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SCHWERPUNKT
Die Betreuung Schwangerer mit psychischen Erkrankungen
Pränatalmedizinische und geburtshilfliche Empfehlungen
Psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft, insbesondere mütterliche Depressionen und deren Medikation, sowie Suchterkrankungen stellen ein zunehmendes Problem in der Geburtshilfe dar. Der Artikel stellt aktuelle Erkenntnisse sowie das 3-Säulen-Konzept für die pränatalmedizinisch-geburtshifliche Betreuung vor, das präkonzeptionelle Betreuung, Frühdiagnostik intrauteriner Pathologien und therapeutische Interventionen umfasst.
DANIEL SURBEK
Die Prävalenz von Depressionen in der Schwangerschaft wird je nach Studie mittlerweile auf bis zu 10% aller Schwangerschaften geschätzt. Parallel dazu lässt sich zumindest in England ein Anstieg der suizidbedingten mütterlichen Todesfälle in der Schwangerschaft verzeichnen. Statistiken über mütterliche Todesfälle zeigen nämlich, dass in den Jahren 2000 bis 2002 der Suizid die häufigste Ursache der mütterlichen Mortalität darstellte – und damit häufiger als kardiale Ereignisse, Thromboembolien oder peripartale Blutungen ist.
Matrix der Interaktionen
Zwischen der psychischen Krankheit, dem mütterlichen Organismus und dem Fetus respektive dessen intrauterinem Milieu bestehen multiple Interaktionen, welche teilweise durch einen direkten Effekt begründet sind, teilweise indirekt durch die medikamentöse Therapie oder durch eine Wirksubstanz im Rahmen eines Substanzmittelabusus vermittelt wer-
Psyche und Schwangerschaft: Matrix
Psychische Krankheit
Suchtmittelabusus
Medikamentöse Therapie
Schwangere/Mutter
Fetus/Kind
Abbildung: Interaktionen zwischen der Schwangeren, ihrer psychischen Krankheit und dem Fetus
den. Diese matrixähnlich strukturierten Interaktionen sind oft im klinischen Alltag nicht klar auseinanderzudividieren. Dennoch ist es essenziell, die einzelnen Faktoren eines Einflusses sowohl auf die Schwangere als auch auf das Kind bei der Schwangerenbetreuung zu berücksichtigen, um ein möglichst optimales Outcome für Mutter und Kind zu erreichen. Die matrixhaften Zusammenhänge zwischen Psyche und Schwangerschaft sind in der Abbildung dargestellt.
Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die Schwangerschaft
Psychische Erkrankungen (z.B. Depression, Schizophrenie, Suchtkrankheit) können auf verschiedenem Weg die Schwangerschaft beeinträchtigen.
Direkte Beeinträchtigung durch die Krankheit Diese kann durch Schlafstörungen, psychische und/oder soziale Stressoren, Essstörungen, Anorexie oder mangelnde Gewichtszunahme respektive durch fehlende Compliance bei der Schwangerschaftsvorsorge zustande kommen. Zu den möglichen Folgen gehören: I intrauterine Wachstumsretardierung; I Frühgeburtlichkeit; I intrauteriner Fruchttod oder auch I Geburtskomplikationen. Der Zusammenhang zwischen psychischem Stress und Schwangerschaftskomplikationen ist mittlerweile recht gut untersucht. Hauptmediator dabei ist Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH), welches in diesem Zusammenhang auch als der «Koordinator der Stressantwort» benannt wird (1). Das CRH spielt dabei nicht nur eine wichtige Rolle als Mediator der Auslösung einer vorzeitigen Wehentätigkeit und in der Folge möglicherweise einer Frühgeburt, sondern
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auch bei der Reduktion der plazentären Perfusion, welche zu einer Plazentainsuffizienz mit folgender intrauteriner Wachstumsretardierung führen kann. Die Wachstumsretardierung in diesen Fällen tritt oftmals erst im dritten Trimester auf und ist zuweilen schwierig zu erkennen. Im Auge zu behalten ist, dass die psychische Krankheit im Fall von schweren Depressionen zum Suizid führen kann. Dass dies häufiger vorkommt als bisher angenommen, zeigt die zuverlässigste Statistik über mütterliche Todesfälle (s.o.) Die «Confidential inquiries into maternal death» der Jahre 2000 bis 2002 in England (2) zeichnen ein erstaunliches Bild: Der Suizid war die häufigste Todesursache, häufiger sogar noch als thromboembolische Ereignisse und Hämorrhagien.
