Transkript
SCHWERPUNKT
Kontrazeptive Beratung von Frauen
Ergebnisse einer internationalen Studie zum Einfluss der ärztlichen Beratung
Die Pille ist seit mehr als 50 Jahre verfügbar und neben dem Kondom die in allen Altersgruppen mit Abstand bekannteste kontrazeptive Massnahme. Neuere Möglichkeiten einer kombinierten hormonellen Kontrazeption wie der Vaginalring oder das transdermale Pflaster sind – insbesondere was ihre Vor- und Nachteile betrifft – weit weniger bekannt. Die Studie CHOICE untersuchte den Einfluss der intensiven ärztlichen Beratung auf die Wahl des Kontrazeptivums.
CHRISTIAN EGARTER
Üblicherweise kommt eine Frau meist mit relativ klaren Vorstellungen bezüglich der beabsichtigten Art der Kontrazeption zu ihrer Ärztin/ihrem Arzt. Da der Bekanntheitsgrad der Pille und die Kenntnisse über die Anwendung überwiegen, äussert sie meistens den Wunsch nach dieser Kontrazeptionsform. Untersuchungen zeigen aber, dass soziale und kulturelle Einflüsse den Wunsch nach der Kontrazeptionsform beeinflussen (1, 2) und dass im Arzt-Patientinnen-Gespräch dieser Wunsch aufgrund von medizinischen Überlegungen respektive nach Evaluierung der Vorund Nachteile der Methoden modifiziert werden kann.
Zielsetzung, Methode, Hintergründe
In einer umfangreichen, länderübergreifenden Studie, die von der European Society for Contraception initiiert und von der Firma MSD unterstützt wurde, sollte Frauen, die den Wunsch nach einer kombinierten kontrazeptiven Methode (Pille, Vaginalring und transdermales Pflaster) äusserten, eine standardisierte und ausgewogene Beratung über alle Vor- und Nachteile angeboten werden. Anschliessend sollten die tatsächlichen Verwendungsraten der verschiedenen kombinierten Methoden erhoben und mit der ursprünglich beabsichtigten Methode verglichen werden. Zuletzt sollten die Einschätzung der Methoden und die entsprechenden Auswahlkriterien in den teilnehmenden Ländern verifiziert werden. Das Angebot genauer und klarer Information über die verschiedenen Methoden der kombinierten hormonellen Kontrazeption trägt entscheidend dazu bei, die kontrazeptive Wahl für die individuelle Situation zu optimieren. Allerdings passt keine der verfügbaren Möglichkeiten auf alle potenziellen Anwende-
rinnen, womit das Angebot von verschiedenen Methoden mit ihrer unterschiedlichen Verabreichung, ihren Wirkmechanismen, ihrer zeitlichen Anwendung und ihren Nebenwirkungen durchaus von Bedeutung ist (3). Wissenschaftliche Untersuchungen, die diese Aspekte der potenziellen Anwenderinnen und ihrer Partner zu verstehen respektive zu integrieren helfen, sind für die Optimierung der kontrazeptiven Methode für ein Paar wesentlich. 11 europäische Länder (Belgien, Deutschland, Niederlande, Schweden, Österreich, Schweiz, Polen, Slowakei, Tschechien, Russland, Ukraine) sowie Israel mit sehr unterschiedlichen Einrichtungen bezüglich der Kontrazeptionsberatung und -möglichkeiten nahmen an dieser multizentrischen Studie teil.
Verwendete Frage- und Aufklärungsunterlagen Von allen teilnehmenden Ärztinnen/Ärzten wurden einige Basisdaten wie Alter, Geschlecht und üblicherweise bevorzugte kontrazeptive Verschreibung erhoben. Ein standardisierter, umfangreicher Aufklärungsbogen über die drei verfügbaren kombinierten hormonellen Methoden (Pille, Pflaster, Vaginalring) wurde den Frauen zur Verfügung gestellt. Den Frauen wurde schliesslich nach entsprechender ärztlicher Beratung ein Kontrazeptivum verabreicht. In einem weiteren Fragebogen wurden dann die ursprünglich von der Frau geplante Methode und die letztlich nach der umfassenden Information gewählte Methode erhoben sowie die Kriterien und Einschätzungen abgefragt, anhand deren sich die Frauen letztlich entschieden hatten. Weiterhin erfolgte eine Evaluierung von sozialen und demografischen Para-
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SCHWERPUNKT
metern bezüglich der Wahl der Kontrazeptiva. Hintergrunddaten waren Alter, Ausbildungsgrad, Beschäftigungsstatus, Anzahl der Kinder und Schwangerschaftsabbrüche sowie eine eventuell früher verwendete kontrazeptive Methode.
