Transkript
SERIE GYNÄKOLOGISCHE ENDOKRINOLOGIE
Nr. 1:
Die Dysmenorrhö
Die in der Praxis sehr häufig beklagte schmerzhafte Monatsblutung wird in primäre und sekundäre Formen unterschieden. Die folgende Übersicht resümiert Ätiologie, Risikofaktoren sowie diagnostisches und therapeutisches Vorgehen.
Der Begriff kommt aus dem Griechischen/Lateinischen (dys = gestört, mensis = der Monat, rhoe = der Fluss) und bezeichnet eine gestörte und schmerzhafte Monatsblutung (1, 2). Im Verlauf der Medizingeschichte gab es bis vor 60 Jahren vielfach bizarre Vorstel-
Kasten 1:
Rückblick
I Tontafeln in Keilschrift, 3000 v. Chr.: «Frauenpein hat meinen Körper ergriffen, lasset die Götter mir dieses Übel ausreissen!»
I Schönlein, Anfang 19. Jh.: Bei der Dysmenorrhö, deren Symptome er auf Blutfülle zurückführte, empfahl er zur Ableitung des Blutes und zur Anregung der Uterinsekretion die Anwendung von Aderlässen und Blutegeln.
I Schiff/Fliess, 1901, fanden eine «nasale Dysmenorrhö»: «Die Patientin sass verkrümmt vor Schmerzen im Stuhl, und kaum hatte ich die hypertrophischen Schwellkörper der Nasenmuschel mit Cocain bestrichen, als die Patientin freudestrahlend angab, alle Schmerzen seien verschwunden.»
I Schick, 1920er-Jahre, entdeckte die Existenz des «Menstruationsgiftes Menotoxin» (wurde in den 1950er-Jahren widerlegt).
I Adolf Gerson, 1930er-Jahre: «Monatliche Schmerzen sind hysterischer Art und erinnern die Frauen an die Vergewaltigungen aus der Urzeit.»
I H. Küstner, 1947: «... um durch die Entfernung der Hystera die Hysterie zu bekämpfen.»
I W. Hennies, 1948: «Elektroschockbehandlungen während der Menstruation verursachen keine Dauerschäden.»
lungen über Ätiologie und Behandlung (siehe Kasten 1) (3–7).
Definition und Häufigkeiten
Unterschieden wird die primäre Dysmenorrhö ohne Nachweis einer organischen Pathologie von der sekundären Dysmenorrhö mit Nachweis einer solchen. Der Gipfel der Prävalenz der primären Dysmenorrhö liegt mit 60 bis 90% bei der jungen Erwachsenen, die sekundäre Dysmenorrhö wird hingegen vor allem nach dem 35. Lebensjahr manifest.
Ursachen
Bei der primären Dysmenorrhö wird Arachidonsäure im sekretorischen Endometrium in Prostaglandin-F2-alpha (PGF2α), Prostaglandin-E2 (PGE2) und in Leukotriene umgewandelt. Dadurch kommt es zu myometrialen Kontraktionen, die bei der primären Dysmenorrhö häufiger, unkoordinierter und prolongierter als bei der sekundären auftreten. Die Folge ist eine sogenannte myometriale Ischämie («uterine Angina»). Die Prostaglandine PGE2 und PGF2α können darüber hinaus auch andere Organe beeinflussen, was eventuell assoziierte Symptome wie Bronchokonstriktion, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö und Hypertonie erklärt. Voraussetzung der primären Dysmenorrhö sind ovulatorische Zyklen. Bei der sekundären Dysmenorrhö kommen folgende Ursachen infrage: I gynäkologische Ursachen (Endome-
triose, Adenomyosis uteri, Ovarialzyste, Adhäsionen, Pelvic Inflammatory Disease (PID), Korpuspolyp, Uterusmalformation, Zervikalkanalstenose) und
In einer mehrteiligen Serie stellen Dr. med. Gesa Otti-Rosebrock, PD Dr. med. Petra Stute und Prof. Dr. med. Michael von Wolff als Team der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Inselspital Bern Schwerpunktthemen vor.
I nicht gynäkologische Ursachen (entzündliche Darmerkrankung, Reizdarmsyndrom, psychogene Ursachen).
