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015/050 – S1-Leitlinie
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Arbeitsgemeinschaft Immunologie in der Gynäkologie und Geburtshilfe (AGIM)
Diagnostik und Therapie beim wiederholten Spontanabort (WSA)
Teil 1: Hintergrund, Ursachen, Abklärung
Ziel dieser Leitlinie war es, die Diagnostik und Therapie des wiederholten Spontanabortes (WSA) anhand der aktuellen internationalen Literatur sowie der Erfahrung der beteiligten Kolleginnen und Kollegen evidenzbasiert zu standardisieren. Dies erfolgte unter Verwendung einheitlicher Definitionen, objektivierter Bewertungsmöglichkeiten und standardisierter Therapieprotokolle.
Bettina Toth und Kollegen* (Korrespondenz-
adresse Schweiz: Michael von Wolff, Bern)
Zielgruppe sind neben den Frauenärztinnen und -ärzten auch die humangenetisch, psychotherapeutisch, labormedizinisch, internistisch und allgemeinmedizinisch tätigen Kolleginnen und Kollegen. Die Erstellung dieser Leitlinie erfolgte unter besonderer Berücksichtigung der bisherigen Empfehlungen (erste Erstellung der Leitlinie 2006, Überarbeitung 2008), der ESHRE-Leitlinie von 2006 (1), den Richtlinien des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG 2011) (2), des American College of Obstetricians and Gynaecologists (ACOG 2002) (3) sowie des American College of Reproductive Medicine (2008) (4). Zudem wurden mithilfe von Pubmed und der Cochrane Library aktuelle evidenzbasierte Studien zusammengefasst.
sache gefunden wird. Der Leidensdruck der Paare ist hoch, was dazu führt, dass oftmals schon nach einem Abort eine ausführliche Diagnostik respektive Behandlungsstrategie gefordert wird. Zudem divergieren therapeutische Ansätze aufgrund von mangelnder Studienlage und damit fehlenden evidenzbasierten Therapieempfehlungen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Ursachen respektive den therapeutischen Optionen bei WSA sind vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Durchführung randomisierter Doppelblindstudien gerade in diesem Kollektiv schwierig ist, da sich die Patientinnen selten rekrutieren lassen. Aufgrund der Heterogenität des Krankheitsgeschehens sind aber gerade (Sub-)Gruppenanalysen entscheidend, um mögliche Behandlungsstrategien gezielt zu untersuchen.
Hintergrund
Die Begleitung von Paaren mit WSA ist eine Herausforderung für den/die betreuende(n) Arzt/Ärztin, da einige mögliche Ursachen bekannt sind, aber bei einem Grossteil der Patientinnen keine Ur-
Inzidenz und Definition
Etwa 1 bis 3% aller Paare im reproduktionsfähigen Alter erleben den wiederholten Verlust einer Schwangerschaft, was eine tiefgreifende Problematik für die Partnerschaft und die Lebensqualität
Das Verfahren zur Konsensbildung
Die Leitlinie, die bereits in einer Vorversion aus dem Jahr 2006 vorlag, wurde der aktuellen Literatur und bestehenden internationalen Leitlinie angepasst. Die Abstimmungen zwischen den Autoren erfolgten nach kontroverser Diskussion im schriftlichen Umlaufverfahren. Verabschiedet wurde eine Fassung, der alle Autoren nach mehreren Umläufen zustimmten. Leitlinienkommission und Vorstand der DGGG stimmten der Leitlinie im Januar 2014 zu. Die Gültigkeit der Leitlinie wurde durch den Vorstand der DGGG und die DGGG-Leitlinienkommission im Januar 2014 bestätigt (Erstellungsdatum: 12/2013). Die Gültigkeitsdauer der Leitlinie geht bis 01/2017.
*Autoren: Toth, B. und Würfel W. (federführend) Bohlmann MK, Gillessen-Kaesbach, Nawroth F, Rogenhofer N, Tempfer C, Wischmann T, von Wolff M
darstellt (5). Eine Fehlgeburt ist ein Verlust einer Schwangerschaft von Beginn der Zeugung bis zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW) (gemäss WHO-Guidelines, 2). Die WHO definiert den wiederholten Spontanabort als «3 und mehr konsekutive Fehlgeburten vor der 20. SSW» (2). Die amerikanische Fachgesellschaft definiert bereits das Vorkommen von zwei konsekutiven Aborten als WSA (6). Dies erhöht die Inzidenz des habituellen Abortgeschehens auf bis zu 5% (7). In dieser Leitlinie dient die WHO-Definition (≥ 3 konsekutive Aborte) als Grundlage für die Empfehlung von diagnostischen und therapeutischen Massnahmen. Im Falle, dass noch keine Lebendgeburt stattgefunden hat, spricht man von primären WSA, nach einer erfolgten Lebendgeburt von sekundären WSA (8). Eine neuere Unterteilung, welche sich auf den Ablauf der Fehlgeburten bezieht, unterteilt nach wiederholten embryonalen («Abortivei») und fetalen Schwangerschaftsverlusten (Letzteres bei sonografisch nachweisbarer Herzaktion bzw. histologisch nachweisbarem Embryo) (4). Aufgrund des steigenden mütterlichen Alters bei der ersten Schwangerschaft, insbesondere in Westeuropa, gibt es eine zunehmende Tendenz, bereits Patientinnen mit zwei Fehlgeburten einer ausführlichen Diagnostik zu unterziehen. Bei der Einschätzung, ob bereits nach zwei Fehlgeburten eine umfangreichere Diagnostik sinnvoll ist, spielt neben der genauen Abortanamnese auch die reproduktionsmedizinische Gesamtsituation des betroffenen Paares eine wesentliche Rolle. Dabei sollte eine sinnvolle Abklärung primär alle relevanten Abortursachen umfassen, gleichzeitig aber auch kosteneffektiv sein sowie therapeutische Konsequenzen einleiten. Das Wiederholungsrisiko von Fehlgeburten schwankt in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren erheblich. Dabei nimmt neben dem Alter der Patientin auch die Anzahl der vorausgegangenen Aborte Einfluss. Tabelle 1 zeigt die Daten
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einer grossen retrospektiven Registerstudie von Nybo-Andersen und Kollegen (9).
