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SCHWERPUNKT
Prämenopausale Blutungsstörungen
Diagnostik und Therapie der abnormen uterinen Blutung
Etwa ein Drittel der ambulanten Konsultationen in der Gynäkologie stehen im Zusammenhang mit uterinen Blutungsstörungen. Diese treten vor allem prämenopausal auf, das heisst zwischen Menarche und Menopause. Heute wird üblicherweise von «abnormen uterinen» Blutungen (AUB) gesprochen, um die uterinen Blutungen von solchen mit einer zervikalen oder vaginalen Genese abzugrenzen.
PETRA STUTE, MICHAEL VON WOLFF
Unter einer abnormen uterinen Blutung (AUB) während der reproduktiven Lebensphase versteht man jede uterine Blutung, die nicht auf den normierten Menstruationszyklus zurückzuführen ist. Die Definitionen sind in Tabelle 1 aufgeführt. Da die Definitionen der AUB international variieren, wurde 2011 von der FIGO (Fédération Internationale de Gynécologie et d’Obstétrique) eine neue Klassifikation der AUB entwickelt. Sie hat bewusst zum Ziel, nicht einheitlich definierte Begriffe (z.B. [dys]funktionelle uterine Blutung, Hyper-/Hypomenorrhö, Meno[metro]rrhagie, uterine Hämorraghie) zu eliminieren (Tabelle 2).
Ätiologie
Die AUB-Ursachen in der Prämenopause wurden von der FIGO neu klassifiziert (3). Das Akronym PALM-COEIN umfasst neun Basiskategorien als Ursachen:
«PALM»-Komponenten: ■ Polyp (AUB-P) ■ Adenomyosis (AUB-A) ■ Leiomyom (AUB-L) ■ Malignom und Hyperplasie (AUB-M).
«COEIN-Komponenten»: ■ Koagulopathie (AUB-C = Coagulopathy) ■ Ovulationsstörung (AUB-O) ■ Endometriumpathologie (AUB-E) ■ Iatrogene (AUB-I) ■ Nicht klassifizierte (AUB-N). Die «PALM»-Komponenten sind strukturelle Veränderungen, die per Bildgebung und/oder Histopathologie diagnostiziert werden, wohingegen die «COEIN»-Komponenten nicht strukturelle Veränderungen subsumieren.
■ Polypen (AUB-P): Polypen sind entweder (sonografisch und/oder hysteroskopisch) vorhanden oder nicht vorhanden.
■ Adenomyosis uteri (AUB-A): Ursprünglich war die Diagnose der Adenomyosis eine rein histologische und daher für die klinische Klassifikation wenig geeignet. Inzwischen gibt es diagnostische Kriterien in der Bildgebung (Ultraschall, MRI).
■ Leiomyome (AUB-L): Unterscheidung von primärer (Myome sonografisch vorhanden: ja/nein), sekundärer (Myom sonografisch mit Einbeziehung des Cavum uteri [SM] oder nicht [O]) und tertiärer Klassifikation.
■ Malignom und (prämaligne) Hyperplasie (AUB-M): Eine AUB-M wird zusätzlich entsprechend der WHO- oder FIGO-Klassifikation für Tumore klassifiziert.
■ Koagulopathie (AUB-C): Von-Willebrand-Erkrankung, Thrombozytopenie (idiopathische Thrombozytopenie [ITP], Hypersplenismus, chronisches Nierenversagen), akute Leukämie, Antikoagulanzien, fortgeschrittene Lebererkrankung.
■ Ovulationsstörung (AUB-O) ■ Endometriumpathologie (AUB-E): Es gibt keinen
spezifischen Test für endometriale Störungen, sodass sie zurzeit eine Ausschlussdiagnose ist. (Hypothese: lokale Hämostasestörung mit z.B. Mangel an vasokonstriktiven und/oder Überwiegen von vasodilatativen Mediatoren, endometriale Entzündung oder Infektion). ■ Iatrogen (AUB-I): In diese Gruppe fallen AUB, die unter einer Hormontherapie oder IUD-(Spirale)Anwendung auftreten. AUB während der Anwendung von Antikoagulanzien werden jedoch der Gruppe AUB-C zugeordnet. ■ Nicht klassifiziert (AUB-N): alle sonstigen, nicht eindeutig zuordenbaren AUB-Ursachen.