Häufigste Empfehlungen der Ärzte pro Land
Die von den teilnehmenden Ärzten mit Abstand am häufigsten empfohlene kontrazeptive Methode war die Pille. Zu beachten ist, dass in Belgien, Israel, Österreich, Polen, der Slowakei, Tschechien und der Ukraine mit mehr als 99% die Gynäkologen die Verschreiber sind, während in der Schweiz dieser Prozentsatz bei etwa 93% und in Russland bei 97% liegt. In Schweden sind mit etwa 95% hauptsächlich Hebammen die Verschreiber von Kontrazeptiva und in den Niederlanden mit 96% niedergelassene Praktiker (4). In Russland und der Ukraine ist der Vaginalring erst seit Kurzem eingeführt; das dürfte der Grund für die insbesondere in der Ukraine wesentlich höhere Empfehlungsrate für den Vaginalring der dortigen Ärzte sein. Generell scheint der Vaginalring in den osteuropäischen Ländern insgesamt populärer zu sein als in den anderen teilnehmenden Ländern (Abbildung 1).
Abbildung 1: Von den Ärzten in den einzelnen Ländern empfohlene kontrazeptive Methode nach Häufigkeit (4).
Ursprünglich geplante und letztlich verwendete Methode
Beim Vergleich der ursprünglich beabsichtigten und der letztlich gewählten Methode ergaben sich einige entscheidende Unterschiede aufgrund der umfangreichen Aufklärung über die verfügbaren Möglichkeiten. Anhand der Schweizer Untersuchungsergebnisse (5) lässt sich das sehr gut darstellen (Abbildung 2). Insgesamt änderten hier 40% der Teilnehmerinnen nach der Aufklärung ihre ursprüngliche Meinung. Erwartungsgemäss verringerte sich zunächst die Anzahl der Frauen, bei denen weder sie selbst noch der Arzt eine Methode vor der Beratung bevorzugte. Weiterhin stieg der Prozentsatz der Pillenanwenderinnen von 54,4 auf 56,7% leicht an. Die Zahl der Frauen, die sich schliesslich für den Vaginalring entschieden, erhöhte sich signifikant von 11,4 auf 28,6%, und zwar meist in der Gruppe, die sich ursprünglich noch nicht entschieden hatte beziehungsweise derjenigen, die den Wunsch nach einer Pille geäussert hatte. Die Anzahl der Frauen, die letztlich ein transdermales Pflaster wählten, stieg ebenfalls signifikant von 4,5 auf 7,1% an. 67% der Frauen, die schliesslich den Vaginalring, und 64% der Frauen, die das Pflaster wählten, hatten diese Methode ursprünglich nicht beabsichtigt. Dieser anhand der Schweizer Ergebnisse aufgezeigte Trend war grundsätzlich in allen teilnehmenden Ländern – allerdings in teilweise sehr unterschiedlichem Ausmass – erkennbar (Abbildung 3).
Abbildung 2: Vergleich der ursprünglich geplanten mit der letztlich gewählten Kontrazeptionsmethode in der Schweiz (5). Abbildung 3: Unterschiedliche Veränderungen der gewählten Methode nach ausführlicher Beratung in den einzelnen Ländern (6).
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Die massivste Veränderung bezüglich der (häufigeren) Verwendung des Vaginalrings gab es dabei in den osteuropäischen Ländern, doch auch in den anderen Ländern war dieser Trend zu beobachten (6). Die von den Teilnehmerinnen am häufigsten genannten Gründe, weshalb sie sich schliesslich für eine bestimmte Methode entschieden hatten, sind in der Tabelle für alle Länder zusammengefasst.