Indirekte Beeinträchtigung durch die Medikation Psychische Erkrankungen wirken sich auf die Schwangerschaft zudem über einen indirekten Mechanismus, vermittelt durch die medikamentöse Therapie, aus. Die Folgen der medikamentösen Therapie auf die Schwangerschaft respektive auf den Fetus werden unten besprochen. An dieser Stelle ist es von grosser Wichtigkeit zu realisieren, dass psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft eine beträchtliche Prävalenz haben. Neuere Studien zeigen beispielsweise, dass Depressionen während der Schwangerschaft in bis zu 10% auftreten und die Prävalenz tendenziell steigt (3, 4). Depressive Episoden, welche nicht die Kriterien einer eigentlichen Depression erfüllen, aber dennoch die Schwangerschaft erheblich beeinträchtigen können, kommen sogar in bis zu 70% vor.
Einfluss einer Suchtmittelkrankheit Der dritte wichtige Mechanismus von Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die Schwangerschaft ist der Einfluss verschiedener Substanzen auf die Schwangerschaft im Rahmen einer Suchtmittelkrankheit. Hier sind die verschiedenen Substanzklassen zu unterscheiden mit ihren jeweils sehr spezifischen Auswirkungen auf die Schwangere respektive den Fetus. Im Folgenden werden die verschiedenen Substanzklassen und ihre möglichen Auswirkungen kurz besprochen.
Empfehlungen bei Suchtmittelabusus
Nikotinabusus Der immer noch weitverbreitete Nikotinabusus führt typischerweise zu zwei wichtigen Schwangerschaftspathologien: I Frühgeburtlichkeit I intrauterine Wachstumsretardierung. Interessanterweise haben Frauen mit Nikotinabusus eine etwas erniedrigte Inzidenz einer Präklampsie. Die pathopysiologischen Mechanismen, welche zu
Frühgeburtlichkeit und intrauteriner Wachstumsretardierung führen, hängen im Wesentlichen einerseits mit gefässaktiven Substanzen im Zigarettenrauch zusammen, andererseits aber auch mit den Folgen des Kohlenmonoxids für die transplazentäre Versorgung des Fetus.
§ Nicht zuletzt wegen der hohen Verbreitung des
Nikotinabusus gehören Raucherentwöhnungsprogramme bei Frauen, die eine Schwangerschaft planen oder in der Frühschwangerschaft sind, zu den effizientesten Methoden, die hohe und immer noch steigende Frühgeburtlichkeitsrate in der Bevölkerung zu senken. Die entsprechende ärztliche Intervention bei Raucherinnen ist somit eine der wichtigsten Massnahmen in der präkonzeptionellen Beratung. Prinzipiell soll für die Schwangerschaft bezüglich Nikotinabusus die «Nulltoleranz» gelten (siehe auch Empfehlungen, [5]).
Äthylabusus Äthylabusus (Alkoholabusus) in signifikanten Mengen hat schwere Auswirkungen auf den Fetus. Im Gegensatz zum Nikotinabusus, welcher vor allem durch die plazentäre Unterfunktion Folgen auf die Schwangerschaft hat, wirkt Alkohol direkt toxisch auf den Fetus. Die Folgen sind durch das sogenannte embryofetale Alkoholsyndrom umschrieben. Dieses umfasst neben typischen Stigmata beim Neugeborenen (Gesichtsdysmorphien mit hohem und flachem Philtrum und weiteren Auffälligkeiten) Mikrozephalie, Herzfehlbildungen und insbesondere eine schwere psychomotorische und psychosoziale Entwicklungsstörung, welche sich oftmals bis in die Adoleszenz weiterzieht. Da Äthylalkohol zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft die Plazentarschranke problemlos passiert und als lipophile Substanz direkt toxisch auf das sich entwickelnde fetale Gehirn wirkt, besteht in allen drei Trimestern eine direkte Abhängigkeit der Alkoholdosis hinsichtlich der langfristigen Entwicklungsstörungen.