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SCHWERPUNKT
Von der FIGO wurde eine neue Klassifikation der AUB entwickelt, die 9 Ursachen mithilfe des Akronyms
PALM-COEIN beschreibt.
Diagnostik
Das diagnostische Vorgehen bei akuter und chronischer AUB unterscheidet sich im Wesentlichen in der Detailliertheit der Labordiagnostik. Für eine rasche Therapie der akuten AUB ist beispielsweise eine ausführliche Hormondiagnostik nicht unbedingt erforderlich. Um aber ein akutes AUB-Rezidiv oder eine chronische AUB zu vermeiden, muss die Ursache der AUB bekannt sein, um entweder kausal oder präventiv symptomatisch behandeln zu können. Die nachfolgend beschriebene Diagnostik soll möglichst viele Aspekte der AUB berücksichtigen. Wenn die AUBUrsache gefunden wurde (z.B. Schwangerschaft), werden einige der genannten weiteren diagnostischen Schritte überflüssig sein.
Anamnese
Die Anamnese sollte folgende Aspekte berücksichtigen: Alter, Beginn der AUB, Risikofaktoren respektive vorangehende Ereignisse wie Geschlechtsverkehr, Trauma, Operation, Zyklus-Charakteristika für eine erste Abgrenzung von ovulatorischen (meist zyklisch, aber verstärkt und/oder verlängert) und anovulatorischen (nicht vorhersehbar in Dauer und Stärke) AUB, weitere Symptome (z.B. Fieber, Schmerzen, vaginaler Fluor, Systemerkrankung) und/oder Medikamenteneinnahme, Gewichtsveränderung sowie Familienanamnese für Gerinnungsstörung.
Körperliche Untersuchung
Die körperliche Untersuchung sollte folgende Parameter erfassen: Vitalparameter, allgemeine körperliche Untersuchung inklusive Palpation des Abdomens, der Schilddrüse und Mammae, gynäkologische Untersuchung (evtl. rektale Untersuchung bei Virgo intacta), Beurteilung von Androgenisierungszeichen.
Labordiagnostik
Eine stringente Labordiagnostik hilft bei der Entscheidung bezüglich der Dringlichkeit einer therapeutischen Intervention sowie bei der Ursachenabklärung. Zu den Untersuchungen zählen (Abbildung): ■ Schwangerschaftstest ■ Nativpräparat (geringe Aussagekraft bei AUB)
und mikrobiologischer Abstrich der Portio bei Verdacht auf Zervizitis (Trichomonas vaginalis, Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhea) ■ Zytologischer Abstrich der Portio, gegebenenfalls Biopsie ■ Orientierender Hormonstatus im Serum: FSH, Ös-
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Tabelle 1:
Abnorme uterine Blutungen (AUB): Definitionen (1, 2)
Begriff Hypermenorrhö Hypomenorrhö Spotting
Polymenorrhö Oligomenorrhö Brachymenorrhö Menorrhagie Zwischenblutung Metrorrhagie Menometrorrhagie Dysmenorrhö Postkoitale Blutung
Amenorrhö
Definition Blutvolumen > 80 ml pro Zyklus Blutvolumen < 5 ml pro Zyklus Schmierblutung: Blutvolumen erfordert nicht die Anwendung eines Tampons oder einer Vorlage Zyklusdauer < 24 Tage (Prävalenz: 1%) Zyklusdauer > 38 Tage (Prävalenz: 1%) Blutungsdauer < 4,5 Tage (Prävalenz: 1–2%) Blutungsdauer > 8 Tage (Prävalenz: 1–2%) Blutung zwischen zwei (erwarteten) Menstruationen leichte Blutungen mit unregelmässigen Intervallen schwere Blutungen mit unregelmässigen Intervallen schmerzhafte Menstruationsblutung vaginale Blutung innerhalb von 24 Stunden nach Geschlechtsverkehr (Prävalenz: 0,7–9%) ausbleibende Menstruation über mindestens 3 Zyklen (individuelles Zyklusintervall) oder 6 Monate bei zuvor spontaner Menarche
Tabelle 2:
Definitionen bei abnormen uterinen Blutungen (AUB) gemäss FIGO (3)
Begriff Akute AUB
Chronische AUB
Intermenstruelle Blutung 1Störung der Menstruationsfrequenz 2Unregelmässiger Zyklus 3Abnormes Blutvolumen
Definition Episode starker Blutung, die aus klinischer Sicht einer unmittelbaren Intervention bedarf, um einen weiteren Blutverlust zu vermeiden. Sie kann im Kontext einer bekannten chronischen AUB oder unabhängig davon auftreten. Uterine Blutung, die aufgrund ihrer Frequenz1, des Zeitpunkts2 des Auftretens und/oder Volumens3 abnormal ist; dieses pathologische Blutungsmuster ist in den meisten Zyklen während der zurückliegenden 6 Monate vorhanden. Zufällige oder wiederholt zum gleichen Zykluszeitpunkt auftretende uterine Blutung zwischen zwei definierten/ erwarteten Menstruationen. häufig (< 24 Tage) und selten (> 38 Tage)
Variation der Zyklus-zu-Zyklus Dauer > 20 Tage
verlängerte Blutung (> 8 Tage) und starke Blutung (heavy menstrual bleeding [HMB]) (> 80 ml)
Neben Anamnese, Schwangerschaftsausschluss, Untersuchung und Sonografie dient die Bestimmung von FSH, Östradiol, Progesteron, TSH, Prolaktin, Gesamttestosteron
und DHEAS einer ersten diagnostischen Orientierung.
tradiol (E2), Progesteron (> 3 ng/ml = Ovulation hat stattgefunden), TSH, Prolaktin, Gesamttestosteron, DHEAS (Anmerkung: fakultative Bestimmung bei akuter AUB, aber obligat bei chronischer AUB).
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SCHWERPUNKT
In Abhängigkeit von der Anamnese und der orientierenden Hormondiagnostik kann eine weiterführende Labordiagnostik (z.B. Gerinnungsdiagnostik etc.) indiziert sein. Auch müssen gegebenenfalls eigenständige Entitäten wie PCOS, AGS, POI, Hyperprolaktinämie oder Schilddrüsenfunktionsstörung gezielt abgeklärt werden.
Beurteilung des Endometriums
Eine Endometriumpathologie sollte bei allen AUB nach dem 40. Lebensjahr und bei allen AUB vor dem 40. Lebensjahr plus Vorliegen von Risikofaktoren (z.B. chronische Anovulation, Adipositas, Östrogen- oder Tamoxifentherapie, Diabetes mellitus, anamnestisch Endometriumhyperplasie, positive Eigen- oder Familienanamnese für Endometrium-, Mamma-, Ovaroder Kolonkarzinom) ausgeschlossen werden (4). Zur Beurteilung des Endometriums stehen nicht invasive und invasive Methoden zur Verfügung.
Nicht invasive Methoden Im Vordergrund der nicht invasiven Methoden steht die Vaginalsonografie (TVUS). Eine TVUS sollte mög-
lichst zwischen dem 4. und 6. Zyklustag (ZT) durchgeführt werden. In der Proliferationsphase misst die normale doppelte Endometriumdicke zirka 4 bis 8 mm, in der Sekretionsphase zirka 8 bis 14 mm (5). Diese Grenzwerte sind jedoch nicht standardisiert!
Invasive Methoden Es stehen die Endometriumbiopsie und klassisch die fraktionierte Abrasio in Kombination mit einer Hysteroskopie (HSK) zur Verfügung (6). Die Endometriumbiopsie mittels Pipelle® wird der konventionellen Operation aufgrund der einfachen Handhabung und relativ hohen Detektionsrate (91% für das prämenopausale Endometriumkarzinom) vielerorts vorgezogen. Die Endometriumbiopsie ist sehr zuverlässig, wenn mindestens die Hälfte des Endometriums vom Karzinom betroffen ist. Dem «Restzweifel» kann man begegnen, indem zusätzliche histologische Untersuchungen (Re-Pipelle® oder besser HSK plus fraktionierte Abrasio) zum Beispiel bei persistierender AUB trotz «benignem» Erstbefund durchgeführt werden.