Ursachen und Abklärung
Genetische Faktoren Chromosomenstörungen Die häufigste Ursache für rezidivierende Aborte stellen embryonale/fetale Chromosomenaberrationen dar (10, 11). Allerdings sinkt der Anteil an chromosomal abnormen Feten mit steigender Zahl der Aborte. In einer zytogenetischen Studie an 233 Frauen mit sporadischen Spontanaborten fanden sich in 93% der Fälle Chromosomenanomalien und/oder morphologische Fehlbildungen der Embryonen (12). Was die WSA betrifft, stellt sich die Situation allerdings etwas anders dar. Mit zunehmender Zahl der Aborte sinkt die Zahl an embryonalen/fetalen Karyotypanomalien deutlich. Von 63% embryonalen/fetalen Karyotypanomalien bei Frauen mit zwei Aborten fiel in einer Serie von 1309 Frauen mit 2 bis 20 Aborten im ersten Trimester dieser Anteil kontinuierlich bis auf 11% bei Frauen mit zehn oder mehr Aborten (13). Eine Chromosomenstörung kann im Abortmaterial oder durch Analyse des elterlichen Blutes nachgewiesen werden. Eine wesentliche Rolle spielen hier unbalancierte Translokationen, die aufgrund einer balancierten Translokation bei einem Elternteil entstehen. Hier finden sich sowohl Robertson’sche (die akrozentrischen Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22 betreffend) als auch reziproke Translokationen (14). In zwei Dritteln der Fälle ist die Frau Trägerin der Translokation, nur in einem Drittel der Mann. Viel seltener ursächlich sind strukturelle Aberrationen wie para- oder perizentrische Inversionen (10). Beim Auftreten von mehr als drei Aborten lassen sich in etwa 3% der Fälle parentale Chromosomenstörungen nachweisen (14). Die Wahrscheinlichkeit einer strukturellen Chromosomenaberration
bei einem Elternteil erhöht sich auf 5%, wenn anamnestisch eine Totgeburt vorlag oder ein Kind mit Fehlbildungen geboren wurde. Je früher eine Fehlgeburt eintritt, desto wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer embryonalen/fetalen Chromosomenstörung. So lassen sich im ersten Trimenon in etwa 50% der Fälle Chromosomenaberrationen nachweisen, während die Rate im zweiten Trimenon nur noch bei etwa 20% liegt (15, 16). Mit zunehmendem mütterlichem Alter steigt das Risiko für embryonale/fetale Trisomien aufgrund von Chromosomenfehlverteilungen. Am häufigsten zeigt sich die Trisomie 16 (ca. 30%), gefolgt von der Trisomie 22 (ca. 14%). Triplodien finden sich bei etwa 15 % der zytogenetisch auffälligen Aborte. Eine Monosomie X ist für etwa 20% der Fehlgeburten im ersten Trimester verantwortlich. Für die Monosomie X, Polyploiden oder strukturelle Chromosomenstörungen ist kein Zusammenhang mit dem mütterlichen Alter erkennbar (12). Das Wiederholungsrisiko bei nummerischen Chromosomenstörungen ist sowohl abhängig von der Art der Trisomie wie auch vom mütterlichen Alter. Bei Vorliegen einer strukturellen Chromosomenstörung bei einem Elternteil ist die Wahrscheinlichkeit einer unbalancierten Chromosomenaberration im Abortmaterial oder beim Neugeborenen erhöht (15, 16). Grundsätzlich muss immer an die Möglichkeit eines Keimzellmosaiks gedacht werden. Bei drei und mehr Aborten sollte eine Chromosomenanalyse bei beiden Eltern erfolgen, ebenso, wenn ein oder mehrere Aborte in Kombination mit einer Totgeburt oder einem Kind mit Intelligenzminderung oder Fehlbildungen aufgetreten sind. Vor jeder genetischen Diagnostik muss entsprechend dem Gendiagnostikgesetz eine Aufklärung über die geplante Untersuchung durch eine(n) entsprechend qualifizierte(n) Arzt
oder Ärztin erfolgen. Zusätzlich muss ein schriftliches Einverständnis des Patienten vorliegen. Zeigt sich bei diesen Untersuchungen ein aberranter Karyotyp, sollte das Ergebnis entsprechend dem Gendiagnostikgesetz im Rahmen einer genetischen Beratung durch einen Facharzt/ eine Fachärztin für Humangenetik oder eine(n) Arzt/Ärztin mit entsprechender Qualifikation mitgeteilt werden. Hier sollte auch auf die Möglichkeiten der Präimplantations- und Polkörperdiagnostik sowie der Pränataldiagnostik hingewiesen werden. Eine Chromosomenanalyse aus Abortmaterial kann den betroffenen Eltern bei der Bewältigung des Abortgeschehens helfen. Hierfür benötigt man Chorionzottengewebe, embryonales oder fetales Gewebe. Das Gewebe sollte unmittelbar nach Erhalt in ein steriles Nährmedium oder auch in Kochsalzlösung gegeben werden (keinesfalls Formalin). Bei Nachweis einer strukturellen Chromosomenanalyse im Abortmaterial ist eine Chromosomenanalyse bei beiden Elternteilen indiziert, falls diese nicht bereits im Vorfeld erfolgte. In Zukunft wäre die Anwendung einer Array-CGH denkbar, da hier auch kleinere Aberrationen (Deletionen und Duplikationen) zu erfassen sind, die bei der konventionellen Chromosomenanalyse nicht detektiert werden können.
