Transkript
SCHWERPUNKT
Blutgruppeninkompatibilität
Update und Ausblick
Die klassische Blutgruppeninkompatibilität mit dem D-Antigen und die Gefährdung von Fetus und Neugeborenen waren bis in die 1990er Jahre ein grosses Problem in der Geburtshilfe, welches dann insbesondere durch die Einführung der Anti-D-Prophylaxe verringert werden konnte. Durch künftige diagnostische und therapeutische Optionen wird die Fallzahl der Blutgruppeninkompatibilität, auch mit anderen Antigenen, weiter abnehmen.
CORNELIA HOFSTAETTER
Seit der möglichen Therapie mit Anti-D-Immunglobulin nach Geburten, Aborten, Eingriffen und Traumata und speziell durch die Einführung der Anti-DProphylaxe in der 28. Schwangerschaftswoche (SSW) sowie durch die nicht invasive Überwachung der betroffenen Schwangeren tritt Blutgruppeninkompatibilität mit dem D-Antigen immer weniger auf. Zukünftig kann sich die Anzahl der Blutgruppeninkompatibilität – auch mit weiteren Antigenen – durch die frühe nicht invasive Bestimmung der fetalen Blutgruppe im mütterlichen Blut und die Entwicklung weiterer Immunglobuline nochmals reduzieren lassen.
Einleitung
Eine mütterliche Blutgruppenunverträglichkeit tritt auf, wenn das mütterliche Abwehrsystem gegen ein fremdes Erythrozytenoberflächenantigen sensibilisiert wird und spezifische Immunglobulin-G-(IgG-)Antikörper gebildet werden. Am häufigsten geschieht eine Sensibilisierung durch Bluttransfusionen oder durch eine fetomarternale Bluttransfusion im Rahmen von Geburten, Aborten, invasiven Eingriffen und Traumata. Das Rhesusblutgruppensystem ist am meisten betroffen und besteht aus den c-, C-, D-, e- und E-Antigenen (1). Der klassische Fall ist die Rhesusinkompatibilität. Dabei wird eine rhesusnegative Frau (ccddee) gegen D sensibilisiert, und Anti-D-IgG-Antikörper werden produziert. Im Falle einer Schwangerschaft gelangen diese Anti-D-Antikörper über die Plazenta in den fetalen Kreislauf und können bei einem rhesuspositiven Feten zur Zerstörung der roten Blutkörperchen und zu einer Anämie führen. Bei einem Hb-Abfall unter 6 g/dl kommt es zu einem hohen Auswurfherzversagen und zum Hydrops fetalis. Diese hämolytischen Erkrankungen von Fetus und Neugeborenen waren bis 1970 wesentliche Ursachen
für eine perinatale Mortalität und Morbidität und langfristige Behinderungen gewesen (1). Das veränderte sich deutlich durch die Einführung der Anti-DImmunglobulin-Therapie bei rhesusnegativen Frauen nach der Geburt eines rhesuspositiven Kindes und nach Aborten, invasiven Eingriffen und Traumata, da so eine Sensibilisierung dieser Frauen vermieden werden konnte (1, 2). Eine weitere Reduzierung von Rhesusinkompatibilität wurde durch die Anti-D-Immunoglobulin-Prophylaxe in der 28. Schwangerschaftswoche seit 1990 erreicht (3), zumindest in den industrialisierten Ländern, wo man sich das finanziell leisten kann.
Pathophysiologie
Eine Blutgruppeninkompatibilität wird vorwiegend durch das Rhesusblutgruppensystem verursacht, das aus den c-, C-, D-, e- und E-Antigenen besteht. AntiD-Antikörper sind hauptsächlich für die Rhesusinkompatibilität und einen Morbus haemolyticus verantwortlich. Aber auch Anti-c und Anti-E sowie Anti-Kell-Antikörper können dazu führen (1, 4, 5) (Tabelle 1). Eine transplazentare fetomaternale Transfusion tritt in 75% der Schwangerschaften auf und ist hauptverantwortlich für eine mütterliche Sensibilisierung. Diese hängt von der Menge des transfundierten Bluts ab, welche mit ansteigendem Gestationsalter zunimmt und am grössten zum Zeitpunkt der Geburt ist (6, 7). Aber auch spontane und induzierte Aborte, Eileiterschwangerschaften, invasive Eingriffe (Chorionzottenbiopsie, Amniozentese, Nabelschnurpunktion usw.), plazentare Blutungen, Traumata und vor allem Manipulationen am Uterus wie bei Sectio caesarea oder manuelle Plazentalösung können eine fetomaternale Transfusion bewirken. Eine Sensibilisierung kann aber auch ohne äussere Geschehnisse eintreten (8).
