Transkript
SCHWERPUNKT
Hormonale Kontrazeption und Libido
Die aktuelle Studienlage
Aufgrund ihrer grossen kontrazeptiven Sicherheit bieten hormonale Kontrazeptiva die besten Voraussetzungen, sich ohne Angst vor einer unerwünschten Schwangerschaft «absolut fallen lassen» zu können und sich leidenschaftlich dem sexuellen Zärtlichkeitsaustausch hinzugeben. Die von manchen Frauen beklagte Verringerung der sexuellen Appetenz lässt sich durch die Studien nicht belegen.
HANS-JOACHIM AHRENDT
Die Entwicklung der Pille stellt auch hinsichtlich der freien Entfaltung der Sexualität der Frau eine Revolution dar. Vor der Markteinführung der Pille war die Sexualität wegen der Möglichkeit unerwünschter Schwangerschaften (und in der Folge hohen Zahl selbst induzierter Aborte mit hohen gesundheitlichen Risiken) oft angstbesetzt. Diese Angst beeinflusste die sexuelle Appetenz der Frau erheblich. In der wissenschaftlichen Literatur dieser Zeit finden sich deshalb nur selten Angaben zur Libido der Frau. Inzwischen ist es für Frauen nicht nur zu einer Selbstverständlichkeit geworden, angstfrei lustvolle Sexualität zu erleben, sondern für viele ist es auch ein Bedürfnis, permanent über eine gute Libido verfügen zu können. Deshalb werden Beeinträchtigungen der sexuellen Appetenz als erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität empfunden, und nach Ursachen wird gesucht. Oft wird die Anwendung der hormonalen Kontrazeptiva dafür verantwortlich gemacht (1). Hormonale Kontrazeptiva können in vielfältiger Weise die Sexualität beeinflussen. Das hängt unter anderem ab von: I der Zusammensetzung der hormonalen Kontra-
zeptiva (reines Gestagenpräparat, Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat) I der Art des Östrogens und des Gestagens mit ihren individuellen Partialeigenschaften und der Stärke der Beeinflussung des SHBG-Spiegels I der Art der Applikation (oral, transdermal, vaginal, intrauterin, subdermal) I der Art der Anwendung (rhythmische Anwendung, Langzyklus-, Langzeitanwendung) (2).
Einfluss der Hormone auf die Libido
Das Testosteron ist auch für die Frau das Leithormon für die sexuelle Appetenz. Täglich werden bei der fertilen Frau 400 pg/ml Testosteron gebildet (davon
25% in den Ovarien, 25% in der Nebennierenrinde und 50% durch Konversion im Fett- und Muskelgewebe) (3). Eine Verringerung des Testosteronspiegels kann die sexuelle Appetenz beeinträchtigen (4). Eine gesicherte Korrelation zwischen der Höhe des Serumandrogenspiegels und einem spezifischen sexuellen Verhalten und Erleben (Libidostärke, Masturbation- oder Koitusfrequenz) besteht jedoch nicht (5). Das sexualhormonbindende Globulin (SHBG) bindet das Testosteron wie auch das Östrogen im Serum und verringert dadurch seine biologische Aktivität. Ein Ansteigen des SHBG führt zu einer Reduktion des freien Testosterons und beeinflusst auf diese Weise die sexuelle Appetenz (6, 7). Die Östrogene selbst sind für die sexuelle Appetenz nicht ausschlaggebend. Sie wirken auf die somatischen Strukturen der biologischen Reproduktion, auf die somatischen Strukturen des Lusterlebens (Klitoris, Lubrikation, u.a.) und auf die körperlich-sexuelle Attraktivität (8). Gestagene beeinflussen die sexuelle Appetenz in Abhängigkeit von der Höhe ihrer Serumkonzentrationen. Niedrige Serumprogesteronspiegel gehen mit einer hohen Libido und hohe Serumprogesteronspiegel mit einer niedrigen Libido einher. Auch das Testosteron wird zyklusabhängig gebildet (in der ersten Zyklushälfte mehr, in der zweiten weniger).
