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SCHWERPUNKT
Vaginale Geburt bei Status nach Sectio
Das hätte sich Jakob Nufer in Siegershausen, Kanton Thurgau, auch nicht träumen lassen, als er im Jahre 1500 den ersten Kaiserschnitt im deutschsprachigen Raum zur Rettung seiner Frau durchführte und damit die Geschichte des modernen Kaiserschnitts eröffnete ...
Teil 2: Maternale und fetale Risiken sowie Betreuung ab Geburtstermin
Die Kaiserschnittrate steigt in vielen Ländern seit den 1980er Jahren kontinuierlich an. In der Folge steigt der Anteil der Frauen mit einer erneuten Schwangerschaft, die vorhergehend durch Sectio entbunden wurden. Das Ziel dieses Artikels ist eine möglichst unbeeinflusste Darstellung der aktuellen Literatur im Hinblick auf die vaginale Entbindung von Frauen nach vorausgegangener Sectio.
THOMAS ROOS
Teil 1: Problematik, Voraussetzungen, Kontraindikationen. In: GYNÄKOLOGIE 2013; 2: 18–22.
Maternale Risiken der VBAC
Risiko Uterusruptur Die Wahrscheinlichkeit einer befürchteten Uterusruptur ist als eher gering einzuschätzen. Studien der letzten Jahre geben das Risiko einer Uterusruptur bei VBAC mit 0,7 bis 2,3% an (18, 23, 24). Kürzlich publizierte Untersuchungen aus Grossbritannien und Australien zeigen ähnliche Ergebnisse. In Grossbritannien wurden in der Zeit von April 2009 bis April 2010 bei insgesamt 852 206 Geburten 159 Uterusrupturen registriert, von denen 139 bei Frauen mit vorhergehender Sectio caesarea auftraten. Damit lag die Häufigkeit der Uterusruptur insgesamt bei 2 auf 10 000 Geburten (25). Bei vorausgegangener Sectio war epidemiologisch bei einem folgenden vaginalen Entbindungsversuch in 21 von 10 000 Geburten eine Uterusruptur aufgetreten gegenüber 3 von 10 000 in der Gruppe der Frauen, die sich für eine erneute Sectio caesarea entschieden. Andere in der Studie identifizierte Risiken für eine Uterusruptur bei VBAC waren 2 oder mehr vorausgegangene Kaiserschnitte, ein Zeitabstand von weniger als 12 Monaten zum vorhergehenden Kaiserschnitt sowie die Geburtseinleitung und die Unterstützung der Geburtswehentätigkeit mit Oxytocin. Andererseits wird in der Publikation auch festgestellt, dass insgesamt das Risiko einer Uterusruptur bei VABC-Versuch als niedrig einzustufen ist und einen kalkulierbar sicheren Geburtsweg darstellt. Bei kurzem Schwangerschaftsintervall von 12 bis 24 Monaten zwischen den Geburten ist das Risiko um das Zwei- bis Dreifache für eine Uterusruptur erhöht (10, 26). In einer anderen Studie hatten Schwangere,
die einen VBAC-Versuch unternahmen und deren letzte Geburt weniger als 24 Monate zurücklag, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von 32% einer Sectio unter dem Geburtsversuch im Vergleich zu 25% bei denjenigen, deren Geburt mehr als 24 Monate zurücklag (5).
Weitere Komplikationen Die Komplikationen bei mehrfacher Sectio caeaserea wie Infektion, Thrombose, längere Erholungszeit sind ebenso wenig zu vernachlässigen wie die Komplikationsmöglichkeiten bei einer erneuten Schwangerschaft: Uterusrupturen können bereits während der Schwangerschaft und noch vor Beginn der Geburtswehentätigkeit häufiger bei vorausgegangener Sectio eintreten. Ebenso können starke transfusionspflichtige Blutungen sowie die Notwendigkeit einer Hysterektomie (ggf. wegen einer Uterusruptur) steigen. Die Wahrscheinlichkeit einer Placenta accreta bei Schwangerschaft nach vorausgegangener Geburt durch Sectio wird in einer neueren britischen Publikation mit einer Adjusted Odds Ratio von 14,41 (95%-KI: 5,63–36,85) angegeben. Mit der höchsten Rate einer Placenta accreta/increta/percreta ist bei einer Schwangerschaft nach vorausgegangener Sectio und gleichzeitiger Placenta praevia in 577 von 10 000 Schwangerschaften zu rechnen, verglichen mit einer Hintergrundsrate von insgesamt 1,7 auf 10 000 bei allen Schwangeren (27).