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SCHWERPUNKT
Andere Ursachen für eine Sensibilisierung sind Bluttransfusionen von nicht kompatiblen Blutkonserven, beispielsweise Kell-Antigene, falsch bestimmte kindliche Blutgruppe und vergessene, zu spät erfolgte oder nicht ausreichende Anti-D-Prophylaxe. Die höchste Prävalenz an rhesusnegativen Menschen findet sich bei der weissen Bevölkerung mit 15 bis 16%, gefolgt von Afroamerikanern (8%), Afrikanern (4%), Eurasiern (2–4%) und Indianern (1–2%). Unter 1% liegt der Anteil bei der asiatischen Bevölkerungsgruppe (5).
Überwachung der Schwangerschaft einer rhesusnegativen Mutter
Entscheidend für die Prävention einer Blutgruppeninkompatibilität ist die Erfassung der ABO-Blutgruppe und des Rhesussystems möglichst bei allen Frauen im gebärfähigen Alter, um zum Beispiel eine Sensibilisierung durch falsche Bluttransfusionen zu vermeiden. Im Falle einer Schwangerschaft sollte früh die Blutgruppe überprüft und der Antikörperstatus durch den indirekten Coombs-Test bestimmt werden. Das sollte um die 28. SSW wiederholt werden. Bei einer rhesusnegativen Schwangeren wäre es auch sinnvoll, die Blutgruppe des Kindsvaters zu kennen, da bei einem heterozygoten Status für das D-Gen der Fetus zu 50% rhesusnegativ ist (Tabelle 2). Mittlerweile ist es auch möglich, die fetale Blutgruppe mit dem Rhesusstatus anhand der fetalen DNA im mütterlichen Blut zu untersuchen (9).
Therapie bei betroffenen Schwangeren
Bei einer eingetretenen Sensibilisierung der Schwangeren werden die irregulären Antikörper alle 2 bis 4 Wochen untersucht, und bei einem Titer > 1:32 muss der Fetus genauer überwacht werden. In der Vergangenheit geschah das zunächst durch die spektrofotometrische Bestimmung der Bilirubinintensität im Fruchtwasser nach Liley, um den Grad der Hämolyse
Tabelle 1:
Assoziation zwischen irregulären Erythrozytenantikörpern und hämolytischer Erkrankung von Fetus und Neugeborenem
Hämolytische Erkrankung von Fetus und Neugeborenem häufig selten
Irreguläre Erythrozytenantikörper
D, Anti-Kell, c, E Anti-e, C, cE, Ce, Duffy, Fy
Tabelle 2:
Erwartungswerte in % für rhesuspositive Kinder, abhängig vom Rhesusstatus des Kindsvaters
Rhesusstatus Mutter ccddee ccddee ccddee ccddee ccddee
Rhesusstatus Vater CCDee CcDEe ccDEE CcDee ccDEe
Fet D-positiv; % 100 94,5 92,8 53,1 53,1
Fet D-negativ; % 0 5,5 7,2 46,9 46,9
zu bestimmen (10). Erst bei einem positiven Ergebnis wurde dann eine Cordozentese mit eventuell intrauterinen Bluttransfusion durchgeführt (11). Sonst waren wiederholte Punktionen notwendig, jedes Mal mit dem Risiko für einen Abort und auch eine zusätzliche Sensibilisierung. Mari und Kollegen (12) konnten dann 1995 zeigen, dass die Maximalgeschwindigkeit in der Arteria cerebri media gut die Viskosität des fetalen Bluts widerspiegelt und sie bei den anämischen Feten oberhalb des normalen Mittelwerts lag. Inzwischen werden alle Schwangerschaften von sensibilisierten Frauen dopplersonografisch zwischen der 16. und 35. kompletten SSW überwacht, und erst bei einem Anstieg der Vmax über die 95. Perzentile der Normkurve wird eine Cordozentese in Transfusionsbereitschaft durchgeführt (Abbildung 1) (13). Eine
Vmax 79 cm/s, fetales Hb 5,7 g/dl
Abbildung 1: 95. Perzentile der Maximalgeschwindigkeit (Vmax) in der Arteria cerebri media nach Mari et al. (13).