§ Deshalb muss in jedem Fall versucht werden,
bei Alkoholkranken die konsumierte Alkoholmenge im Verlauf der Schwangerschaft, wenn immer möglich, zu reduzieren, falls nötig mit Psychopharmaka. Es ist umstritten, ob es einen unteren Schwellenwert einer Alkoholmenge gibt, welche zur fetalen Toxizität führen kann. Relativ gut erwiesen ist, dass der Konsum ganz geringer Mengen Alkohol (beispielsweise 1 Glas Wein pro Woche) sich nicht ungünstig auf die Schwangerschaft respektive den Fetus auswirkt. Trotzdem sollte in der präkonzeptionellen Beratung und in der Beratung von Schwangeren gänzlich von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft abgeraten werden (siehe auch Empfehlungen, [5]).
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Opiatkonsum Opiatkonsum durch Suchtkranke kann einerseits in Form eines parenteralen Abusus vorkommen (Morphium, Heroin) oder als enterale Substitution (Methadon, Buprenorphin). Allen Formen des Opiatabusus in der Schwangerschaft ist gemeinsam, dass es zu einer transplazentären Substanzgewöhnung durch den Fetus kommt, welche sich postpartal als neonatales Opiatentzugssyndrom äussert. Dieses umfasst Zittrigkeit, schrilles Schreien, nur kurze Schlafphasen bis hin zu Neugeborenenkrämpfen. Die Therapie des Neugeborenen umfasst in der Regel eine initiale parenterale Opiatgabe, welche anschliessend über mehrere Wochen in der Folge abgebaut werden muss in Form eines langsamen Entzugs.
§ Parenteraler Opiatkonsum sollte in der
Schwangerschaft, wenn immer möglich, vermieden werden. Die orale Substitution mit Methadon hat viele Vorteile, obwohl auch diese (nicht linear dosisabhängig) zu einem neonatalen Entzugssyndrom führt. Ob die Substitution mit Buprenorphin anstelle von Methadon einen Vorteil hinsichtlich des neonatalen Entzugssyndroms bringt, ist zurzeit Gegenstand von Untersuchungen. In jedem Fall sollte als Therapiegrundsatz nicht das Ziel sein, die orale Substitution im Verlauf der Schwangerschaft auf null zu reduzieren, da erfahrungsgemäss das Risiko für unkontrollierten Missbrauch von parenteralen Opiaten (oder anderen, teilweise für die Schwangerschaft noch gefährlicheren Substanzen) stark steigt.
Kokain, Amphetamine In dieser Substanzklasse, welche dosisabhängig vasoaktiv wirkt, stehen als Schwangerschaftskomplikationen insbesondere die intrauterine Wachstumsretardierung, die Präeklampsie und die Frühgeburtlichkeit im Vordergrund. Es kommen aber auch gehäuft fetale Fehlbildungen (z.B. Gastroschisis) vor. Als typische und ausgesprochen schwere akute Komplikation kommt die vorzeitige Plazentalösung vor, welche in der Folge oft zum intrauterinen Fruchttod, aber auch zu schweren mütterlichen Komplikationen (hämorrhagischer Schock, schwere Gerinnungsstörung) führt.
§ Aus diesem Grund gehören diese Substanzen
mitunter zu den gefährlichsten in der Schwangerschaft überhaupt, weshalb deren Gebrauch in der Schwangerschaft unbedingt vermieden werden sollte.
Tetrahydrocannabinol Cannabisabusus in der Schwangerschaft ist weitverbreitet. Mögliche Folgen davon sind – ähnlich wie bei Nikotinabusus – die intrauterine Wachstumsretardierung und die Frühgeburtlichkeit. Tetrahydrocannabi-
nol passiert zudem die Plazentarschranke völlig ungehindert, ähnlich wie Äthylalkohol. Es ist auch gut belegt, dass zerebrale Cannabinoidrezeptoren bereits in frühesten Embryonalstadien vorhanden sind. Dieses Endocannabinoid-System spielt eine essenzielle Rolle bei der Zellproliferation, -differenzierung und -migration. Eine intrauterine Exposition gegenüber externen Cannabinoiden kann deshalb einen negativen Einfluss auf die neuropsychologische Entwicklung haben. Hinzu kommt eine Beeinflussung des endogenen Opioidstoffwechsels durch Cannabinoidabusus in der Schwangerschaft, was in Tiermodellen nachgewiesen wurde. Ob und ab welchen Dosen eine langfristige geistige Entwicklungsstörung des Kindes vorkommt, wird unterschiedlich diskutiert in der Literatur. Einige Studien zeigen einen Effekt im Sinne einer gesteigerten Impulsivität in der Kindheit. Auch neonatale Entzugssymptome sind beschrieben.
