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SCHWERPUNKT
Habituelle Aborte
Diagnostik und Therapie
Habituelle Aborte sind nicht häufig, spielen aber aufgrund des hohen Leidensdrucks der Paare in der Praxis eine bedeutende Rolle. Oft werden von den Betroffenen eine vorzeitige Diagnostik oder auch wenig sinnvolle diagnostische Verfahren und Therapien gefordert, über die sie im Internet gelesen haben. Im Folgenden soll versucht werden, die Empfehlungen internationaler Gesellschaften darzustellen und eine praxisrelevante, sinnvolle Empfehlung abzuleiten.
MICHAEL VON WOLFF
Habituelle Aborte, das heisst 3 Frühaborte in Folge bis zur 12. Schwangerschaftswoche, treten bei 1% der Paare auf. Diese Zahl muss jedoch für die Praxis weiter aufgeschlüsselt werden. So gibt es für die Planung einer Diagnostik und Therapie Folgendes zu bedenken: 1. Sporadische Aborte beruhen meist auf Aneuploi-
dien und haben somit eine fetale, nicht therapierbare Ursache, wogegen habituelle Aborte eher maternal bedingt und somit potenziell therapierbar sind. 2. Die Wahrscheinlichkeit eines Abortes ist stark altersabhängig. Folgt man dem deutschen IVF-Register (1), so liegt die Abortrate nach einem Transfer frischer Embryonen bis zum Alter von 34 Jahren bei zirka 15%, von 35 bis 39 Jahren bei zirka 20% und von 40 bis 44 Jahren bei zirka 35%. Das bedeutet, dass auch die Wahrscheinlichkeit habitueller Aborte im Sinne einer Abfolge sporadischer Aborte mit einer fetalen Ursache mit dem mütterlichen Alter zunimmt. Medizinisch betrachtet sollte aufgrund dessen eine Diagnostik und Therapie auch bei älteren Frauen nicht vor dem dritten Frühabort erfolgen, da die Wahrscheinlichkeit von Aneuploidien als Abortursache mit dem Alter zunehmend wahrscheinlicher wird. In der Praxis besteht aber aufgrund des Leidensdrucks der Patientin und des Zeitfaktors eine genau gegenteilige Tendenz zu einer vorzeitigen Diagnostik und Therapie, was ökonomisch wie medizinisch wenig sinnvoll ist. 3. Die Wahrscheinlichkeit eines nochmaligen Abortes nach einem oder mehreren vorangegangenen Aborten steigt nur sehr langsam an. Die Datenlage ist spärlich, man geht aber von einem Risiko für einen nochmaligen Abort nach einem Abort von zirka 20%, nach 2 Aborten von zirka 30% und nach 3 Aborten von zirka 40% aus. Das bedeutet,
dass die Chance einer erfolgreich ausgetragenen Schwangerschaft selbst nach 3 Aborten immer noch höher als die eines nochmaligen Abortes ist. Solange kein offensichtlicher, in der Routineabklärung diagnostizierbarer und auch therapierbarer Risikofaktor wie ein grosses Uterusseptum vorliegt, sollte diese Situation der Patientin erklärt werden, um eine verfrühte systematische Abklärung zu vermeiden. Dies gilt streng genommen auch für Frauen, bei denen eine Kinderwunschtherapie erfolgt. Daher gilt: Wiederholte Frühaborte sollten grundsätzlich erst nach drei Aborten systematisch abgeklärt werden, um eine Übertherapie zu vermeiden.
Ursachen und Therapien habitueller Aborte
Bei der Analyse potenzieller Ursachen habitueller Aborte gibt es zwei mögliche Vorgehensweisen: ■ Die Prävalenz bestimmter Pathologien bei Frauen
mit habituellen Aborten kann bestimmt werden. Eine hohe Prävalenz einer Pathologie kann dann als mögliche Abortursache erklärt werden. Diese Vorgehensweise ist üblich, kann aber zu falschen Interpretationen führen. ■ Daher sollte auf Studien zurückgegriffen werden, die randomisiert untersucht haben, ob eine Behandlung der vermeintlichen Abortursache, also des Faktors, der bei Abortpatientinnen eine erhöhte Prävalenz zeigt, zu einer reduzierten Abortwahrscheinlichkeit führt. Dieses Vorgehen wäre quasi der Beweis für die klinische Relevanz des potenziellen Abortfaktors. Leider gibt es nur wenige qualitativ gute Studien, die die Behandlung der potenziellen Abortfaktoren untersucht haben. Daher besteht weiterhin diesbezüglich grosse Unsicherheit.
