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SCHWERPUNKT
Kinderwunschtherapie bei Frauen ab 40
Empfehlungen für die gynäkologische Praxis
Zunehmend verschieben Frauen ihren Kinderwunsch an den Anfang der vierten Lebensdekade und erleben dann nicht selten eine Infertilität. Da die an diese Altersspanne adaptierten Behandlungen individualisiert erfolgen müssen, sind allgemeine therapeutische Empfehlungen nur begrenzt möglich. Im Folgenden wird versucht, Antworten auf konkrete, praxisrelevante Fragen zu finden und sie zu einer therapeutischen Gesamtempfehlung zusammenzuführen.
MICHAEL VON WOLFF
Was sind die Ursachen der reduzierten Fertilität ab 40 Jahren?
Folgende potenzielle Sterilitätsfaktoren spielen insbesondere im Alter ab 40 der Frau eine Rolle: I Sinkende Oozyten- und Embryoqualität I Zunahme endokriner Faktoren wie eine Follikelrei-
fungsstörung, Störung der Ovulation, Follikelpersistenz und Lutealphaseninsuffizienz I Zunahme organischer Faktoren wie zunehmende Häufigkeit von fertilitätseinschränkenden Myomen und Endometriose I Zunahme tubarer Faktoren wie Chlamydien- und Endometriose-induzierte Störung der Tubenfunktion I Akkumulation von Toxinen wie Nikotin und Umweltgiften I Andrologische Faktoren wie Erektionsstörungen: Die Inzidenz zeitweise auftretender Erektionsstörungen beträgt im Alter von 30 Jahren rund 30% und steigt pro Lebensjahrzehnt um zirka 10% an. I Zunehmende Abortrate: Mit 30 Jahren beträgt diese etwa 15%, mit 40 Jahren 30% und mit 45 Jahren zirka 50%.
Wie gross sind die Chancen einer Spontankonzeption ab 40?
Die Datenlage ist unklar, da die Erfolgschancen erheblich von der individuellen Situation abhängen. Liegen zusätzliche organische Sterilitätsfaktoren vor (s. Frage 1) oder wurde in jüngeren Jahren schon einmal erfolglos eine Schwangerschaft angestrebt, sind die Chancen deutlich geringer, als wenn kein anderweitiger Sterilitätsfaktor vorliegt oder sogar schon einmal eine Schwangerschaft erzielt wurde.
Eine grobe Orientierung geben die Daten der sogenannten Hutterer, einer Glaubensrichtung, deren Anhänger überwiegend in den USA leben und bei denen eine Kontrazeption nicht erlaubt ist. Die Daten zeigen, dass auch noch im Alter von 40 bis 45 Jahren eine Schwangerschaft mit einer relativ grossen Wahrscheinlichkeit eintreten kann (1) (Abbildung 1).
§ Fazit: Die Chancen für eine Spontankonzep-
tion sinken zwar bei Frauen ≥ 40 Jahre deutlich, sie sind aber, sofern keine Pathologie des Genitaltraktes und ein normales Spermiogramm vorliegen, für den Versuch einer Spontankonzeption noch hinreichend hoch.
Was ist erfolgversprechender:
der Versuch einer Spontankonzeption oder eine assistierte Reproduktionstechnik? Die Schwangerschaftsrate pro Zyklus und ungeschütztem Geschlechtsverkehr liegt bei einer gesunden Frau im Alter von 35 bis 39 Jahren bei 30% (2). Die Schwangerschaftsrate bei einer klassischen IVF beträgt in der gleichen Altersgruppe pro Frischtransfer mit einem Embryo zirka 15% und mit zwei Embryonen zirka 30% (3). Allerdings ist bei einer klassischen IVF ein monatlicher Frischtransfer in der Regel kaum möglich. Da somit eine Spontankonzeption immer noch der effektivste und letztlich auch der preisgünstigste und risikoärmste Weg zu einer Schwangerschaft ist, sollte jedem Paar – auch im Alter von ≥ 40 Jahren – zunächst die Chance für eine Spontankonzeption gegeben werden (Voraussetzung: keine relevante Pathologie des Reproduktionstrakts). Allerdings sind eine gute Beratung hinsichtlich des optimalen Zeitpunktes des Geschlechtsverkehrs und bei unregelmässigem Zyklus ein Zyklusmonitorung oder gar eine
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Abbildung 1: Spontankonzeption von Paaren, die der Kirche der Hutterer angehören, in Relation zum Alter. Dargestellt ist die Wahrscheinlichkeit bei der angegebenen Altersgruppe, nicht mehr schwanger zu werden (mod. nach [1]).