Infektionen bei Suchtmittelkrankheit Eine Reihe klinischer Studien bestätigen, dass Suchtmittelkranke gehäuft an Infektionen leiden, welche für die Schwangerschaft respektive für den Fetus Folgen haben können. Zu diesen Infektionen gehören typischerweise folgende: I Hepatitis B I Hepatitis C I HIV I Lues I genitaler Chlamydieninfekt I Herpes genitalis I bakterielle Vaginose I genitaler HPV-Infekt. Die möglichen Folgen dieser Infektionen sind je nach Erreger unterschiedlich. Einerseits können sie zu erhöhtem Risiko für Frühgeburtlichkeit führen (beispielsweise Chlamydien, bakterielle Vaginose), andererseits kann es zur intrauterinen oder subpartalen vertikalen Übertragung auf den Fetus kommen mit entsprechenden Folgen für das Kind (z.B. HIV-Infektion, Hepatitis C).
§ Bei der Betreuung suchtkranker Schwangerer
müssen deshalb die verschiedenen Infektionen aktiv gesucht respektive ausgeschlossen werden und im gegebenen Fall therapeutische oder prophylaktische Massnahmen gegen eine vertikale Transmission ergriffen werden.
Auswirkungen von psychischen Erkrankungen und der Medikation auf den Fetus
Die Auswirkungen der mütterlichen Erkrankungen auf den Fetus können wie oben beschrieben direkt, aber auch indirekt über eine medikamentöse Therapie oder über einen Substanzabusus sein. In diesem Abschnitt werden die langfristigen Auswirkun-
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gen der medikamentösen Therapie respektive deren teratogene Wirkungen auf den Fetus besprochen. Dabei werden wichtige Grundprinzipien der Psychopharmakotherapie herausgehoben.
Depression Aufgrund des häufigen Vorkommens von Depressionen in der Schwangerschaft steht die Verwendung von Psychopharmaka in der Schwangerschaft im Vordergrund. Eine neuere Statistik aus den USA zeichnet hier ein erstaunliches Bild: Die Verwendung von Antidepressiva (v.a. SSRI) in der Schwangerschaft hat in den letzten 10 Jahren von rund 2% auf rund 8% zugenommen (4). Möglicherweise widerspiegelt diese weitverbreitete Verwendung von Psychopharmaka nicht eine generelle Zunahme von Depressionen in der Schwangerschaft, sondern die Erkenntnis, dass der Nutzen von Psychopharmaka in der Schwangerschaft in vielen Fällen grösser ist als deren Risiken. Bezüglich der medikamentösen Therapie von Depressionen in der Schwangerschaft ist es nämlich zwischenzeitlich gut belegt, dass ein Absetzen von Antidepressiva in der Schwangerschaft oder sogar präkonzeptionell zu einer hohen Rezidivrate von bis zu 75% führt (6, 7). Ausserdem wurde in Studien gezeigt, dass eine Depression per se zu einem schlechteren Outcome der Schwangerschaft führt, denn sie bewirkt gehäufte intrauterine Wachstumsretardierung und erhöhte Frühgeburtlichkeit. Hinzu kommt das erhöhte Suizidrisiko.
§ Im Vorfeld einer Schwangerschaft oder zu de-
ren Beginn sollte deshalb nicht primär ein Absetzen der antidepressiven Medikamente forciert, sondern eher ein Wechsel zu einem für die Schwangerschaft bestmöglich kompatiblen Antidepressivum geprüft werden.