SCHWERPUNKT
Abbildung: Flowchart zum Vorgehen bei prämenopausalen, abnormen (verstärkten) uterinen Blutungen (AUB) (modifiziert nach [15])
Die Endometriumsbiopsie ohne Hysteroskopie erlaubt eine gute Orientierung, schliesst ein Malignom
aber nicht mit Sicherheit aus.
Diagnosestellung
Das formale Vorgehen bei der AUB-FIGO-Klassifikation entspricht dem bei Tumoren (WHO-TNM), wobei jede Komponente von PALM-COEIN beschrieben wird (3). Hierbei bedeutet 1: «vorhanden», 0: «nicht vorhanden» und ?: «noch nicht beurteilt». Diese neue Klassifikation wird der Tatsache gerecht, dass beim Auftreten einer AUB durchaus mehrere Ursachen diagnostiziert werden können, ohne dass diese im gleichem Ausmass an der AUB-Entstehung beteiligt sein müssen. Die FIGO-Klassifikation soll anhand von zwei Beispielen demonstriert werden: ■ ein submuköses Myom: P0A0L1(sm)M0-C0O0E0I0N0 ■ ein subseröses Myom und von-Willebrand-Erkran-
kung: P0A0L1(O)M0-C1O0E0I0N0.
Therapie
Im Folgenden wird zwischen dem therapeutischen Vorgehen bei akuter und demjenigen bei chronischer AUB unterschieden (Abbildung).
Akute AUB Entscheidend für die Therapiewahl bei akuter AUB ist die hämodynamische Stabilität der Patientin.
Die hämodynamisch instabile Patientin (Notfall) Bei der hämodynamisch instabilen Patientin gelten die üblichen Regeln der Notfallversorgung. Im Hinblick auf die Ursache des Blutverlustes (AUB) stehen grundsätzlich drei Therapieansätze zu Verfügung: operative Therapie, Pharmakotherapie und gegebenenfalls intrauterine Tamponade als Interimslösung. Da die für die Notfallsituation früher verfügbaren intravenösen Östrogene nicht mehr auf dem Markt sind, wird in den meisten Situationen der operativen Therapie der Vorrang gegeben werden (Kürettage, Embolisation der Arteria uterina, Hysterektomie). Postoperativ bei Kürettage kann es jedoch sinnvoll sein, eine Pharmakotherapie anzuschliessen.
Die hämodynamisch stabile Patientin Bei hämodynamischer Stabilität ist die Pharmakotherapie die Therapie der ersten Wahl. Hierbei stehen folgende Therapiemöglichkeiten zur Verfügung: ■ Östradiol (E2) 2 mg alle 4 bis 6 Stunden oral, bis
die Blutung minimal ist, dann Reduktion auf E2 1 x 2 mg/Tag (cave: erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien). Die Östrogenmonotherapie sollte maximal während 25 Tagen durchgeführt werden. Im Anschluss sorgt die orale Gabe von
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Medroxyprogesteronazetat (MPA) 1 x 10 mg/Tag während 10 Tagen für eine Endometriumtransformation und Entzugsblutung. Parallel zur Hochdosisöstrogentherapie sollten Antiemetika verabreicht werden. ■ Kombinierte hormonale Kontrazeptiva (COC) à 35 µg Ethinylestradiol (EE) pro Tablette (cave: erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien): 1. Tag 5 Tabletten, 2. Tag 4 Tabletten, 3. Tag 3 Tabletten, 4. Tag 2 Tabletten und ab 5. Tag 1 Tablette/Tag (bei moderater AUB Start mit Therapieregime «3. Tag»). Nach mindestens einer Woche Blutungsfreiheit sollte ein COC-Stopp während 3 bis 5 Tagen folgen, währenddem eine Entzugsblutung auftritt. Im Anschluss kann ein konventioneller COC-Re-Start erfolgen. Parallel zur Hochdosisöstrogentherapie sollten Antiemetika verabreicht werden. ■ Eine orale Gestagenmonotherapie ist nur dann sinnvoll, wenn das Endometrium nicht zu schmal (denudiert) ist: MPA 2 x 10 bis 20 mg/Tag oder Norethisteron (NET) 1 bis 2 x 5 mg/Tag über mindestens 5 bis 10 Tage. ■ Antifibrinolytika: Tranexamsäure 3 bis 4 x 1–1,5 g/ Tag oral oder intravenös (cave: erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien) Bei kontraindizierter Östrogentherapie ist die Gabe einer Gestagenmonotherapie oder das operative Vorgehen mit Hysteroskopie und Endometriumablation zu erwägen. Die Endometriumablation ist einer Kürettage oder Embolisation der Arteria uterina vorzuziehen, sofern kein Kinderwunsch besteht (bei nicht abgeschlossener Familienplanung: Kürettage).