milde Stimulation zu erwägen. Auch sollte im Unterschied zu jüngeren Paaren die Diagnostik (Abklärung der Tubenfunktion, Spermiogramm etc.) frühzeitig durchgeführt werden. Erste Schritte in Richtung einer assistierten Reproduktion können bei hoher Erfolgswahrscheinlichkeit der angestrebten Techniken (milder andrologischer Faktor bei einer intrauterinen Insemination [IUI], hohe Ovarreserve bei einer IVF) bei Kinderwunsch in einem halben bis einem Jahr erwogen werden (Abbildung 5, Seite 11).
§ Fazit: Liegen kein länger bestehender Kinder-
wunsch und keine relevanten Sterilitätsfaktoren (wie ein andrologischer oder ein Tubenfaktor) vor, so ist der Versuch einer Spontankonzeption oft erfolgversprechender als eine assistierte Reproduktionstechnik. Allerdings sollte ein solcher Versuch zeitlich limitiert werden.
Abbildung 2: Schwangerschafts- (SS) und Geburtenrate nach 469 intrauterinen Inseminationen bei 168 Frauen unterschiedlichen Alters. Die Indikationen für die IUI waren u.a. ein andrologischer Faktor (38%), eine geringgradige Endometriose (35%), eine Oligo-/Anovulation (20%) und eine unerklärte Sterilität (21%) (mod. n. [15]).
Ist eine intrauterine Inseminationsbehandlung (IUI) sinnvoll?
Wie sollte diese durchgeführt werden? Eine IUI ist nur bei einer therapierbaren Subfertilität des Mannes oder bei einer Erektions- und/oder Ejakulationsschwäche sinnvoll. Somit ist eine IUI bei einer idiopathischen Sterilität oder bei einem Spermiogramm, welches eine Gesamtzahl von < 1 Million gut motiler Spermien pro Insemination erwarten lässt, nicht sinnvoll. Entsprechend sollte, wenn oben genannte Indikationen nicht gegeben sind, unverzüglich eine IVF/ICSI angestrebt werden. Dies empfiehlt sich auch vor dem Hintergrund, dass im Alter der Frau von 40 Jahren eine IUI in der Regel nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt wird. Da im höheren Alter der Frau gehäuft Follikelreifungs- und Ovulationsstörungen auftreten können, sind eine begleitende Gonadotropinstimulation und eine Ovulationsinduktion zu erwägen. Allerdings müssen hier die Kosten der Medikamente, die mehrere hundert Franken pro Zyklus betragen können, in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Abbildung 2 zeigt die Schwangerschafts- und Geburtenrate nach 469 IUI bei 168 Frauen mit einer heterogenen Sterilitätsanamnese unter einer begleitenden Clomifencitrat- oder Gonadotropinstimulation. Die Daten belegen nachdrücklich, dass eine IUI im Alter von über 40 Jahren wenig effektiv ist.
§ Fazit: Eine IUI sollte nur durchgeführt werden,
wenn eindeutig ein andrologischer Faktor vorliegt, aufgrund dessen eine IUI eine relevante Verbesserung der Schwangerschaftschancen erwarten lässt.
Abbildung 3: Schwangerschaftsraten (SS-Raten) pro Transfer in Abhängigkeit vom Alter der Frau bei einer modifizierten Natural-Cycle-IVF (NC-IVF) (adaptiert [4]) und einer klassischen IVF mit 1 oder 2 Embryonen (3).
Natural-Cycle-IVF oder klassische IVF/ICSI?