Östrogen-Gestagen-Kombinationen und Sexualität
Die in den hormonalen Kontrazeptiva enthaltenen synthetischen Östrogene und Gestagene beeinflussen den SHBG-Spiegel in unterschiedlicher Intensität. Das überwiegend enthaltene Ethinylestradiol erhöht stark den SHBG-Spiegel und erniedrigt damit das Testosteron. Das Estradiol respektive das Estradiolvalerat führt dagegen nur zu einem leichten Anstieg
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des SHBG. Das scheint demnach für die Libido günstiger. Die synthetischen Gestagene wirken in Abhängigkeit von ihren Partialwirkungen entweder SHBG-erhöhend (Cyproteronacetat, CPA; sowie Chlormadinonacetat, CMA) oder SHBG-erniedrigend (Levonorgestrel, LNG; Norethisteronacetat, NETA; Lynestrenol). Dagegen verändern Dienogest und das Drospirenon kaum die SHBG-Spiegel. Die Erhöhung des SHBG, beispielsweise durch Ethinylestradiol in den hormonalen Kontrazeptiva, führt zu einer vermehrten Bindung von Testosteron und Dihydrotestosteron an das SHBG. Dadurch verringern sich signifikant die Serumspiegel von Gesamttestosteron (T), freiem Testosteron (FT) sowie der Wert des Freie-Androgen-Indexes (FAI) (6, 7). Orale Kontrazeptiva unterdrücken das FSH und das LH, vermindern die ovarielle Sekretion von Testosteron in der Zyklusmitte und bewirken eine tonische Testosteron-Sekretion über den gesamten Zyklus (9). Das führt zu einer gleichbleibenden sexuellen Appetenz. Das wurde auch durch die Studie von Alexander et al. (5) untermauert. Die sexuelle Appetenz war bei Anwenderinnen oraler Kontrazeptiva stabil und schwankend bei den Nichtnutzern. Das ging einher mit dem Muster der T-Sekretion in jeder Gruppe. Pillenanwenderinnen waren insgesamt zufriedener mit ihrem sexuellen Verhalten und Erleben sowie freizügiger in ihren sexuellen Handlungen. Die Arbeitsgruppe um Graham et al. (10) schlussfolgert, dass nachteilige Veränderungen in der Sexualität von der Intensität der Reduktion des freien Testosterons unter der Einnahme des Kontrazeptivums abhängt und eine nachteilige Beeinflussung der sexuellen Appetenz dann eintritt, wenn die Höhe des freien Testosterons unter eine bestimmte «kritische Schwelle» absinkt (< 2,19 pmol/l). In der Onlinestudie von Wallwiener et al. (11) mit 1086 Medizinstudentinnen liessen sich dagegen keine signifikanten Korrelationen zwischen der Höhe des Ethinylestradiols (20 µg, 30 µg, > 30 µg) und der Partialwirkung des Gestagens (androgene vs. antiandrogene Partialwirkung) sowie der sexuellen Appetenz, der Erregung und der Befriedigung (FSFIScore) nachweisen. Diese Studie lässt den Schluss zu, dass die Höhe der SHBG-Spiegel, durch die verschiedenen hormonalen Kontrazeptiva unterschiedlich beeinflusst, sich nicht allein auf die sexuelle Appetenz und die sexuelle Erregung auswirkt.
Klinische Studien
In zahlreichen klinischen Studien wurde der Einfluss verschiedener hormonaler Kontrazeptiva (unterschiedliche Dosierung, Kombinationen, Östrogene und Gestagene, Applikationsformen) auf die weibliche Sexualität untersucht.
