Transkript
SCHWERPUNKT
Adipositas bei Frauen aus Sicht der klinischen Ernährung
Präventive und therapeutische Aspekte bei Kinderwunsch und Schwangerschaft
Die starke Zunahme der Adipositas in den westlichen Industrieländern mit der Konsequenz eines erhöhten metabolischen Risikoprofils und einer gesteigerten Morbiditäts- und Mortalitätsrate wird mehr und mehr zu einem Problem für die Gesundheit des Einzelnen und eine Herausforderung für Gynäkologen und Geburtshelfer. Durch gezielte Information und Betreuung vor und während der Schwangerschaft können wir die Gesundheit der Mutter und die Entwicklung des Kindes positiv beeinflussen.
ZENO STANGA, THERESE HISCHIER
Im Jahr 2011 waren gemäss der Studie von Chappuis und Kollegen 32% der über 15-jährigen Schweizer Jugendlichen übergewichtig und weitere 13,4% adipös. Erwachsene Frauen waren zu 25% übergewichtig und zu 11,6% adipös (1). Ein unerfüllter Kinderwunsch ist ein häufig auftretendes Problem bei Adipositas und kann für die betroffene Frau eine grosse psychosoziale Belastung sein. Kommt es trotz der häufig vorkommenden Fertilitätsproblematik zu einer Schwangerschaft, erweist sich die Adipositas per se als häufigste geburtshilfliche Hochrisikosituation und ist mit metabolischen Komplikationen assoziiert (2). Die mütterliche Adipositas spielt auch in der negativen Entwicklung des Geburtsgewichtes eine zentrale Rolle und stellt für alle Geburtshelfer eine Herausforderung dar. Die fetale Makrosomie ist mit einem höheren Risiko für Sectio sowie für Geburtsverletzungen bei Mutter und Kind verbunden. Der Fetus ist intrauterin einer ungünstigen metabolischen Stoffwechsellage ausgesetzt, die zu epigenetischen Veränderungen mit nach-
Merkpunkte
I Die mütterliche Adipositas spielt in der negativen Entwicklung des Geburts-
gewichtes eine zentrale Rolle und stellt für alle Geburtshelfer eine Heraus-
forderung dar.
I Eine gesunde, ausgewogene Ernährung in Kombination mit Bewegung
und Verhaltensänderungen sollte bereits vor der Schwangerschaft aufge-
nommen werden, um Übergewicht vorzubeugen oder zu behandeln.
I In der Schwangerschaft soll sowohl auf eine genügende Protein- als auch
Mikronährstoffzufuhr geachtet werden, da der Bedarf erhöht ist.
I Bei Schwangerschaft nach bariatrischen Eingriffen braucht es eine Be-
treuung durch ein interprofessionelles Team.
weisbaren späteren Auswirkungen wie Hyperinsulinämie, Adipositas (usw.) führen kann (3).
Wachsende Problematik verlangt Lebensstiländerung der jungen Frauen
Insgesamt ist der Trend Fettleibigkeit ernst zu nehmen, da das pandemische Problem in den nächsten Jahrzehnten stark zunehmen und sowohl gesundheitlich wie auch volkswirtschaftlich schwerwiegende Folgen mit sich bringen wird. Zudem ist die Schwangerschaft ein gewichtiger Risikofaktor für eine neue oder persistierende Adipositas. Es ist deshalb zwingend, dass man adipöse Frauen im perikonzeptionellen Alter für Lebensstilmodifikationen motiviert mit dem Ziel, das Gewicht zu kontrollieren und die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft auf einem gesunden Minimum zu halten. Solche therapeutischen Massnahmen umfassen eine Ernährungsumstellung (ausgewogene Ernährung), eine Steigerung der körperlichen Aktivität und eine Veränderung des Essverhaltens. Zur Definition: Die Körpermasse (Body-Mass-Index, BMI) ist der heute gebräuchlichste Indikator der Adipositas, folglich werden Frauen mit einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m2 als übergewichtig und solche mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 als adipös eingestuft.