Das Ziel einer jeden IVF/ICSI-Therapie bei Frauen ≥ 40 Jahre sollte sein, mit einem vertretbaren Kostenaufwand und geringem Risiko in schnellstmögli-
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Abbildung 4: Schwangerschafts- (SS) und Geburtenrate pro Transfer in Abhängigkeit vom Alter bei Frauen mit einer FSH-Konzentration ≤ 15IE/l (mod. n. [10]).
cher Zeit eine Schwangerschaft zu generieren. Hierbei zählt nicht nur die Zahl der gewonnenen Eizellen und Embryonen pro Therapiedauer, sondern auch deren Implantationspotenzial. Es gilt inzwischen als gesichert, dass das Implantationspotenzial von Oozyten aus natürlich gereiften Follikeln höher ist als nach einer Gonadotropinsstimulation bei einer klassischen IVF (Abbildung 3). Allerdings kann dieses Potenzial nur effektiv genutzt werden, wenn die Transferwahrscheinlichkeit sehr hoch ist, was bedingt durch Modifikationen der Natural-Cycle-(NC)-IVF möglich ist (4). Auch ist zu beachten, dass selbst mit Oozyten aus natürlich gereiften Follikeln die Schwangerschaftsrate bei Frauen ab 40 Jahren deutlich abfällt (Abbildung 3). Somit muss eine Entscheidung hinsichtlich der Wahl der Therapie individualisiert erfolgen. Ist die Ovarreserve der Patientin so hoch, dass genug Oozyten für bis zu 2 Embryotransfers gewonnen werden können, so ist die klassische IVF der NC-IVF deutlich überlegen, da die durchschnittliche Zeitdauer bis zum Eintritt einer Schwangerschaft rund 30% geringer ist (5). Liegt jedoch eine niedrige Ovarreserve vor, kann eine Natural-Cycle-IVF äquieffektiv oder sogar effektiver sein als eine klassische IVF. Die Kosten sind bei einer modifizierten NC-IVF pro erzielter Schwangerschaft für das Kinderwunschzentrum geringer als bei einer klassischen IVF mit 2 Embryotransfers, wenn die Behandlung optimal durchgeführt wird (5). Wenn die niedrigeren Kosten (wie an der Universitäts-Frauenklinik in Bern) an das Paar weitergegeben werden, profitiert das Paar somit finanziell. Liegt eine «poor response» vor, so nimmt dieser Kostenvorteil noch zu, was für das Paar ein weiterer Vorteil sein kann. Letztlich wird in eine Therapieentscheidung auch immer die Expertise des Zentrums einbezogen werden müssen, da die oben genannten Erfolgszahlen auch für das individuelle Zentrum gelten müssen. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob bei einer
klassischen IVF eine Erhöhung der Stimulationsdosis zu einer höheren Schwangerschaftsrate führen kann. Verschiedene Studien zeigten jedoch uneinheitliche Ergebnisse (6), sodass eine Erhöhung über die in vielen Zentren favorisierte Gonadotropindosis von 300 E/Tag als fraglich sinnvoll angesehen werden muss, zumal diese mit höheren Kosten einhergeht.
§ Fazit: Eine klassische IVF führt bei einer guten
Ovarreserve schneller als eine NC-IVF zu einer Schwangerschaft und sollte in diesen Fällen favorisiert werden. Bei einer niedrigen Ovarreserve ist die NC-IVF mit ihren diversen Modifikationen zur Effektivitätssteigerung eine Alternative, zumal die Kosten einer solchen Therapie geringer sind.
Was ist relevanter – das Alter der Frau oder die Ovarreserve?
Bei einer Frau im Alter von 40 Jahren beträgt die durchschnittliche AMH-Konzentration rund 1 ng/ml (7), verwendeter Elisa: Diagnostic Systems Laboratories) und beträgt mit 43 Jahren noch rund 0,5 ng/ml. Somit steigt das Risiko einer «poor response», das heisst einer Bildung von nur sehr wenigen Follikeln bei der Gonadotropinstimulation, deutlich an. Eine wesentliche Frage ist dabei, ob eine Ovarreserve auch mit der Qualität der Oozyten korreliert respektive was relevanter für die Schwangerschaftschance ist, das Alter der Frau oder die Ovarreserve. Diese Frage haben van Rooij und Kollegen (8) 2003 untersucht, indem sie die Anzahl gewonnener Oozyten und die Implantationsrate bei Frauen < 41 Jahre mit einer sehr niedrigen Ovarreserve mit Frauen ≥ 41 Jahre mit einer höheren Ovarreserve verglichen haben. Die Studie konnte zeigen, dass für eine gute Schwangerschaftsprognose das Alter relevanter als die Ovarreserve ist, sodass eine Kinderwunschtherapie auch bei einer sehr niedrigen Ovarreserve bei jüngeren Frauen noch hinreichende Erfolgschancen hat.
