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Kongressbericht
28th Annual Congress of the European Association of Urology (EAU), Mailand, 15. bis 19. März 2013
Urogynäkologie
Neues zur Unterscheidung und Behandlung von Harninkontinenz
Zum Thema Urogynäkologie gab es am diesjährigen Programm der EAU vor allem Studien mit kleinen Fallzahlen. Obwohl keine evidenzbasierten Daten präsentiert wurden, geben die Untersuchungen Hinweise auf wichtige Fragestellungen, die in grösseren Studien untersucht werden sollten.
Biomarker für Unterleibsschmerzen und Harninkontinenz
Der BDNF (= Brain-Derived Neurotrophic Factor) ist ein Indikator für entzündliche Prozesse in der Harnblase. Bhide und Kollegen untersuchten, ob die BDNF-Konzentration im Urin bei Frauen mit respektive ohne Detrusorüberaktivität (DO) unterschiedlich ist (1). Von 75 Frauen mit LUTS (= Lower Urinary Tract Symptoms) konnten die Daten von 37 Frauen ausgewertet werden. 23 dieser Frauen hatten eine nachgewiesene DO, 14 Frauen zeigten keine Anzeichen für eine abnormale Detrusorkontraktion. Bei Frauen mit DO betrug die durchschnittliche BDNF-Konzentration 3,58 ± 4,71 – bei Frauen ohne DO lag der Wert bei 4,42 ± 5,20 (p = 0,16). Der BDNF ist somit wahrscheinlich kein hilfreicher Biomarker für die Diagnose einer DO. Im Urin von Patienten mit überaktiver Blase (OAB) wurden hohe Konzentrationen an NGF (= Nerve Growth Factor) und BDNF beschrieben, dagegen wurde von niedrigen NGF-Konzentrationen bei Stressinkontinenz (SUI) berichtet. Lopes und Kollegen untersuchten Urinproben von 20 Frauen mit SUI, von 32 Frauen mit Urgeinkontinenz (UUI) und von 20 gesunden Frauen als Kontrolle auf Unterschiede in den Konzentrationen von NGF und BDNF. Sie prüften bei 14 Patientinnen auch, ob ein operativer Eingriff (Transobturatorschlinge, MUS) bei SUI langfristige Änderungen bei den Urin-Neurophinen bewirkt (2). Zu Beginn der Studie hatten die SUI-Patientinnen geringe NGF- und BDNF-Konzentrationen, ähnlich den Konzentrationen, die bei gesunden Frauen
gefunden wurden. Patientinnen mit UUI hatten signifikant höhere Konzentrationen als SUI-Patientinnen (NGF: p = 0,014; BDNF: p< 0,001) und gesunde Patientinnen (NGF: p = 0,002; BDNF: p < 0,001). In der SUI-Gruppe war der NGF ein Jahr nach Operation angestiegen. Bei 4 Frauen, die eine De-novo-Urgeinkontinenz entwickelten, stiegen NGF und BDNF an. Fazit Die BDNF-Konzentration im Urin unterscheidet sich nicht bei Frauen mit/ohne Detrusorüberaktivität und kann somit nicht bei der Diagnose derselben eingesetzt werden. BDFN und NGF könnten aber leicht zugängliche Biomarker für das Vorhandensein einer Harninkontinenz und den Erfolg der Harninkontinenztherapie sein: Beide Marker waren in signifikant niedrigeren Konzentrationen im Urin von SUI- verglichen mit UUI-Patientinnen vorhanden. Nach Schlingenprozedur stiegen die Konzentrationen vor allem bei Frauen mit De-novo-Harndrang an. Einsatz von Schlingen bei Stressinkontinenz In einer prospektiven multizentrischen Kohortenstudie untersuchten Serati und Kollegen Wirksamkeit und Sicherheit von TVT-O-Schlingen bei Frauen mit reiner Stressinkontinenz in Bezug auf das Langzeitergebnis (3). Von den 191 eingeschlossenen Frauen hatten 21 (11%) bereits einen vorherigen «Anti-InkontinenzEingriff» erhalten. 