Monogene Erkrankungen Insbesondere bei X-chromosomal-dominanten Krankheitsbildern mit Letalität im männlichen Geschlecht wie zum Beispiel der Incontinentia pigmenti oder dem Golz- Gorlin-Syndrom besteht ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten. Aber auch bei autosomal dominanten und rezessiven Krankheitsbildern, die schwere Fehlbildungen aufweisen, kann es zu einer erhöhten intrauterinen Mortalität kommen. In diesen Fällen, insbesondere wenn das Krankheitsbild pränatal nicht identifiziert wurde, sollte eine klinisch-genetische
Tabelle 1: Wiederholungswahrscheinlichkeit von Fehlgeburten in Abhängigkeit vom maternalen Alter und der Anzahl an vorausgegangenen Aborten nach Nybo-Andersen et al. (9).
Vorausgegangene Aborte 1 2 ≥3
25–29 Jahre
≈ 15% ≈ 22–24% ≈ 40–42%
30–34 Jahre
≈ 16–18% ≈ 23–26% ≈ 38–40%
35–39 Jahre
≈ 21–23% ≈ 25–30% ≈ 40–45%
40–44 Jahre
≈ 40% ≈ 40–44% ≈ 60–65%
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und pathologische Untersuchung des Fetus erfolgen. Zeigt sich im Ultraschall ein Hinweis auf eine Skelettanomalie, sollte auch eine Röntgenaufnahme (Babygramm) durchgeführt werden. Unbedingt notwendig ist die Asservierung von Blut oder Gewebe zur zytogenetischen oder molekulargenetischen Diagnostik. Nur unter der Voraussetzung, dass in solchen Fällen eine spezifische Diagnose gestellt wurde, ist im Rahmen einer humangenetischen Beratung eine Aussage über ein Wiederholungsrisiko möglich.
Anatomische Faktoren Uterusfehlbildungen Die Angaben über die Inzidenz uteriner Anomalien bei habituellen Aborten liegen in der Literatur bei 10 bis 25% (im Vergleich zu 5% bei Kontrollen) (17) (bzw. 3,2–6,9%) (18). Anerkannt ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Aborten bei Uterus septus. Das septale Endometrium zeigt unter anderem eine veränderte Expression von VEGF-Rezeptoren. Man vermutet, dass dies zu einer veränderten Vaskularisation bei der Plazentation führen und das erhöhte Abortrisiko bei Implantation im Septum erklären könnte (19). Möglicherweise sind die unterschiedlichen Studienergebnisse durch die nachgewiesene erhebliche Untersuchervarianz bei der hysteroskopischen Diagnostik eines Uterusseptums erklärbar (20). Inwieweit ein Zusammenhang von habituellen Aborten auch mit anderen Uterusfehlbildungen wie einem Uterus arcuatus oder bicornis besteht, wird unterschiedlich beurteilt. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der Prävalenz an Uterusfehlbildungen bei Frauen mit exakt zwei respektive mehr als zwei Fehlgeburten; die Rate uteriner Veränderungen lag in beiden Gruppen bei etwa 40% (21). Zur Diagnostik einer Uterusfehlbildung muss individuell entschieden werden, ob eine Hysteroskopie (alternativ Hysterosalpingografie), gegebenenfalls in Kombination mit einer Laparoskopie beziehungsweise 3D-Sonografie erforderlich ist (17).
Myome In einer Auswertung retro- und prospektiver Daten von Patientinnen mit WSA lag
die Inzidenz submuköser Myome bei 2,6% (25/966) (22). Der Vorteil einer Myomenukleation bei WSA-Patientinnen ist aus methodischen Gründen aber nicht prospektiv randomisiert verblindet bewiesen. Für andere Myomlokalisationen ohne submukösen Anteil ist ein Zusammenhang unwahrscheinlich. Die Standarddiagnostik zur Beurteilung eines möglichen submukösen Myomanteils ist die Hysteroskopie.
