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SCHWERPUNKT
Spätnebenwirkungen nach Radiotherapie
Strategien zur Vermeidung respektive Symptomlinderung bei Brust- und gynäkologischen Tumoren
Nach brusterhaltender Chirurgie ist die Radiotherapie indiziert, welche evidenzbasiert das Risiko für ein Lokalrezidiv senkt und das Gesamtüberleben verbessert. Auch bei gynäkologischen Tumoren ist die Radiotherapie zur besseren Tumorkontrolle angezeigt. Um Nutzen und Risiko für die Patientin abwägen zu können, sind Kenntnisse der Spätnebenwirkungen einer Strahlentherapie unerlässlich. Diese Effekte sollten auch dem gynäkologischen Grundversorger in der Krebsnachsorge bekannt sein.
CLAUDIA LINSENMEIER
Erfreulicherweise hat die Technik der Radiotherapie in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, sodass immer besser das gesunde Gewebe und die dem Therapiefeld anliegenden Organe geschont werden können. Unterschieden werden die Akuttoxizität, die in den ersten 3 Monate nach Therapiebeginn, und die Spättoxizität, die in den Folgemonaten bis -jahren auftreten kann. Relevant für das Abwägen der Strahlentherapieindikation sind vor allem diese Spätnebenwirkungen nach Radiotherapie, die für die Lebensqualität der Patientin bestimmend sein können.
Klassifikation der Spätnebenwirkungen
Hilfreich für die Erfassung der Spätnebenwirkungen sind etablierte Klassifikationen. So wird am häufigsten die von der RTOG/EORTC (Radiation Therapy Oncology Group/European Organisation for Research and Treatment of Cancer) akzeptierte LENT/ SOMA-Skala verwenden (1) (= Late Effect in Normal Tissue; Subjective Objective Management Analytic). Es werden vier Schweregrade definiert von 0 = keine Nebenwirkungen bis 4 = lebensbedrohliche Spätfolge. Die Klassifikation ist in der Tabelle beschrieben.
Brustkrebs: Spätnebenwirkungen der Radiotherapie
Die Radiotherapie der Mamma findet nach einer brusterhaltenden Operation über mehrere Wochen statt. Idealerweise soll die therapeutische Dosis, die Tumorzellen absterben lässt, weit von einer Spätschäden verursachenden Dosis entfernt sein. Be-
kannt ist auch, dass nicht nur die Gesamtdosis eine Rolle spielt, sondern auch die Fraktionierung (Aufteilung in Einzeldosen) für Tumorkontrolle und Spättoxizität entscheidend ist. Dieser Zusammenhang wird in Modellen errechnet, beispielsweise dem «LinearQuadratischen Modell» (3). Gängige Therapieschemata erlauben eine Radiotherapie der Mamma in wenigen Wochen. Besonderes Augenmerk muss bei der Planung einer Mammatangente (Abbildung 1) auf die homogene Dosisverteilung und die minimale Dosisbelastung für angrenzende Normalstrukturen (konformal mit dem zu bestrahlenden Volumen) gelegt werden.
Nebenwirkungen an der Lunge Sehr selten (< 1%) zeigt sich heutzutage in den ersten 6 Monaten nach Radiotherapie eine radiotherapiebedingte Pneumonitis (4). Das Auftreten ist abhängig vom bestrahlten Lungenvolumen (sowie von Alter und Komorbidität der Patientin). Das Volumen kann heutzutage mit konformaler Planung deutlich geringer gehalten werden. Eine Pneumonitis wird mit trockenem Husten, im Extremfall Atemnot und Fieber klinisch auffällig und sollte nach Diagnose ausreichend lange mit Steroiden behandelt werden, um Fibrosen zu vermeiden. Im CT-Thoraxbild zeigt sich das typische Bild der Ground-Glass-Opazitäten (5).