Tabelle:
Einfluss zweier hormonaler Kontrazeptiva (Cilest®: Ethinylestra-
diol 0,035 mg, Norgestimat 0,25 mg; Marvelon®: Ethinylestradiol 0,03 mg, Deso-
gestrel 0,15 mg) auf das Gesamttestosteron (T), das freie Testosteron (FT) und den freien Androgenindex (FAI)
(modifiziert nach [7])
Serum
SHBG (nmol/l) Ci Ma
T (nmol/l) Ci Ma
FT (pmol/l) Ci Ma
FAI Ci Ma
Kontrollzyklus n = 100 55 61 2,26 2,48 5,79 7,08 4,74 4,73
Pillenzyklus 4 n = 90 173 201 1,81 2,05 2,59 3,02 1,14 1,09
Pillenzyklus 6 n = 88 174 217 170 1,98 2,61 2,88 1,28 0,98
Ein-Phasen-Kombinationspräparat versus Drei-Phasen-Präparat 1988 verglichen Warner und Bancroft (12) den Einfluss von niedrig dosierten Ein-Phasen-Kombinationspräparaten (≤ 30 µg) mit Drei-Phasen-Kombinationspräparaten bezüglich ihrer Auswirkung auf die sexuelle Appetenz. Dabei stellten sie zwischen beiden Präparateformen in keiner Phase der Anwendung (prä-, post oder intermenstruell) signifikante Unterschiede bezüglich der Libido fest. Unter beiden Präparateformen war die sexuelle Appetenz nach der Menstruation am grössten. Greco et al. verglichen 2007 zwei Drei-Phasen-Präparate hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Androgene und deren Auswirkung auf die Stimmung und die Sexualität: Ethinylestradiol (EE 20 µg vs. 35 µg) plus Norgestimat (NGM 0,18 mg; 0,215 mg; 0,25 mg) versus Ethinylestradiol 25 µg plus Norgestimat (NGM 0,18 mg; 0,215 mg; 0,25 mg). Nach drei Monaten war das Gesamttestosteron nicht verändert. Das freie Testosteron war jedoch signifikant verringert. Auf die sexuelle Appetenz hatte das aber keine signifikanten Auswirkungen.
Kombinationspräparat mit Drospirenon 3 mg/EE 20 µg Einnahmerhythmus 21+7 Tage Skrzypulec und Drosdzol publizierten 2008 Daten einer randomisierten Studie (13), in der ein orales Kombinationspräparat mit Drospirenon 3 mg/EE 20 µg im Rhythmus von 21 Tagen mit siebentägiger Pause eingenommen wurde, im Vergleich zu anderen Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparaten. Drospirenon (DRSP) hat eine antiandrogene und antimineralokortikoide Wirkung; auf den SHBG-Spiegel wirkt es neutral. Es ist Bestandteil verschiedener oraler Kombinationspräparate. In mehreren Studien wurde deren Auswirkung auf die weibliche Sexualität untersucht.
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Mittels des Female-Sexual-Function-Indexes (FSFI) wurden die Daten erhoben, dabei waren im Vergleich der Gruppen keine signifikanten Unterschiede festzustellen. Es wurde kein Zusammenhang zwischen einem Libidoverlust und der Pillenanwendung nachgewiesen.
Einnahmerhythmus 21+7 versus 24+4 Tage Caruso und Kollegen publizierten 2011 Ergebnisse einer prospektiven, randomisierten Studie (14), in der sie ein orales Kombinationspräparat in der gleichen Zusammensetzung untersuchten. Dabei verglichen sie die Auswirkungen des Einnahmerhythmus von 21+7 Tagen (= 21 Tage OC-Anwendung; 7 Tage Pause) mit dem verlängerten Rhythmus von 24+4 Tagen auf die Sexualität. In der Gruppe der Frauen mit dem 24+4-Rhythmus (61 Frauen) wurde eine signifikante Verbesserung von Lust und Erregung, Orgasmus und Zufriedenheit ab Blister 3 gegenüber der 21+7-Gruppe ermittelt (p < 0,05).
Kombinationspräparat mit Dienogest/E2V versus Levonorgestrel 0,15 mg/EE 30 µg Nappi et al. berichteten über die Ergebnisse einer doppelblinden, randomisierten Studie (14), in der die Wirkung von Dienogest/E2V (Östrogen-Step-downund Gestagen-Step-up-Therapie) gegenüber Levonorgestrel (LNG) 0,15 mg/EE 30 µg auf die Libido und die Kontrazeptiva-assoziierte FSD (= Female Sexual Dysfunction) untersucht wurde. Dienogest und Estradiol erhöhen nicht das SHBG. Levonorgestrel senkt das SHBG, während das Ethingestradiol den SHBG-Spiegel anhebt. Es wurden Frauen in die Studie eingeschlossen, die unter ihrem bisherigen kombinierten Kontrazeptivum an Female Sexual Dysfunction litten (FSFI unter 19); dabei wurden Daten von 191 Frauen ausgewertet. In der Gruppe E2V/DNG betrug der mittlere Anstieg des FSFI bezüglich Lust und Erregung 5,90 (Standardabweichung [SD]: 5,45) (last observation carried forward; p < 0,0001). In der Gruppe EE/LNG betrug der mittlere Anstieg des FSFI bezüglich Lust und Erregung 5,79 (SD: 6,17) (last observation carried forward; p < 0,0001). Damit konnte für beide Präparate (E2V/DNG, EE/LNG) eine Verbesserung der sexuellen Appetenz, der sexuellen Erregung, der Lubrikation, des Orgasmus und der Zufriedenheit nachgewiesen werden für die Frauen, die unter anderen Kombinationspräparaten eine Sexualstörung beklagten.