Polypen Inwieweit auch Polypen als intrakavitäre Pathologie in Analogie zu den submukösen Myomen das Abortrisiko beeinflussen, ist unklar. Häufig kommen sie – insbesondere als diffuse Mikropolypen – assoziiert mit einer chronischen Endometritis vor (23). Zu ihrer Diagnostik und Lokalisation wird eine Hysteroskopie empfohlen. Chronische Endometritiden verlaufen häufig asymptomatisch und sind auch histologisch schwer zu fassen, dennoch gibt es Hinweise auf eine Assoziation mit WSA (24). In einer aktuellen Arbeit konnte in 58% eines Patientenkollektivs mit WSA (n = 360) hysteroskopisch eine chronische Endometritis nachgewiesen werden, wobei bei 68% ein positiver Kulturnachweis erbracht wurde. Hiervon liessen sich bei 25% Mykoplasmen und Ureaplasmen und bei nahezu 13% Chlamydien nachweisen. Durch antibiotische Therapie nach Antibiogramm konnte zum Einen ein unauffälliger hysteroskopischer sowie kultureller Befund erreicht werden, zum Anderen eine signifikant höhere Schwangerschaftsrate (78%) (25).
Zervixinsuffizienz Insbesondere Aborte im 2. und 3. Trimenon werden häufig in Zusammenhang mit einer sogenannten Zervixinsuffizienz gebracht. Dennoch bleiben die Pathophysiologie sowie mögliche präkonzeptionelle diagnostische Marker bislang unklar.
Mikrobiologische Faktoren Die Bedeutung mikrobiologischer Einflussfaktoren auf das rezidivierende Abortgeschehen wird kontrovers diskutiert, daher wird ein generelles Screening ausserhalb der im Rahmen der Schwangerenvorsorge üblichen Abklärungen zum heutigen Zeitpunkt nicht empfohlen.
Vaginale Dysbiosen aufgrund von bakteriellen, viralen oder parasitären Infektionen können zu einem vorzeitigen Blasensprung, einer Zervixinsuffizienz und einem Amnioninfektionssyndrom respektive zu Frühgeburt oder Spätabort führen. Hierbei handelt es sich jedoch meist um ein sporadisches Geschehen. Die bakterielle Vaginose im 1. Trimester einer Schwangerschaft wurde als Risikofaktor für Aborte im 2. Trimester und Frühgeburten beschrieben (26, 27). Eine Evidenz bezüglich einer Assoziation mit Aborten im 1. Trimenon liegt nicht vor (28). Die Datenlage zur Bedeutung einer genitalen Besiedlung mit Erregern wie Chlamydia trachomatis, Ureaplasma urealyticum und Mycoplasma hominis ist ebenso widersprüchlich (8). Es gibt Hinweise, dass vaginale Infektionen mit Mykoplasmen und Chlamydien mit WSA assoziiert sind, ein Beweis liegt jedoch nicht vor (29). Anzumerken ist, dass diese Erreger sehr häufig auftreten, wobei Mykoplasmen bei einem Drittel der sexuell aktiven Frauen in der Endozervix nachgewiesen werden (26). Für Toxoplasma gondii und Listerien liegen keine entsprechenden Hinweise vor. Desgleichen werden Viren, insbesondere der Herpesgruppe, als mögliche Pathogene diskutiert, da diese chronisch rezidivierende maternale Infektionen durch Persistenz und Reaktivierung hervorrufen können. So kann das Zytomegalievirus während der Schwangerschaft auf die fetoplazentare Einheit übergreifen und sowohl eine primäre Infektion als auch eine Reaktivierung auslösen (29). Gleiches wird dem HerpesSimplex-Virus-Typ-2 und (seltener) dem -Typ 1 zugeschrieben. Ebenfalls wird das Parvovirus als Verursacher von WSA diskutiert (29). Eine Evidenz dazu liegt derzeit nicht vor.