§ Fazit: Eine hohe Ovarreserve verbessert zwar
bei Frauen ab 40 Jahren die Schwangerschaftschancen, dennoch kann diese kaum die altersbedingte Reduzierung der Oozytenqualität kompensieren.
Bis zu welchem Alter ist die Durchführung einer assistierten Reproduktionstechnik sinnvoll?
Die Ethikkommission der Amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ASRM) hat sich mit diesem Thema beschäftigt (9). Die Ausführungen sind auf die klassische IVF bezogen. Definiert wurden Therapien, die als «futile» gelten (was frei übersetzt «zwecklos, sinnlos» bedeutet), und Therapien, die mit sehr schlechten Prognose einhergehen. Als «sinnlose» (futile) Therapien gelten demnach Be-
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Alter der Frau zirka 40 bis zirka 43 Jahre*
Alter der Frau > zirka 43 Jahre*
■ Anamnese: Medizinische Einwände gegen eine Schwangerschaft? ■ FSH, E2, Ostradiol, Anti-Müller-Hormon (AMH) im Serum; Sonogra e: Antraler Follikel-Count ■ Tuben durchgängig? (Tubendiagnostik bei Versuch der Spontankonzeption oder IUI)
■ Relativ hohe Ovarreserve (AMH > 1 ng/ml) ■ Kinderwunsch < ½–1 J. ■ Kein relevanter andrologischer Faktor ■ Relativ hohe Ovarreserve (AMH > 1 ng/ml) ■ Kinderwunsch ½–1 J. ■ Relevanter andrologischer Faktor
■ Relativ hohe Ovarreserve (AMH > 1 ng/ml) ■ Kinderwunsch ≥ ½ –1 J. oder weitere Sterilitätsfaktoren
■ Niedrige Ovarreserve (AMH ≤ 1 ng/ml) ■ Kinderwunsch ≥ ½ –1 J. oder weitere Sterilitätsfaktoren
■ Sehr niedrige Ovarreserve (FSH wiederholt > ca. 15 IU/l) ■ Prämature Ovarialinsu zienz
■ Max. ½ Jahr Spontankonzeption anstreben ■ Ggf. plus FSH/HMGStimulation und Lutealphasenunterstützung** ■ Dann intrauterine Insemination (IUI) oder direkt IVF/ICSI
■ Max. 3 x IUI ■ Ggf. plus FSH/HMGStimulation und Lutealphasenunterstützung** ■ Dann IVF/ICSI
■ Klassische IVF/ICSI
■ Ggf. Stimulationsversuch für klassische IVF (300 U/Tag, ggf. max. 450 U) ■ MinimalStimulation-IVF/ICSI ■ Natural Cycle-IVF/ ICSI
■ Ggf. Eizellspende ■ Adoption (Eine Adoption sollte wegen der gesetzlichen Altersgrenzen der Eltern frühzeitig geplant werden.)
Diagnostik Diagnostische Di erenzierung Therapeutisches Vorgehen
*Angaben des Alters dienen der groben Orientierung, da individuell andere Grenzen gelten können. Beim Mann ist das Alter aus rein reproduktionsbiologischer Sicht weitgehend vernachlässigbar. **Bei unregelmässigen Zyklen, v.a. Follikelreifungsstörung und v.a. Lutealphaseninsu zienz
Abbildung 5: Versuch einer diagnostischen und therapeutischen Gesamtempfehlung (mod. n. [11]).
handlungen mit einer ≤ 1%igen Chance für eine Lebendgeburt pro Behandlungszyklus. «Therapien mit einer sehr schlechten Prognose» sind solche mit einer Geburtenchance von > 1% bis ≤ 5%. Zu beachten ist, dass sich diese Zahlen auf die Geburtenrate beziehen. Da die Abortraten pro Transfer im Alter von 40 bis 44 Jahren bei zirka 35% pro Transfer liegen (3), dürfte jeder Therapiezyklus mit einer Schwangerschaftsrate pro Transfer von < 5 bis 10% als ein Therapiezyklus mit einer sehr schlechten Prognose gelten. Gemäss dem deutschen IVF-Register wird diese Grenze im Alter von etwa 43 Jahren erreicht und mit über 43 Jahren unterschritten. Diese Berechnungen decken sich auch mit der IUIStudie von Dunson und Kollegen (2) (Abbildung 2) und der IVF-Studie von Zhang (10) (Abbildung 4). Gemäss diesen Studien dürfte bei guten Prognosefaktoren das maximale Alter für eine IUI bei 42 Jahren und für eine IVF bei 43 bis 44 Jahren liegen. Wesentlich ist in dem Statement der Ethikkommission der ASRM, dass Ärzte eine Behandlung aus ethischer Sicht ablehnen dürfen, wenn die Prognose der Therapie als sehr schlecht anzusehen ist. Sie dürfen aber auch eine Behandlung noch durchführen, wenn eine Risikoabschätzung und eine ausführliche Information hinsichtlich der geringen Chancen erfolgt sind (11).