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SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Empfehlungen führender Fachgesellschaften zur Diagnostik potenzieller Ursachen wiederholter Frühaborte
Diagnostik ab welcher Abortanzahl? Epidemiologische und Lifestylefaktoren
Anatomische Faktoren
European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE), 2006 (16) ■ ≥ 3 Frühaborte in Folge
bis zur 20. SSW Anamnese: ■ Alter der Patientin? ■ Hoher BMI? ■ Stammbaumanalyse ■ Starker Konsum von Alkohol,
Nikotin, Koffein? ■ Aufnahme von Quecksilber, Blei,
organischen Lösungsmitteln? Keine Empfehlung
Endokrine Faktoren Thrombophile Faktoren
■ Glukose i.S. ■ Schilddrüsenfunktionsanalyse Keine Empfehlung
Genetische Faktoren
■ Karyotypisierung beider Eltern nach 2 Aborten
Autoimmunfaktoren
■ Antiphospholipid-Antikörper (Lupus-Antikoagulanz, Antikardiolipin-Antikörper)
Psychologische Faktoren
Keine Empfehlung
Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG), 2011 (15)
■ ≥ 3 Frühaborte in Folge
Anamnese: ■ Alter der Patientin? ■ Hoher BMI? ■ Starker Konsum von Alkohol?
■ Sonografie ■ Bei unklaren Befunden: Hysteroskopie,
ggf. Laparoskopie, 3D-Sonografie ■ Keine eindeutige Empfehlung
zur TSH-Bestimmung und PCO-Diagnostik ■ Faktor-V-Leiden Mutation ■ Prothrombin (Faktor II)-Mutation ■ Protein S ■ Karyotypisierung des Abortmaterials
ab dem 3. Abort ■ Karyotypisierung beider Eltern falls
unbalancierte strukturelle Chromosomenanomalie im Abortmaterial ■ Antiphospholipid-Antikörper (Lupus-Antikoagulanz, Antikardiolipin-Antikörper, Anti-β2Glykoprotein–Antikörper) (Diagnose falls: Lupus-Antikoagulanz- oder Antikardiolipin-Antikörper-IgG und/oder -IgM im Abstand von mindestens 12 Wochen mit einer Konzentration > 40 g/l oder > 99. Perzentile (cave: hohe Variabilität unter den Laboren) Keine Empfehlung
Unterschiedliche Empfehlungen der Fachgesellschaften Diese Unsicherheit drückt sich in den Unterschieden vieler Empfehlungen internationaler Fachgesellschaften auf, für die exemplarisch jene der European Society of Gynecological Endocrinology and Reproductive Medicine (ESHRE) und jene des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) in Tabelle 1 und Tabelle 2 dargestellt sind. Diese Empfehlungen sind aus Sicht des Autors aufgrund ihrer Divergenz und aufgrund ihrer Beschränkung auf rein evidenzbasierte Faktoren in der täglichen Praxis nur bedingt eine Hilfe. Vielmehr sollten die Empfehlungen zu einer praxisrelevanten Empfehlung verschmelzen, die auch Faktoren einschliesst, deren Relevanz in Studien zwar noch nicht bewiesen wurde, aber aufgrund allgemeiner Logik wahrscheinlich sowie mit einem geringen Aufwand abgeklärt und mit
einem vernünftigen Risiko-Nutzen-Verhältnis therapiert werden können. Das Ergebnis einer solchen Verschmelzung wird in Tabelle 3 dargestellt.
Für die tägliche Praxis sollten die teilweise unterschiedlichen Empfehlungen der Fachgesellschaften integriert und in die tägliche Praxis übersetzt werden. Im Folgenden werden die Grundlagen der Empfehlungen hinsichtlich der einzelnen potenziellen Abortursachen kurz dargestellt und kritisch beleuchtet.