Endokrine Faktoren Als endokrine Ursachen kommen eine Lutealphaseninsuffizienz, Schilddrüsendysfunktionen sowie der Komplex metabolischer Störungen in Frage, die mit einer Adipositas, einem PCO-Syndrom, einer Hyperandrogenämie und einer Insulinresistenz assoziiert sind. Eine Lutealphaseninsuffizienz konnte als Ursache für habituelle Aborte nie bewiesen werden, insbesondere, weil sich kei-
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ne klar definierten Normwerte für die Progesteronkonzentration in der Lutealphase definieren liessen. Lediglich bei deutlich verkürzten Lutealphasen und mehrtägigen prämenstruellen Schmierblutungen kann von einer relevanten Lutealphaseninsuffizienz ausgegangen werden. Bei der Schilddrüse ist zwischen manifesten und latenten Dysfunktionen sowie erhöhten SchilddrüsenautoantikörperKonzentrationen zu unterscheiden. Die Datenlage hinsichtlich einer manifesten Hypo- und Hyperthyreose ist aufgrund der geringen Prävalenz begrenzt. Eine Assoziation wird zwar im Allgemeinen angenommen, konnte aber nie sicher bewiesen werden (30). Zu den häufigsten Schilddrüsendysfunktionen bei WSA gehört die latente Hypothyreose. Allerdings ist die Datenlage hinsichtlich eines kausalen Zusammenhangs mit habituellen Aborten auch hier nicht eindeutig. Einer der Gründe dürfte sein, dass möglicherweise die TSH-Referenzwerte bei Kinderwunsch zu weit gefasst sind. Als oberer Grenzwert wird bei einer Infertilität von der amerikanischen Endocrine Society mit einem Evidenzlevel von 1 ein TSH-Wert von 2,5 mU/L angesehen (31). In der Annahme, dass bei einem TSH-Wert ab 2,5 mU/L bereits eine latente Hypothyreose vorliegt, haben mehrere Studien ein erhöhtes Abortrisiko auch bei einer latenten Hypothyreose festgestellt (32, 33). Liegen zusätzlich erhöhte Schilddrüsenautoantikörper vor, gilt ein Zusammenhang mit habituellen Aborten jedoch weitgehend als gesichert (34). Die Adipositas, das PCO-Syndrom, die Hyperandrogenämie und die Insulinresistenz sind als Ursachen habitueller Aborte aufgrund der Überlappung der Pathophysiologien nur bedingt zu trennen. Eine Assoziation einer Adipositas mit habituellen Aborten wurde in mehreren Studien beschrieben (35, 36). Unklar ist, ob die Risikozunahme auf einem mit der Adipositas oft assoziierten PCO-Syndrom und der damit oft auch assoziierten Hyperandrogenämie und Glukoseintoleranz oder anderen metabolischen Veränderungen beruht. Von den genannten möglichen Ursachen scheint neben der Adipositas am ehesten die Insulinresistenz von Relevanz zu sein. So ist die Prävalenz einer Insulinresistenz bei habituellen Aborten erhöht (37). Aller-
dings ist der Effekt einer Metformintherapie umstritten. Ältere Studien zeigten eine Reduzierung der Abortrate (37), wogegen eine randomisierte Multizenterstudie aus dem Jahr 2010 keine Reduzierung nachweisen konnte (38).
Psychologische Faktoren Aus Sicht der evidenzbasierten Medizin ist eine direkte Verursachung von WSA allein aufgrund psychologischer Faktoren wie (Alltags-)Stress nicht gegeben, so wie bei Fertilitätsstörungen im Allgemeinen auch nicht (39). Monokausale und lineare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge werden dem komplexen reproduktiven System des Menschen nicht gerecht (40, 41). Nach jetzigem Erkenntnisstand ist höchstens eine mittelbare Beeinflussung über Verhaltensänderungen der Schwangeren (z. B. Einnahme von Genussgiften oder Mangelernährung) zu vermuten (42). Die in der (älteren) psychosomatischen Literatur genannten Erklärungsmodelle für Spontanaborte respektive WSA sind entweder aufgrund ihrer theoretischen Vorannahmen einer empirischen Überprüfung nicht zugänglich oder sie sind bisher nicht repliziert worden. Die psychologischen Auswirkungen von WSA sollten hingegen nicht unterschätzt werden (44). In der Regel lösen Spontanaborte und WSA bei den betroffenen Frauen (und ihren Partnern) Trauerprozesse aus, deren zeitliche Abläufe individuell sehr verschieden sein können (45). Im Allgemeinen ist mit einer deutlichen Abnahme der Trauer nach spätestens sechs Monaten zu rechnen, wobei aber auch Verläufe bis zu einem Jahr zu beobachten sind (46, 47). Aus psychologischer Sicht prognostisch günstig sind dabei eine unterstützende Partnerschaft und ein vorhandenes soziales Netzwerk sowie ein aktiv-konfrontativer Umgang mit den Aborten (bzw. WSA). Ungünstiger hingegen wirkt eine depressive und mit Schuldgefühlen assoziierte Verarbeitung (48). Ungewollte Kinderlosigkeit und psychische Vorerkrankungen der Frauen gelten als Risikofaktoren. Das Vorhandensein von Kindern mindert nicht notwendigerweise die negativen emotionalen Auswirkungen des Schwangerschaftsverlustes. Ängstlichkeit, Trauer und Depressivität sind in den ersten Monaten bei Frauen nach WSA erhöht ge-
genüber Frauen nach singulärem Spontanabort, ein linearer Zusammenhang von Aborthäufigkeit und psychischer Belastung ist aber nicht zu beobachten (49, 50). Generalisierbare Aussagen über das emotionale Erleben der Partner von Frauen nach WSA liegen bisher noch nicht vor (51).