Die Studienlage Eine randomisierte Studie zur VBAC fehlt bisher. Das liegt zu einem grossen Teil daran, dass sich nur we-
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nige Frauen im Hinblick auf die Geburt ihres Kindes einfach in eine Gruppe für vaginale Geburt respektive Geburt durch Sectio randomisieren lassen wollen. In dem Versuch, eine randomisierte Studie zur VBAC versus geplante wiederholte Sectio durchzuführen, gelang es einer australischen Untersuchergruppe lediglich bei 22 von 2345 Schwangeren, die Frauen von einer Eingliederung in den randomisierten Studienarm zu überzeugen (28). In dieser Studie zeigte sich, dass in der Gruppe der Schwangeren, die einen VBAC unternahmen, häufiger schwerwiegende Blutungen (> 1500 ml) auftraten als in der Gruppe der Frauen, die über eine primäre wiederholte Sectio (= primary repeat sectio cesarea delivery; PRCD) entbunden wurden (2,3% versus 0,8%). In einer dänischen retrospektiven Kohortenstudie unter Einschluss von 382 266 Patientinnen war das Risiko einer transfusionspflichtigen Hämorrhagie unter Geburt bei Frauen mit VBAC (n = 25 156) erhöht gegenüber einer geplanten wiederholten Sectio (29). In einer anderen Studie zeigten sich in der Gruppe der Frauen, die einen VBAC-Versuch unternahmen, signifikant grössere Risiken gegenüber der Schwangerengruppe, die über eine geplante wiederholte Sectio entbunden wurde. Hier war die Notwendigkeit einer Bluttransfusion erhöht (1,7% vs. 1%) und eine postpartale Endometritis häufiger (2,9% vs. 1,8%) (18). Diese höheren Inzidenzen in der Gruppe der Frauen, die einen VBAC-Versuch unternahmen, ist durch diejenigen Schwangeren begründet, bei denen der VBAC-Versuch nicht erfolgreich war und eine Notfallsectio durchgeführt werden musste. Bei dieser Art von Kaiserschnitt treten generell signifikant erhöhte Morbiditäten, insbesondere auch im Hinblick auf Blutverlust, Thrombose und Infektion, auf. Weiterhin zeigte die Studie, dass für den Fall eines nicht erfolgreichen VBAC-Versuches gegenüber einem erfolgreichen VBAC mit signifikant erhöhten Komplikationsraten gerechnet werden muss im Hinblick auf eine komplette Uterusruptur (2,31% vs. 1,1%), unvollständige Uterusruptur (2,1% vs. 0,145%), Hysterektomie (0,46% vs. 0,145%), Transfusion (3,19% vs. 1,16%) und Endometritis (7,67% vs. 1,16%). Keine statistisch signifikanten Unterschiede waren zwischen der VBAC- und der PRCD-Gruppe zu erheben im Hinblick auf Hysterektomie (0,23% vs. 0,3%), Thromboembolie (0,04% vs. 0,06%) und maternalen Tod (17/100 000 vs. 44/100 000). Die zahlenmässige Seltenheit dieser Ereignisse machen klärende Gruppenzuordnungen jedoch in dieser Studie schwierig. Die häufigste Ursache eines maternalen Todes bei vorausgegangener Sectio liegt weniger in einer Uterusruptur als vielmehr in der Folge anderer Komplikationen wie einer Thromboembolie, Fruchtwasserembolie, Präeklampsie oder auch chirurgischen Komplikationen. Ein mütterlicher Tod nach Uterusruptur in Zusammenhang mit einem VBAC-Versuch
liegt aufgrund einzelner Berichte in der industrialisierten Welt bei geschätzt unter 1/100 000 (30).