Nebenwirkungen am Brustgewebe Das Brustgewebe selbst kann nach einer Radiotherapie ebenfalls Veränderungen zeigen (6). Ob eine Patientin mit der Kosmetik zufrieden ist, hängt neben der Radiotherapie auch von der vorgängigen Operation ab. Nur zirka 15% der Patientinnen oder weniger
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Tabelle:
Spätnebenwirkungen einer Strahlentherapie (LENT/SOMA-Klassifikation für Mammakarzinome, [2]), therapeutische Optionen und Analysemassnahmen
Subjektiv Schmerz
Objektiv 1. Ödem 2. Fibrose
3. Teleangiektasien 4. Lymphödem, Armumfang 5. Retraktion/Atrophie 6. Ulkus
Management 1. Schmerz
2. Ödem 3. Lymphödem Arm
4. Atrophie 5. Ulkus
Analyse 1. Fotografie
2. Messung mit Massband
3. Mammografie
4.CT/MRI
Grad 1
Grad 2
Grad 3
Grad 4
gelegentlich, gering, Juckreiz
zeitweilig, erträglich
dauerhaft, stark
unbeeinflussbar, sehr quälend
asymptomatisch kaum tastbare Konsistenzvermehrung
symptomatisch eindeutige Konsistenzvermehrung
< 1/cm2 2–4 cm Zunahme
> 1/ cm2; 2–4/cm2 > 4–6 cm Zunahme
10–25%
> 25–40%
epidermales Ulkus < 1 cm2 dermales Ulkus > 1 cm2
sekundäre Fehlfunktion ausgeprägte Konsistenzvermehrung, Retraktion und Fixierung > 4/cm2 > 6 cm Zunahme
> 40–75% Ulzeration bis zur Subkutis
Arm nicht brauchbar, Angiosarkom gesamte Brust freier Knochen, Nekrose
gelegentlich: nicht zentral wirksame Analgetika
regelmässig: nicht zentral wirkende Analgetika
Arm hochlegen, Kompressionsstrumpf
medikamentöse Therapie
regelmässig: zentral
chirurgische Therapie
wirkende Analgetika
medikamentöse Therapie Chirurgie/Mastektomie
Kompressionswickel,
chirurgische Therapie,
intensive Physiotherapie Amputation
Chirurgie, Mastektomie
Chirurgie,
Chirurgie, Mastektomie
Wunddébridement
Beurteilung der Hautveränderung wie Atrophie, Retraktion oder Fibrose sowie Ulzeration Beurteilung der Brustgrösse und des Unterarmdurchmessers Beurteilung der Hautdicke und Brustdichte Beurteilung von Brustgrösse, Fettatrophie und Dichte der Fibrose
Ja/Nein Datum
Ja/Nein Datum
Ja/Nein Datum Ja/Nein Datum
beklagen ein schlechtes Ergebnis nach Radiotherapie. Das Ergebnis ist abhängig von der Anzahl der gewählten Felder, dem Boost und ist signifikant besser, wenn moderne Bestrahlungstechniken gewählt werden (7). Auch vorübergehende Schmerzen in der bestrahlten Brust werden beschrieben. In einer randomisierten Studie zwischen bestrahlten und nicht bestrahlten Patientinnen treten diese Schmerzen vor allem in den ersten 2 Jahren nach Therapie auf (8). Die Lebensqualität nach 2 Jahren ist aber anschliessend in beiden Gruppen wieder gleich. Schwerwiegende Hautveränderungen und Fibrosen im Bereich der bestrahlten Brust treten nur selten auf, weniger als 5% der Patientinnen leiden darunter (9). Die Ausbildung von Fibrosen ist sowohl von der Einzeldosis als auch von der Gesamtdosis der Bestrahlung abhängig. Wenn dies berücksichtigt wird, können problemlos auch Schemata mit kürzerer Dauer
Abbildung 1: Tangentiales Radiotherapiefeld beim Mammakarzinom
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a tige Einsetzen der Lymphdrainage direkt postopera-
tiv, auch unter Radiotherapie (12). Auch die Beweglichkeit der Schulter kann sich nach einer Therapie verschlechtern. So zeigt eine systematische Datenanalyse von Levangie und Kollegen im Jahr 2009, dass nach einer axillären Lymphonodektomie verglichen mit der Sentinelnodebiopsie die Schulterbeweglichkeit abnimmt, ebenso wie nach grösseren Strahlenfeldern mit Radiotherapie des gesamten axillären Lymphabflussgebietes (13).