Einige Grundlagen der Psychopharmakotherapie: Teratogenität und Fetotoxizität Die Teratogenität ist durch eine exogene Induktion von Organfehlbildungen gekennzeichnet, wobei die Exposition in erster Linie während des Embryonalstadiums stattfinden muss (heikle Phase der Organentwicklung). Das Embryonalstadium wird definiert bis zum Ende der 8. Schwangerschaftswoche postkonzeptionell (also bis zur 10. Schwangerschaftswoche nach der letzten Regel). In den ersten 2 Wochen nach der Konzeption befindet sich der Embryo im Blastozystenstadium. In diesem Stadium geht man in der Regel davon aus, dass das sogenannte «Alles-odernichts-Prinzip» gilt. Dies heisst, dass allfällige toxische Einflüsse nicht zu Organfehlbildungen führen, sondern allenfalls zu einer gestörten Blastozystenimplantation im Endometrium und in der Folge zu einem Spontanabort.
Die wichtige Phase der Teratogenität erstreckt sich demnach von der 2. bis zur 8. Schwangerschaftswoche post conceptionem. Die darauffolgende Phase wird Fetalstadium genannt. Die meisten Organe haben in diesem Stadium die hauptsächlichsten Schritte der Differenzierung abgeschlossen, und es findet vor allem ein Wachstum und allenfalls eine funktionelle Ausreifung statt. Es gibt jedoch Organe, die sich auch während des Fetalstadiums weiter differenzieren. Dazu gehören das fetale Gehirn und der fetale Urogenitaltrakt.
Beispiel Antiepileptika und Neuralrohrdefekte Der Verschluss des Neuralrohres findet sehr früh in der Schwangerschaft statt und ist bereits in der 4. Woche des Embryonalstadiums (entsprechend der 6. Schwangerschaftswoche nach letzter Regel) abgeschlossen. Defekte des Neuralrohrverschlusses sind somit ein gutes Beispiel für die unterschiedlichen Folgen von teratogenen Einflüssen in der Schwangerschaft, abhängig vom Entwicklungsstadium. Die gesamte Gruppe der Antiepileptika interferieren bekanntlicherweise mit dem Folsäuremetabolismus, weshalb eine Therapie mit diesen Medikamenten in der Frühschwangerschaft ein erhöhtes Risiko für Neuralrohrdefekte umfasst. Die Höhe des Risikos ist dabei von der Substanz selbst und deren Dosierung abhängig. Carbamazepin oder auch neuere Antiepileptika wie das Lamotrigin haben beispielsweise ein niedrigeres Risiko für Neuralrohrdefekte als Valproat. Gerade bei Valproat wurde in den letzten Jahren eine fast lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung der Teratogenität nachgewiesen. Neben einer hoch dosierten Folsäureprophylaxe als Komedikation (5 mg pro Tag) können somit die Wahl des Antiepileptikums und dessen Dosierung einen entscheidenden Einfluss auf das Risiko eines fetalen Neuralrohrdefektes haben. Dabei ist zu beachten, dass eine entsprechende medikamentöse Umstellung vor der Schwangerschaft stattfinden sollte, da eine Schwangerschaft oft erst in der 5. oder 6. Schwangerschaftswoche diagnostiziert wird, zu einem Zeitpunkt also, wo eine entsprechende Intervention aus embryologischer Sicht zu spät käme.
Beispiel selektive Serotonin-Re-UptakeInhibitoren (SSRI) Als Beispiel für eine in der Schwangerschaft sehr häufig verwendete Substanzklasse von Psychopharmaka sind hier im Folgenden die selektiven SerotoninRe-Uptake-Hemmer (SSRI) erwähnt, die vor allem bei depressiven Störungen eingesetzt werden. Die unerwünschten Wirkungen der SSRI auf die Schwangerschaft umfassen typischerweise: erhöhtes Risiko für intrauterine Wachstumsretardierung, für schwangerschaftsinduzierte Hypotonie und Präeklampsie, für intrauterinen Fruchttod und für Frühgeburtlichkeit.