Adipositas und Fertilitätsstörungen
Die Fettleibigkeit kann die Fertilität der Frauen in allen Lebensphasen verringern. Adipositas und das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) beeinflussen die weiblichen Fortpflanzungsfunktionen durch verschiedene endokrine Störungen. Das PCOS tritt bei rund 5% der
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Tabelle 1:
Zusammenfassung der Adipositas-assoziierten Folgen in der Schwangerschaft (11)
Mütterliches Gesundheitsrisiko (Odds Ratios, OR) Frühschwangerschaft I Höhere Rate von medizinischen Erkrankungen:
Insulinresistenz → Hyperinsulinämie, welche zu arterieller Hypertonie, Hyperlipidämie, degenerativer Herzerkrankung, Hyperurikämie und Glukoseintoleranz führt → metabolisches Syndrom I Höhere Abortrate und Fehlbildungen
Spätschwangerschaft I Gestationsdiabetes (BMI 25–30: OR 2,14; 95%-KI:
1,82–2,53), (BMI 30–35: OR 3,56; 95%-KI: 3,05–4,21), (BMI > 35: OR 8,56; 95%-KI: 5,07–16,04) I Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen (BMI 30–35: OR 2,5; 95%-KI: 2,1–3,0), (BMI > 35: OR 3,2; 95%-KI: 2,6–4,0) I Präeklampsie (BMI 30–35: OR 1,6; 95%-KI: 1,1–2,25), (BMI > 35: OR 3,3; 95%-KI: 2,4–4,5) I Gesteigerte Frühgeburtenrate < 33 SSW (BMI > 30: OR 2,0; 95%-KI: 1,3–2,9) I Höhere Rate von intrauterinem Fruchttod Peripartal und postpartal I Höhere elektive Sectiorate (BMI 30–35: RR 2,6; 95%-KI: 2,1–3,0), (BMI > 35: RR 3,38; 95%-KI: 2,49–4,57) I Höhere Notfallsectiorate (BMI 25–30: OR 1,7; 95%-KI: 1,5–1,8), (BMI 30–35: OR 2,4; 95%-KI: 2,1–2,7), (BMI > 35: OR 3,2; 95%-KI: 2,3–4,5) I Vermehrte intrapartale Komplikationen wie Infektionen I Schnellere Geburtseinleitung (BMI > 35: OR 1,8; 95%-KI: 1,3–2,5) I Todgeburten (BMI 25–30: OR 1,47), (BMI > 30: RR 2,8; 95%-KI: 1,5–5,3) I Verdoppelung des thromboembolischen Risikos bei Steigerung der Konzentration der Koagulationsfaktoren VIII und IX I Höhere Rate von postoperativen Komplikationen wie postoperativen Blutungen (BMI > 30: OR 1,5; 95%-KI: 1,3–1,7), tiefen Beinvenenthrombosen, Wundinfekten und postpartalen Gebärmutterinfekten I Häufiger Stillprobleme I Häufiger Depressionen Langzeitkomplikationen I Häufigeres Auftreten einer neuen oder persistierenden Adipositas postpartal, zusätzlich eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, einen Diabetes mellitus Typ 2 in den folgenden 10 Jahren zu entwickeln
Kindliches Gesundheitsrisiko (Odds Ratios, OR)
I Vermehrtes Auftreten von genetischen Störungen: Neuralrohrdefekte (OR 1,87; 95%-KI: 1,62–2,15), Spina bifida (OR 2,24; 95%-KI: 1,86–2,69), kardiovaskuläre Anomalien (OR 1,30; 95%-KI: 1,12–1,51), septale Anomalien (OR 1,20; 95%-KI: 1,09–1,31), Lippen-GaumenSpalte (OR 1,20; 95%-KI: 1,03–1,40), Hydrozephalus (OR 1,68; 95%-KI: 1,19–2,36), anorektale Atresie (OR 1,48; 95%-KI: 1,12–1,97)
I Erhöhte Blutglukose- und Insulinkonzentrationen im fetalen Plasma und konsequenterweise Hypertrophie/Hyperplasie des fetalen Pankreas
I Gesteigerte Synthese und Sekretion von Leptin durch die fötalen Adipozyten
I Makrosomie > 4000 g (BMI 25–30: OR 1,4; 95%-KI: 1,3–1,6), (BMI 30–35: OR 1,9; 95%-KI: 1,7–2,2), (BMI > 35: OR 2,3; 95%-KI: 1,5–3,5)
I Bis zu 5-fach erhöhte intrauterine Mortalitätsrate
I Erhöhte perinatale Mortalität (Mutter BMI > 30: OR 2,6; 95%-KI: 1,2–5,8)
I Höhere Rate von Hospitalisationen auf der neonatalen Intensivbettenstation
