Transkript
Prisma
Die Behandlung von Krebspatienten am Lebensende ist regional unterschiedlich
Welche Behandlung Krebspatientinnen und -patienten in ihrem letzten Lebensmonat erhalten, hängt davon ab, wo sie wohnen, wie sie versichert sind, wie alt sie sind und an welcher Krebserkrankung sie leiden. Dies ist die Schlussfolgerung einer Studie der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Pharmazeutische Medizin (ECPM) der Universität Basel, der Krankenversicherung Helsana und den kantonalen Krebsregistern.
In der Schweiz gibt es erhebliche Unterschiede in der Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten im letzten Monat ihres Lebens. So werden sie nicht in jedem Kanton gleich häufig mit Chemotherapie behandelt. Es hängt auch von ihrem Wohnort ab, ob sie den letzten Lebensmonat eher zu Hause verbringen oder in ein Spital eingewiesen werden. Neben den regionalen Unterschieden wird die Behandlung auch davon beeinflusst, ob eine Patientin/ein Patient über eine Zusatzversicherung verfügt. Zudem spielen das Alter und die Krebsart eine wichtige Rolle. Dies sind die Resultate einer Studie, die von der SAKK erstmals in der Schweiz durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Studie unter der Leitung von Dr. med. Klazien Matter-Walstra vom SAKK-Netzwerk für Outcomes-Research (Versorgungsforschung) wurden in der wissenschaftlichen Zeitschrift «BMC Cancer» in England publiziert.
Untersuchungszeitraum: 2006 bis 2008 Für diese rückblickende Studie sind anonymisierte Daten von 3809 Patientinnen und Patienten untersucht worden, die in der Schweiz zwischen 2006 und 2008 an Krebs gestorben sind. Dabei wurden Daten der Krankenversicherung Helsana mit denjenigen von vier Schweizer Krebsregistern verglichen. Beteiligt haben sich die Krebsregister der Kantone BaselStadt, Tessin, Wallis und Zürich. Spitaleintritte und Behandlung der Patientinnen und Patienten – insbesondere Chemo-
therapie und/oder Radiotherapie – in den letzten 30 Tagen vor ihrem Tod wurden auf regionale Unterschiede wie Kanton, Stadt und Land sowie auf patientenbezogene Unterschiede wie Versicherungsart, Krebsart, Alter und Geschlecht untersucht. Durchschnittlich 68,5% der Patientinnen und Patienten wurden im letzten Lebensmonat in ein Spital eingewiesen. 14,5% erhielten eine Chemotherapie und 7,7% eine Radiotherapie. Am meisten wurde die Versorgung am Lebensende vom Wohnkanton und von der Versicherungsart beeinflusst. So zeigte sich beispielsweise, dass die Wahrscheinlichkeit, noch eine Chemotherapie zu erhalten, für Patientinnen und Patienten im Kanton Tessin mehr als eineinhalb Mal höher war als im Kanton Zürich. Patientinnen und Patienten im Kanton Wallis wurden am wenigsten hospitalisiert. Diejenigen mit einer halbprivaten oder privaten Zusatzversicherung erhielten fast doppelt so häufig eine Chemotherapie wie diejenigen ohne Zusatzversicherung, zudem wurden diese Patientinnen und Patienten am häufigsten in ein Spital eingewiesen. Allgemein erwies sich die Hospitalisierungsrate in dieser Studie im internationalen Vergleich als sehr hoch. Neben dem Wohnkanton und der Versicherungsart wurde die Behandlung auch von anderen Faktoren beeinflusst. So sanken die Anwendung von Chemotherapie und Radiotherapie sowie die Hospitalisierungsrate mit zunehmendem Alter der Erkrankten. Diejenigen mit Lungenkrebs erhielten am häufigsten Chemotherapie oder Radiotherapie und wurden am häufigsten in ein Spital eingewiesen. Die Resultate geben einen wichtigen Einblick in die Gesundheitsleistungen für Schweizer Patientinnen und Patienten mit Krebs am Lebensende. So könnte die im internationalen Vergleich hohe Hospitalisierungsrate am Lebensende darauf hinweisen, dass es in der Schweiz eine hohe Spitaldichte und relativ wenig Alternativen zur Pflege im Akutspital gibt.
Problematik der Erhebung Forschung wie durch die vorliegende Studie über das Gesundheitssystem wird in der Schweiz vom föderalistischen System erschwert, insbesondere weil keine nationalen Datenbanken vorhanden sind. Diese Studie zeigt, dass solche Forschung auch in der Schweiz möglich ist, indem Daten aus verschiedenen Quellen verwendet werden. Solche Daten sollten vermehrt genutzt werden, um die Versorgung in der Schweiz genauer zu untersuchen und regionale sowie andere Unterschiede und Einflüsse aufzudecken. Die vorliegende Studie kann die Frage nicht beantworten, ob die regionalen Unterschiede auf eine Über- oder eine Unterversorgung hinweisen und ob die Behandlungen angebracht und medizinisch sinnvoll waren. Die Studie sagt ferner nichts darüber aus, ob der Wunsch nach mehr Behandlung vonseiten des Arztes oder vonseiten des Patienten kommt. Weitere Studien sind notwendig, die zum Beispiel auch den Einfluss des behandelnden Spitals untersuchen.
Annik Steiner SAKK E-Mail: annik.steiner@sakk.ch
Die gesamte Publikation ist zu finden unter: http://www.biomedcentral.com/14712407/14/306
Kontakt: Prof. Dr. med. Bernhard Pestalozzi Koautor der Studie SAKK-Vorstandsmitglied und Präsident des SAKK-Netzwerks für Outcomes-Research (Versorgungsforschung) Universitätsspital Zürich E-Mail: bernhard.pestalozzi@usz.ch
44 GYNÄKOLOGIE 3/2014