Bei einer hämodynamisch stabilen Patientin ist die Pharmakotherapie bei einer moderaten akuten Blutung die Behandlung der ersten Wahl.
Chronische AUB Das Therapieziel bei chronischer AUB ist die (Wieder-) Herstellung regelmässiger (ovulatorischer) Zyklen und Prävention der Endometriumhyperplasie beziehungsweise des Endometriumkarzinoms. Je nach Ursache gelingt dies durch: ■ die Behandlung der zugrunde liegenden Erkran-
kung ■ Pharmakotherapie ■ Operation. Folgende Faktoren sollten bei der Therapieentscheidung mitberücksichtigt werden: ■ Ätiologie und Schweregrad der Blutung (z.B. An-
ämie, Beeinträchtigung im Alltag) ■ Zusätzliche Symptome (z.B. Schmerzen, Sterilität)
■ Kontrazeptionsbedarf oder Kinderwunsch ■ Kontraindikationen gegenüber Hormonen oder
anderen Medikamenten ■ Komorbiditäten ■ Patientinnenpräferenz. Die im Folgenden dargestellten Therapieoptionen gelten für Frauen ohne aktuellen Kinderwunsch und ohne Nachweis einer organischen Ursache der AUB. Da eine Brachy- und/oder Hypomenorrhö im Allgemeinen nicht mit einer Erkrankung assoziiert ist, sondern allenfalls aus sozialer Sicht fälschlicherweise als problematisch erscheint (vermeintlich: «starke, rote Blutung = Zeichen guter Gesundheit»), wird nicht auf ihre Therapie eingegangen.
Chronische Hypermenorrhö und/oder Menorrhagie (gemäss FIGO: «abnormes Blutvolumen») Pharmakotherapie Die medikamentöse Therapie ist bei chronischer AUB mit abnormem Blutvolumen Therapie der ersten Wahl. Folgende Substanzklassen zählen zur FirstLine-Therapie: ■ kombinierte hormonale Kontrazeption (COC)
(30–35 µg EE pro Tag enthaltende COC oder Verhütungspflaster) im klassischen Regime (21/7) oder «off label» im Langzyklus (3–4 x 21/7); hierdurch wird eine Reduktion des Blutverlustes um 40% erreicht (7); ■ Hormonspirale Levonorgestrel (LNG)-IUD; hierdurch wird eine Reduktion des Blutverlustes um 75–95% erzielt (8); ■ nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) 1. bis 5. ZT (bzw. Blutungsende); hierdurch wird eine Reduktion des Blutverlustes um 20 bis 40% erreicht (9); ■ – Mefenaminsäure 3 x 500 mg/Tag ■ – Naproxen 2 x 500 mg 1. ZT, dann 250–500 mg/
Tag ■ – Ibuprofen 3 x 400 mg/Tag. Folgende Substanzklassen zählen zur Second-LineTherapie: ■ orale Antifibrinolytika: Tranexamsäure 3 bis 4 x
1,0–1,5 g/Tag 1. bis 5. ZT; hierdurch wird eine Reduktion des Blutverlustes um 35 bis 60% erzielt (10, 11); ■ orale Gestagene 15. bis 26. ZT oder jeweils 1. bis 12. Tag des Kalendermonats (nur bei Anovulation sinnvoll): MPA: 5–10 mg/Tag, NET: 1 bis 2 x 5 mg/Tag, Dydrogesteron 1 bis 2 x 10 mg/Tag, mikronisiertes Progesteron 200–300 mg/Tag (bei Kinderwunsch vorzuziehen) (12); ■ Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten (GnRHa) plus «Add back»-Hormontherapie; ■ Desmopressin (dDAVP) ab 1. ZT bei von Willebrand-Jürgens-Syndrom
Operative Therapie Die operativen Therapieoptionen umfassen Endo-
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Die Behandlung der chronischen Blutung erfolgt in Abhängigkeit
von der Pathogenese und dem Blutungsmuster.