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SCHWERPUNKT
Abbildung 2: Fetaler Aszites
Transfusion wird mit 0-Rhesus-negativem und CMVnegativem Blut mit einem Hämatokrit zwischen 75 und 80% durchgeführt, wenn das fetale Hb unter 8 g/dl respektive der Hkt unter 30% liegt (1). Die Menge des transfundierten Bluts sollte zirka 10% des fetalen Gewichts betragen und liegt zwischen 5 und 50 ml je nach dem Gestationsalter. Die Transfusionen müssen dann alle 10 bis 14 Tage wiederholt werden. Das hängt davon ab, wie viel der Fetus noch an Erythrozyten produziert, erkennbar ist das an der Anzahl der Retikulozyten (14, 15). Insgesamt nahm die Anzahl invasiver Eingriffen über die letzten Jahre deutlich ab. Die Bestimmung der irregulären Antikörpertiter ist nur in der ersten Schwangerschaft von sensibilisierten Frauen sinnvoll, da es meist zu keiner oder zu einer sehr späten fetalen Anämie kommt und die Titer nicht sehr hoch sind. Aber ein Titer > 1:1024 korreliert nicht mehr mit der Schwere der Anämie. Nach einer intrauterinen Therapie und in nachfolgenden Schwangerschaften ist die Bestimmung der Titer nicht mehr sinnvoll. Man muss davon ausgehen, dass bei einem Status nach Blutgruppeninkompatibilität eine intrauterine Bluttransfusion etwa 10 Wochen eher notwendig wird als in der ersten betroffenen Schwangerschaft (2, 16). Eine Ausnahme findet sich bei den sehr aggressiven Kell-Antikörpern, die schon bei niedrigen Titern und bereits in der ersten betroffenen Schwangerschaft zu einer schweren fetalen Anämie führen können. Bei einer schweren fetalen Anämie unter 6 g/dl kommt es aufgrund einer hohen Auswurfherzinsuffizienz zu einem Hydrops fetalis mit fetaler Kardiomegalie, AV-Klappeninsuffizienz, Aszites und einem Hautödem in der oberen Körperhälfte (15) (Abbildung 2).
Indikationen für die Rhesusprophylaxe Diese schwere Komplikation einer Rhesusinkompatibilität ist zum Glück in der westlichen Welt nur noch selten zu sehen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die
Rhesusprophylaxe mit 300 µg Anti-D-Immunglobulin bei nicht sensibilisierten rhesusnegativen Frauen, die in folgenden Fällen empfohlen wird (17): ■ zwischen der 28. und 30. Schwangerschaftswoche ■ bei Schwangerschaftskomplikationen
(bei Spontanaborten, induzierten Aborten, EUG, invasiven Eingriffen, vaginalen Blutungen, therapiebedürtiger vorzeitiger Wehentätigkeit, vorzeitigem Blasensprung, hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen, nach Cerclage und totalem Muttermundverschluss, nach äusserer Wendung, Trauma jeglicher Art) ■ als postpartale Prophylaxe nach Geburt eines rhesuspositiven Kindes bei rhesusnegativer Mutter respektive mit Partial-D innerhalb von 72 Stunden postpartal (falls verpasst auch bis zu 14 Tage postpartal). Eine zusätzliche Gabe von Anti-D-IgG sollte bei einer fetomaternalen Makrotransfusion gegeben werden. Diese kann durch die Bestimmung von HbF im mütterlichen Blut durch den Kleihauer-Test gemessen werden. Dabei entspricht der Anteil in Promille fetaler Erythrozyten x 5 den ml transfundierten Bluts. Bei ≥ 2‰ fetalen Erythrozyten sollte eine zusätzliche beziehungsweise eine höhere Anti-D-Gabe erfolgen. Eine Anti-D-IgG-Gabe ist auch bei Gabe von Thrombozyten- und Granulozytenpräparaten sowie bei einer Fehltransfusion von rhesuspositivem Blut an rhesusnegative Frauen erforderlich.