I Mütterliche Fettleibigkeit ist ein Prädiktor für neonatale Schulterdystokien und brachiale Plexusverletzungen (2,5-fach höheres Risiko)
I Höhere Rate von pathologisch hohem BMI und höhere Morbiditätsrate im Neugeborenen-, im Adoleszenten- und Erwachsenenalter (metabolische Konditionierung)
Frauen im gebärfähigen Alter auf und ist zu etwa 80% mit Adipositas vergesellschaftet (4). Die abdominale Adipositas ist mit einer Hypersekretion von Insulin assoziiert, die bei den betroffenen Frauen zu einer erhöhten Konzentration männlicher Hormone (Androgene: v.a. Testosteron und Dehydroepiandrosteron) führt. Pathophysiologisch findet eine Suppression der hepatischen Synthese des Sexhormon-bindenden Globulins statt, wodurch sich der freie biologisch aktive Anteil des Testosterons noch weiter erhöht. Dazu kommt eine erhöhte Androgenproduktion durch die Eierstöcke. Der überwiegende Anteil der daraus entstehenden erhöhten Östrogene stammt aus der Aromatisierung der Androgene im peripheren Fettgewebe. Der resultierende Hyperandrogenismus und
die Menstruationsstörungen manifestieren sich klinisch als anovulatorische Zyklen und Subfertilität. Zudem hemmt Leptin die Reifung der Eierstöcke und die Steroidsynthese, somit können diese Mechanismen zu Reproduktionsschwierigkeiten bei den adipösen Frauen führen (5). In einer retrospektiven Studie mit 22 840 Frauen konnte gezeigt werden, dass Adipositas mit einer reduzierten Fertilität in allen gewichtsangepassten Studiengruppen assoziiert war und dass die sogenannte Qualität der Embryos umgekehrt proportional zur Fettleibigkeit korreliert (6, 7). Querschnittstudien zeigen eine 30- bis 47%ige Häufigkeit von Menstruationsstörungen bei übergewichtigen/adipösen Frauen (8). Die Abortrate ist nicht nur nach spontaner Konzeption erhöht, sondern auch
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SCHWERPUNKT
Tabelle 2:
Empfohlene Gewichtszunahme während der Schwangerschaft (13)
Untergewicht Normalgewicht Übergewicht Adipositas Zwillinge
BMI vor Schwangerschaft
< 18,5 18,5–24,9 25–29,9
≥ 30 -
Empfohlene Gewichtszunahme (gesamt in kg) 12,5–18 11,5–16 7–11,5 5–9 16–20,5
Empfohlene Gewichtszunahme (pro Woche in kg) 0,5 ab 12. SSW 0,4 ab 12. SSW 0,3 ab 12. SSW 0,2 ab 12. SSW 0,7 ab 12. SSW
nach In-vitro-Fertilisation oder intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (9). Embryonale Fehlbildungen sind signifikant gehäuft bei Müttern mit einem BMI > 30 kg/m2. Pathophysiologisch werden eine Insulinresistenz mit pathologischer Insulinkonzentration und eine ungenügende Folsäuresubstitution in der Frühschwangerschaft postuliert. Durch die abdominale Adipositas sind die Sensitivität und Spezifität der pränatalen Diagnostik mittels Ultraschall in der Detektion solcher Fehlbildungen eingeschränkt (10).
Adipositas und Schwangerschaft
Adipositas während der Schwangerschaft ist mit höheren Gesundheitskosten durch längere Hospitalisationsdauer nach der Geburt und durch Inanspruchnahme weiterer Leistungen assoziiert. Die Unterschiede liegen bei der höheren Sectiorate und beim höheren geburtshilflichen Risikozustand wie Diabetes und arterielle Hypertonie der schwangeren Frauen. Adipositas vor und während der Schwangerschaft trägt zur Entwicklung von häufigen Komplikationen wie hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen, Gestationsdiabetes, Sectio und intrauterinem Fruchttod bei. Tabelle 1 zeigt eine Zusammenfassung der mit Adipositas assoziierten Folgen in der Schwangerschaft (11).