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Als pathogenetischer Mechanismus wird hier die in vitro nachgewiesene vasokonstriktorische Wirkung auf Umbilikalarterien vermutet. Die SSRI passieren die Plazentarschranke zum Fetus. Bezüglich Teratogenität wird den SSRI insgesamt keine klar erhöhte Fehlbildungsrate zugesprochen. Allerdings gibt es einzelne Substanzen, welche mit gewissen Fehlbildungen wie Omphalozele oder Herzfehlbildungen in Verbindung gebracht wurden. Mögliche gering erhöhte Fehlbildungsrisiken sind demnach nicht substanzklassenspezifisch, sondern klassenvertreterspezifisch (Beispiel: Zusammenhang Paroxetin und erhöhte Herzfehlbildungsrate). Ein kürzlich erschienenes Review gibt eine Übersicht über die Studien zur Teratogenität der SSRI (8). Hier kommt klar zum Ausdruck, dass die Nutzen-RisikoAbwägung der Verwendung von SSRI zur Therapie der Depression in der Schwangerschaft klar zugunsten der SSRI ausfällt. Auch die Auswirkungen von SSRI auf das Neugeborene sind mittlerweile relativ gut beschrieben. Das Risiko für (in der Regel harmlose) Neugeborenenkrämpfe ist leicht erhöht. Selten kommt eine persistierende pulmonal-arterielle Hypertonie beim Neugeborenen vor, eine Nebenwirkung, welche ebenfalls auf die vasokonstriktorische Wirkung des Serotonins zurückzuführen ist. Am häufigsten wird jedoch ein spezifisches Syndrom an Verhaltensauffälligkeiten (Adaptationsstörungen) des Neugeborenen beschrieben, welches wahrscheinlich einem SSRIEntzugssyndrom entspricht. Dieses umfasst eine schlechte neonatale Adaptation, Zittrigkeit, einen niedrigen Muskeltonus, eine erhöhte motorische Aktivität und einen gestörten Schlafrhythmus. In den ersten Lebenswochen verschwinden diese Symptome in der Regel spontan. Bis anhin gibt es keine Hinweise auf langfristige Auswirkungen der psychomotorischen oder psychosozialen Entwicklung des Kindes. Insbesondere wurde ein aufgrund verschiedener Hinweise vermuteter Zusammenhang mit der späteren Entwicklung von Autismus in einer neuen Studie nicht bestätigt (9).
§ Wie die Beispiele zeigen, sind die Verhältnisse
komplex und erfordern eine individuelle Risikoabwägung und Anpassung der Psychopharmakotherapie. Letztlich ist es immer ein Abwägen zwischen möglichen unerwünschten Nebenwirkungen und günstigen Wirkungen (welche bei Psychopharmaka-Anwendung in der Schwangerschaft oftmals überwiegen). Die unterschiedlichen Auswirkungen der medikamentösen Therapie auf die Schwangere, auf den Uterus respektive auf die plazentäre Durchblutung und auf den Fetus selbst sollten klar differenziert und unter dem Aspekt präventiver oder therapeutischer Möglichkeiten betrachtet werden.
Langzeitauswirkungen der psychischen Erkrankung auf das Kind («fetal programming») In den letzten Jahren hat sich in der Forschung zunehmend eine neue Erkenntnis herauskristallisiert, die eine enorme Bedeutung hinsichtlich der langfristigen individuellen Gesundheit hat. Basierend auf der Barker-Hypothese ist es mittlerweile gut erwiesen, dass die pränatalen Einflüsse auf den Fetus (intrauterines Milieu) eine Programmierung einzelner Organsysteme respektive Stoffwechselvorgänge zur Folge haben, welche lebenslange Auswirkungen auf das Kind haben. Das wichtigste Beispiel ist der Zusammenhang zwischen einem niedrigen Geburtsgewicht bei intrauteriner Wachstumsretardierung und dem späteren Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung. Heute gibt es ferner Hinweise, dass die pränatale Exposition auch Folgen für die psychische Gesundheit haben kann. So wurde in einer Studie ein erhöhtes Suizidrisiko im Adoleszenten- respektive Erwachsenenalter bei Personen mit niedrigem Geburtsgewicht nachgewiesen (10). Weitere Studien zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko für Depressionen im Erwachsenenalter bei Frühgeburten und Neugeborenen mit niedrigem Geburtsgewicht (11, 12). Es wird vermutet, dass der Schlüssel zum pathophysiologischen Zusammenhang zwischen der intrauterinen Exposition mit bestimmten Bedingungen und der späteren psychiatrischen Erkrankung über die Kortisolstressachse vermittelt wird. Dieser Zusammenhang fand sich auch bereits bei kurzfristiger intrauteriner Stressexposition, wie wir dies in unserer kürzlich publizierten Studie zum Zusammenhang zwischen unterschiedlichen geburtsmodusbedingten Stressoren, dem Kortisolspiegel und dem postpartalen Schmerzempfinden nachgewiesen haben (13). Kinder von Müttern mit einer psychiatrischen Erkrankung haben ein erhöhtes Risiko, später im Leben ebenfalls an einer psychiatrischen Erkrankung zu leiden. Dieser Zusammenhang ist somit nicht nur rein genetisch bedingt (beispielsweise durch Polymorphismen im 5-HT-Transportergen [14]), sondern insbesondere auch durch die gestörte intrauterine Exposition, welche Folge der psychischen Erkrankung der Mutter sein kann. Interessant dabei ist jedoch, dass die intrauterine Exposition im Gegensatz zu der genetischen Prädisposition prinzipiell für eine therapeutische Intervention zugänglich ist.
