Transkript
SCHWERPUNKT
Management von Brustläsionen mit unsicherem biologischem Potenzial
Diagnostik, Therapie, Potenzial
Im Rahmen von Screeninguntersuchungen, aber auch bei invasiver Diagnostik der Brust werden zunehmend okkulte Läsionen festgestellt, welche zwar keine obligaten Präkanzerosen darstellen, jedoch als Risikoläsionen betrachtet werden müssen. Im Folgenden werden die häufigsten B3-Läsionen auch hinsichtlich ihres malignen Risikopotenzials beschrieben.
KONSTANTIN J. DEDES, JULIA SCHNABEL, HEIKE HEUER, DANIEL FINK
Diese okkulten Gewebeveränderungen werden auch als «Läsionen mit unsicherem biologischem Potenzial» bezeichnet und in der B-Klassifikation als B3-Läsionen eingeordnet (Tabelle 1). Sie umfassen eine heterogene Gruppe von Brustdrüsenläsionen mit unterschiedlichen histologischen wie auch molekularbiologischen Eigenschaften (1). Obwohl es sich bei den B3-Läsionen nicht um invasive oder präinvasive Läsionen handelt, erfordern diese oft weitere Abklärungen und Behandlungen, zumal diese nur durch eine perkutane Biopsie entdeckt werden, was mit diversen Schwierigkeiten assoziiert ist. Einerseits ist nur limitiertes Gewebe zur Diagnosestellung verfügbar, andererseits kann die Biopsie bei den oft kleinen, okkulten Läsionen nicht repräsentativ sein, wenn die eigentlichen radiologischen Läsionen nicht getroffen wurden. Auch technische Faktoren (Nadelgrösse, vakuumassoziierte Biopsie vs. Stanzbiopsie vs. Feinnadelpunktion) spielen für das weitere Management bei der Diagnostik eine wichtige Rolle. Eine interdisziplinäre Beurteilung von B3-Läsionen ist aus diesen Gründen zur Festlegung der weiteren Abklärung und Behandlung oft notwendig.
Atypische duktale Hyperplasie (ADH)
Die weitaus häufigste B3-Läsion, die im Rahmen von Screeningmammografien detektiert wird, ist die ADH. ADH ist eine intraduktale Epithelproliferation mit geringen Atypien. Radiologisch werden die ADH vorwiegend in der Mammografie aufgrund des monomorph gruppierten Mikrokalkes diagnostiziert (Abbildung 1). Histologisch ist die Unterscheidung einer ADH von einem «low-grade ductal carcinoma
in situ» (DCIS) in einem Stanzzylinder oft schwierig. Dabei spielen Grösse der Läsion und Ausmass der Ausbreitung eine Rolle. Zudem ist ADH oft mit DCIS assoziiert. Eine Unterschätzung nach perkutaner Biopsie ist somit in etwa 15 bis 35% der Fälle zu erwarten (2), sodass eine offene Nachexzision des biopsierten Gewebes unumgänglich ist und das auch in verschiedenen Guidelines empfohlen wird. Faktoren, die eine Rolle bei der Unterschätzung spielen, sind Alter der Patientin, Nadelgrösse, Anzahl Stanzzylinder und Grösse der Läsion (3). Ein expektatives Vorgehen könnte allenfalls nur bei sehr kleinen Läsionen (< 6 mm), welche mittels vakuumassistierter Biopsie radiologisch komplett entfernt werden, in Betracht gezogen werden (4). Eine ADH am Resektatrand nach DCIS oder invasivem Mammakarzinom muss dagegen nicht nachreseziert werden. Nach gesicherter Diagnose und kompletter Resektion einer ADH sollte die Patientin über das erhöhte Karzinomrisiko im Verlauf aufgeklärt werden. Patientinnen mit ADH haben ein etwa vier- bis fünfmal erhöhtes relatives Risiko gegenüber gesunden Frauen, ein invasives Karzinom zu entwickeln (5). Zirka 20 bis 30% der Patientinnen