§ Fazit: Eine klassische IVF-Therapie sollte nur
dann durchgeführt werden, wenn die Gebur-
tenchance pro Therapiezyklus > 5% beträgt. Das absolute Altersmaximum dürfte somit bei 43 bis 44 Jahren liegen.
Versuch einer generellen Diagnostik- und Therapieempfehlung
Die individuellen Unterschiede erlauben gemäss obigen Ausführungen keine strikte Festlegung von Empfehlungen. Da sich aus den Ausführungen dennoch einige grundsätzliche Feststellungen ableiten lassen, wird im Folgenden ein Algorithmus zur Diagnostik und Therapie bei Frauen mit Kinderwunsch im Alter von über 40 Jahren entworfen (11, Abbildung 5).
Diagnostik
Diagnostisch sollte die Ovarreserve durch eine Messung des Anti-Müller-Hormons (AMH) und durch eine Sonografie der Ovarien (antraler Follikel-Count, AFC) bestimmt werden. Ist der AFC sehr niedrig und das AMH nicht mehr nachweisbar, sollte zusätzlich das FSH (bei niedrigem Östradiol) bestimmt werden, um eine beginnende Prämenopause zu diagnostizieren (12). I Ein AMH-Wert < 1 ng/ml (< 7,1 pmol/l) ist ein Prä-
diktor für eine «poor response» bei einer ovariellen Hyperstimulation (ca. < 5 Oozyten/Punktion) (13). Zu beachten ist aber, dass 10 bis 20% der Patientinnen unterhalb der genannten Grenzwerte trotzdem gut auf eine Stimulation bei einer IVF/ICSI-Behandlung ansprechen. Zirka 10 Jahre
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vor der Menopause sinkt das AMH unter 1 ng/ml, und zirka 5 Jahre vor der Menopause beginnt der Anstieg des FSH (14). Ein FSH-Wert ≥ 12–15 IU/l führt meistens zu einer «poor response» bei einer ovariellen Hyperstimulation. I Der AFC ist schwierig zu quantifizieren, sodass der fehlende Nachweis von antralen Follikeln in der Praxis eher als Bestätigung eines sehr niedrigen AMH-Wertes angesehen wird.
Therapie
I Besteht ein Kinderwunsch erst seit etwa einem
halben Jahr, so kann sowohl eine Spontankonzep-
tion als auch bei einem leicht reduzierten Sper-
miogramm eine IUI angestrebt werden. Allerdings
sollte aus Zeitgründen der Versuch einer Spontan-
konzeption auf etwa ein halbes Jahr und die Zahl
an IUI auf etwa drei begrenzt werden. Da zuneh-
mend Follikelreifungsstörungen auftreten, ist
auch eine zusätzliche Gonadotropinstimulation zu
erwägen.
I Liegen zusätzlich weitere Sterilitätsfaktoren vor,
und/oder besteht der unerfüllte Kinderwunsch
schon länger als seit einem halben bis einem Jahr,
so ist frühzeitig eine IVF/ICSI zu erwägen. Ein idea-
les IVF-Stimulationsprotokoll für «low responder»
gibt es aufgrund der individuellen Unterschiede
der Patienten nicht.
I Ist zusätzlich die Ovarreserve sehr niedrig, so kann
ein Stimulationsversuch erwogen werden. Liegt
eine «poor response» vor, so ist eine «minimal sti-
mulation»-IVF oder modifizierte NC-IVF zu emp-
fehlen. Diese Techniken sind auch bei leicht er-
höhten FSH-Werten (10–15 IU/l) mit begrenztem
Erfolg durchführbar.