6 Patientinnen konnten nicht nachbeobachtet werden. Die 5-Jahres-Heilungsraten betrugen subjektiv 90,3% und objektiv 90,8%. De-novo-überaktive Harnblasen (OAB) wurden von 24,3% der Frauen 5 Jahre nach Operation berichtet. Der ICIQ-SF-Score verbesserte sich von 16 bis 17 präoperativ auf 0 bis 2 (p < 0,0001). Das Versagen einer vorherigen Inkontinenzprozedur war der einzige unabhängige Faktor, um ein erneutes Auftreten einer Harninkontinenz abzusehen. Es wurden keine prädiktiven Faktoren für eine De-novo-OAB identifiziert. Um den Einfluss des Alters auf die Blasenfunktion darzustellen, untersuchten Zimmern und Kollegen (4) Blasenentleerungstörungen bei 945 Frauen, die sich einem Eingriff zur Behandlung der Stressinkontinenz (SUI) unterziehen wollten, aus den Studien SISTEr und TOMUS. Die Frauen waren median 50 Jahre alt, mit einer Spanne von 24 bis 82 Jahre. Der Messwert pdet.Qmax (= detrusor pressure at maximum flow) nahm signifikant über 2 cm H2O über jeweils 10 Jahre ab. Der Qmax verringerte sich signifikant mit dem Alter von median 27,4 (< 55 Jahre) auf 23,5 cc/sec (≥ 55 Jahre) in der Studie SISTEr respektive von 26,4, auf 24,1 in der Studie TOMUS. Die Miktionsdauer stieg 2 Sekunden über 10 Jahre Alterszugewinn an. Die Bestimmung des Restharns (PVR) und das totale Blasenvolumen waren nicht mit dem Alter assoziiert. Die Blasenleerung funktionierte hauptsächlich über die Detrusorkontraktion. Fazit Die TVT-O-Implantation ist eine hochwirksame Option für die Behandlung der reinen Stressinkontinenz mit einer hohen Heilungsrate und einer geringen Komplikationsrate nach 5 Jahren. Harnfluss und Entleerungsdruck verringerten sich mit dem Alter signifikant. Diese natürliche Entwicklung sollte beachtet werden, wenn LUTS nach Inkontinenzeingriff bewertet werden. 42 GYNÄKOLOGIE 3/2013 Kongressbericht 28th Annual Congress of the European Association of Urology (EAU), Mailand, 15. bis 19. März 2013 Alternative Therapien bei rezidivierenden Harnwegsinfekten Mit den zunehmenden Antibiotikaresistenzproblemen werden alternative therapeutische Optionen für wiederkehrende Infektionen des Harntrakts (rHWI) bedeutsam. Stepanova und Kollegen verglichen die Prophylaxe mit Ciprofloxacin und oralem Lactobacilli (L. rhamnosus GR-1 und L. reuteri RC-14) bei 85 Frauen mit unkomplizierten wiederkehrenden UTI (5). Innerhalb eines Jahres mit HWIProphylaxe konnte in beiden Gruppen die mediane Anzahl der Infektionen von 7,1 ± 2,5 auf 1,8 ± 0,7 unter Ciprofloxacinprophylaxe respektive von 6,3 ± 4,2 auf 2,7 ± 1,38 mit Lactobacilliprophylaxe verringert werden. Die Wirksamkeit war in beiden Gruppen signifikant nicht verschieden, allerdings war der mediane Zeitpunkt des Auftretens der ersten HWI mit 8,2 (vs. 3,8) Monaten in der Lactobacilligruppe signifikant früher (p < 0,0019). Die Strategie bei rezidivierten HWI besteht in der prophylaktischen Gabe von Antibiotika, die aber langfristig die Wiederkehr der Infektion nicht verhindern. Mit dem Wechseln der Antibiotika, höheren Dosierungen oder längerer Therapiedauer wird das Problem der Antibiotikaresistenz eher verstärkt. D-Mannose ist ein Einfachzucker, der in verschiedenen Früchten gefunden und auch im menschlichen Körper produziert wird. Die chemische Struktur führt zu einem Anheften an E.-coli-Bakterien. Ist genügend D-Mannose im Urin vorhanden, bindet der Zucker die Bakterien und verhindert die Anheftung an die Harnwegswände. In einer Pilotstudie untersuchten Porru und Kollegen, ob orale D-Mannose wirksam und sicher in der Therapie von rHWI bei erwachsenen Frauen ist (6). 42 Frauen wurden in die Studie eingeschlossen. Das mediane Intervall bis zur ersten ReInfektion wurde von 8 auf 15 Wochen bei Patienten unter Therapie verlängert, war aber statistisch nicht signifikant verschieden (p = 0,55). Die Rate an HWI-freien Patienten nach 4, 8 und 12 Wochen war verschieden (p = 0,03; 0,029; 0,129). Fazit Orale Lactobacilli zeigen eine Reduktion rezidivierender HWI pro Jahr, die mit Ciprofloxacin vergleichbar ist. Orale D-Mannose scheint eine wirksame Therapie bei rHWI bei erwachsenen Frauen zu sein. Operativer Eingriff bei Mischinkontinenz In der Literatur herrscht keine Einigkeit über die Sequenz, in der Frauen mit Mischinkontinenz behandelt werden sollten. Caremel und Kollegen untersuchten prospektiv an 62 Frauen, ob eine TVT-OProzedur oder Oxybutynin zu Anfang die bessere Option ist (7). Patientinnen, die mit ihrer ersten Therapie nicht zufrieden waren, wechselten in den anderen Therapiearm. Die Nachbeobachtungszeit betrug 56 Wochen. Nach 12 Wochen waren 64% (n= 20) der Patientinnen, die erst eine TVT-O-Implantation erhalten hatten, mit ihrer Therapie zufrieden. 