mit ADH entwickeln ein invasives Karzinom nach einer Beobachtungszeit von 25 Jahren. Eine jährliche Mammografienachsorge wird bei diesen Patientinnen daher empfohlen (Abbildung 1). Lobuläre Neoplasie (LN) Mit dem Begriff «lobuläre Neoplasie» wird in der Regel die klassische LN bezeichnet, welche klar von der pleomorphen LN abzugrenzen ist. Die pleomorphe LN unterscheidet sich sowohl histologisch und molekularbiologisch als auch prognostisch von der klassi- 6 GYNÄKOLOGIE 3/2014 SCHWERPUNKT Tabelle 1: B3-Klassifikation B1 B1a: nicht verwertbar (Artefakte) B1b: ausschliesslich Normalgewebe B2 benigne B3 benigne, aber mit unsicherem biologischem Potenzial B4 malignitätsverdächtig B5 maligne B5a = nicht invasives Mammakarzinom B5b = invasives Mammakarzinom B5c = fraglich invasives Karzinom B5d = maligner Tumor, nicht primär der Mamma I eine Diskordanz zwischen Bildgebung und histologischer Diagnose besteht oder I nach vakuumassistierter Biopsie das radiologische Korrelat (Herd, Kalk) nicht komplett entfernt wurde. Bei kleineren Läsionen, welche durch eine vakuumassistierte Biopsie komplett entfernt werden, und wenn postinterventionell kein radiologisches Korrelat mehr nachweisbar ist, kann auch expektativ vorgegangen werden (8). Falls eine LN im Rahmen einer offenen Operation (bei Karzinom, DCIS oder gutartigem Tumor) am Resektatrand detektiert wird, sollte keine Nachresektion erfolgen. Die lobuläre Neoplasie ist unter den B3-Läsionen der stärkste Risikomarker, was für die betroffenen Patientinnen ein etwa zehnmal höheres relatives Risiko für ein invasives Karzinom der betroffenen wie auch der kontralateralen Brust im Vergleich zu gesunden Frauen bedeutet (9). Zudem kann die Latenzzeit zwischen LN und invasivem Karzinom mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte betragen. Die Aufklärung der Betroffenen und die Durchführung der jährlichen, langfristigen Vorsorge sind somit sehr wichtig. Abbildung 1: Kleine atypische duktale Hyperplasie (ADH) (gruppierter Mikrokalk); daneben eine flache epitheliale Atypie (FEA) (grobschollige Verkalkungen) schen LN und wird analog zum DCIS als B5a-Läsion klassifiziert (6). Die LN ist die häufigste inzidentell diagnostizierte B3-Läsion bei unauffälliger Bildgebung (z.B. bei 2% der Frauen nach Mammareduktionsplastik [7]), denn mammografisch wie auch sonografisch besteht oft kein Korrelat. Zudem findet sich die LN oft multifokal/multizentrisch wie auch bilateral. Analog zum invasiven lobulären Karzinom ist auch die LN durch E-Cadherin gut von duktalen Pathologien (ADH) zu unterscheiden (6). Der häufigste radiologische Befund für die histologische Abklärung bei LN sind Verkalkungen. Histologisch sind diese jedoch oft nicht innerhalb der LN vorhanden, sondern werden im umgebenden Gewebe gesehen. Die Unterschätzungsrate bei der Diagnose von LN wird von 1 bis 25% in der Literatur beschrieben (2), sodass eine offene Nachresektion in der Regel empfohlen wird. Unumgänglich ist eine offene Exzision, wenn I ein Tastbefund der Grund für die Biopsie war I histologische Hinweise für das Vorhandensein einer nicht klassichen LN (pleomorphe LN) vorliegen Papilläre Läsionen Intraduktale Papillome, auch Milchgangpapillome genannt, sind gutartige, am Gangepithel entstehende