Lifestylefaktoren Nikotinkonsum wurde in der Vergangenheit mit einer erhöhten Rate sporadischer Aborte assoziiert. Neuere Untersuchungen konnten diesen Zusammenhang jedoch nicht eindeutig belegen (2). Im Gegensatz dazu ist Alkohol embryotoxisch und scheint bei dem Konsum von ≥ 5 Einheiten pro Woche
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SCHWERPUNKT
Tabelle 2:
Empfehlungen führender Fachgesellschaften zur Therapie potenzieller Ursachen wiederholter Frühaborte
Therapie von Lifestylefaktoren
Therapie anatomischer Faktoren Therapie endokriner Faktoren
European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE), 2006 (16) ■ Diät ■ Reduktion von Alkohol, Nikotin
und Koffein Keine Empfehlung ■ Progesteronsubstitution bei
idiopathischen Aborten
Therapie bei einer Thrombophilie ■ Aspirin und/oder niedermolekulares
Heparin (nur bei mehreren
Thrombophiliefaktoren)
■ Folsäure bei Hyperhomocysteinämie
Therapie bei genetischen
Keine Empfehlung
Faktoren
Therapie von Autoimmunfaktoren
■ Intravenöses Immunglobulin bei sekundären, idiopathischen Aborten
Therapie psychologischer Faktoren ■ «Tender loving care»
Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG), 2011 (15)
Keine Empfehlung
■ Keine klare OP-Empfehlung Keine Empfehlung (Ergebnisse einer Multizenterstudie werden erwartet [www.medscinet.net/promise]) ■ Heparin (Level 3*)
■ Genetische Beratung (Chance für eine Geburt bei Spontankonzeption höher als bei IVF mit Präimplantationsscreening) (Level 2*)
■ Antiphospholipid-Syndrom: Low dose Aspirin und Heparin (Level 1*); (keine Reduktion der Knochenmasse durch Heparin [Level 2*]) Bei Schwangerschaft mit APS: hohes Risiko für Abort, Präeklampsie, Frühabort und Wachstumsretardierung (Level 2*)
Keine Empfehlung
*Evidenzlevel: Level 1: Metaanalyse; Level 2: qualitativ hochwertige Fallkontrollstudien oder Kohortenstudien; Level 3: Fallserien
(1 Einheit = 1 Glas Wein [10 cl] oder zwei Glas Bier [25 cl]) zu einer erhöhten Rate sporadischer Aborte zu führen (3). Gleiches gilt möglicherweise für einen Kaffeekonsum mit ≥ 375 mg Koffein/Tag (= ca. 5 Tassen/ Tag; 1 Tasse = 40–120 mg Koffein) (2). Retrospektive Untersuchungen haben einen Zusammenhang einer Adipositas mit sporadischen und habituellen Aborten hergestellt. Das Risiko für einen Abort steigt gemäss einer Studie bei einem BMI > 30 um den Faktor 1,3 an (4). Bei habituellen Aborten betrug das Risiko für einen nochmaligen Abort bei Frauen mit einem BMI < 30 43% und mit einem BMI > 30 zirka 50% (5). Ob die Adipositas als solche oder ob das mit einer Adipositas einhergehende polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) die Ursache für das erhöhte Risiko darstellt, ist unklar.
Der Einfluss von Alkohol auf die Abortwahrscheinlichkeit ist erwiesen, nicht jedoch der von Nikotin, und fraglich ist jener von Koffein.
Genetische Ursachen Bei 2 bis 5% der Paare mit habituellen Aborten weist einer der Partner eine balancierte strukturelle chromosomale Anomalie auf. Die Nachkommen dieser
Paare haben ein erhöhtes Risiko für eine unbalancierte chromosomale Anomalie, die mit einer erhöhten Abortwahrscheinlichkeit, aber auch mit Lebendgeburten mit Fehlbildungen einhergehen kann. Eine niederländische Studie (6) hat gezeigt, dass das Risiko eines Paares mit einer balancierten Translokation, eine Schwangerschaft mit einer unbalancierten Translokation bis in das 2. Trimenon zu entwickeln, nur 0,8% beträgt. Eine britische Studie (7) berechnete, dass der Kostenaufwand für die Bestimmung eines Karyotyps aller Eltern mit habituellen Aborten sehr hoch ist. Aufgrund dieser beiden Studien hat die RCOG vorgeschlagen, eine Karyotypisierung der Eltern nur bei einem Nachweis einer unbalancierten Translokation im Abortmaterial durchzuführen. Eine In-vitro-Fertilisation (IVF) unter Einschluss eines Präimplantationsscreenings ist bei habituellen Aborten aufgrund der geringen Schwangerschaftsraten bei einer IVF und aufgrund der hohen Kosten nicht sinnvoll.