Fazit Insgesamt ist festzustellen, dass eine geplante wiederholte Sectio das Risiko für Komplikationen in einer Folgeschwangerschaft erhöht. Aus diesem Grund wäre auch der weitere Kinderwunsch der Frau ein Aspekt, der bei der Entscheidung über den Geburtsmodus nach vorausgegangener Sectio Berücksichtigung finden sollte.
Fetale Risiken des VBAC
Die Häufigkeit einer intrapartalen hypoxisch ischämischen Enzephalopathie ist signifikant grösser bei VBAC als bei PRCD (7,8/10 000 vs. 0). Ungefähr die Hälfte dieser Fälle trat in Kombination mit einer Uterusruptur auf (18). Schwere metabolische Azidosen mit pH-Werten unter 7,00 fanden sich in 33,0% der Neugeborenen bei Uterusruptur. In einer weiteren, kürzlich publizierten Studie ist die Inzidenz eines ernsthaft schlechten Neugeborenenzustandes bis hin zum fetalen oder neonatalen Tod in der Gruppe der per VBAC geborenen Kinder mit 2,4% versus 0,9% signifikant erhöht (RR: 0,39; KI: 0,19–0,80 – number needed to treat to benefit: 66; 95%-KI: 40–200) (28). Das insgesamt erhöhte Risiko der perinatalen Mortalität wird wesentlich auch dem signifikant erhöhten pränatalen Risiko des intrauterinen Fruchttodes (IUFT) zugerechnet, das ab 37 SSW deutlich ansteigt und für die VBAC-Gruppe 1,96/1000 versus 0,8/1000 bei PRCD betrug. Von diesen IUFT traten 43% mit 39 SSW oder später ein und wären wohl durch eine PRCD mit 39 SSW verhindert worden (18, 31). Respiratorische Probleme im Sinne einer transienten Tachypnoe (TTP) oder eines Atemnotsyndroms (RDS: respiratory distress syndrome) der Neugeborenen nach VBAC respektive PRCD sind in mehreren Studien untersucht worden und werden für Sectio-Neugeborene mit 3,5% bis 3,7% angegeben versus 0,5% bis 1,4% für vaginal geborene Kinder (32). In einer umfangreichen Studie zur VBAC wird die Rate der TTP für VBAC-geborene Kinder mit 2,6% (versus 3,6% für die per wiederholte Sectio Neugeborenen) angegeben (18). Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass ein Benefit für die Kinder im Hinblick auf eine Senkung der respiratorischen Morbidität erreicht werden kann, wenn eine geplante Sectio frühestens mit 39 SSW durchgeführt wird. Eine Studie berichtet, dass die respiratorische Morbidiät 11,4%, 6,2% und 1,5% bei 37, 38 und 39 SSW betrug (33). Eine Verschiebung der Sectio um 1 Woche von 37 auf 38 SSW bedeutet eine Reduktion der respiratorischen Morbidität um 5%, jedoch könnte diese Verschiebung zu einer Erhöhung der perinatalen Mortalität um 5/10 000 führen (31). Verletzungen von Neugeborenen im Verlauf einer Sec-
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tio treten in zirka 1% der Operationen auf. Dies sind meistens Hautlazerationen, sie sind bei PRCD mit 0,5% niedriger als bei Notfallsectiones (mit ca. 7%) (34).