Symptomatik und Risikofaktoren
Bei der primären Dysmenorrhö treten krampf- oder kolikartige Schmerzen im Unterbauch und Beckenbereich kurz vor oder während der Menstruationsblutung mit häufig wellenartigem Charakter auf, welche nach 12 bis 72 Stunden nachlassen. Als Begleitsymptome können Übelkeit, Erbrechen, Rücken- und Kopfschmerzen, Dyspareunie, Dyschezie, Stimmungsschwankungen, Müdigkeit und Depressionen auftreten. Bei der sekundären Dysmenorrhö können neben den oben beschriebenen Symptomen der Dysmenorrhö noch weitere, für die grundlegende Pathologie typische Beschwerden auftreten. Risikofaktoren für eine primäre Dysmenorrhö sind: Alter < 30 Jahre, BMI < 20, Menarche < 12 Jahre, Menorrhagie, Prä-
Frauenmantel «Ich bin geschützt in meinem Sein als Frau.»
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SERIE GYNÄKOLOGISCHE ENDOKRINOLOGIE
Tabelle:
Klassifikation des Schweregrades der Dysmenorrhö
(modifiziert nach [8]).
Grad 0 1 2
3
Definition keine Dysmenorrhö, keine Beeinträchtigung der Tagesaktivität oder der Arbeitsfähigkeit, keine vegetativen Symptome, kein Analgesiebedarf leichte Dysmenorrhö, selten Beeinträchtigung der Tagesaktivität oder der Arbeitsfähigkeit, keine vegetativen Symptome, selten Analgesiebedarf moderate Dysmenorrhö, Beeinträchtigung der Tagesaktivität oder der Arbeitsfähigkeit, wenig vegetative Symptome, meist Analgesiebedarf, Analgetika therapeutisch erfolgreich starke Dysmenorrhö, deutliche Beeinträchtigung der Tagesaktivität oder der Arbeitsfähigkeit, ausgeprägte vegetative Symptome, Analgesiebedarf, Analgetika therapeutisch nicht/wenig erfolgreich
menstruelles Syndrom (PMS), Pelvic Inflammatory Disease (PID), Sterilisation, sexueller Missbrauch und Nikotinabusus. Zu den schützenden Faktoren zählen hormonale Kontrazeption, Fischverzehr, Sport, stabile Partnerschaft und eine höhere Parität.
Diagnostik
Im Rahmen der Diagnostik empfiehlt sich folgendes Vorgehen: I Anamnese: genaue Erhebung der
persönlichen und der Schmerzanamnese unter Berücksichtigung von möglichen psychogenen respektive biografischen Komponenten (biopsychosoziales Schmerzprofil), Zykluscharakteristika, Analgetikabedarf und Begleitsymptomen I Körperliche Untersuchung: gynäkologische Untersuchung, Sonografie des kleinen Beckens, gegebenenfalls Chlamydienabstrich der Zervix (v.a. im Alter < 25 Jahre) I Labordiagnostik: keine I Beurteilung des Schweregrades der Dysmenorrhö (siehe Tabelle).
Therapie
Die Therapie der primären Dysmenorhö ist primär konservativ, die der sekundären Dysmenorrhö richtet sich neben der Schmerztherapie nach der Grunderkrankung.
Nicht medikamentöse Therapie (eingeschränkte Evidenz) (9–15) I Topische Wärme (Auflagen, Bäder,
Salben) I Sport respektive regelmässige kör-
perliche Aktivität, Physiotherapie, Verhaltenstherapie, Massage (Proctor), Vibrationstampon I Nikotinstopp, Omega-3-Fettsäurenhaltige respektive Omega-6-Fettsäuren-arme Ernährung I Phytotherapie (spasmolytische Pflanzen) wie Frauenmantel, Schafgarbe, Gänsefingerkraut, Mutterkraut I klassische Homöopathie, Schüsslersalze (Magnesium Phosphoricum D6, «Heisse 7») I traditionelle chinesische Medizin I Vitamin E (500 IE/Tag) 2 Tage vor bis 3 Tage nach Blutungsbeginn
Kasten 2:
Durchblick
I Vitamin B1 (100 mg/Tag) oder Vitamin B6 (200 mg/Tag)
I Akupunktur/Akupressur, Yoga I transkutane elektrische Nervenstimu-
lation (TENS).