Kombinationspräparat mit CMA 2 mg und EE 30 µg Mehrere Studien wurden zum Einfluss von Chlomadinonacetat (CMA) auf die Sexualität durchgeführt. CMA hat eine antiandrogene Partialwirkung und er-
höht stark das SHBG. Damit ist eine Reduktion der Libido, der sexuellen Erregung und Befriedigung nicht auszuschliessen. Worret et al. (15) stellten beim Vergleich von oraler Kontrazeptiva mit 2 mg CMA und 0,03 EE versus 0,03 mg EE + 0,15 mg Levonorgestrel bei 200 Frauen keine Reduktion der Libido fest. Schramm und Steffens (16) fanden altersspezifische Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit der Abnahme der Libido unter einem oralen Kontrazeptivum mit 2 mg CMA und 0,03 EE, welche aber in keiner Gruppe grösser als 1% waren. Zahradnik und Hanjalic-Beck (17) gaben mit der gleichen Medikation durchschnittlich nur bei 2% der Frauen eine Abnahme der Libido an: von 4,4% im Zyklus 7 bis zu 1,3% im Zyklus 42. Fast ebenso hoch war der Anteil der Frauen mit einem Libidoanstieg. 781 Frauen wurden bis zu 45 Zyklen lang beobachtet.
Depotinjektionen mit Medroxyprogesteronacetat (MPA) Hohe Dosen an MPA unterdrücken oft die Serumestradiolspiegel erheblich. Das führt zu vaginaler Trockenheit, mangelnder Lubrikation und zu Dyspareunie. Das bedingt eine Female Sexual Dysfunction. Nelson (18) berichtete, dass von 2138 Frauen 5,8% eine Verminderung oder einen Verlust der sexuellen Appetenz und 11,6% depressive Verstimmungen beklagten. Schaffir et al. (19) verglichen den Einfluss von Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparaten versus Depot-MPA auf die Serumhormonspiegel und das Sexualverhalten der Frauen. Das freie Testosteron (FT) war unter den kombinierten Pillen niedriger als unter Drospirenon (0,2 vs. 0,6 pg/ml; p < 0,0001). Das Estradiol war unter kombinierten Pillen höher als unter Drospirenon (75,8 vs. 62,8 pg/ml; p = 0,0057). Jedoch hatte das keinen differenten Einfluss auf die Sexualität (FSFI ohne signifikante Unterschiede). Ott et al. (19) kamen 2008 in einer Studie mit 328 14bis 17-jährigen Jugendlichen, die über 41 Monate beobachtet wurden, zu gleichen Ergebnissen. Ein signifikanter Nachweis einer negativen Beeinflussung der sexuellen Appetenz durch Drospirenon war nicht nachweisbar.
Subdermales Implantat Prospektive, randomisierte Studien hinsichtlich des Einflusses der Implantate auf die Sexualität liegen nicht vor. Implanon® setzt täglich 68 µg Etonogestrel, den aktiven Metaboliten des Desogestrel, frei. Faundes et al. (2002) (20) berichteten, dass weltweit 2 bis 5,4% der Anwenderinnen von Implantaten (Norplant®, Jardelle®, Implanon®) Störungen der sexuellen Appetenz haben und dies in 0 bis 0,8% der Fälle zur Entfernung des Implantats führe. Gezginc et al. (2007) (21) fanden, dass 5% der Impla-
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non®-Anwenderinnen über eine Abnahme der Libido klagen. 2,5% lassen sich aus diesem Grund das Implantat vorzeitig entfernen.