Tabelle:
Wichtigste Gründe für die Wahl der Pille, des Pflasters oder des Vaginalrings nach ausführlicher Beratung in allen teilnehmenden Ländern (6)
Gründe für die Wahl einer Methode n (%) Tägliche Anwendung Wöchentliche Anwendung Monatliche Anwendung Kann man nicht vergessen Komfort Einfache Anwendung Gewohnheit Empfehlung durch Arzt/Ärztin Auch bei Erbrechen wirksam Reguläre Menstruationen Weniger Regelschmerzen
Pille (n = 9418) 3491 (37,1) – – 2044 (21,7) 4197 (44,6) 6351 (67,4) 3358 (35,7) 3140 (33,3) – 6184 (65,7) 4556 (48,4)
Pflaster (n = 1541) – 1053 (68,3) – 819 (53,1) 1089 (67,4) 1165 (75,6) 80 (5,2) 581 (37,7) 671 (43,5) 694 (45,0) 343 (22,3)
Vaginalring (n = 5520) – – 4128 (74,8) 3135 (56,8) 3361 (60,9) 3232 (58,6) 211 (3,8) 3338 (60,5) 2721 (49,3) 2719 (49,3) 1383 (25,1)
Schlussfolgerungen und Bewertung
Diese an einem der bisher grössten Kollektive durchgeführte Untersuchung (4–6) bezüglich der Effizienz einer kontrazeptiven Beratung ergab einige interessante Aspekte: Bei einer ausgewogenen und umfangreichen Information über die verschiedenen Vor- und Nachteile der kombinierten hormonellen Kontrazeption entscheiden sich signifikant mehr Frauen für neue, systemische Applikationsformen, insbesondere für den Vaginalring, und zwar hauptsächlich aufgrund der monatlichen und sehr einfachen Anwendung sowie der Empfehlung durch den Arzt. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass auch in Ländern mit langjähriger Marktzulassung noch teilweise ein Mangel an Bekanntheit dieser Methoden unter den Anwenderinnen besteht. In einer ähnlich konzipierten spanischen Studie aus dem Jahr 2006 mit 9700 Frauen verwendeten nach Information über alle drei Methoden sogar 46% den Vaginalring, 39% die Pille und nur 15% das transdermale Pflaster (7). Die Anwendungsraten von Vaginalring und transdermalem Pflaster sind in verschiedenen europäischen Ländern also durchaus unterschiedlich, was auf kulturelle Differenzen, unterschiedliche Verschreibungs- und Erstattungsrichtlinien, vorherrschende Meinungen bezüglich der kontrazeptiven Methoden und vieles mehr schliessen lässt.
Anmerkung: Diese kurze Charakterisierung wird den interessanten Unterschieden zwischen den Ländern bezüglich der kontrazeptiven Praktiken nicht ganz gerecht, zeigt aber auf, dass eine diesbezügliche Untersuchung sinnvolle Einsichten in eine Entwicklung von Programmen gegen ungeplante Schwangerschaften, Abbrüche oder auch die Unzufriedenheit mit einer kontrazeptiven Methode ergeben kann. In den Achtzigerjahren wurden von der International Health Foundation in Brüssel eine Reihe von Umfragen durchgeführt, die 1990 aktualisiert und erweitert wurden (1, 2). Eine Studie von Skouby (3) folgte 2004. Seither gab es keine grössere länderübergreifende, systematische Bestandesaufnahme der verwendeten kontrazeptiven Methoden sowie darüber, wie die Wahl zustande kam. Deshalb scheint die vorliegende Untersuchung, die sicherlich noch zusätzliche Details nach weiterer Analyse der Daten liefern wird, einen interessanten Beitrag zu liefern.
Fazit für die Praxis
Generell sind die medizinische Information und die
Beratung im Hinblick auf die Wahl einer kontrazepti-
ven Methode natürlich essenziell. Das bleibt auch
wichtig, wenn die Frau bereits ein profundes Wissen
über die beabsichtigte Methode aufweist. Die Bera-
tung kann Zweifel klären, Alternativen oder besser
geeignete Methoden anbieten und damit zu einer
günstigeren und informierten Wahlmöglichkeit bei-
tragen.
I
Universitätsprof. Dr. med. Christian Egarter Leiter Klinische Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Medizinische Universität Wien A-1090 Wien E-Mail: christian.egarter@meduniwien.ac.at
Interessenkonflikt: Der Autor erhielt von MSD und BayerSchering Honorare für Studien, Vorträge sowie Expertentreffen auf dem Gebiet der Kontrazeption.
Quellen: 1. Oddens BJ.: Current accessibility and perceptions about the pill in Western Europe. In: Hannaford PC and Webb AMC. Evidence-based prescribing of the Pill. Carnforth: Parthenon 1996: 27–42. 2. Oddens BJ, Lehert P.: Determinants of contraceptive use among women of reproductive age in Great Britain and Germany I: Demographic factors. J Biosoc Sci 1997; 29: 415–35. 3. Skouby SO.: Contraceptive use and behavior in the 21st century; a comprehensive study across five European countries. Eur J Contracept Reprod Health Care 2004; 9: 57–68. 4. Bitzer J, et al.: The CHOICE study: Effect of counseling on the selection of combined hormonal contraceptive methods in 11 countries. The European Journal of Contraception and Reproductive Health Care 2012; 17: 65–78. 5. Merki-Feld GS, Gruber IM.: Intention to use a combined contraceptive method and decision after counseling in Switzerland – Swiss data from the European CHOICE study. The European Journal of Contraception and Reproductive Health Care. 2012; 17: 119–27. 6. Egarter Ch, et al.: Women’s perceptions and reasons for choosing the pill, patch, or ring in the CHOICE study: a cross-sectional survey of contraceptive method selection after counseling. BMC Women’s Health 2013; 13: 9. 7. Lete I, et al.: Factors affecting women’s selection of a combined hormonal contraceptive method: the TEAM-06 Spanish cross-sectional study. Contraception 2007; 76, 77–83.
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