metriumablation und -resektion sowie Hysterektomie.
Spotting (gemäss FIGO: «intermenstruelle Blutung») Es werden drei verschiedene Formen der intermenstruellen Blutung unterschieden: das postmenstruelle, periovulatorische und prämenstruelle Spotting. Bei einem postmenstruellen Spotting sind folgende Therapiemöglichkeiten gegeben: ■ 1–2 mg Estradiol(valerat)/Tag oral bis zur (vermu-
teten) Ovulation oder bis 1 bis 2 Tage über die Dauer des erwarteten Spottings hinaus (keine Verzögerung der Follikelreifung) ■ Sequenzielle Östrogen-Gestagen-Therapie über 21 Tage (Suppression der Follikelreifung möglich). Bei einem periovulatorischen Spotting ist folgende Therapiemöglichkeit gegeben: ■ 1–2 mg Estradiol(valerat) oral 13. bis 17. ZT (keine Ovulationssuppression). Bei einem prämenstruellen Spotting ist folgender Therapieansatz möglich: ■ 1 bis 2 Tabletten eines Gestagenmonopräparates oder eines Östrogen-Gestagen-Präparates ab 1 bis 2 Tage vor dem erwarteten Spottingbeginn bis zirka 3 Tage vor dem gewünschten Zeitpunkt der Entzugsblutung ■ Kombinierte hormonale Kontrazeptiva.
Oligo- und Polymenorrhö (gemäss FIGO: «Störung der Menstruationsfrequenz») Sofern es sich bei der Oligo- respektive Polymenorrhö um eine ovulatorische AUB handelt, ist eine Therapie nicht zwingend indiziert. Ausnahmen stellen Kinderwunsch (ovulatorische Oligomenorrhö) und auch Anämie und Beeinträchtigung der Lebensqualität (ovulatorische Polymenorrhö) dar. Wenn jedoch eine anovulatorische Oligo- und Polymenorrhö vorliegt, kommen eine orale Gestagenmonotherapie vom 15. bis 26. ZT (MPA 5–10 mg/Tag, NET 1–2 x 5 mg/Tag, Dydrogesteron 1 bis 2 x 10 mg/Tag, mikronisiertes Progesteron 200–300 mg/Tag), ein Östrogen-Gestagen-Präparat vom 15. bis 26. ZT, wenn keine ausreichende endometriale Östrogenwirkung in der ersten Zyklushälfte vermutet wird, und kombinierte hormonale Kontrazeptiva infrage.