§ Unsere Bemühungen bei der Betreuung von
Schwangeren mit psychischen Erkrankungen müssen somit in die Richtung gehen, nicht nur das kurzfristige Outcome der Schwangerschaft zu verbessern, sondern auch die möglichen Langzeitfolgen für das Kind und deren Präventionsmöglichkeiten mit zu berücksichtigen.
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Empfehlungen zur Betreuung der Schwangeren mit psychischer Erkrankung
Bei der Betreuung der schwangeren Frau mit psychischer Erkrankung müssen die verschiedenen möglichen gegenseitigen Auswirkungen berücksichtigt werden (wie oben dargestellt). Sie umfasst somit I die psychische Erkrankung der Frau I die utero-plazentäre Einheit I den Fetus als zweiten Patienten. Insbesondere die Betreuung der suchtkranken Schwangeren bedingt ein Gesamtbetreuungskonzept, welches das soziale Umfeld und die vorhandenen Ressourcen der Patientin in besonderem Masse miteinbezieht. Bei der spezifisch geburtshilflichen respektive pränatalmedizischen Betreuung sind Prävention, Frühentdeckung und Therapie möglicher Auswirkungen im Vordergrund. Dazu gehören folgende wichtigste Säulen:
Säule I: Präkonzeptionelle Beratung Die präkonzeptionelle Beratung von Frauen mit psychischer Krankheit soll idealerweise durch die Fachärztin/den Facharzt für Gynäkologie/Geburtshilfe gemeinsam respektive in Absprache mit dem/der betreuenden Psychiater/in erfolgen. Idealerweise soll bereits vor dem Absetzen der Kontrazeption ein entsprechender Plan für die Schwangerschaft aufgestellt werden. Auch soll versucht werden, die Schwangerschaft im Hinblick auf die psychische Erkrankung zu einem möglichst günstigen Zeitpunkt zu planen. Des Weiteren sollen aber auch therapeutische Aspekte (Medikamentenauswahl) und präventive Aspekte (Multivitamin-/Folsäureprophylaxe, Reduktion respektive Stopp von Substanzmittelabusus) berücksichtigt werden. Im Fall einer bereits eingetretenen Schwangerschaft muss diese gesamte Beratung raschestmöglich zu Beginn der Schwangerschaft in die Wege geleitet werden.