Gewichtszunahme in der Schwangerschaft
Die empfohlene Gewichtszunahme in der Schwangerschaft richtet sich nach dem BMI vor der Schwangerschaft; so sollte eine schlanke Frau mehr und eine übergewichtige Frau weniger zunehmen. Eine angepasste Gewichtszunahme wirkt sich positiv auf das Gewicht und die Entwicklung des Kindes aus und hilft der Mutter nach der Schwangerschaft, wieder ihr Ausgangs-/Normalgewicht zu erreichen und so Übergewicht vorzubeugen. Idealerweise sollte die Schwangerschaft mit einem optimalen mütterlichen Gewicht (BMI 20–25 kg/m2) begonnen werden. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung in Kombination mit Bewegung und sofern erforderlich entsprechenden Verhaltensänderungen sollten bereits vor der Schwangerschaft aufgenommen werden, um Übergewicht vorzubeugen oder zu behandeln (12). Das amerika-
nische «Institute of Medicine» empfiehlt für Frauen mit Übergewicht (BMI 25–30 kg/m2) eine Gewichtszunahme von 7 bis 11,5 kg und für Adipöse (BMI > 30 kg/m2) eine Gewichtszunahme von 5 bis 9 kg (Tabelle 2) (13). Bewegung im Alltag und leichte sportliche Aktivitäten wie Laufen, Nordic Walking oder/und Schwimmen, 3- bis 5-mal wöchentlich, unterstützen eine angepasste Gewichtszunahme (12).
Ernährung in der Schwangerschaft
Eine gesunde Ernährung in der Schwangerschaft ist für die Versorgung und optimale Entwicklung des Kindes wichtig. Der Energiemehrbedarf beträgt 200 bis 300 Kalorien pro Tag ab der 12. Schwangerschaftswoche, was beispielsweise einem Glas Milch und einem Stück Vollkornbrot entspricht. Um die empfohlene Gewichtszunahme in der Schwangerschaft zu erreichen, sollte die tägliche Energiezufuhr wie folgt berechnet werden: I BMI > 30 kg/m2 → zirka 18 kcal/kg KG (Körperge-
wicht)/Tag I BMI 25–30 kg/m2 → zirka 24 kcal/kg KG/Tag I BMI 20–25 kg/m2 → zirka 30 kcal/kg KG/Tag (14). Der Proteinbedarf steigt um 10 g pro Tag, sodass täglich etwa 60 bis 80 g Protein (gewichtsabhängig) zugeführt werden sollten. Gemäss dem Schweizerischen Ernährungsbericht wird der Bedarf an Eiweiss in der Bevölkerung gut abgedeckt; oft sind es aber gerade Frauen, die weniger Fleisch essen und nicht auf einen Proteinersatz achten. Gemäss einer Erhebung der Essgewohnheiten im Pilotprojekt PEBS (= Präventive Ernährungs- und Bewegungsberatung in der Schwangerschaft bis ein Jahr nach der Geburt) am Universitätsspital Zürich deckten nur 22% der 256 erfassten Schwangeren den täglichen Eiweissbedarf (15). Da der Fötus einen hohen Bedarf an Docosahexaensäure (langkettige n-3-Fettsäuren) aufweist, sollten schwangere Frauen zwei Portionen Fisch pro Woche verzehren. Dabei sollte man einen fettreichen Fisch wie Hering, Makrele oder Lachs bevorzugen (16). Auch der Vitamin- und Mineralstoffbedarf ist in der Schwangerschaft erhöht. Ausgewogene Hauptmahlzeiten mit Gemüse und/oder Salat, Beilagen und Eiweiss, gute Fettqualität, Zwischenmahlzeiten wie Früchte, Joghurt, Milch, Brot oder Crackers und nur
