Transkript
SERIE Notfallmedizin in der Frauenheilkunde
Nr. 3:
Akuter Unterbauchschmerz
Vorgehen in der Praxis
Akute Unterbauchschmerzen sind ein häufiger Konsultationsgrund in einer gynäkologischen Praxis. Einerseits gilt es, die nicht immer einfachen gynäkologischen Differenzialdiagnosen zu unterscheiden, andererseits müssen auch abdominale und extraabdominale Ursachen in Betracht gezogen werden.
In dieser mehrteiligen Serie werden ausgewählte Themen in der Notfallmedizin für den frauenärztlich tätigen Praxisarzt vorgestellt.
rung der Darmperistaltik, Verschlechterung des Allgemeinzustandes und eventuell Kreislaufstörungen bis zum Kreislaufschock.
ESTHER SCHMITT-EGGENBERGER
Dem niedergelassenen Arzt stellt sich dabei die Frage, ob das Krankheitsbild so schwerwiegend ist, dass eine Klinikeinweisung notwendig ist, oder ob vorerst exspektativ vorgegangen werden kann. Insbesondere sind diejenigen Krankheitsbilder nicht zu verpassen, welche operativ behandelt werden müssen, um einen lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf abzuwenden und auch um bei Frauen im reproduktiven Alter die Fertilität zu erhalten.
Von akuten Bauchschmerzen spricht man, wenn die Schmerzen plötzlich eingesetzt haben und erst seit Kurzem bestehen. Dahinter können sich unspezifische Beschwerden bis zu lebensbedrohliche Erkrankungen verbergen. Das akute Abdomen dagegen ist immer alarmierend, es bedarf schneller Abklärungen und meistens einer operativen Therapie. Die Leitsymptome des akuten Abdomens sind akut einsetzende, heftige Bauchschmerzen, Abwehrspannung, Stö-
Tabelle 1:
Wesentliche Fragestellungen in der Anamnese bei Patientinnen mit akutem Unterbauchschmerz in der Praxis
Schmerzanamnese Begleiterscheinungen Gynäkologische Anamnese
Allgemeine Anamnese
Dauer Beginn auslösendes Ereignis Verlauf Lokalisation Ausstrahlung Nausea, Emesis Miktions- und Defäkationsprobleme Fieber letzte Periode Zyklus Blutungsstörungen Antikonzeption bestehender Kinderwunsch Schwangerschaft Fluor Erkrankungen Voroperationen Medikamente Trauma
Vorgehen in der Praxis
Wichtig ist immer der erste Eindruck, welcher eine Patientin dem Arzt vermittelt. Besteht der Verdacht auf eine akute Gefährdung der Patientin (Allgemeinzustand, Hautkolorit, Schmerzen), ist die Überwachung der Vitalparameter indiziert. Dann ist eine zügige Abklärung mit eventuell schneller Einweisung in die Klinik notwendig.
Erhebung der Anamnese Auch bei stark beeinträchtigter Patientin ist die Erhebung einer (zumindest rudimentären) Anamnese wichtig. Es muss immer abgeklärt werden, ob die Schmerzen in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft stehen. Falls es der Zustand der Patientin erlaubt, sollten die in Tabelle 1 aufgeführten Aspekte in der Anamnese vorgängig geklärt werden.
Schwangerschaftstest und körperliche Untersuchung Bei allen Patientinnen im reproduktiven Alter soll obligat ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Tabelle 2 beschreibt das Vorgehen der körperlichen Untersuchung.
Vaginale Ultraschalluntersuchung Hier erfolgt die Beurteilung des Uterus und der Adnexe. Bei positivem Schwangerschaftstest muss der korrekte Sitz der Schwangerschaft verifiziert werden. Bei viel freier Flüssigkeit im Abdomen respektive bei Verdacht auf ein koagelgefülltes kleines Becken sollte ebenfalls der Oberbauch nach freier Flüssigkeit untersucht werden.
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Uristix (evtl. Urinkultur) und Labordiagnostik Zum Ausschluss eines akuten Harnwegsinfekts erfolgt die Untersuchung mittels Uristix, eventuell mittels Urinkultur. Besteht der Verdacht auf eine hämodynamisch relevante Blutung oder ein entzündliches Geschehen, ist die Durchführung einer Blutentnahme mit Bestimmung des Hämoglobins, der Leukozyten, des CRP und bei unklarer Schwangerschaft auch des Beta-HCG indiziert.