Säule II: Frühdiagnostik pathologischer intrauteriner Entwicklungen Grundstein und wichtigstes Element der Diagnostik ist die spezialisierte pränatale Ultraschalluntersuchung. In erster Linie können damit teilweise schon sehr früh (12. Schwangerschaftswoche) fetale Fehlbildungen entdeckt werden. Die spezialisierte Sonografie nimmt einen besonderen Stellenwert ein, da viele Fehlbildungen (beispielsweise Herzfehlbildungen) schwierig zu diagnostizieren sind und eine frühzeitige Diagnose das spätere Outcome beim Kind wesentlich verbessern kann. Eine ausführliche, nicht direktive Beratung betreffend die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik muss selbstredend vorgängig erfolgen, inklusive des «Rechts auf Nichtwissen». Zu realisieren ist es auch, dass gewisse schwere Fehlbildungen teilweise schon intraute-
rin therapierbar sind und dass postnatal keine Therapie mehr möglich ist. Bei einer entsprechenden Konstellation mit schwerer psychischer Beeinträchtigung der Patientin muss unter Umständen auch ein Schwangerschaftsabbruch in Betracht gezogen werden. Weitere Schwerpunkte der Diagnostik sind ebenfalls von einer spezialisierten Ultraschalluntersuchung abhängig. Dazu gehören engmaschige, longitudinale Untersuchungen der Zervixlänge, des intrauterinen Wachstums und der fetalen und uteroplazentären Hämodynamik (Doppleruntersuchungen). Zudem gibt es heute Möglichkeiten, mittels Blutflussmessungen und zusätzlicher biochemischer Untersuchungen bereits in der frühen Phase der Schwangerschaft eine spätere Entwicklung einer intrauterinen Wachstumsretardierung oder Präeklampsie vorauszusagen. Schwangerschaften bei psychischer Erkrankung müssen als Risikoschwangerschaften angesehen werden, weshalb dringend eine spezialisierte pränatalmedizische Betreuung zu fordern ist.
Säule III: Therapeutische Intervention Die therapeutischen Möglichkeiten im Fall einer pathologischen intrauterinen Entwicklung erstrecken sich auf eine ganze Reihe von Ansätzen und Massnahmen. Dazu gehören bei fetalen Fehlbildungen die Evaluation möglicher Interventionen während der Schwangerschaft oder unmittelbar postpartal und die Prävention der Frühgeburtlichkeit mit entsprechenden medikamentösen (Beispiel Progesterontherapie) oder chirurgischen Massnahmen (Beispiel Cerclage). Gerade beim erhöhten Risiko der Frühgeburtlichkeit ist eine fetale Therapie mittels korrekt dosierter transplazentärer Glukokortikoid-Applikation («Lungenreifungsinduktion») oft zentral, da damit die fetale Morbidität und Mortalität im Fall einer Frühgeburt um 50% verringert werden kann. Im Fall einer Hochrisikokonstellation für eine intrauterine Wachstumsretardierung und für eine Präeklampsie ist eine medikamentöse Prophylaxe (Acetylsalicylsäure 100 mg tgl., Kalziumsupplementierung 1–2 mg tgl.) wirksam, sofern sie rechtzeitig verabreicht wird. Im Fall einer bereits eingetretenen schweren intrauterinen Wachstumsretardierung mit entsprechenden hämodynamischen Veränderungen oder im Fall einer schweren Präeklampsie ist das entsprechende stationäre Management mit Intensivüberwachung des Feten und rechtzeitiger Entbindung bei Exazerbation die wichtigste therapeutische Massnahme. In jedem Fall muss eine Schwangerschaft bei psychischer Erkrankung der Schwangeren und bei Schwangerschaftskomplikationen unbedingt in einem tertiären Zentrum interdisziplinär betreut werden, um das beste Ergebnis für Mutter und Kind zu erreichen.
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Zusammenfassung
Psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft haben vielfältige Auswirkungen sowohl auf den Ver-
lauf der Schwangerschaft als auch auf den Fetus selbst und auf die spätere Kindesentwicklung. Umgekehrt kann die Schwangerschaft durch unterschiedliche, teilweise hormonale Einflüsse auf eine psychische Krankheit wirken oder deren erste klini-
sche Manifestation begünstigen. Die vielschichtige Matrix der Interaktionen stellt eine besondere
Herausforderung für die interdisziplinäre Betreuung der Patientinnen dar, wobei im Vordergrund Psychiater und Gynäkologen/Geburtshelfer stehen. Die
pränatale Betreuung ist oft komplex und anspruchsvoll und erfordert deshalb die Zusammenarbeit mit
einem spezialisierten Zentrum, um das beste Out-
come für Mutter und Kind zu erreichen.
I
Prof. Dr. med. Daniel Surbek Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern 3010 Bern E-Mail: daniel.surbek@insel.ch
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