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Tabelle 3:
Gesundheitsauswirkungen bei postbariatrischen Schwangeren gegenüber Müttern mit Adipositas und krankhafter Adipositas (21)
BMI 30-40
Postbariatrie
BMI > 40
(Mittelwert BMI 33,2)
(Präop. BMI: Mittelwert 49,3,
(Mittelwert BMI 48,4)
BMI bei Schwangerschaft: 33,7)
Positive Effekte des postbariatrischen Zustandes
Präeklampsie
8,6%
8,6%
10,7%
(OR 1,00; 95%-KI: 0,35–2,79)
(OR 0,78; 95%-KI: 0,28–2,11)
Hypertensive
18,4%
16,4%
24,8%
Schwangerschafts- (OR 0,87; 95%-KI: 0,39–1,95)
(OR 0,59; 95%-KI: 0,27–1,30)
erkrankungen
Gestationsdiabetes
9,3%
0% 16,4%
(OR 0,07; 95%-KI: 0,00–1,20)
(OR 0,04; 95%-KI: 0,00–0,62)
Sectiorate
32,9%
32,9%
42,1%
(OR 0,95; 95%-KI: 0,51–1,77)
(OR 0,67; 95%-KI: 0,36–1,23)
Neonatale
2,9%
1,4%
2,9%
Schulterdystonien (OR 0,49; 95%-KI: 0,05–4,49)
(OR 0,49; 95%-KI: 0,05–4,49)
Chorioamnionitis
5,7%
1,4%
5,7%
(OR 0,23; 95%-KI: 0,03–1,95)
(OR 0,24; 95%-KI: 0,29–1,95)
Makrosomie
12,9%
4,3%
18,1%
(OR 0,31; 95%-KI: 0,08–1,08)
(OR 0,21; 95%-KI: 0,06–0,71)
Negative Effekte des postbariatrischen Zustandes
Frühgeburten
6,4%
20%
12,9%
(OR 3,64; 95%-KI: 1,49–8,90)
(OR 1,69; 95%-KI: 0,79–3,65)
Bluttransfusionen
0%
4,3%
0,7%
(OR 14,54; 95%-KI: 0,74–286,11)
(OR 6,22; 95%-KI: 0,63–60,96)
Zu klein für das
8,6%
17,4%
5,0%
Gestationsalter
(OR 2,25; 95%-KI: 0,95–5,30)
(OR 3,94; 95%-KI: 1,47–10,53)
Perinatale
0%
5,7%
0,7%
Kindmortalität
(OR 19,04; 95%-KI: 1,01–358,35)
(OR 8,42; 95%-KI: 0,92–76,85)
kleine Mengen an Süssigkeiten decken mehrheitlich den Bedarf an Mikronährstoffen. Der Bedarf an Folsäure kann nicht abgedeckt werden, hier ist eine Supplementation schon perikonzeptionell empfohlen. Gemäss internationalen Ernährungsfachgesellschaften sollten Frauen im gebärfähigen Alter, die schwanger werden wollen oder könnten, zusätzlich zu einer folatreichen Ernährung (Folsäurenzufuhr von ca. 600 μg) 400 μg synthetische Folsäure pro Tag substituieren, um Neuralrohrdefekten vorzubeugen (17). Auch der hohe Eisenbedarf kann kaum abgedeckt werden, und das Serumferritin sollte deshalb vor der Schwangerschaft erhoben werden. Ein Serumferritinwert < 30 μg/l bedeutet hochwahrscheinlich leere Eisenspeicher, selbst wenn noch keine Anämie vorhanden ist. Ein weiterer kritischer Mikronährstoff ist das Vitamin D, auch da sollte ein Serumspiegel > 50 nmol/l vor der Schwangerschaft erreicht werden. Für schwangere und stillende Frauen wird die tägliche Zufuhr von 600 IE Vitamin D3 empfohlen (18). Eine ausgewogene, gesunde Ernährung und tägliche Bewegung unterstützen das Wohlbefinden von Mutter und Kind. Schwangere Frauen sind motiviert, denn es geht auch um das Wohl des ungeborenen Kindes. So ist die Schwangerschaft eine gute Zeit, sich mit dem Thema Ernährung und Bewegung auseinanderzusetzen, auch für das künftige Leben. Eine diplomierte Ernährungsberaterin kann die werdende Mutter bei den Änderungen im Essverhalten und bei der praktischen Umsetzung im Alltag unterstützen und begleiten.