Gemäss den Empfehlungen der RCOG ist der Stellenwert einer Karyotypisierung des Abortmaterials höher als jene der Eltern.
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SCHWERPUNKT
Tabelle 3:
Zusammenfassung der Ursachen habitueller Aborte sowie praxisorientierte Diagnostik und Therapie (≥ 3 Frühaborte in Folge) (modifiziert nach [17])
Ursachen und Relevanz
Bekannte und diskutierte
Empfohlene Diagnostik
Therapie1 und Wirksamkeit
für Aborte ■ Noxen (Genussgifte wie Nikotin,
Alkohol, Drogen; Umweltgifte wie Quecksilber, Blei etc.)
Pathomechanismen ■ Uterine Minderperfusion ■ Toxische Effekte auf Embryo
und Plazenta
■ Anamnese
■ Vermeidung der Noxen ● Wirksamkeit: nicht bezifferbar
● Relevanz: nicht bezifferbar ■ Genetisch (numerische u. struktu-
relle Chromosomenaberrationen) ● Relevanz: erwiesen
■ Chromosomale Dysbalance
■ Karyotypisierung des Abortmaterials ■ Humangenetische Beratung
ab dem 3. Abort in Folge. Genetische ■ IVF plus Präimplantationsdiagnostik
Beratung und ggf. Karyotypisierung, (PID) (Wirksamkeit fraglich, da
falls unbalancierte strukturelle
Geburtenrate/SS ohne IVF ca. 60%,
Chromosomenabberation ■ Falls keine Genetik vom Abort-
material: genetische Beratung und
SS-Rate nach PID ca. 30% pro Embryotransfer)
Karyotypisierung beider Eltern
■ Anatomisch (Verschmelzungsfehlbildungen wie Uterusseptum, Uterus bicornis, Uterus duplex, komplexe uterine Fehlbildungen; Asherman-Syndrom)
● Relevanz: sehr wahrscheinlich, Abortrisiko bei Uterusseptum
■ Störung der uterinen Perfusion im Uterusseptum
■ Störung der dezidualen Funktion bei Synechien
■ Begrenzte uterine Entfaltung bei Asherman-Syndrom und bei komplexen uterinen Fehlbildungen
■ Hysteroskopie/Hysterografie, ggf. plus Laparoskopie, 3-D-Sonografie
■ Operative Korrektur per Hysteroskopie ± Laparoskopie/ Laparotomie
● Wirksamkeit wahrscheinlich: SS ohne operative Korrektur eines Uterusseptums: Geburtenrate ca. 60%, mit Korrektur ca. 70%,
> Uterus duplex
■ Endokrinologisch
■ Hypothalamisch-hypophysäre
(Schilddrüsenfunktionsstörungen; Dysfunktionen, u.a. mit Störungen
PCOS mit Insulinresistenz/Diabetes der Corpus-luteum-Funktion
mellitus, Hyperinsulinämie und ■ Weitere metabolische Effekte?
Adipositas; Lutealphaseninsuffizienz)
Wirksamkeit einer OP bei grossem
Septum sehr wahrscheinlich
■ TSH i.S.
