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Journal Club
Brustkrebs/Systematische Mammografie
Sind Screeningprogramme wirklich so effektiv?
Mammografiescreeningprogramme werden in vielen Nationen (bzw. Regionen/Kantonen) mit hoher öffentlicher Unterstützung angeboten, mit dem Ziel, Brustkrebs in einem möglichst frühen Stadium zu diagnostizieren, zu therapieren und damit die Heilungschancen zu erhöhen. Eine gross angelegte Studie in den USA über drei Jahrzehnte zeigte jetzt, dass trotz hoher Früherkennungsrate die Brustkrebsmortalität nur marginal reduziert wurde.
Review aus New England Journal of Medicine
Für Früherkennungsprogramme müssen zwei Voraussetzungen zur krebsbedingten Mortalitätsreduktion erfüllt sein: 1. Das Screening muss Malignome, die
im fortgeschrittenen Stadium tödlich sind, in einem frühen Stadium erkennen können. 2. Die frühe Therapie muss deutliche Vorteile gegenüber derjenigen bei manifester (fortgeschrittener) Erkrankung haben. Da beide Voraussetzungen für den Brustkrebs zutreffen, sollten beim systematischen Screening folglich mehr Erkrankungen im frühen Stadium erkannt werden, womit die Inzidenz der Tumore im Spätstadium sinkt.
der Inzidenzen von Frühstadium- (duktale In-situ-Karzinome sowie lokalisierte Karzinome) und Spätstadiumerkrankungen bei Frauen nach dem 40. Lebensjahr.
Resultate
Verdoppelte Inzidenz der detektierten frühen Brusttumore Die Einführung der Screeningprogramme in den USA vor drei Jahrzehnten hat bis 2008 zu einer jährlichen Verdopplung der Tumoren im frühen Stadium geführt (112 versus 234/100 000 Frauen; entsprechend 122/100 000 zusätzliche Diagnosen). Die Rate der Frauen, die sich mit Brustkrebs im Spätstadium vorstellten, hat um 8% abgenommen.
Datenauswertung 1976 bis 2008
Die USA haben über 30 Jahre Erfahrung mit Mammografiescreeningprogrammen bei Frauen ab dem 40. Lebensjahr. In der jetzt publizierten amerikanischen Studie (1) ■ prüften die Studienleiter den Effekt
des Screenings auf die stadiumspezifische Inzidenz von Brustkrebs ■ quantifizierten sie den erwarteten Anstieg der Inzidenz der Frühstadiumtumore und ■ bestimmten, inwieweit dieser Effekt zu einer Reduktion der Inzidenz der Spätstadiumtumore geführt hatte. Analysiert wurden Daten zu Surveillance und Epidemiologie sowie Endresultate (SEER) des US-amerikanischen National Cancer Institute (NCI) für Frauen ab dem 40. Lebensjahr im Zeitraum von 1976 bis 2008. Untersucht wurden dabei Trends
Nutzen des Screenings? Jedoch zeigte die Auswertung der Krankheitsdaten der Frauen, deren Brustkrebs früh diagnostiziert und entsprechend therapiert worden war, dass nur 8 von den 122/100 000 zusätzlich früh diagnostizierten Fällen sich zu einer fortschreitenden Krankheit entwickelt hätten. Nach Ausschluss eines vorübergehenden Anstiegs der Brustkrebsdiagnosen durch die vor Jahren allseits empfohlene Hormonersatztherapie und nach Adjustierung der Trends in der Brustkrebsinzidenz bei unter 40-jährigen Frauen schätzten die Studienleiter, dass Brustkrebs in den letzten 30 Jahren bei 1,3 Millionen Frauen in den USA «überdiagnostiziert» wurde. Das bedeutet, dass Tumore beim Screening diagnostiziert und behandelt wurden, die niemals zu klinischen Symptomen geführt hätten.
Die Analyse für das Jahr 2008 ergab, dass im Jahr 2008 Brustkrebs bei 70 000 Frauen entsprechend überdiagnostiziert wurde, was 31% aller Brustkrebsdiagnosen in diesem Jahr in den USA entsprach.
Folgerung der Autoren
Die Autoren fanden heraus, dass trotz
der steigenden Zahl der diagnostizierten
Brusttumore im Frühstadium als Folge
des Screenings die Rate der Brustkrebs-
fälle in fortgeschrittenen Stadien in den
USA damit nur marginal verringert
wurde. Auf der anderen Seite scheint es
bei fast einem Drittel der Frauen eine
deutliche Überdiagnose zu geben, wo-
mit weitere Diagnostik, Therapien und
Ängste der Patientinnen unnötig wür-
den.
Insgesamt scheint das Screening nur ei-
nen geringen Effekt auf die brustkrebs-
bedingte Mortalität bei den Frauen, die
sich dem Screening unterziehen, zu ha-
ben, so die Folgerung. Zu beachten ist
aber, dass sich die Mortalität des Brust-
krebses in den letzten 30 Jahren um 28%
verringert hat (im Mittel 51 von 71 Todes-
fällen pro 100 000 Brustkrebspatientin-
nen), was auf die verbesserten Therapie-
sowie Diagnosemöglichkeiten zurückge-
führt wird.
Zu berücksichtigen sind in diesem Zu-
sammenhang auch die Resultate einer
ebenfalls kürzlich publizierten norwegi-
schen Studie (2), welche die Prognose
von Frauen, die zwischen zwei Screening-
intervallen an Brustkrebs erkrankt waren,
untersuchte und mit der von Frauen mit
Brustkrebs, die keine Einladung zum
Screening erhalten hatten, verglich. Ob-
wohl angenommen wurde, dass die erste
Gruppe an aggressiveren Tumoren litt,
waren in beiden Gruppen die Überle-
bensraten ähnlich.
■
Bärbel Hirrle
Quellen:
1. Bleyer A et al.: Effect of Three Decades of Screening Mammography on Breast-Cancer Incidence. N Engl J Med 2012; 367: 1998–2005.
2. Kalager M et al.: Prognosis in women with interval breast cancer: population based observational cohort study. BMJ 2012; 345: e7536.
GYNÄKOLOGIE 1/2013
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