Differenzialdiagnosen
Kann keine eindeutige gynäkologische Diagnose gestellt werden, muss entschieden werden, ob eine Überweisung an einen anderen Spezialisten zu veranlassen ist oder ob exspektativ vorgegangen werden kann. Für ein abwartendes Verhalten mit allenfalls analgetischer Behandlung sprechen folgende Punkte: I guter Allgemeinzustand I kein Fieber I leichte bis mittelstarke Symptomatik I erster Eindruck weist auf «nicht ge-
fährliche» Symptomatik hin I kein Stuhl- oder Windverhalt I keine blutige Diarrhö. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind in Tabelle 3 aufgeführt.
Tabelle 2:
Körperliche Untersuchung bei Frauen mit akutem Unterbauchschmerz
Abdomen
Äusseres Genitale Spekulumuntersuchung
Bimanuelle Untersuchung
Nativpräparat des Vaginalsekrets Leisten Nierenlogen
Inspektion Auskultation Palpation Inspektion Inspektion der Vagina und der Portio Entnahme von Abstrichen auf Gonokokken/ Chlamydien bei prämenopausalen Patientinnen evtl. Entnahme einer allgemeinen Bakteriologie Portioschiebe-/-lüftungsschmerz? Druckdolenz Uterus/Adnexe? Unterbauchtumor?
Untersuchung der Lymphknoten Prüfung der Druckdolenz
Tabelle 3:
Differenzialdiagnosen bei Unterbauchschmerzen
Gynäkologische Ursachen Ovarialzysten (Ruptur, Torsion) PID (pelvic inflammatory disease) Abort Extrauteringravidität Überstimulationssyndrom Endometriose Malignome (meist fortgeschrittene) Ovulation Myome (Nekrose, Stieldrehung) Beckenvenenthrombose
Extragenitale Ursachen Appendizitis Divertikulitis Zystitis, Pyelitis, Urolithiasis Darmperforation Ileus M. Crohn, Colitis ulcerosa Malignome Hernien Trauma, Blutung Aortenaneurysma intestinale Embolien, Thrombosen
Voroperationen chirurgische Komplikationen Adhäsionen mechanische Komplikationen Infektion Abszessbildung
Differenzialdiagnostische Überlegung in der gynäkologischen Praxis
Folgende Aspekte sollten bei akuten Unterbauchschmerzen bedacht respektive ausgeschlossen werden: 1. Besteht eine Schwangerschaft? 2. Gibt es Anzeichen für eine aszendie-
rende Infektion? 3. Besteht eine akute intraabdominale
Blutung? 4. Kann eine Stieldrehung vorliegen?
Besteht eine Schwangerschaft? Bei positivem Schwangerschaftstest muss der Sitz der Schwangerschaft verifiziert werden. Ist das nicht möglich, ist bei akuten Unterbauchschmerzen immer an eine Extrauteringravidität (EUG) zu denken. Die quantitative Bestimmung des BetaHCG ist dann als nächster Schritt indi-
ziert. Bei einem Beta-HCG-Wert < 1500– 2000 IU/l kann eine Schwangerschaft sonografisch teilweise noch nicht dargestellt werden. Bei oligosymptomatischer Patientin kann – nach ausführlicher Instruktion, sich bei Zunahme der Schmerzen sofort notfallmässig vorzustellen – exspektativ vorgegangen werden. Eine Verlaufskontrolle sollte dann nach 2 bis 3 Tagen erfolgen. Bei einer intakten Schwangerschaft verdoppelt sich der Beta-HCG-Wert in diesem Zeitraum. Bei einem Beta-HCG-Wert > 2000 IU/l sollte eine intrauterine Schwangerschaft sonografisch sichtbar sein. Im vaginalen Ultraschall stellt sich die EUG als ein Adnexbefund dar, welcher typischerweise zwischen Uterus und Ovar liegt. Eine Chorionhöhle, ein Dottersack oder Embryo sind dagegen selten zu sehen. Liegt
viel freie Flüssigkeit im Abdomen vor, besteht der hochgradige Verdacht auf eine rupturierte EUG, und die unverzügliche Operation ist erforderlich.