Immunologische Faktoren Alloimmunologische Faktoren Eine Aktivierung des Immunsystems (TH1-Anwort) führt gemäss der vorhandenen Studienlage zu einer eher ungünstigen Implantationssituation und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für WSA (52–54). Nicht eindeutig belegt ist, dass eine Erhöhung des TH1/TH2-Quotienten respektive des T4/T8-Indexes zu einem erhöhten Risiko für Aborte führt, auch wenn viele Autoren davon ausgehen. Dasselbe gilt für eine erhöhte TNFα-Sekretion im Lymphozytenstimulationstest beziehungsweise eine Erhöhung des TNFα-Wertes im Blut (55). Generell können diese Bestimmungen für ein Routinescreening bislang nicht empfohlen werden. Anders ist die Situation, wenn der Verdacht auf eine Autoimmunerkrankung besteht. Hier sollten in enger Kooperation mit den Rheumatologen gegebenfalls weitere Untersuchungen veranlasst werden. Die Bestimmung der natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) im peripheren Blut bei WSA-Patientinnen erfolgt derzeit ebenso wie die Bestimmung von uterinen NKZellen unter Studienbedingungen (bzw. bei speziellen Fragestellungen) (56). Der NK-Toxizitätstest (aus der Onkologie stammend: Lyserate gegen Tumorzelllinien) wird derzeit von einigen Autoren favorisiert, wenn es um die Diagnostik von WSA geht (57). Erste Studienergebnisse zeigen eine Korrelation zwischen WSA und einem pathologischen NKToxizitätstest, dennoch sollte auch dieser Test nur unter Studienbedingungen erfolgen. Die Bestimmung der HLA-Identität beider Ehepartner kann nach derzeitiger Studienlage nicht generell empfohlen werden. Studien zeigen allerdings, dass eine erhöhte Abortwahrscheinlichkeit dann auftritt, wenn eine Übereinstimmung in den HLA-C-Gruppen vorliegt oder wenn «schwache» HLA-C-Gruppen
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auf Seiten des männlichen Partners (G2) vorliegen (58). Eine erhöhte Abortwahrscheinlichkeit ist auch in mehreren Studien für bestimmte DRB1- respektive DQB1-Merkmale respektive deren Übereinstimmung belegt (59). Dennoch sollten zunächst weitere Studien abgewartet werden, bevor eine Empfehlung abgegeben werden kann. Daneben scheint eine Korrelation zwischen paternalen HLA-C-Gruppen und den KIR-Rezeptoren auf Seiten der Frau zu bestehen, die zu einer erhöhten Abortrate führen kann (z.B. HLA-C-Gruppen G2 des Partners und Fehlen der drei aktivierenden KIR-Rezeptoren der Frau) (60, 61). Auch diese Untersuchung kann derzeit nicht allgemein empfohlen werden und sollte speziellen Fragestellungen beziehungsweise Studien vorbehalten bleiben. Dies gilt umso mehr, als die Bestimmung von Rezeptoren nichts über deren Expression aussagt und damit die Interaktionen nicht komplett erfasst. Die «embryonalen» HLA-Gruppen wie HLAE, F, G spielen eine wichtige Rolle in der Modulation der maternalen Immunabwehr. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das Fehlen der einen oder anderen Gruppe auf der Oberfläche des Trophoblasten zu einem erhöhten Abortrisiko führt (62). Die molekulargenetische Bestimmung der genannten HLA-Gruppen zum Beispiel bei der Frau in Kombination mit denen des Mannes (bzw. direkt am Trophoblastengewebe) ist derzeit nur in Studien etabliert. Ähnliches gilt für das H-Y-Antigen, das Sensibilisierungen gegen einen männlichen Embryo befördern soll (63).
Autoimmunologische Faktoren Die Autoimmunthyreoiditis vom Typ Hashimoto ist gekennzeichnet durch eine Hypothyreose und das Vorhandensein von Schilddrüsen-Autoantikörpern (Thyreoglobulin-Antikörper (TG-AK) und insbesondere Thyreoperoxidase (TPO)AK (64). Zahlreiche Studien konnten einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von TG- und TPO-AK und dem Auftreten von (frühen) WSA mit einer bis zu 54% höheren Fehlgeburtenrate bei Frauen mit nachweisbaren AK nachweisen (65). Auch wenn die Prävalenz des Morbus Basedow mit TSH-Rezeptorantikörpern (TRAK) nur 0,01–0,02%
Tabelle 2: Diagnosekritierien für das Anti-Phospholipid-Syndrom (70)
I Klinische Kriterien: – ≥ venöse oder arterielle Thrombosen – 1 oder 2 unerklärte Fehlgeburten bei morphologisch unauffälligen Feten > 10. SSW, ≥ 3 Aborte vor der 10. SSW – ≥ 1 später Abort respektive Frühgeburt < 34. SSW aufgrund einer Plazentainsuffizienz oder Präeklampsie
I Laborkriterien (zweimaliger Nachweis im Abstand von 12 Wochen) – Anti-Cardiolipin-Ak (IgM, IgG): mittlere bis hohe Titer – Anti-β2-G-Glykoprotein-1-Ak ((IgM, IgG): hohe Titer – Lupus antikoagulans
Für die einzelnen klinischen und laborchemischen Kriterien gilt, dass sie jeweils gemeinsam, aber auch einzeln auftreten können. Es muss per Definition aber mindestens ein klinisches und ein laborchemisches Kriterium erfüllt sein, um die Diagnose Anti-Phospholipid-Syndrom zu stellen.