I Erst bei Eintritt einer Menopause oder bei einer
kompletten Ausschöpfung aller individuellen the-
rapeutischen Möglichkeiten ist eine Eizellspende
zu erwägen. Da eine Adoption nur bis zu einem
begrenzten Alter der Eltern möglich ist, ist diese
frühzeitig zu planen.
I
Prof. Dr. med. Michael von Wolff Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital 3010 Bern E-Mail: Michael.vonWolff@insel.ch
Quellen: 1. Tietze C.: Reproductive span and rate of reproduction among Hutterite women. Fertil Steril. 1957; 8: 89–97. 2. Dunson DB, Colombo B, Baird DD.: Changes with age in the level and duration of fertility in the menstrual cycle. Hum Reprod. 2002; 17: 1399–403. 3. DIR: www.deutsches-ivf-register.de 4. von Wolff M, Nitzschke M, Stute P, Bitterlich N, Rohner S.: Clomiphene citrate at low dosages reduces the rate of premature ovulation and increases the transfer rate per cycle in Natural Cycle IVF. RB Monline, in press. 5. von Wolff M, Rohner S, Santi A, Stute P, Popovici R, Weiss B.: Modified Natural cycle In-vitro Fertilization – an alternative IVF treatment with lower costs per achieved pregnancy but longer treatment time. J Reprod Med. in press. 6. Baart EB, Martini E, Eijkemans MJ, Van Opstal D, Beckers NG, Verhoeff A, Macklon NS, Fauser BC.: Milder ovarian stimulation for in-vitro fertilization reduces aneuploidy in the human preimplantation embryo: a randomized controlled trial. Hum Reprod. 2007; 22: 980–88. 7. van Disseldorp J, Faddy MJ, Themmen AP, de Jong FH, Peeters PH, van der Schouw YT, Broekmans FJ.: Relationship of serum antimüllerian hormone concentration to age at menopause. J Clin Endocrinol Metab. 2008; 93: 2129–34. 8. van Rooij IA, Bancsi LF, Broekmans FJ, Looman CW, Habbema JD, te Velde ER.: Women older than 40 years of age and those with elevated follicle-stimulating hormone levels differ in poor response rate and embryo quality in in vitro fertilization. Fertil Steril. 2003; 79: 482–8. 9. Ethics Committee of American Society for Reproductive Medicine. Fertility treatment when the prognosis is very poor or futile: a committee opinion. Fertil Steril. 2012; 98: e6–9. 10. Zhang J, Chang L, Sone Y, Silber S.: Minimal ovarian stimulation (mini-IVF) for IVF utilizing vitrification and cryopreserved embryo transfer. Reprod Biomed Online. 2010; 21: 485–95. 11. von Wolff M, Stute P: Kinderwunsch der Frau ab 40 Jahren. In: von Wolff M., Stute P: Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin – Das Praxisbuch. Schattauer Verlag, Stuttgart, 1. Auflage 2013. 12. Lambalk CB, van Disseldorp J, de Koning CH, Broekmans FJ.: Testing ovarian reserve to predict age at menopause. Maturitas. 2009; 63: 280–91. 13. Broer SL, Mol BW, Hendriks D, Broekmans FJ.: The role of antimullerian hormone in prediction of outcome after IVF: comparison with the antral follicle count. Fertil Steril. 2009; 91: 705–14. 14. Sowers M, McConnell D, Gast K, Zheng H, Nan B, McCarthy JD, Randolph JF.: Anti-Müllerian hormone and inhibin B variability during normal menstrual cycles. Fertil Steril. 2010; 94: 1482–86. 15. Corsan G, Trias A, Trout S, Kemmann E.: Ovulation induction combined with intrauterine insemination in women 40 years of age and older: is it worthwhile? Hum Reprod. 1996; 11: 1109–12.
Merkpunkte
I Eine Kinderwunschtherapie ab 40 Jahren erfor-
dert ein individualisiertes Vorgehen.
I Es sollte jene Kinderwunschtherapie gewählt wer-
den, die mit dem geringsten Aufwand am schnellsten
zu einer Schwangerschaft führen kann.
I Eine intrauterine Insemination sollte auf wenige
Versuche begrenzt und bis zu einem maximalen Alter
von 42 Jahren angeboten werden.
I Eine IVF kann bei einer guten Ovarreserve bis zum
Alter von maximal 43/44 Jahren erwogen werden.
Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
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