Kardiale Nebenwirkungen Die kardialen Nebenwirkungen nach einer Radiotherapie sind häufig untersucht und diskutiert worden.
b Bei einer Radiotherapie der linken Mamma ist das Herz ein sogenanntes Risikoorgan. Harris und Kollegen konnten 2006 in einer grossen Studie mit über 900 Patientinnen zeigen, dass nach 20 Jahren das Risiko, an einer kardialen Ursache zu versterben, nach linksseitiger Radiotherapie nicht erhöht ist. Hingegen kann man gehäuft eine koronare Herzkrankheit und sogar einen Myokardinfarkt bei diesen Patientinnen beobachten. Mit einer CT-geplanten Radiotherapie wird sich dieses Risiko in Zukunft weiter verringern. Ältere Studienberichte (vor 2005) über kardiale Toxizität der Strahlentherapie müssen bezüglich Anwendbarkeit auf heutige Verhältnisse sehr sorgfältig interpretiert werden.
Abbildung 2: Hochkonformale Volumetric Modulated Arc Therapy (VMAT) im Becken
der Bestrahlung über 3 bis 4 Wochen angewendet werden, wie unter anderem zwei grosse randomisierte Studien aus Grossbritannien (START A und START B) zeigen (10, 11).
Armlymphödem und Schulterfunktion Eine weitere die Lebensqualität einschränkende Nebenwirkung kann die Ausbildung eines Armlymphödems in den ersten Jahren nach lokaler Therapie sein. Die Prävalenz ist von der Anzahl der in der Axilla entfernten Lymphknoten und der Radiotherapie abhängig. Mit der Sentinelnodebiopsie ist das Risiko für ein Lymphödem auf unter 1 bis 3% gefallen. Bei einer alleinigen Radiotherapie der Mamma ist praktisch kein zusätzliches Risiko für ein Lymphödem vorhanden. Sofern nach einer Axilladissektion noch eine Radiotherapie des Lymphabflusses angeschlossen werden muss, kann das Risiko für ein Lymphödem auf bis zu 20% ansteigen (6). Wichtig ist dann das rechtzei-
Gynäkologische Tumoren: Spätnebenwirkungen der Radiotherapie
Eine Radiotherapie im Becken kann bei einigen gynäkologische Tumoren notwendig werden. Für die Lebensqualität der Patientinnen ist es wichtig, bereits bei der Erstdiagnose ein interdisziplinäres Therapiekonzept festzulegen, um die Therapienebenwirkungen möglichst gering zu halten. So ist die Kombination von Operation, postoperativer Radiotherapie und Chemotherapie mit signifikant mehr Spätnebenwirkungen verbunden. Lind und Kollegen konnten in einem Vergleich zeigen, dass Patientinnen nach onkologischer Therapie im kleinen Becken, verglichen mit einer unbehandelten Kontrollgruppe, häufiger unter Stuhl- und Urininkontinenz litten, mehr Knochenschmerzen hatten und häufiger Lymphödeme in den Beinen entwickelten (15). Auch die Sexualität wurde beeinträchtigt, vor allem durch vaginale Trockenheit und Elastizitätsverlust, was dann zu Dyspareunie führte. Vaginaldilatatoren können diese Nebenwirkungen positiv beeinflussen, ebenso wie kurzfristig östrogenhaltige Zäpfchen, wie vor einiger Zeit nachgewiesen wurde (16). Liegen die Ovarien im Strahlenfeld, ist mit einer Beeinträchtigung der Hormonproduktion zu rechnen. Bereits geringe Dosen können zu Amenorrhö und typischen Menopausesymptomen führen.