Betreuung der Schwangeren ab dem Geburtstermin
Schwangerschaften nach vorausgegangener Sectio bei Frauen, die einen VBAC-Versuch unternehmen möchten, sind spätestens ab dem Geburtstermin intensiv zu betreuen. Aus einzelnen Studien ergeben sich Hinweise, dass das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes (IUFT) bei Schwangerschaften nach einer vorausgegangenen Kaiserschnittgeburt erhöht ist. Demnach steigt das Risiko bereits ab 34 SSW an und ist ab 39 SSW um das Doppelte erhöht gegenüber Schwangerschaften nach einer vaginalen Geburt. Die meisten dieser IUFT fielen in die Gruppe der erklärbaren und weniger in die der nicht erklärbaren fetalen Todesfälle (18, 31, 35, 36). Dementsprechend sorgfältig müssen Hinweise auf einen Gestationsdiabetes, Präeklampsie und weitere Risiken verfolgt und entsprechende präventive Massnahmen ergriffen werden.
Monitoring Eine aktuelle fetale Biometrie sollte am Termin vorliegen, und denjenigen Feten mit einem Verdacht auf eine Plazentainsuffizienz und insbesondere eine Wachstumsretardierung sollte intensivierte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Evidenz zur Effektivität des antepartalen Monitorings ab dem Geburtstermin ist wenig schlüssig, und randomisierte Studien zur fetalen Überwachung zwischen 40 und 41 kompletten SSW existieren nicht. Aufgrund der erhöhten IUFT-Rate bei einer Schwangerschaft nach vorausgegangener Sectio ist ein intensiviertes serielles Monitoring der Feten, wie es sonst erst ab 41 kompletten SSW empfohlen wird, ein vertretbares Vorgehen. Die klinischen Schwangerschaftskontrollen müssen in kurzen Intervallen vorzugsweise täglich, minimal jedoch 2-mal pro Woche durchgeführt werden (37). Dieses Monitoring muss regelmässig CTG-Kontrollen ebenso umfassen wie die Messung des Fruchtwasserindexes. Doppler-Ultraschalluntersuchungen können wichtige Hinweise auf den fetalen Zustand geben, und ihr regelmässiger Einsatz ist insbesondere bei Hinweisen auf eine plazentare Insuffizienz als Pflichtbestandteil in der Betreuung dieser Schwangerschaften anzusehen. Ein exspektatives Vorgehen gegenüber einer Einleitung ist unter diesem Prozedere bei jeweils unauffälligen Untersuchungsbefunden als vertretbar anzusehen. In einer randomisierten, kontrollierten Studie von insgesamt 508 Frauen, die ab 41 SSW in zwei gleich grossen Gruppen entweder exspektativ betreut oder eingeleitet wurden, zeigten sich keine Unterschiede hinsichtlich neonataler Morbidität oder Geburts-
modus (38). Hier stand jedoch nicht die Betreuung von Schwangeren nach vorausgegangener Sectio im Vordergrund. Auch wenn ein spontaner Wehenbeginn wünschenswert und prognostisch für den VBACVersuch günstiger ist, so sollte wegen des fetalen Risikos nicht weiter als 41+0 SSW abgewartet und die Geburt eingeleitet werden.
Einleitung bei Schwangerschaft nach vorausgegangener Sectio Günstig für einen VBAC-Versuch ist der spontane Beginn der Geburtswehentätigkeit. Sowohl eine Einleitung als auch eine Unterstützung der Wehentätigkeit mit Oxytocin erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im weiteren Verlauf eine Notfallsectio durchgeführt werden muss. Einleitungsindikationen bei vorausgegangener Sectio müssen besonders kritisch gestellt werden, und Wunscheinleitungen sind dringend zu vermeiden. Die Patientinnen sind neben den Risiken einer Einleitung bei vorausgegangener Sectio auch darüber zu informieren, dass mit einer Einleitung die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen vaginalen Geburt sinkt – und dementsprechend das Risiko für eine Notfallsectio unter der Geburt steigt. Die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen VBAC-Versuches nach spontanem Wehenbeginn liegt bei 76% bis 80% versus 52% bis 68% nach Einleitung (39, 40). Eine Einleitung bei unreifer Cervix uteri ist mit einer geringeren Aussicht auf einen erfolgreichen VBAC-Versuch verbunden (41). In der gleichen Untersuchung zeigte sich, dass eine Einleitung bei Frauen einzig mit vorausgegangener Sectio, aber ohne eine weitere vaginale Geburt ein erhöhtes Risiko für die Notwendigkeit von Bluttransfusionen, Thromboembolie und Hysterektomie hatte. In einer Studie zur VBAC lagen die Sectioraten bei 33%, 26% und 19% für die Einleitung der Geburt, die Wehenunterstützung respektive einen spontanen Geburtsbeginn und Wehentätigkeit (18).