Sondersituation: Adoleszenz Der Zeitraum bis zur Ausreifung der Hypothalamus-
Hypophyse-Ovar-Achse und Zyklusstabilisierung hängt vom Menarchenalter ab. Bei einer Menarche < 12 Jahren, 12 bis 13 Jahren respektive > 13 Jahren sind 50% der Zyklen ovulatorisch nach 1, 3 respektive 4, 5 Jahren (13). Die individuelle Zykluslänge ist jedoch erst im 6. gynäkologischen Jahr (ca. 19. Lebensjahr) etabliert. Daher ist das diagnostisch-therapeutische Vorgehen bei leichter und moderater AUB in der Adoleszenz zurückhaltend (14). Bei leichter AUB sind zunächst ein abwartendes Verhalten, Führen eines Zykluskalenders und eine Verlaufskontrolle nach 3 bis 6 Monaten sinnvoll. Wenn die AUB persistiert, kann im nächsten Schritt eine weiterführende Diagnostik durchgeführt werden. Bei moderater AUB können primär eine Hormontherapie eingeleitet, das Führen eines Zykluskalenders empfohlen, eventuell eine Eisensupplementation durchgeführt und eine Verlaufskontrolle nach 3 Monaten anberaumt werden. Erst bei AUB-Persistenz wird dann eine weiterführende Diagnostik eingeleitet, sonst ein Auslassversuch der Hormontherapie nach 6 Monaten empfohlen. Die Möglichkeiten der Hormontherapie umfassen in den folgenden Situationen: ■ «zurzeit keine Blutung»: COC à 30–35 µg EE pro
Tablette oder orale Gestagenmonotherapie mit MPA 10 mg/Tag, NET 5 mg/Tag oder mikronisiertem Progesteron 200 mg/Tag vom 1. bis 12. Tag des Kalendermonats (einfacher zu erinnern) oder 14. bis 25. ZT. ■ «zurzeit Blutung»: COC à 30–35 µg EE pro Tablette: 3 Tabletten/Tag bis Blutungsstopp (meist innerhalb von 48 Stunden), dann 2 Tabletten/Tag während 5 Tagen, dann 1 Tablette/Tag bis zur Komplettierung von 21 hormonaktiven Tagen plus die parallele Gabe eines Antiemetikums, wenn ≥ 2 Tabletten/Tag verabreicht werden. Wenn während der Einnahme von täglich 1 Tablette die AUB wieder beginnt, kann die Dosis bis zur Komplettierung der 21 hormonaktiven Tage auf 2 Tabletten/Tag beibehalten werden. Bei Kontraindikationen gegenüber Östrogenen kann eine Gestagenmonotherapie durchgeführt werden.
Fazit für die Praxis
Abnorme uterine Blutungen (AUB) während der
reproduktiven Lebensphase zählen zu den häufigs-
ten Gründen für ambulante gynäkologische Konsul-
tationen. Beim diagnostisch-therapeutischen Vor-
gehen ist eine Unterscheidung zwischen akuter und
chronischer AUB notwendig. Akute AUB mit hämo-
dynamischer Instabilität stellen eine Notfallsituation
dar und werden meist operativ angegangen,
während akute AUB mit hämodynamischer Stabilität
meist medikamentös behandelt werden können. In
der Pharmakotherapie steht die Hormontherapie an
erster Stelle.
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PD Dr. med. Petra Stute Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsfrauenklinik Inselspital Bern 3010 Bern
und
Prof. Dr. med. Michael von Wolff (Korrespondenzadresse) Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsfrauenklinik Inselspital Bern 3010 Bern E-Mail: Michael.vonWolff@insel.ch
Quellen:
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2. Fritz MA, Speroff L: Clinical gynecologic endocrinology and infertility. 8. Auflage Philadelphia 2011.
3. Munro MG, Critchley HOD, Fraser IS (FIGO Menstrual Disorders Working Group): The FIGO classification of causes of abnormal uterine bleeding in the reproductive years. Fertil Steril 2011; 95: 2204–08.
4. Interdisziplinäre Leitlinie der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG): Diagnostik und
Therapie des Endometriumkarzinoms. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 032/034, Entwicklungsstufe: 2k, 2008 (z.Z. in Überarbeitung).
5. APGO educational series on women’s health issues: Clinical management of abnormal uterine bleeding. Association of Professors of Gynecology and Obstetrics, May 2002.
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11. Lumsden MA, Wedisinghe L: Tranexamic acid therapy for heavy menstrual bleeding. Expert Opin Pharmacother. 2011; 12: 2089–2095. Review.
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