■ Korrektur der Schilddrüsenfunktions-
■ Bei Adipositas/V.a. PCOS:
störung
Gesamttestosteron, LH/FSH i.S., ■ Metformin bei Insulinresistenz
Insulinresistenzbestimmung nüchtern (2- bis 3-mal 500 mg/Tag) (cave: off
ca. 08:00–09:00, Glukosetoleranztest label use, nur anzuwenden, falls keine
● Relevanz: latente Hypothyreose fraglich, Adipositas minimal, Insulinresistenz wahrscheinlich, Lutealphaseninsuffizienz nicht erwiesen
oder HOMA-Index (Insulin [μU/ml] x Blutzucker [mg/dl]/405). Der V.a. eine periphere Insulinresistenz liegt vor, falls HOMA > 2
andere Aborttherapie möglich ist) ■ Progesteron bei Lutealphasen-
insuffizienz ● Wirksamkeit: Korrektur der Schild-
drüsenfunktionsstörung bei ausgeprägten
Hypothyreosen und Korrektur eines
schlecht eingestellten Diabetes mellitus
erwiesen, bei isolierter Erhöhung der
Schilddrüsenantikörper fraglich, bei
■ Hämostaseologisch (Thrombophilie) ■ Minderperfusion/Thrombosierung
■ Relevanz: wahrscheinlich
der plazentaren Gefässe
Insulinresistenz fraglich ■ APC-Resistenz (Widerstandsfähigkeit ■ Niedermolekulares Heparin (2500–
des aktivierten Faktors V gegenüber 5000 Anti-Xa-Einheiten s.c.) aktiviertem Protein C) oder homo- im 1. Trimenon, ggf. auch in der weiteren
oder heterozygote Faktor-V-Leiden- SS und bis 6 Wochen postpartal
Mutation, Prothrombin-Mutation,
Protein C und S, Antithrombin III
■ Autoimmunologisch
■ Plazentare Dysfunktion?
■ Lupus-Antikoagulans,
(Antiphospoholipid-Syndrom, APS2; ■ Minderperfusion/Thrombosierung
Anticardiolipin-AK,
aktiviertes Autoimmunsystem?)
der plazentaren Gefässe?
Anti-β2-Glykoprotein-AK2
● Relevanz: APS erwiesen, isolierte
Erhöhung der APS-AK nicht erwiesen
■ Psychologisch (Stress)
■ Lutealphaseninsuffizienz auf-
■ Anamnese
● Relevanz: wahrscheinlich,
grund einer Störung der LH-Sekretion
fraglich bei gleichzeitiger Proges- ■ Veränderung neuroendokriner
teronsupplementierung in der
Peptide mit Wirkung auf das
Lutealphase
Reproduktionssystem?
■ Immunologisch
■ Modulation des Immunsystems
■ Nur unter Studienbedingungen
● Relevanz: fraglich
zur besseren Akzeptanz
des semiallogenen Embryos
● Wirksamkeit: wahrscheinlich
■ ASS 100 plus niedermolekulares Heparin (2500–5000 Anti-Xa-Einheiten s.c.) im 1. Trimenon, ggf. auch in der weiteren SS und bis 6 Wochen postpartal
● Wirksamkeit: bei APS bewiesen ■ «Tender loving care»: z.B. Sonografie
alle 1–2 Wochen, psychologische Begleitung etc. ● Wirksamkeit: fraglich
■ Nur unter Studienbedingungen ● Wirksamkeit: nicht bewiesen
AK = Antikörper, SS = Schwangerschaft 1 Ab Nachweis einer klinischen Schwangerschaft, bis ca. zur 12. SSW 2 Gilt als erhöht nur bei 2-maliger Erhöhung im Abstand von 12 Wochen zum Ausschluss einer infektbedingten temporären Erhöhung
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SCHWERPUNKT
Anatomische Ursachen Entgegen der landläufigen Meinung ist eine Uterusfehlbildung als Ursache habitueller Frühaborte noch nicht eindeutig bewiesen. Deswegen verlangen die ESHRE-Empfehlungen auch keine Abklärung. Allerdings ist hier die medizinische Vernunft gefragt, da ein grosses Uterusseptum als Ursache wahrscheinlich ist. Das Problem der Studien liegt sicherlich in den unterschiedlichen diagnostischen Verfahren und der Definition eines Uterusseptums. Der Goldstandard für eine Diagnose ist weiterhin die Hysteroskopie; eine 3-D-Sonografie gilt inzwischen aber auch als verlässliches Diagnostikum. In drei Studien mit > 500 Patientinnen mit habituellen Aborten betrug die Häufigkeit einer uterinen Fehlbildung 1,8 bis 6,9% (8). Bei Frauen mit ≥ 2 Aborten und einem Uterusseptum oder Uterus bicornis wurde untersucht, wie der Verlauf der folgenden (nach der Diagnose der Fehlbildung auftretenden) Schwangerschaft war. Mit der Fehlbildung betrug die Schwangerschaftsrate 60% im Vergleich zu 72% in einem Kontrollkollektiv (9). Die Geburtenrate bei > 500 Abortpatientinnen nach einer chirurgischen Korrektur betrug in sechs Studien 65 bis 85% (8). In der Summe ist der Effekt einer uterinen Fehlbildung sicherlich nicht überzubewerten, weswegen bei grenzwertigen Befunden, wie beispielsweise einem Uterus subseptus, eine operative Intervention mit Zurückhaltung indiziert sein sollte. Bei einem grossen Uterusseptum ist eine operative Korrektur jedoch sicherlich zu empfehlen.