LNG-freisetzendes, intrauterines System Die Daten über den Zusammenhang zwischen dem LNG-freisetzenden, intrauterinen System Mirena® und der Sexualität sind sehr different. Das intrauterine System setzt täglich 20 µg Levonorgestrel (LNG) frei. In der Dosierung erfolgt keine zentrale Hemmung der Ovulation, und damit sind die endogenen zyklischen Rhythmen nicht unterdrückt. LNG führt zu einem Absenken des SHBG und damit sekundär zu einem Ansteigen der Androgene. Das ist grundsätzlich positiv für die Sexualität. In der Literatur werden folgende Raten an Reduktion der sexuellen Appetenz unter Mirena® angegeben: 10% (22), 12% (23), 16% (24), 20% (25), 30% (26). Neuere Studien finden dagegen keine signifikante Beeinträchtigung der sexuellen Appetenz. Skrzypulec und Drosdzol (13) geben keine Abnahme der Libido unter Mirena® an, wie ein Vergleich mit den Anwenderinnen von Kupfer-IUD oder Nichtanwenderinnen zeigt. Auch in der Studie von Suhonen et al. (27) wurden keine signifikanten Unterschiede bezüglich der sexuellen Appetenz, der sexuellen Erregung und Befriedigung unter Anwendung der LNG-IUS im Vergleich zu KOK und Kupfer-IUD gefunden.
Vaginalring Seit dem Jahr 2003 besteht die Möglichkeit der vaginalen hormonalen Kontrazeption. Der Ring wird während der Menstruationsblutung eingesetzt und verbleibt dann drei Wochen in der Scheide. Danach folgt eine einwöchige ringfreie Zeit. Der Vaginalring setzt über 24 Stunden im Durchschnitt 0,120 mg Etonogestrel und 0,015 mg Ethinylestradiol frei. Etonogestrel ist der aktive Metabolit von Desogestrel. Die Wirkungsweise des Vaginalrings basiert wie bei den kombinierten Kontrazeptiva auf dem Prinzip der Ovulationshemmung. Ebenso hoch ist dessen kontrazeptive Sicherheit. Durch die Anwesenheit des Rings in der Scheide stellen sich für die Anwenderinnen und auch für deren Partner Fragen nach möglichen negativen Auswirkungen, darunter auf die Sexualität (8), und zwar durch Beeinträchtigung beim Penetrieren, beim Geschlechtsverkehrs generell, durch Missempfindungen bei beiden Partnern durch das Spüren des Rings oder auch durch Verlust des Rings beim Geschlechtsverkehr. Zur Untersuchung des Einflusses des Vaginalrings auf die Sexualität liegen mehrere Studien vor (27–30) vor. Guida und Kollegen (28) führten eine offene, randomisierte Single-Center-Studie über den Einfluss von vaginalen und oralen hormonellen Kontrazeptiva auf die Sexualität von Frauen und deren Partnern durch.
Abbildung: Einfluss des Vaginalrings auf die Sexualität: Ein Grossteil der Frauen und ihrer Partner spürt den Vaginalring nicht (28).
Verglichen wurden 28 Frauen mit dem NuvaRing® mit 26 Frauen mit einem kombinierten oralen Kontrazeptivum (150 µg DSG und 20 µg EE) sowie 25 Frauen ohne hormonale Kontrazeption nach 3 und 6 Zyklen. Evaluiert wurde die Sexualität mit einem modifizierten semistrukturierten Interview. Die Frauen der NuvaRing®-Gruppe und auch die Pillenanwenderinnen berichteten signifikant häufiger (p < 0,01) als Frauen ohne hormonelle Kontrazeption über eine Verbesserung der Sexualität hinsichtlich des sexuellen Interesses, der sexuellen Appetenz, der sexuellen Aktivitäten, der Häufigkeit und der Intensität des Orgasmus sowie der sexuellen Zufriedenheit. Die Frauen mit dem NuvaRing® berichteten im Vergleich zu den Frauen mit dem Kombinationspräparat oder denjenigen ohne hormonelle Kontrazeption darüber hinaus auch über eine signifikante Steigerung (p < 0,001) der sexuellen Fantasien, der sexuellen Appetenz und der sexuellen Aktivitäten. Bemerkenswert ist die Steigerung der sexuellen Fantasien unter der Ringanwendung. Möglicherweise führt die besondere Lage des Ringes in der Scheide zu einem stimulierenden Effekt, welcher sowohl die sexuelle Erregung als auch die sexuellen Fantasien steigert. Etwa 10% der Frauen und etwa 30% der Partner spürten den Vaginalring zumindest gelegentlich (Abbildung).