bei schwangeren Frauen beträgt, ist das Auftreten von Schwangerschaftskomplikationen bei unbehandelten Müttern erhöht (66, 67). Antinukleäre Antikörper (ANA) geben einen (unspezifischen) Hinweis auf eine autologe Aktivierung des Immunsystems. Frauen mit einer bekannten autoimmunen Erkrankung wie einem systemischen Lupus erythematodes, aber auch Gesunde weisen erhöhte Titer auf (68). Die Datenlage bezüglich eines möglichen Einflusses von ANA auf das Abortgeschehen ist uneinheitlich, sodass die Bestimmung von ANA derzeit nicht als Routinediagnostik empfohlen wird. Die Zöliakie ist durch eine Glutensensitivität charakterisiert, deren Assoziation mit WSA kontrovers diskutiert wird. Dennoch kann im Rahmen der Diagnostik WSA Immunglobulin(Ig)-A-Antikörper gegen Gewebstransglutaminase unter Studienbedingungen bestimmt und bei positivem Befund gegebenenfalls eine Dünndarmbiopsie durchgeführt werden (69). Der unspezifische Nachweis von Antikörpern gegen anionische Phospholipide wie Cardiolipine und ß2-Glykoproteine, sogenannte Anti-Phospholipid-Antikörper (APL-AK), gelingt bei einigen Frauen mit WSA. Ein sogenanntes Anti-Phospholipid-Syndrom (APL-Syndrom) liegt allerdings nur dann vor, wenn gemäss der Definition in Tabelle 2 sowohl die klinischen als auch die Laborkriterien erfüllt sind. Etwa 2 bis 15% der Frauen mit WSA weisen ein APL-Syndrom auf (15). Insbesondere sollte darauf geachtet werden, dass die APL-Antikörpertiter auch bei der
Kontrolle nach zwölf Wochen im mittleren bis hohen Bereich liegen.
Angeborene thrombophile Faktoren In den letzten Jahrzehnten wurden in zahlreichen Studien mögliche Zusammenhänge zwischen einer maternalen (sowie auch paternalen) Thrombophilie diskutiert. Dabei wurden zahlreiche prokoagulatorische Faktoren abgeklärt: Faktor-V-Leiden-Mutation (FVL), Prothrombin-G20210A-Mutation (PT), Antithrombin-, Protein C-, Protein S-, Protein Zoder Faktor-XII-Mangel, Erhöhung von Faktor VIII oder Lipoprotein A (72). Der Pathomechanismus besteht möglicherweise in einer Thrombophilie-bedingten, uteroplazentaren Thrombosierung, welche das plazentare und embryonale/ fetale Wachstum beeinflusst (73). Bis zu 15% der kaukasischen Bevölkerung weist jedoch einen der genannten Thrombophilie-Parameter auf (74). Hinzu kommen Polymorphismen in den Genen der Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR C677T), des Angiotensin-ConvertingEnzymes (ACE) sowie des PlasminogenAktivator-Inhibitors (PAI), deren Prävalenz >10% liegt (74). Die Häufigkeiten dieser Veränderungen in der Allgemeinbevölkerung sprechen gegen eine Monokausalität hereditärer Thrombophilien für WSA. Die Datenlage bezüglich einer erhöhten Risikokonstellation für WSA aufgrund einer maternalen Thrombophilie ist derzeit uneinheitlich: Gemäss älteren Metaanalysen wurden sowohl habituelle Früh- als auch Spätaborte mit einem FVL, einer
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Prothrombin-Mutation respektive einem Protein-S-Mangel assoziiert, wohingegen solche Assoziationen für den MTHFR-Polymorphismus, den Protein-C- und den Antithrombin-Mangel – möglicherweise aufgrund zu geringer Fallzahlen – nicht gefunden wurden (75, 76). Aktuelle Übersichtsarbeiten stellen Zusammenhänge zwischen habituellen Früh- (heterozygote FVL, heterozygote PT-Mutation, Hyperhomocysteinämie), nicht habituellen Spätaborten (heterozygote FVL, heterozygote PT-Mutation) sowie intrauterinen Fruchttoden (heterozygote FVL Mutation, heterozygote PTMutation, Protein-S-Mangel) und maternalen Thrombophilien her (77). Die internationale Datenlage bezüglich hereditärer Thrombophilien bei Frauen mit WSA muss vor dem Hintergrund der ethnischen Zugehörigkeit und der damit differierenden Thrombophilieprävalenz der Untersuchten insgesamt kritisch gesehen werden, da in einer Studie mit aus-
schliesslich Kaukasierinnen keine Zusammenhänge zwischen hereditären Gerinnungsstörungen und WSA hergestellt wurden (78). Ein Zusammenhang zwischen Fehlgeburten und einer maternalen Thrombophilie konnte in prospektiven Kohortenstudien ebenfalls nicht nachgewiesen werden (79, 80). Somit gilt nicht automatisch jede Schwangere mit hereditärer Thrombophilie als für (habituelle) Aborte risikobehaftet. Diese Konstellation ist jedoch von Frauen mit bereits stattgehabten habituellen Aborten und nachgewiesener, spezifischer Thrombophilie abzugrenzen, da für Trägerinnen eines FVL signifikant niedrigere Lebendgeburtenraten als für Frauen mit einem entsprechenden Wildtyp des Gerinnungsfaktors in einer unbehandelten Folgeschwangerschaft vorzuliegen scheinen (81, 82). Eine generelle Untersuchung auf hereditäre Thrombophilien wird bei Frauen mit WSA aufgrund der uneinheitlichen
Folgende diagnostische Massnahmen sind bei Patientinnen mit WSA sinnvoll:
1. Genetische Faktoren: Chromosomenanalyse bei beiden Elternteilen, humangenetische Beratung bei auffälligem Karyotyp eines Elternteils; die Chromosomenanalyse aus Abortmaterial kann den betroffenen Eltern bei der Bewältigung des Abortgeschehens helfen.