Tumore. In der Regel findet sich histomorphologisch eine duktale Epithelhyperplasie, manchmal mit Atypien. Je nach Lage (zentral oder peripher) und Grösse können Papillome eine klare oder blutige Mamillensekretion verursachen und dadurch klinisch auffällig werden. Asymptomatische Papillome werden in der Regel durch die Screeningmammografie detektiert. Das Unterschätzungsrisiko bei Papillomen wird in der Literatur mit einer grossen Bandbreite (0–38%) angegeben (2) (Tabelle 2). Die Studien sind nicht direkt vergleichbar, da Unterschiede in der Biopsiemethodik, in der histologisch-radiologischen Korrelation und in der Inklusion von Papillomen mit oder ohne Atypien vorliegen. Betreffend der Indikation zur offenen Nachresektion sind die Guidelines jedoch übereinstimmend: Bei I Vorliegen von Atypien oder DCIS I papillärem Karzinom I intrazystischem papillärem Karzinom ist zwingend eine offene Exzision indiziert. Da papilläre Neoplasien in der Regel nach Stanzbiopsie nicht vollständig erfasst werden, sollten diese operativ komplett entfernt werden. Nach vakuumassistierter Biopsie erfordern komplett entfernte Papillome keine offene Nachresektion. Das Karzinomrisiko für Frauen mit Papillomen ohne Atypien ist gegenüber gesunden Frauen nicht signifikant erhöht, jedoch beim Vorliegen von Atypien. 8 GYNÄKOLOGIE 3/2014 SCHWERPUNKT Tabelle 2: Durchschnittliche Unterschätzungsraten verschiedener B3-Läsionen ∅ Unterschätzungsrate ADH Papillom FEA Lobuläre Neoplasie Radiäre Narbe ~ 25% ~ 18% ~ 10% ~ 10% ~ 15% Management Diagnose nach Stanzbiopsie OE OE/VAB OE/VAB OE/VAB OE/VAB Diagnose nach VAB OE Expektativ*/OE Expektativ*/OE Expektativ*/OE Expektativ*/OE MG-Nachsorge kurativ Screening Screening kurativ Screening VAB: vakuumassistierte Biopsie, OE: offene Exzision, MG: Mammografie, * bei kleinem, komplett reseziertem Befund Radiäre Narbe Die radiäre Narbe ist histologisch durch eine knotige, fibroelastische zentrale Struktur mit radiär wachsenden Milchgangepithelzellen geprägt. Radiäre Narben über 10 mm werden auch als «komplex sklerosierende Adenosen» bezeichnet. Das pseudoinfiltrative Wachstumsmuster lässt diese benigne Läsion oft klinisch wie auch radiologisch hoch verdächtig für ein invasives Karzinom erscheinen (Abbildung 2). So kann histologisch in einer Stanzbiopsie mit nur wenig Gewebe eine radiäre Narbe von einem gut differenzierten duktalen Karzinom unterschieden werden. Zudem ist eine radiäre Narbe oft mit einem tubulären Mammakarzinom assoziiert (10). Die Unterschätzungsraten in der Literatur betragen zwischen 5% und 30% (2), sodass empfohlen wird, die stanzbioptische Diagnose einer radiären Narbe respektive einer komplex sklerosierenden Adenose mit einer offenen Nachexzision zu sichern. Atypien in den proliferierenden Epithelzellen der radiären Narbe gelten als Risikofaktor für eine Unterschätzung. Auf eine offene Nachexzision kann verzichtet werden, wenn radiologisch die Läsion mit einer vakuumassistierten Biopsie komplett entfernt werden konnte. Kleinere Befunde, welche mit Stanzbiopsie gesichert wurden, können anstelle einer offenen Nachexzision auch mit einer vakuumassistierten Biopsie komplett reseziert werden. Patientinnen mit radiärer Narbe weisen nur ein gering erhöhtes Risiko für ein Mammakarzinom im