Pharmakotherapie (16–18) Erste Wahl: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR): Beginn 1 bis 2 Tage vor Blutungsbeginn bis 2./3. Zyklustag respektive entsprechend der Schmerzdauer. Die Wirksamkeit beträgt 70 bis 90%. Cave: NSAR beeinträchtigen beziehungsweise verhindern die Ovulation, daher Stopp oder Dosisreduktion bei unerfülltem Kinderwunsch. I Indomethazin: 3 x 25 mg/Tag I Diclofenac: 2 x 75 mg/Tag I Ibuprofen: 4 x 400 mg/Tag (max. 2400
mg/Tag) I Naproxen: 500 mg, dann 4 x 250 mg/
Tag (max. 1250 mg/Tag) I Mefenaminsäure: 500 mg, dann 250 mg
alle 4 Stunden I Piroxicam: 20 mg/Tag. Zweite Wahl: hormonale Kontrazeptiva I Östrogen- und Gestagentyp: Die
Wirksamkeit ist wahrscheinlich unabhängig von der Ethinylestradioldosis (20–35 µg), gegebenenfalls sind Gestagene der 3. Generation effektiver als die der 2. Generation. I Kombinierte hormonale Kontrazeptiva äquipotent zu Vaginalring, jedoch wahrscheinlich wirksamer als das Verhütungspflaster. I Anwendungsregime: klassisches Regime 21/7 oder 24/4, eventuell Langzyklus (3–4 x 21/7) oder Langzeiteinnahme. I Gestagenmonokontrazeptiva (Progestin-Only-Pill [POP], Homonspirale [Levonorgestrel-haltiges IUD], Depotgestagene (DMPA), Implantat.
I Ausführliche persönliche und Schmerzanamnese, gynäkologische Untersuchung, Sonografie des kleinen Beckens
I Differenzierung in primäre und sekundäre Dysmenorrhö I Primäre Dysmenorrhö: lokale Massnahmen, Komplementärmedizin, Analgesie,
hormonale Therapie, Psychotherapie I Sekundäre Dysmenorrhö: ursachenbezogene Therapie
Weitere Therapieoptionen (1) Zu den weiteren Therapieoptionen zählen Tokolytika, Gonadotropin-ReleasingHormon-Agonisten (GnRHa) und die operative Therapie. Einige Studien haben die Wirksamkeit der Tokolytika Glyceroltrinitrat (Pflaster 0,1 mg/Stunde), Nifedipin (30 mg Einzel-
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dosis) und Magnesium nachgewiesen. Wegen möglicher Nebenwirkungen ist die Verwendung von Tokolytika jedoch nur in Ausnahmefällen zu empfehlen. Einen weiteren möglichen Therapieversuch stellen die Gabe von GnRHa wie ein dreimonatiger empirischer Therapieversuch mit Nafarelin-Nasenspray (2 x 200 µg/Tag) oder Leuprorelin-Depot (3,75 mg/Monat i.m.) dar. Operative Therapieansätze bei Dysmenorrhö wie Hysterektomie, laparoskopische uterine Nervenablation (LUNA) und präsakrale Neurektomie sind bisher unzureichend untersucht. Da bei Schmerzzuständen grundsätzlich auch psychische Komponenten eine wesentliche Rolle spielen beziehungsweise depressive Verstimmungen den Schmerz verstärken können, sollte einer psychologischen Unterstützung genügend Raum gegeben werden.
Verlauf
Um einer Sensitivierung und einer Chronifizierung frühzeitig zu begegnen, bedarf es einer engmaschigen Betreuung. Folgende Strategien können bei unzureichender Wirksamkeit in Betracht gezogen werden: I Wechsel des NSAR-Präparates oder I Kombination von NSAR mit kombi-
nierten hormonalen Kontrazeptiva oder I Absetzen des NSAR und Wechsel zu kombinierten hormonalen Kontrazeptiva. I Bei unzureichender Wirksamkeit der Kombinationstherapie: Reevaluation, Ausschluss einer sekundären Dysmenorrhö, eventuell Gabe von Tokolytika oder GnRHa I Psychotherapie/Psychosomatik.