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Planungsaufgaben vor und nach Bestrahlung Bei der Planung der Radiotherapie ist es wichtig, dass das zu bestrahlende Volumen genau definiert ist. So helfen nach der Operation Clips im Tumorbett, um dieses Volumen zu markieren. Auch die Risikoorgane sollen bei einer Bestrahlung möglichst geschont werden. Dies kann man durch eine optimale Lagerung und Vorbereitung der Patientin erreichen. So kann die Blasenfüllung die Strahlendosis auf die Blasenwand signifikant beeinflussen und die Bauchlage je nach Bestrahlungsvolumen den Darm entlasten. Auch hier hat eine moderne hochkonformale Radiotherapie (Abbildung 2a und b) das Risiko für Akutnebenwirkungen erheblich reduzieren können. Dieser technische Fortschritt wird sich jedoch erst in den nächsten Jahrzehnten im Langzeitnebenwirkungsprofil und in der Lebensqualität der Patientinnen nach multimodaler onkologischer Therapie zeigen. Weiterhin sind die spezifische Aufklärung der Patientin und – nach Abschluss einer Therapie – regelmässige Verlaufskontrollen wesentlich, damit in der Nachsorge therapiebedingte Symptome frühzeitig erfasst und individuell behandelt werden können. ■
Dr. med. Claudia Linsenmeier, MSc Klinik und Poliklinik für Radio-Onkologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich E-Mail: claudia.linsenmeier@usz.ch
Quellen: 1. LENT SOMA tables. Radiother Oncol, 1995. 35(1): 17–60. 2. Bamberg, Molls, Sack: Radioonkologie: Kapitel Dokumentation von Nebenwirkungen und Spätfolgen, Tabelle VII. 2009. 3. Brenner D J.: The linear-quadratic model is an appropriate methodology for determining isoeffective doses at large doses per fraction. Semin Radiat Oncol. 2008; 18(4): 234–39. 4. Erven K., et al.: Changes in pulmonary function up to 10 years after locoregional breast irradiation. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2012; 82(2): 701–07. 5. Kano A., et al.: Radiographic and CT features of radiation-induced organizing pneumonia syndrome after breast-conserving therapy. Jpn J Radiol 2012; 30(2): 128–36.
Merkpunkte
■ Spätnebenwirkungen nach Radiotherapie sind abhängig vom bestrahlten Volumen und der Dosis. Risikoorgane können mit modernen Techniken besser geschont werden. Dies wird sich weiter positiv auf die Spätnebenwirkungsrate auswirken.
■ Nach Radiotherapie der Brust sieht man am ehesten eine Hyperpigmentierung der Haut und Teleangiektasien im Radiotherapiefeld.
■ Schwerwiegende Nebenwirkungen wie eine postradiogene Pneumonitis oder kardiale Nebenwirkungen sind äusserst selten.
■ Nebenwirkungen einer onkologischen Behandlung im Becken nehmen bei notwendiger Kombination von Operation, Radiotherapie und Chemotherapie zu. Interdisziplinäre Besprechungen zu Beginn sind unabdingbar, um die optimale Therapie festzulegen.
6. Petersen C, Wurschmidt F.: Late Toxicity of Radiotherapy: A Problem or a Challenge for the Radiation Oncologist? Breast Care (Basel) 2011; 6(5): 369–74. 7. de la Rochefordiere A.et al.: Are cosmetic results following conservative surgery and radiation therapy for early breast cancer dependent on technique? Int J Radiat Oncol Biol Phys 1992; 23(5): 925–31. 8. Whelan TJ et al.: The effects of radiation therapy on quality of life of women with breast carcinoma: results of a randomized trial. Ontario Clinical Oncology Group Cancer 2000; 88(10): 2260–66. 9. Meric F et al..: Long-term complications associated with breast-conservation surgery and radiotherapy. Ann Surg Oncol 2002; 9(6): 543–49. 10. Bentzen SM et al.: The UK Standardisation of Breast Radiotherapy (START) Trial A of radiotherapy hypofractionation for treatment of early breast cancer: a randomised trial. Lancet Oncol 2008; 9(4): 331–41. 11. Bentzen SM et al.: The UK Standardisation of Breast Radiotherapy (START) Trial B of radiotherapy hypofractionation for treatment of early breast cancer: a randomised trial. Lancet 2008; 371(9618): 1098–107. 12. Pereira de Godoy JM, Guerreiro Godoy MD.: Evaluation of a new approach to the treatment of lymphedema resulting from breast cancer therapy. Eur J Intern Med 2012; Sep 7 (Epub ahead of print). 13. Levangie PK, DrouinJ.: Magnitude of late effects of breast cancer treatments on shoulder function: a systematic review. Breast Cancer Res Treat 2009; 116(1): 1–15. 14. Harris EE et al.: Late cardiac mortality and morbidity in early-stage breast cancer patients after breast-conservation treatment. J Clin Oncol 2006; 24(25): 4100–06. 15. Lind H et al.: Late symptoms in long-term gynaecological cancer survivors after radiation therapy: a population-based cohort study. Br J Cancer 2011; 105(6): 737–45. 16. Denton AS, Maher EJ.: Interventions for the physical aspects of sexual dysfunction in women following pelvic radiotherapy. Cochrane Database Syst Rev 2003(1): CD003750.
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