Cave: Geburtseinleitung mit Prostaglandinen Eine Geburtseinleitung mit Prostaglandinen sollte stets mit grosser Vorsicht unternommen werden. In keinem Fall sollte eine ambulante Einleitung der Geburt erfolgen. Der Zeitpunkt und auch die Stärke des Wirkungseintritts von Prostaglandinen sind nicht vorhersehbar, und entsprechende Überwachungsmethoden sowie Interventionsmöglichkeiten stehen ambulant nicht zeitgerecht zur Verfügung. Vor Beginn der Einleitung muss die Anamnese bekannt sein. Eine sonografische Untersuchung im Hinblick auf Kindslage, Plazentasitz sowie eine Dopplersonografie bei Verdacht auf plazentare Insuffizienz sollte durchgeführt und ein aktueller Zervixbefund erhoben werden. Dementsprechend wird die Wahl des Einleitungsverfahrens durch den Facharzt festgelegt. Mit der Patientin muss ein ergebnisoffenes Aufklärungsgespräch über die Einleitung mit allen bekannten Ri-
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siken der Einleitung gegenüber einer Resectio geführt und ebenso wie die erhobenen Befunde suffizient dokumentiert werden (42). Dem Einleitungsversuch muss eine aktuelle Kardiotokografie (CTG) vorausgehen. Bei regelmässigen Kontraktionen ist eine Einleitung mit Prostaglandinen ebenso kontraindiziert wie bei pathologischen fetalen Herzfrequenzkurven. Eine Indikation zur Einleitung mit Prostaglandinen ist eng zu stellen und die Patientin explizit über das erhöhte Risiko der Uterusruptur sowie die damit verbundenen Komplikationsmöglichkeiten zu informieren. Zur Geburtseinleitung mit Prostaglandin kann das vaginal applizierte Prostaglandin E2 Dinoproston in der Zubereitung als 3 mg Vaginaltablette (Prostin®) eingesetzt werden. Entsprechend dem Zervixbefund kann die Applikation nach 6 bis 8 Stunden wiederholt werden (maximale Gesamtdosis von 6 mg in 24 Stunden) (42). Bei Anwendung des als Vaginalinsert applizierten Prostaglandin-E2-Dinoproston-Depotpräparates (Propess®) zur Einleitung einer VBAC zeigte sich zwar eine Erfolgsrate einer vaginalen Geburt von 72%, jedoch wurde auch die Inzidenz einer Uterusruptur in 10,3% (6/58) vermerkt gegenüber 1,1% (8/732) in der Kontrollgruppe (43). In einer weiteren Studie zum Einsatz von Propess® lag die Rate der Uterusrupturen ebenfalls erhöht bei 3,5% (44). Bei Anwendung des Prostaglandindepotpräparates Propess® zur Geburtseinleitung eines VBAC-Versuches müssen die Schwangeren im Hinblick auf das erhöhte Risiko einer möglichen Uterusruptur besonders eng kontrolliert werden. Vor Beginn der Einleitung sollte die Patientin über dieses erhöhte Risiko ausführlich informiert und das Gespräch entsprechend dokumentiert werden. Aufgrund des erhöhten Risikos einer Uterusruptur sollte eine Einleitung mit Propess® nur in Ausnahmefällen versucht und möglichst vermieden werden. Bei Einsetzen einer Wehentätigkeit, insbesondere bei Hinweisen auf eine Überstimulation, muss das Vaginalinsert entfernt werden. Das Gleiche gilt für Zeichen eines «fetal distress» (CTG) und natürlich bei systemischen Zeichen von Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Hypotonie, Tachykardie). Das Vaginalinsert ist mindestens 30 Minuten vor dem Einsatz von Oxytocin zu entfernen. Die Einleitung mit Misoprostol sollte durch die mittlerweile gewonnenen Erfahrungen als kontraindiziert akzeptiert werden. Es zeigt sich hier zwar keine signifikante Hyperstimulation des Uterus durch die Prostaglandinwirkung (45), jedoch ist die Inzidenz der Uterusruptur mit 5% bis 15% deutlich erhöht (46, 47).