80% dieser zufriedenen Patientinnen waren geheilt (n = 16). Nur 16% (n = 5) der Patienten mit Oxybutynin als erste Therapieoption waren nach 12 Wochen zufrieden, und nur 1 Patientin war geheilt. Nach 12 Wochen wechselten 84% vom Oxybutyninin den TVT-O-Arm, und 61,5% dieser Patientinnen (n = 16) waren nach 56 Wochen geheilt. Nur 35% (n = 11) der Patientinnen des TVT-O-Arms wechselten in den Oxybutyninarm – 2 Patientinnen waren in Woche 56 geheilt. Fazit Patientinnen mit moderater bis schwerer Mischinkontinenz, die zuerst operativ behandelt werden, haben ei- ne bessere Heilungschance als Pati- entinnen, die erst medikamentös be- handelt werden. ■ Ine Schmale Referenzen: 1. Bhide A et al.: Urinary brain-derived neurotrophic factor (BDNF) level does not correlate with detrusor overactivity. Eur Urol Suppl 2013; 12: e672. 2. Lopes A et al.: Urinary levels of neurotrophins differ between women with stress urinary incontinence and women with urgency urinary incontinence. Eur Urol Suppl 2013; 12; e673. 3. Serati M et al.: TVT-O for the treatment of pure urodynamic stress incontinence in females: Efficacy and adverse events at 5 years follow-up. Eur Urol Suppl 2013; 12: e726. 4. Zimmern P et al.: The effect of aging on voiding function in women with stress-predominant urinary incontinence prior to surgical intervention. Eur Urol Suppl 2013; 12: e722. 5. Stepanova N et al.: Oral lactobacilli vs antibiotic prophylaxis for recurrent urinary tract infections in premenopausal woman. Eur Urol Suppl 2013; 12: e892. 6. Porru D et al.: Recurrent urinary tract infections in adult women: A pilot study with oral d-mannose. Eur Urol Suppl 2013; 12: e894. 7. Caremel R et al.: A multi-centre randomized controlled study comparing surgical and pharmacological therapy to treat mixed urinary incontinence. Eur Urol Suppl 1013; 12: e785. Antibiotikagebrauch und Resistenzen Weltweit werden immer mehr multiresistente Bakterienstämme bis hin zu komplett resistenten Stämmen gegenüber allen derzeit verfügbaren Antibiotika beobachtet. Die Resistenzentwicklung schreitet schnell voran: ■ da die Selektion durch häufigen Anti- biotikamissbrauch beschleunigt wird; ■ weil die resistenten Gene unter Bakte- rien weitergegeben werden; ■ weil resistente Bakterien zwischen Mensch und Umwelt ausgetauscht werden. Klone, die bereits resistent gegenüber einer antimikrobiellen Substanz sind, scheinen zudem einfacher weitere Resistenzgene aufzunehmen. In den nächsten Jahren ist keine Zulassung neuer Antibiotika zu erwarten. Alarmierend ist daher, dass die Entwicklung von Resistenzen gegenüber Antibiotika durch Zugabe zum Tierfutter, Gebrauch in der Tiermedizin sowie Verbreitung der resistenten Stämme durch Tourismus und internationalen Handel noch beschleunigt wird. Somit ist es dringend notwendig, weltweit den Antibiotikagebrauch zu verringern. Die EAU ruft dazu auf, die Notwendigkeit der Antibiotikagabe bei jedem Patienten individuell zu überdenken und Antibiotika entsprechend einzusetzen. Langfristig sollte der Antibiotikagebrauch gesetzlich auf medizinische Zwecke begrenzt werden. Quelle: Kahlmeter G: Antibiotics – the urological time bomb. EAU 2013, Thematic Session 13. GYNÄKOLOGIE 3/2013 43