Ausblick
Durch konsequente Anwendung der genannten
Massnahmen und vor allem Bestimmung der fetalen
Blutgruppe mit Rhesusantigenen und Kell-Status mit-
tels fetaler DNA im mütterlichen Blut sowie die wei-
tere Entwicklung von Immunglobulinen gegen c, C,
e, E und Kell-Antigenen wird die Blutgruppeninkom-
patibilität in Zukunft nur noch selten ein Problem
sein. Eine Prophylaxe würde dann nur noch in indi-
zierten Fällen notwendig sein, was wiederum zu einer
Verminderung der Gesundheitskosten führt.
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PD Dr. med. Cornelia Hofstaetter Universitätsfrauenklinik Inselspital 3010 Bern E-mail: cornelia.hofstaetter@insel.ch
Quellen:
1. Arraut A, Tran SH Caughey AB.: Erythrocyte alloimmunization and pregnancy. eMedicine Journal 2011, http://emedicine.mediscape.com/article /273995-overview.
2. Oepkes D.: The modern management of red cell alloimmunization. The Obstetrician & Gynecologist 2003; 5: 15–20.
3. The Royal College of Obstetricians and Gynaecologists: The use of anti-D immunoglobulin for rhesus D prophylaxis. Green-top Giuideline No. 22, March 2011.
4. Gajar K, Spencer C.: Diagnosis and management of non-anti-D red cell antibodies in pregnancy. The Obstetrician & Gynecologist 2009; 11: 85–89.
5. Egbor M, Knott P, Bhide A.: Red-cell and platelet alloimmunisation in pregnancy. Best practise & Research Clinical Obsetrics & Gynaecology, 2012; 26: 120–132.
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6. Chaplin Jr. H, Cohen R, Bloomberg G et al.: Pregnancy and idiopathatic autoimmune haemolytic anaemi: a prospective study during 6 months gestation and 3 months post partum. Br J Haematol 1973; 24: 219.
7. Medearis AL, Hensleigh PA, Parks DR et al.: Detection of fetale erythrocytes in maternal blood post partum with the fluorescence-activated cell sorter. Am J Obstet Gynecol 1982; 148: 290.
8. Kudva GC, Branson KD, Grossman BJ.: RhD alloimmunization without apparent exposure to RhD antigen. Am J Hematol 2006; 81: 218.
9. Pirelli K, Pietz B, Johnson S et al.: Molecular determination of RhD zygosity. Prenat Diagn 2010; 30 (12–13):1207–1212.
10. Liley AW.: Liquor amnil analysis in the management oft he pregnancy complicated by rhesus sensitisation. Am J Obstet Gynecol 1961; 82: 1359–1370.
11. Rodeck CH, Holman CA, Karnicki J et al.: Direct intravascular fetal blood transfusion by fetoscopy in severe rhesus iso-immunisation. Lancet 1981, 1: 625–627.
12. Mari G, Adrignolo A, et al.: Diagnosis of fetal anemia with Doppler ultrasound in the pregnancy complicated by maternal blood group immunization. Ultrasound Obstet Gynecol 1995; 5: 400–405.
13. Mari G, Deter RL, Carpenter RL et al.: Noninvasive diagnosis by Doppler ultrasonography of fetal anemia due to maternal red-cell alloimmunization. Collaborative Group for Doppler Assessment of the Blood Velocity in Anemic Fetuses. N Engl J Med 2002; 342: 9–14.
14. Unveröffentliche Daten aus der Universitätsfrauenklinik Bonn.
15. Nicolaides KH, Thilaganathan B, Rodeck CH et al.: Erythroblastosis and reticocytosis. Am J Obstet Gynecol 1988; 159: 1063.
16. Nicolaides KH, Rodeck CH.: Maternal serum anti-D antibody concentration and assessment of rhesus immunization. BMJ 1992; 304: 1155.
17. Anti-D Rhesusprophylaxe. Aktualisierte Richtlinien der Akademie Feto-Maternale Medizin vom 24. Juli 2005 in Lugano.
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