Tabelle 4:
Empfohlene Mikronährstoffsupplementation nach Magenbypass-Operation während der Schwangerschaft (22)
Mikronährstoffe Eisen Kalzium Vitamin D3 Zink Vitamin-B-Komplex Vitamin B12 Multivitaminpräparat mit Spurenelementen Folsäure
Dosierung 100–200 mg/Tag peroral 1500 g/Tag peroral 1200–2000 IE/Tag peroral 20–30 mg/Tag peroral 2-mal/Woche peroral 1000 µg alle 3 Monate intramuskulär 1-mal/Tag peroral
400 µg/Tag peroral
Gestationsdiabetes rechtzeitig diagnostizieren und behandeln Zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche wird in der Schweiz standardmässig ein oraler Glukosetoleranztest (75 g oGTT) durchgeführt, um einen potenziellen Gestationsdiabetes zu diagnostizieren, sofern kein manifester Diabetes mellitus vorbesteht (19). Ein positives Resultat erfordert eine interdisziplinäre Betreuung, da die Therapie aus einer angepassten gesunden Ernährung, Bewegung, regelmässigen Blutzuckerkontrollen, einer intensivierten Betreuung in der Schwangerschaft und bei Bedarf einer Insulintherapie besteht. Der grosszügige Einsatz einer Insulintherapie ist unerlässlich, um das
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fetale Risiko zu minimieren. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen können somit durch eine adäquate und rechtzeitige Therapie signifikant gesenkt werden (19).
Schwangerschaft und bariatrische Chirurgie
Die bariatrischen Eingriffe nehmen in der Schweiz
stetig zu. 2013 wurden knapp 4000 Eingriffe durch-
geführt (84% Magenbypass, 13% Sleeve-Operation).
70% der operierten Personen sind in Alter zwischen
20 und 49 Jahren, zirka 75% sind Frauen (20). Für
eine solche Operation muss eine Person einen BMI
> 35 kg/m2 haben und eine zweijährige erfolglose
Therapie zur Gewichtsreduktion vorweisen.
Nach dem bariatrischen Eingriff wird die Fertilität
deutlich verbessert, und sowohl die Menstruationszy-
klusstörungen (gemäss Studienresultat: 17,5 vs.
49,5%) (21) wie auch der erhöhte Androgenspiegel
werden positiv beeinflusst. Die Gesundheitsauswir-
kungen einer Schwangerschaft nach bariatrischem
Eingriff gegenüber der adipösen Mütter sind in Ta-
belle 3 dargestellt (21).
Immer häufiger wird die Adipositas-Chirurgie als
Therapie bei jungen adipösen Frauen mit einem BMI
> 35 kg/m2 eingesetzt. Die rasche Gewichtsabnahme
nach bariatrischer Chirurgie wirkt sich bei Frauen im
gebärfähigen Alter positiv auf die Fertilität aus. Meis-
tens braucht es nach der bariatrischen Chirurgie eine
Dauersupplementation mit Vitaminen und Mineral-
stoffen sowie regelmässige ernährungsmedizinische
Kontrollen, um Mangelzustände zu vermeiden. Da
die Gewichtsabnahme und die Mangelzustände an-
fangs am grössten sind, wird empfohlen, mit einer
Schwangerschaft 1,5 bis 2 Jahre zuzuwarten (22). Für
die optimale Entwicklung und Versorgung des Kin-
des während der Schwangerschaft ist eine bedarfs-
deckende Versorgung mit Makro- und Mikronähr-
stoffen unerlässlich, sodass bei dieser Gruppe von
schwangeren Frauen ganz besonders darauf zu ach-
ten ist. Ideal ist die Betreuung durch ein interprofes-
sionelles Team mit Geburtshelfer, Ernährungsmedi-
ziner oder einem auf die Nachbetreuung von
bariatrischen Patienten spezialisierten Arzt und einer
Ernährungsberaterin. Besonders zu achten ist auf
eine genügende Proteinzufuhr. Die empfohlene Mi-
kronährstoffsupplementierung nach Magenbypass-
Operation während der Schwangerschaft ist in Ta-
belle 4 aufgeführt (22).
I
Prof. Dr. med. Zeno Stanga (Korrespondenzadresse) Leitender Arzt Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung Inselspital 3010 Bern E-Mail: Zeno.Stanga@insel.ch
Therese Hischier Dipl. Ernährungsberaterin HF Universitätsfrauenklinik Inselspital 3010 Bern
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