Einleitung mittels Oxytocin Alternativ kann die Einleitung mittels Oxytocin erfolgen. Jedoch muss auch hier mit einem erhöhten Risiko von 2,3% einer Uterusruptur gerechnet werden
gegenüber einer Rupturrate von 0,7% bei Frauen mit spontanem Geburtsbeginn. Die Unterstützung der Wehentätigkeit mit Oxytocin birgt in der gleichen Studie mit 1% (versus 0,4% ohne Oxytocinunterstützung) ebenfalls ein leicht erhöhtes Risiko einer Uterusruptur (48). Dementsprechend müssen die Patientinnen vor Beginn der Oxytocingabe sorgfältig über das Rupturrisiko und allfällig assoziierte Komplikationen informiert werden. Eine sorgfältige Dokumentation der Gespräche und des klinischen Verlaufs ist ebenso dringend anzuraten wie die enge klinische Beobachtung der Patientin und des Feten im Gebärsaal. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass das häufigste Zeichen einer Uterusruptur die auffällige fetale Herzfrequenz ist. In der Anwendung von Oxytocin unter der Geburt zur Wehenunterstützung sollte das erhöhte Risiko einer Uterusruptur respektiert und die obere Grenze in der Oxytocingabe dementsprechend vorsichtig unter sorgfältiger Beobachtung der Wehentätigkeit gesetzt werden. Eine zu starke Stimulation mit hyperfrequenter Wehentätigkeit ist dringend zu vermeiden. Eine gleichzeitige Anwendung von Oxytocin und Prostaglandinen ist kontraindiziert. Unter der Wehenunterstützung muss der Geburtsfortschritt regelmässig und möglichst von der gleichen Person kontrolliert werden. Der Geburtsfortschritt sollte kontinuierlich zirka 1 cm Muttermundseröffnung pro Stunde betragen. Ein Geburtstillstand unter Oxytocinunterstützung sollte auf keinen Fall länger als 2 Stunden andauern, damit zumindest ein Teil der Uterusrupturen bei einem VBAC-Versuch verhindert werden kann (49). Bei Versagen einer Einleitungsmethode ist der Wechsel zu einem anderen Therapieregime nach Überprüfung des aktuellen klinischen Status gerechtfertigt. Der Verlauf dieses Entscheidungsprozess kann auch den Entschluss zur Sectio caesarea nach sich ziehen.
CTG-Überwachung Die CTG-Überwachung wurde bisher rein empirisch festgelegt und ist bis heute nicht evidenzbasiert. Obligat ist die CTG-Kontrolle vor der Applikation von Prostaglandinen zur Geburtseinleitung, danach intermittierend und wenn die Patientin Wehen verspürt oder diese nachgewiesen werden (42). Die Frequenz der intermittierenden CTG-Kontrolle ist an der Pharmakokinetik des eingesetzten Präparates sowie der klinischen Situation zu orientieren (z.B. Blasensprung). Bei einer Einleitung mittels Oxytocininfusion ist eine kontinuierliche CTG-Überwachung angezeigt.