2. Anatomische Faktoren: Diagnostische Hysteroskopie zum Ausschluss eines Uterus septus, intrakavitären Polypen und Myomen.
3. Mikrobiologische Faktoren: Ein generelles mikrobiologisches Screening wird zum heutigen Zeitpunkt aufgrund der kontroversen Datenlage nicht empfohlen. Im Rahmen einer erneuten Schwangerschaft sollten bei WSA-Patientinnen bei geringstem Verdacht auf eine vaginale Infektion eine adäquate Abklärung und Therapie in die Wege geleitet werden.
4. Endokrine Faktoren: Zyklusanamnese zum Ausschluss deutlich verkürzter Lutealphasen; Ausschluss einer Hyper- oder Hypothyreose sowie einer Autoimmunthyreoiditis.
5. Psychologische Faktoren: Routinemässig sollte eine gezielte Exploration des emotionalen Erlebens der WSA durch die Patientin (speziell bezüglich Vorliegen von Schuldgefühlen) und Abklärung der sozialen Ressourcen (Partnerschaft, Freunde und Familie) durchgeführt werden. Gegebenenfalls kann eine Information über psychosoziale Beratungsmöglichkeiten, Selbsthilfegruppen und Internetforen erfolgen (146).
6. Immunologische Faktoren: Ausschluss eines Anti-Phospholipid-Syndroms (gemäss Definition in Abbildung 1).
Datenlage in den internationalen Leitlinien (ASRM, Bates, RCOG) nicht (mehr) empfohlen (1, 4, 77). Die britische Leitlinie sieht eine Abklärung auf maternale Thrombophilien (FVL, PT-Mutation, Protein-S-Mangel) nur bei unklaren Fehlgeburten im 2. Trimester als indiziert an (1). Die ASRM-Empfehlungen schlagen eine Thrombophilieabklärung bei Frauen mit WSA ausschliesslich bei positiver Eigenoder Familienanamnese für thromboembolische Ereignisse vor (4). Im Sinne einer abgestuften Diagnostik raten wir zur Untersuchung folgender Faktoren bei Frauen mit WSA: Antithrombin-Aktivität, APC-Resistenz, molekulargenetischer Ausschluss einer PTMutation. Bei auffälliger APC-Resistenz sollte im zweiten Schritt eine FVL-Mutation ausgeschlossen werden. Bei Frauen mit thrombembolischen Ereignissen in der Familien- oder Eigenanamnese sollten zusätzlich die Aktivitäten von Protein S und C bestimmt werden, wobei insbesondere für ProteinS-Bestimmungen eine zumindest achtwöchige Karenz zu einer Schwangerschaft oder der Einnahme von Sexualsteroiden bestehen sollte. Gemäss der aktuellen Datenlage ist die Bestimmung eines MTHFR-Polymorphismus nicht notwendig.
Idiopathisch bedingte wiederholte
Spontanaborte
Idiopathische WSA liegen dann vor, wenn
die Kriterien für die Diagnose «WSA» er-
füllt sind und genetische, anatomische,
endokrine, etablierte immunologische so-
wie hämostaseologische Faktoren ausge-
schlossen wurden. Der Anteil idiopathi-
scher WSA am Gesamtkollektiv von Frau-
en mit WSA beträgt 50–75% (3).
I
Korrespondenzadresse Schweiz: Prof. Dr. med. Michael von Wolff Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital 3010 Bern E-Mail: michael.vonwolff@insel.ch
Teil 2 dieser Leitlinie zu Therapieoptionen in GYNÄKOLOGIE 2/2015.
7. Thrombophile Faktoren: Bei Risiken in der Familien- und Eigenanamnese: komplettes Thrombophilie-Screening (FVL-, PT-Mutation, Protein C-, Protein S-, AT-Mangel, Homocysteinspiegel, Faktor VIII), ohne Vorliegen von thrombophilen Risikofaktoren: Bestimmung von Antithrombin, APC-Resistenz und Prothrombin-(G20210A)-Mutation.
Gesamthaft einschliesslich der umfangreichen Literaturliste kann die Leitlinie unter Literatur unter www.ch-gynaekologie.ch – GYNÄKOLOGIE 2.2015 – eingesehen werden.
GYNÄKOLOGIE 2/2015
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