Wahrscheinlich sind nur ausgeprägte uterine Malformationen wie grosse Uterussepten relevante Ursachen habitueller Aborte.
Endokrinologische Ursachen Unter den vielen möglichen endokrinen Funktionsstörungen kristallisieren sich zunehmend ein unzureichend eingestellter Diabetes mellitus, eine Hypothyreose und ein PCO-Syndrom als Ursachen habitueller Aborte heraus. Ein gut eingestellter Diabetes und eine behandelte Hypothyreose (TSH < 2,5) stellen jedoch keine Risikofaktoren dar (10). Auch spielen Schilddrüsenantiköper bei einer normalen Schilddrüsenfunktion keine Rolle. Welches die eigentliche Abortursache bei einem PCOS ist, ist unklar, da ein PCOS eine Summe verschiedener Pathomechanismen umfasst.
Eine unbehandelte Hypothyreose und ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus gehen mit einem erhöhten Abortrisiko einher.
Hämostaseologische Ursachen Eine Metaanalyse (11) zeigte eine Assoziation der Faktor-V-Leiden-Mutation (Odds Ratio; OR 2,0), der Prothrombin-Genmutation (OR 2,3) und des Protein-
S-Mangels (OR 15,0) mit habituellen Frühaborten. Eine Assoziation mit einem Protein-C-Mangel und ATIII-Mangel konnte, vermutlich aufgrund der geringen Prävalenz , nicht nachgewiesen werden. Eine Assoziation mit der MTHFR-Mutation konnte ebenso nicht ermittelt werden. Daten zum Effekt einer Antikoagulation bei habituellen Aborten existieren nicht. Da das Thromboserisiko bei oben genannten Patientinnen in der Schwangerschaft ansteigt, wird eine Thromboseprophylaxe jedoch meistens, und bei habituellen Abortpatientinnen bereits frühzeitig nach einem Nachweis einer Schwangerschaft, durchgeführt.
Eine Thrombophilie ist gehäuft assoziiert mit habituellen Aborten, die Wirksamkeit einer Heparingabe ist aber nicht erwiesen.
Autoimmunologische Ursachen Unter den autoimmunologischen Ursachen ist das Antiphospolipid-Syndrom (APS) eine der wichtigsten und auch eine behandelbare Ursache habitueller Aborte. Als Antiphospholipid-Syndrom wird die Kombination aus Laborparametern (erhöhte Konzentrationen von Lupus-Antikoagulanz, Antikardiolipin-Antikörper, Anti-β2-Glykoprotein-Antikörper) sowie einer Schwangerschaftskomplikation (≥ 3 Frühaborte, ≥ 1 Spätabort, ≥ 1 Frühgeburt vor der 35. Schwangerschaftswoche aufgrund einer Plazentainsuffizienz) bezeichnet (12). Die Pathogenese des APS beruht auf einer Störung der trophoblastären Differenzierung und einer Aktivierung der Komplementkaskade an der fetomaternalen Grenzfläche mit einer lokalen inflammatorischen Reaktion sowie in der fortgeschrittenen Schwangerschaft auf einer erhöhten plazentaren Thromboseneigung. In-vitro-Studien haben gezeigt, dass diese Pathomechanismen durch Heparin gehemmt werden können. Antiphospholipid-Antikörper finden sich bei 15% der Frauen mit habituellen Aborten (13). Bei Frauen mit einer blanden geburtshilflichen Anamnese weisen nur 2% solche Antikörper auf. Entscheidend bei der Diagnostik ist, dass zweimalig im Abstand von 12 Wochen erhöhte Antikörper nachgewiesen werden, um einen infektbedingten Anstieg auszuschliessen. Auch gelten nur deutlich erhöhte Antikörperkonzentrationen oberhalb der 99. Perzentile als pathologisch.