Follow-up auf (ca. zweifach erhöht); sind jedoch Atypien vorhanden, ist dieses Risiko in der Literatur etwas höher beschrieben (4- bis 5-fach erhöht) (11). Eine Screeningmammografie wird somit zur Vorsorge empfohlen. Flache epitheliale Atypie (FEA) Eine FEA findet sich bei zirka 1 bis 3% aller Mamma- biopsien und stellt somit eine nicht sehr häufige B3- Läsion dar. Histologisch sind diese durch eine erwei- terte tubulo-duktale Einheit charakterisiert, welche mit einem flachen Epithel, teilweise mit Atypien aus- gekleidet ist. Im Lumen findet sich oft grobscholliger Kalk, was auch ein typisches Merkmal in der Mam- mografie darstellt (Abbildung 1). Molekularbiolo- gisch wird die FEA als Vorläufer des «non-high-grade DCIS» vermutet (12). Oft finden sich histologisch an- grenzend dazu auch ADH, DCIS und/oder gut diffe- renzierte invasive Karzinome. Etwa 10 bis 15% aller FEA werden unterschätzt (2). Finden sich zudem Aty- pien, ist das Unterschätzungsrisiko noch etwas höher. Reine FEA ohne Atypien, welche mit vakuumassis- tierter Biopsie radiologisch komplett reseziert wer- den, haben ein minimales Unterschätzungsrisiko (< 2%) (13). Eine offene Exzision wird bei stanzbiop- tisch gesicherter FEA empfohlen, wobei bei kleine- ren Befunden auch diese mit vakuumassistierter Biopsie angegangen werden können. Kann nach va- kuumassistierter Biopsie das radiologische Korrelat nicht komplett reseziert werden, empfiehlt sich eine offene Nachexzision. Das Mammakarzinomrisiko ist bei Frauen mit FEA gegenüber demjenigen gesun- der Frauen nur leicht erhöht (ca. 1,5-mal) (14), sodass eine Nachsorge im Rahmen der Screeningmammo- grafie ausreichend ist. I Dr. med. Konstantin J. Dedes (Korrespondenzadresse) Klinik für Gynäkologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich E-Mail: konstantin.dedes@usz.ch Abbildung 2: Radiäre Narbe (radiärer Ausläufer [Spiculae] und Mikroverkalkungen) Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine. 10 GYNÄKOLOGIE 3/2014 SCHWERPUNKT Merkpunkte I Die interdisziplinäre Beurteilung ist bei B3-Läsionen oft wichtig. I Bei atypischer duktaler Hyperplasie (ADH) besteht die höchste Unterschätzungsrate. I Die lobuläre Neoplasie (LN) wird häufig inzidenziell diagnostiziert. Es handelt sich um einen Risikomarker – ipsi- und kontralateral. I Bei flacher epithelialer Atypie (FEA) und bei radiärer Narbe: Die Läsionen mit niedrigem Risiko können je nach Grösse auch mit vakuumassistierter Biopsie therapiert werden. I Die Nachsorge mit regelmässiger Mammografie ist vor allem bei ADH und LN wesentlich. Quellen: 1. Lopez-Garcia MA, Geyer FC, Lacroix-Triki M, Marchió C, Reis-Filho JS.: Breast cancer precursors revisited: molecular features and progression pathways. Histopathology 2010; 57(2): 171–92. doi: 10.1111/j.1365-2559.2010.03568.x. 2. Degnim AC, King TA.: Surgical management of high-risk breast lesions. Surg Clin North Am 2013 Apr; 93(2): 329–40. doi: 10.1016/j.suc.2012.12.005. 3. Nguyen CV, Albarracin CT, Whitman GJ, Lopez A, Sneige N.: Atypical ductal hyperplasia in directional vacuum-assisted biopsy of breast microcalcifications: considerations for surgical excision. Ann Surg Oncol 2011; 18(3): 752–61. doi: 10.1245/ s10434-010-1127-8. 4. 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