnblutung v.a. bei Frühgeborenen). Es gibt keine Evidenz für eine Wirksamkeit von Natriumbikarbonat bei der initialen Reanimation des Neugeborenen, deswegen ist diese Behandlung in dieser Phase kontraindiziert.
Herzmassage
Die Beatmung stellt die wichtigste Massnahme in der neonatalen Reanimation dar; wird die Beatmung nicht erfolgreich durchgeführt, wird auch die Herzmassage ineffektiv bleiben. Eine Herzmassage ist in der Neugeborenenreanimation nur selten notwendig (< 1:1000 Geburten). Indikationen sind: I fehlende Herztöne (Asystolie) I Bradykardie unter 60/min. trotz adä-
quater Beatmung mit einer FiO2 1.0 während 30 Sekunden. Technik: Beide Daumen werden nebenoder übereinander unterhalb einer Linie
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gelegt, die beide Mamillen verbindet, die anderen Finger umfassen den ganzen Thorax. Die Tiefe der Kompression sollte mindestens ein Drittel des anteroposterioren Thoraxdurchmessers betragen. Die Herzmassage kann eine effektive Beatmung erschweren. Daher sollten beide Massnahmen so koordiniert werden, dass sie nicht zusammenfallen. Sie sollen für die Neonatalzeit (bis 4 Wochen nach errechnetem Termin) in einem Verhältnis Kompression:Ventilation von 3:1 durchgeführt werden, mit 90 Kompressionen und 30 Atemstössen pro Minute; die Beatmung soll dabei mit 100%igem Sauerstoff durchgeführt werden. Die Herzfrequenz soll erstmals nach 30 Sekunden Herzmassage gemessen werden, ebenso alle 30 Sekunden danach. Die Herzmassage kann sistiert werden, wenn die spontane Herzfrequenz > 60/min. beträgt.
Abbruch der Reanimationsmassnahmen
Sind nach 10 Minuten kontinuierlicher und adäquater Reanimation keine Lebenszeichen vorhanden (keine Herzaktion, keine Spontanatmung), kann ein Abbruch der Reanimationsmassnahmen gerechtfertigt sein, da in dieser Situation ein Überleben unwahrscheinlich ist respektive mit schwerster neurologischer Beeinträchtigung assoziiert wäre. Bei Unsicherheit sollen die Reanimationsmassnahmen bis zum Eintreffen einer in neonataler Reanimation kompetenten Person fortgesetzt und erst nach gemeinsamer Evaluation sistiert werden. Nach dem Abbruch soll mit der Neonatologieabteilung Kontakt aufgenommen werden, um allfällige Abklärungen zu besprechen.
Betreuung des Neugeborenen nach Reanimation
Der Zustand des Neugeborenen, welches einer Reanimation bedurfte, kann sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut verschlechtern. Deshalb muss ein solches Kind nach Erreichen einer adäquaten Ventilation, Oxygenation und Kreislaufsituation in eine Umgebung verlegt werden, wo ein kontinuierliches Monitoring und eine kontinuierliche Betreuung gewährleistet sind.
Die klinische Beurteilung der Adaptation kann bei Bedarf durch die «Labor-Trias» ergänzt werden: Blutgasanalyse (indiziert bei Nabelarterien-pH < 7,15 und bei klinischen Zeichen einer gestörten Adaptation), Hämatokritbestimmung (bei Polyglobulie- oder Anämieverdacht) und Blutzuckerbestimmung. Letztere wird im Gebärzimmer nur bei hypoglykämieverdächtigen Symptomen oder bei Zeichen einer diabetischen Fetopathie durchgeführt. In der frühen Anpassungsphase nach der Geburt sind tiefe Glukosewerte häufig. Messungen der Blutglukose in den ersten 2 bis 3 Lebensstunden sind daher bei asymptomatischen, normalgewichtigen Termingeborenen irreführend und klinisch nicht sinnvoll. Bei Neugeborenen mit hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie soll ein normaler Blutzucker (3,0–4,5 mmol/l) angestrebt werden. Betreuung der Eltern Die Betreuung der Eltern während der Geburt ist eine wichtige Aufgabe. Diese wird besonders anspruchsvoll, wenn die Adaptation eines Neugeborenen gestört ist oder wenn ein Kind mit Fehlbildungen auf die Welt kommt. Dabei beanspruchen Reanimationsmassnahmen oft viel Raum und beeinträchtigen die Kontaktmöglichkeiten sowie die Interaktion zwischen Mutter und Kind. Sie sollte, wenn immer möglich, auch in schwierigen Situationen gefördert werden. Für viele Eltern ist das Miterleben von Wiederbelebungsmassnahmen mit Ängsten und negativen Eindrücken verbunden. In der akuten Situation können Massnahmen nicht erklärt und besprochen werden. Aus diesen Gründen wird ein Neugeborenes mit Vorteil in einem separaten Raum ohne Beisein der Eltern reanimiert. Hier ist eine regelmässige Information der Eltern über den Zustand ihres Kindes wie auch über die vorgenommenen Massnahmen durch das betreuende Team wichtig. Am besten werden der Ablauf der Betreuung nach der Geburt und mögliche Probleme noch vor der Geburt mit den Eltern besprochen. Dabei kann auch erfragt werden, ob sie bei einer allfälligen Reanimation dabei sein können. Nach einer schwierigen Reanimation soll genügend Zeit für ein Gespräch einge- räumt werden und den Eltern Gelegen- heit gegeben werden, das Kind zu sehen und zu berühren. Vor einer Trennung oder auch Verlegung des Neugebore- nen sollte ein Foto für die Eltern ange- fertigt werden. Telefonnummer der Neo- natologieabteilung sowie Name einer Kontaktperson sollen hinterlassen wer- den. Die Mutter und die Pflegenden sol- len daran erinnert werden, dass auch in Krisensituationen die Muttermilchpro- duktion durch Abpumpen stimuliert wer- den sollte. I Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Daniel Surbek Geburtshilfe und Feto-maternale Medizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital 3010 Bern E-Mail: daniel.surbek@insel.ch Quelle: Adaptierte Version aus: Paediatrica 2012; 23 (1): 13–23. *Erarbeitet von einer Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft fur̈ Neonatologie bestehend aus (in alphabetischer Reihenfolge): T. M. Berger, Luzern; V. Bernet, Zur̈ ich; J.-C. Faucher̀ e, Zur̈ ich; B. Laubscher, Neuenburg; A. Malzacher, St. Gallen; M. Nelle, Bern; R. E. Pfister, Genf; M. Roth-Kleiner, Lausanne; S. Schulzke, Basel; G. Zeilinger, Aarau; D. Surbek, Bern (Schweiz. Gesellschaft fur̈ Gynak̈ ologie und Geburtshilfe). Redaktionelle Verantwortung: J.-C. Faucher̀ e, Zur̈ ich. 20 GYNÄKOLOGIE 2/2015