Fazit
Die Dysmenorrhö steht kausal in direktem Zusammenhang mit der Menstruation. Heute findet sich ein zunehmender Trend, die Menstruation zu unterbinden oder ihre Häufigkeit zu senken. Damit werden auch in den meisten Fällen die unerwünschten Nebenwirkungen mitbehandelt. Es gibt aber auch Frauen, die sich durch eine monatliche Blutung in ihrem Frausein bestärkt und fruchtbar fühlen. Geschichtlich lässt sich zurückverfolgen, wie das Erleben der Menstruation als «Achse im Leben einer Frau» von kulturellen, sozialpsychologischen und gesellschaftlichen Einflüssen geprägt wird. I
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Petra Stute Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Inselspital 3010 Bern E-Mail: petra.stute@insel.ch
Quellen: 1. von Wolff M, Stute P.: Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. Das Praxisbuch, Schattauer Stuttgart 2013. 2. Fritz MA. Speroff L.: Clinical gynecologic endocrinology and infertility. Lippincott Williams & Wilkins, 8. Auflage, 2011. 3. Diederichs P.: Gynäkologische Störungen. In: Studdt HH, Petzold ER (Hrsg.): Psychotherapeutische Medizin; de Gruyter, Berlin 2000: 220–237. 4. Hering S, Meierhof G.: Die unpässliche Frau. Sozialgeschichte der Menstruation und Hygiene. Mabuse Verlag. Frankfurt 2002. 5. Gerson A.: Die Menstruation, ihre Entstehung und Bedeutung. In: Zeitschrift f. Sexualwissenschaft. Band VII 1920/1921. 6. Küstner H.: Beeinflussung des Allgemeinempfindens durch die Uterusfunktion. In: Zbl. Gyn. 1947; 11: 1085. 7. Hennies W.: Komplikationen der Elektroschockbehandlung unter Berücksichtigung der Menstruationsstörungen. Marburg 1948. 8. Andersch B, Milsom I.: An epidemiologic study of young women with dysmenorrhea. Am J Obstet Gynecol. 1982; 144(6): 655–60. 9. Proctor ML, Murphy PA.: Herbal and dietary therapies for primary and secondary dysmenorrhoea. Cochrane Database Syst Rev. 2001; (3): CD002124. 10. Liu A, FoxLJ, Tepper C.: A comparison study of pain relief from dysmenorrhea between the vipon tampon and ibuprofen. Fin Clin Study Report. Truman Medical Center, Kansas City/Missouri, US, 64108; unpublished Data 2010 Another Way Products, LLC.
Ausblick
Die Therapie der Dysmenorrhö wird zurzeit in verschiedenen Studien untersucht (http://www.clinicaltrial.gov). Hierzu zählen bei der primären Dysmenorrhö z.B. Therapien mit: I Vitamin-K-Injektionen in Akupunktur-
punkten I die kombinierte Gabe von Drotaverin
(selektiver Phosphordiesterase-4-Hemmer) und Ibuprofen I das Tragen von «Nanoone woman underwear» (d.h. Neutralisation freier Radikale durch Tragen negativ ionisierter Textilien). Studien zur sekundären Dysmenorrhö sind aetiologieabhängig z.B. im Themengebiet Endometriose, Uterusmyome etc. angesiedelt.
11. Witt J, Strickland J, Cheng AL, Curtis C, Calkins J.: A randomized trial comparing the VIPON tampon and ibuprofen for dysmenorrhea pain relief. J Womens Health. 2013; 22(8): 702–5. 12. Witt CM1, Lüdtke R, Willich SN.: Homeopathic treatment of patients with dysmenorrhea: a prospective observational study with 2 years follow-up. Arch Gynecol Obstet. 2009; 280(4): 603–11. 13. Fischer H.: Frauenheilbuch. München 2004. 14. Fischer H.: Frauenheilpflanzen. München 2006. 15. Nissim R.: Naturheilkunde in der Gynäkologie. Berlin 2000; 55 (3): 329. 16. Zahradnik HP, Hanjalic-Beck A, Groth K.: Nonsteroidal antiinflammatory drugs and hormonal contraceptives for pain relief from dysmenorrhea: a review. Contraception. 2010; 81: 185–196. 17. Lindh I, Ellström AA, Milsom I.: The effect of combined oral contraceptives and age on dysmenorrhoea: an epidemiological study. Hum Reprod. 2012; 27: 676–682. 18. Wong CL, Farquhar C, Roberts H, Proctor M.: Oral contraceptive pill for primary dysmenorrhoea. Cochrane Database Syst Rev. 2009; (4): CD002120.
Bildausschnitte mit Genehmigung aus einem Werk von Vero Kallen.
Interessenkonflikte: keine.
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