Das Antiphospholipid-Syndrom ist eine der relevantesten Ursachen habitueller Aborte und auch behandelbar.
Psychologische Ursachen Psychologische Faktoren und damit Stress werden häufig von Patientinnen als Ursache angesehen. Physiologischerweise wäre tatsächlich ein exzessiver Stress als Ursache einer Sekretionsstörung des lutei-
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SCHWERPUNKT
nisierenden Hormons und in Folge eine Corpus-luteum-Insuffizienz denkbar. Für die Relevanz eines psychologischen Faktors sprechen auch drei Studien, wonach durch eine Begleitung der Patientin (auch «tender loving care» genannt [14]), zum Beispiel durch 1- oder 2-wöchentliche sonografische Kontrollen, das Abortrisko bei idiopathischen Aborten deutlich gesenkt werden kann. Allerdings stammen alle diese Studien aus den Jahren 1984 bis 1997, ohne dass eine Nachfolgestudie diese Thematik aufgegriffen hätte. Zudem erhalten Abortpatientinnen ab einem positiven Schwangerschaftstest inzwischen meistens Progesteronpräparate, welche eine Corpus-luteum-Insuffizienz ausgleichen. Somit wird die Relevanz psychologischer Ursachen vermutlich in der Praxis überbewertet.
Die praktische Relevanz psychologischer Ursachen ist eher gering.
Immunologische Ursachen Da eine Implantation und die Entwicklung einer Schwangerschaft einer intensiven immunologischen Interaktion zwischen dem Embryo respektive Feten und dem maternalen Immunsystem bedarf, liegt eine immunologische Ursache habitueller Aborte auf der Hand. Gefördert wird diese Annahme zudem durch diverse Internetauftritte einzelner Ärzte, die diese Auffassung vertreten. Wissenschaftlich gibt es jedoch keine solide Basis für die Annahme einer solchen Funktionsstörung als Ursache habitueller Aborte und noch viel weniger für die Sinnhaftigkeit einer Immuntherapie. Dies gilt sowohl für die passive Immuntherapie mit (teuren) intravenös applizierten Immunglobulinen, bei denen das maternale Immunsystem gehemmt wird, als auch (und zwar noch weniger) für die aktive Immuntherapie, bei der die Patientin mit den Immunzellen ihres Partners immunisiert wird. Das Ziel hierbei ist eine spezifische Aktivierung des maternalen Immunsystems bei Partnern mit ähnlicher HLA-G-Expression, um die semiallogenen Trophoblastzellen eindeutig als immunologisch «fremd» zu erkennen und somit vor dem maternalen Immunsystem und den natürlichen Killerzellen zu schützen. Eine aktive Immuntherapie birgt jedoch das Risiko, Autoimmunreaktionen zu induzieren. Das Risiko hierfür wird mit 2% beziffert. Passive und aktive Immuntherapien sind rein experimentell und sollten deshalb ausschliesslich unter Studienbedingungen durchgeführt werden (RCOG, 2011).
Immunologische Ursachen habitueller Aborte wurden nicht bewiesen – deswegen sind Immuntherapien ausserhalb von Studien obsolet.
Fazit für die Praxis
Die Ursachen habitueller Aborte und die Wirksam-
keit der Aborttherapien sind zu einem grossen Teil
nicht eindeutig erwiesen. Diagnostik und Therapie
sollten sich auf die Empfehlungen guter Fachgesell-
schaften, ein vernünftiges Mass medizinischer Logik
und auf die ökonomische Verantwortung des Arztes
stützen.
■
Prof. Dr. med. Michael von Wolff Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsfrauenklinik Inselspital Bern 3010 Bern E-Mail: Michael.vonWolff@insel.ch
Quellen:
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