Schlussfolgerungen
Hormonale Kontrazeptiva bieten in hervorragender Weise die Möglichkeit, angstfrei Sexualität erleben zu können. Das ist die wichtigste Voraussetzung für eine ungestörte Sexualität. Die in der Praxis von Patientinnen immer wieder genannte Verringerung der sexuellen Appetenz lässt sich durch die Studien nicht belegen. Im Gegenteil treten durch einige hormonale Kontrazeptiva, insbesondere den Vaginalring, steigernde Effekte auf. Negative Effekte scheinen im Zusammenhang mit der Höhe des SHBG-Spiegels zu stehen, der durch die verschiedenen Östrogene und synthetischen
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Gestagene unterschiedlich beeinflusst wird. Ob eine
Erhöhung des SHBG und das dadurch bedingte Ab-
sinken der Serumandrogene zu einer Verminderung
der sexuellen Appetenz führt, scheint von der gene-
tisch individuell unterschiedlichen Empfindlichkeit
des Androgenrezeptors abzuhängen. Das kann je-
doch zurzeit in der Routinepraxis nicht nachgewiesen
werden.
Sexuelle Störungen können aber nicht nur auf medi-
zinisch-biologische Faktoren reduziert werden. Es
müssen immer die partnerschaftlichen und psycho-
sozialen Aspekte miterfasst werden. Das erfordert
beim Auftreten von sexuellen Störungen immer auch
eine umfassende Sexualanamnese und ein diagnos-
tisches Gespräch, um andere die Sexualität beein-
flussende Faktoren (Partnerkonflikte, Stress, Ängste,
Krankheiten, Medikamente u.a.) auszuschliessen.
Sollte man sich im Fall einer Libidostörung in der Pra-
xis für einen Wechsel des hormonalen Kontrazepti-
vums entscheiden, kämen nach Studienlage fol-
gende Optionen (keine Rangfolge) infrage:
I Option 1: Vaginalring: EE 15 µg + 120 µg Etono-
gestrel
I Option 2: EE 20 µg + LNG 100 mg
I Option 3: E2 3-2-1 mg (Step down) + DNG 2-3 mg
(Step up)
I Option 4: EE 20 µg + DRSP 3 mg, 24+4-Regime
I Option 5: EE 30 µg + CMA 2 mg.
I
Prof. Dr. med. Hans-Joachim Ahrendt Praxis für Frauenheilkunde, Klinische Forschung und Weiterbildung Lehrauftrag Sexualmedizin, Universitätsfrauenklinik Magdeburg D-39112 Magdeburg E-Mail: ahrendt@prof-ahrendt-frauenarzt.de
Interessenkonflikte: Prof. Ahrendt ist Mitglied von Advisory Boards oder Referent der Firmen Bayer, Jenapharm, MSD, Gedeon Richter, Velvian, Medici, Dr. Kade und Pfizer.
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Merkpunkte
I Hormonale Kontrazeptiva können sich fördernd, aber auch hemmend auf die sexuelle Appetenz auswirken.
I Die Fähigkeit der Östrogene und synthetischen Gestagene in unterschiedlicher Weise das SHBG zu erhöhen, zu senken oder nicht zu beeinflussen, verändert differenziert die Höhe der Serumandrogene.
I Nicht bei allen Frauen besteht eine direkte Beziehung zwischen der Höhe der EE-Dosis oder der Partialwirkung des Gestagens und der Stärke der sexuellen Appetenz.
I Neben biologisch-medizinischen Faktoren müssen sexuelle Funktionsstörungen stets im Kontext mit der Partnerschaft und psychosozialen Faktoren gesehen werden.
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