Mechanische Einleitung Alternativ kann bei unreifer Zervix auch eine mechanische Einleitung mit dem Foley-Katheter oder seit Kurzem mit dem Doppelballonkatheter Cook Medical® durchgeführt werden. Die Einlage erfolgt per
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Spekulumeinstellung transzervikal. Die Dehnung der Zervix sowie der Druck durch die Ballone bewirken eine endogene Prostaglandinausschüttung. Der Muttermund sollte sich so auf 3 bis 4 cm öffnen. In einer niederländischen randomisierten, kontrollierten Multizenterstudie mit insgesamt 824 Frauen zeigte sich diese Methode in der Effektivität ähnlich erfolgreich wie die Einleitung in der Kontrollgruppe mit Prostaglandin-E2-Gel. Insgesamt traten in dieser Studie zwei schwere maternale Komplikationen auf: je eine uterine Perforation und Uterusruptur – beide in der Prostaglandingruppe. Die Sectiorate konnte durch Einsatz der Katheter nicht reduziert werden (23% in der Katheter- versus 20% in der Prostaglandingruppe) (50). Die Methode ist durch ihre Einlage für die Frauen unbequem, sollte jedoch aufgrund der geringen Nebenwirkungen mehr Beachtung finden. In der Schweiz wurden im Jahre 2011 lediglich 0,17% der Geburten mit dem Foley- oder Doppelballonkatheter Cook Medical® eingeleitet (im Vergleich zu 14,1% vaginale Prostaglandinapplikation) (7). In Verbindung mit einem vorzeitigen Blasensprung sollte die Kathetereinleitung nicht eingesetzt werden.
Cave: Eipollösung
Die Studienergebnisse über Lösen des Eipols zur An-
regung der spontanen Wehentätigkeit und damit zur
Vermeidung einer Einleitung sind kontrovers. Eine
frühe Untersuchung berichtet über eine Reduktion
der Einleitungen von 18,8% in der Kontrollgruppe auf
8,1% in der Gruppe der Frauen, bei denen der untere
Eipol gelöst wurde (51). Jedoch zeigten ein Cochrane-
Review sowie eine spätere randomisierte Studie mit
300 Frauen, dass kein Benefit von dieser Methode im
Hinblick auf eine Verminderung der notwendigen
Anzahl der Einleitungen besteht (52, 53). Die Inzidenz
der vorzeitigen Blasensprüngen war nach Eipollö-
sung signifikant erhöht. Damit können aufsteigende
Infektionen und insbesondere auch die Ausbreitung
von Gruppe-B-Streptokokken begünstigt werden. Zu
berücksichtigen ist auch, dass viele Frauen die Proze-
dur als äusserst unangenehm oder auch schmerzhaft
empfinden. Aus diesen Gründen sollte diese Me-
thode in der Routine möglichst nicht angewendet
werden.
■
PD Dr. med. Thomas Roos Frauenklinik Kantonsspital Schaffhausen 8208 Schaffhausen E-Mail: frauenklinik@spitaeler-sh.ch
Apropos: Die Frau des eingangs genannten Jakob Nufer, Elisabeth von Alespachin, hat «nach solcher mit ihr vorgenommener Bauch- und Gebär-Leibes-Aufschneidung das zweyte mal, als sie schwanger worden, Zwillinge (spontan) geboren. Nach diesen Zwillingen hat sie noch vier Kinder (spontan) geboren.»
Merkpunkte
■ Ein vaginaler Entbindungsversuch nach vorausgegangener Sectio ist in vielen Fällen möglich und erfolgreich.
■ Dieser Geburtsweg hat ein abolut gesehen gering erhöhtes, jedoch einigermassen kalkulierbares Risiko für Mutter und Kind gegenüber einer geplanten wiederholten Sectio.
■ Die antepartal erkennbaren Risiken müssen individuell für jede Schwangere erfasst und entsprechend dem Schwangerschaftsverlauf aktualisiert werden.
■ Offene Gespräche über Risiken und Benefit beider Entbindungsmöglichkeiten sollten frühzeitig während der Schwangerschaft begonnen und gut dokumentiert werden. Der Wunsch der Schwangeren ist zu beachten.
■ Nur in entsprechend ausgestatteten Abteilungen sollte ein vaginaler Entbindungsversuch nach vorausgegangener Sectio unternommen werden.
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