Gibt es Anzeichen für eine aszendierende Infektion? Berichtet die Patientin über vermehrten Fluor? Ist das Nativpräparat des Vaginalsekrets voller Leukozyten? Hat die Patientin Fieber? Sind die Entzündungswerte im Blut erhöht? Bei einem positiven Portioschiebe- und -lüftungsschmerz sowie Leukorrhö im Nativpräparat ist primär an eine Adnexitis/PID (pelvic inflammatory disease) zu denken. Dabei kann sich die Patientin mit leichten, aber auch mit stärksten Unterbauchschmerzen präsentieren. Die sonografischen Zeichen sind unspezi-
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fisch und nicht richtungsweisend. Um Spätfolgen (Sterilität, EUG) möglichst zu vermeiden, sollte eine frühzeitige Behandlung erfolgen. Bei Verdacht auf eine Adnexitis ist bei einer jungen, sexuell aktiven Patientin nach Ausschluss anderer Ursachen für die Unterbauchschmerzen die antibiotische Therapie gerechtfertigt. Die Indikationen für eine Hospitalisation bei PID sind folgende: I schwere PID mit starken Bauch-
schmerzen mit Verdacht auf Pelveoperitonitis, Nausea, Emesis I reduzierter Allgemeinzustand I Tuboovarialabszess I fehlende Wirkung oder Unverträglichkeit der ambulanten Therapie I Indikation zur operativen Diagnostik/ Therapie. Ein septischer Abort oder zerfallende Karzinome können ebenfalls zu schweren, teilweise lebensbedrohlichen Infektionen führen. Postpartal oder postoperativ kann eine Endomyometritis auftreten.
Besteht eine akute intraabdominale Blutung? Mittels Vaginalsonografie kann eine intraabdominale Flüssigkeitsansammlung schnell und problemlos identifiziert werden. Die Flüssigkeitsmenge zu schätzen, ist dagegen nicht einfach. Flüssigkeitsdepots, welche sich vor allem in einer Adnexloge oder dem Douglas-Raum befinden, sind weniger bedenklich. Findet sich jedoch auch Flüssigkeit vor dem Uterus, zwischen den Darmschlingen oder sogar im Oberbauch, ist von einer erheblichen Blutung auszugehen und eine schnelle operative Therapie zu indizieren. Ist das intraabdominale Blut im kleinen Becken koaguliert, kann es dazu kommen, dass keine freie Flüssigkeit im Douglas-Raum sichtbar ist. Dann stellen sich jedoch inhomogene Raumforderungen rund um den Uterus dar, welche nicht mit dem Darm verwechselt werden sollten. Besteht der Verdacht auf eine rupturierte Ovarialzyste, kann bei kleineren Zysten und wenig Flüssigkeit im Abdomen konservativ vorgegangen werden. Indikation für eine Laparoskopie sind folgende:
Abbildung: Akute Unterbauchschmerzen – Vorgehen in der Prä- und in der Postmenopause
I Zystengrösse ab 6 bis 8 cm Durchmesser
I intraabdominale Flüssigkeitsmenge > 3 dl
I schlechter Allgemeinzustand der Patientin.
Bei frischer Ruptur sollte eine kurzfristige klinische sowie Hämoglobinkontrolle, eventuell in einem stationären Setting, zur Überwachung veranlasst werden, da der Blutungsverlauf noch nicht abgeschätzt werden kann.
Kann eine Stieldrehung vorliegen? Bei einer Adnextorsion präsentiert sich die Patientin mit sehr starken Schmerzen, welche meist plötzlich eingesetzt haben. Klinisch bestehen die Zeichen des akuten Abdomens. Ebenfalls zeigt sich ein deutlicher Portioschiebe- und -lüftungsschmerz. Zur Adnextorsion kommt es erst bei Vorhandensein eines Adnextumors ab einer gewissen Grösse (ab ca. 5–6 cm). Die Adnextumore können sowohl ovariellen wie auch tubären Ursprungs sein, ebenfalls kann es zu einer Torsion eines gestielten Myoms kommen. Sonografisch ist somit ein Adnextumor darstellbar. Die Dopplerdiagnostik der Adnexe ist dagegen nicht spezifisch, da ein unauffälliger Dopplerbefund eine Torsion nicht ausschliesst. Die Indikation zur Laparoskopie ist bei Verdacht auf Torsion immer gegeben.
Eine Übersicht über das Vorgehen in der
gynäkologischen Praxis bei prä- und
postmenopausalen Frauen bei Ver-
dachtsdiagnose sowie das weitere Vor-
gehen zeigt die Abbildung.
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Dr. med. Esther Schmitt Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich 8091 Zürich E-Mail: esther.schmitt@usz.ch
Quellen: Sandholzer H, Lipp T, Bungert-Kahl P, Sandholzer MA, Karg T. Der akute Bauchschmerz: zwischen banal und hochgefährlich. Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32: 238–243. Kamin RA, Nowicki TA, Cortney DS, Powers RD. Pearls and pitfalls in the emergency department evaluation of abdominal pain. Emerg Med Clin North Am 2003; 21: 61–72. David M, Ebert AD. Differenzialdiagnostik bei akuten Unterbauchschmerzen in der Gynäkologie. Frauenheilkunde up2date 2008; 5: 459–474. Süss J. Gynäkologische Notfalldiagnostik: Akutes Abdomen. Die Gynäkologie, 2. Auflage, Springer-Verlag Heidelberg: 682–684.
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