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SCHWERPUNKT
Langzeitnebenwirkungen der adjuvanten Systemtherapie
Risiken und Prävention unter Hormon-, Chemo- und Antikörpertherapie bei Brustkrebspatientinnen
Die adjuvante medikamentöse Therapie des frühen Mammakarzinoms hat die Reduktion des Rezidivrisikos und die Verbesserung des Gesamtüberlebens zum Ziel. Im Langzeitverlauf sind charakteristische Folgen der gewählten medikamentösen Option zu erwarten. Welche Risiken sind zu beachten, wie können Toxizitäten rechtzeitig erkannt und die Prävention eingeleitet werden?
TAMARA RORDORF
Das Rückfallrisiko und dessen Reduktion durch eine adjuvante Systemtherapie wird für jede Brustkrebspatientin individuell evaluiert, um die optimale, risikoadaptierte Therapie empfehlen zu können. Menopausenstatus, Tumorstadium, Expression der Steroidhormonrezeptoren, Amplifikation des HER2-Gens und histologisches Grading sind die klinischen und histologischen Faktoren, welche bei der Einschätzung des Rückfallrisikos (bzw. der Prognose) und der zu erwartenden Effektivität der Therapie (Prädiktion) entscheidend sind. In den letzten Jahren sind sogenannte Genassays entwickelt worden; sie werden zurzeit in den grossen multizentrischen Studien geprüft. Aufgrund der Expression bestimmter Tumorgene werden zusätzliche Informationen über das Rückfallrisiko gewonnen.
Grundsätze in der adjuvanten Behandlung: Kriterien für die Therapiewahl
Im Rahmen einer endokrinen Therapie werden Medikamente aus drei verschiedenen Gruppen eingesetzt: ■ Östrogenrezeptormodulatoren (Tamoxifen) ■ Aromatasehemmer (Letrozol, Anastrozol, Exe-
mestan) und ■ LHRH-Analoga (Goserelin, Triptorelin). Das wichtigste Kriterium bei der Wahl der endokrinen Therapie ist der Menopausenstatus. Bei prämenopausalen Frauen wird Tamoxifen, eventuell in der Kombination mit LHRH-Analoga, eingesetzt. Bei postmenopausalen Frauen werden Aromatasehemmer von Beginn an (upfront) oder sequenziell mit Tamoxifen (switch) eingesetzt. Die endokrine Therapie alleine wird vor allem beim hoch hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom eingesetzt, wenn keine weiteren Risikofaktoren wie eine hohe Proliferationsfraktion oder ein Befall mehrerer
Lymphknoten bestehen. Eine endokrine Therapie dauert in der Regel fünf Jahre. Bei Tumoren, die Steroidhormonrezeptoren exprimieren, aber aufgrund anderer Eigenschaften ein erhöhtes Rezidivrisiko haben, wird eine Sequenztherapie evaluiert, wobei postoperativ eine Chemotherapie und danach eine endokrine Therapie verabreicht werden. Bei Tumoren, die keine Hormonrezeptoren exprimieren und keine HER2-Amplifikation vorweisen, besteht die adjuvante Behandlung aus alleiniger Chemotherapie. Ist das HER2-Gen amplifiziert, wird mit dem monoklonalen Antikörper Trastuzumab in Kombination mit Chemotherapie, dem Trastuzumab als Monotherapie folgt, für insgesamt ein Jahr behandelt.
Nebenwirkungsprofile im Therapieverlauf
Endokrine Therapie Die unmittelbare Nebenwirkung einer antihormonellen Behandlung ist das Auftreten oder die Verstärkung von postmenopausalen Symptomen, vor allem Wallungen, Trockenheit der vaginalen Schleimhaut und Dyspareunie. Aromatasehemmer verursachen häufig muskuloskeletale Beschwerden zu Beginn der Behandlung und eine Osteopenie respektive Osteoporose im Verlauf. Tamoxifen erhöht das Risiko einer Thrombose respektive einer Lungenembolie. Eine seltene Spätfolge einer Therapie mit Tamoxifen ist das Endometriumkarzinom.
Chemotherapie Die adjuvante Chemotherapie besteht immer aus einer Kombination von 2 oder 3 Zytostatika verschiedener Gruppen. Am häufigsten eingesetzt werden Anthrazykline (Adriamycin, Epirubicin; A, E), Taxane (T; Paclitaxel und Docetaxel), Alkylanzien (Cyclophos-
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phamid; C) und Antimetaboliten (5-Fluoruracil, Methotrexat; F, M). In der Regel werden 6 (wie bei FEC, FAC, TAC) oder 8 Zyklen (AC + T) in dreiwöchigem Abstand durchgeführt. Die heute am meisten eingesetzten Kombinationen sind antrazyklinhaltig (FEC, FAC, AC) oder anthrazyklin- und taxanhaltig (TAC, AC + T). Die häufigsten akuten Nebenwirkungen sind Nausea, Fatigue, Alopezie und Hämatotoxizität mit der Gefahr einer febrilen Neutropenie. Ausserdem bestehen verschiedene gruppenspezifische Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Neurotoxizität bei Taxanen oder kardiale Komplikationen bei Anthrazyklinen. Einige Folgen der adjuvanten Behandlung werden erst während der Nachsorge klinisch manifest. Diese späten Nebenwirkungen können gruppenspezifisch sein, wie die kardiale Spätfolge einer Therapie mit Anthrazyklinen. Die durch Medikamente dieser Gruppe verursachte Kardiomyopathie kann sich mehrere Monate, aber auch erst Jahre nach dem Abschluss der Chemotherapie klinisch manifestieren. Eine taxaninduzierte Polyneuropathie tritt in der Regel während der Therapie auf und kann Monate oder Jahre nach deren Abschluss persistieren. Andere Spätfolgen wie zum Beispiel eine chemotherapieinduzierte Amenorrhö und Menopause, eine Fertilitätsminderung und auch Osteoporose sind weniger oder nur zum Teil gruppenspezifisch und mehr von dem Menopausenstatus respektive dem Alter der Patientin abhängig.
stolischen oder diastolischen Funktion oder klinisch manifeste kardiale Dekompensation sind die Hauptmerkmale der späten Kardiotoxizität.
Risiken und Überwachung Der Hauptrisikofaktor für die Entwicklung einer anthrazyklininduzierten Kardiomyopathie ist die Kumulativdosis. Weitere Risikofaktoren sind eine Behandlung mit anderen kardiotoxischen Medikamenten (wie Trastuzumab), ein höheres Alter, eine vorbestehende kardiale Erkrankung (koronare Herzkrankheit, PAVK, arterielle Hypertonie), ein Diabetes mellitus sowie eine vorangegangene mediastinale Radiotherapie. Die Kumulativdosis von Adriblastin soll 450 bis 500 mg/m2 nicht überschreiten; die von Epirubicin nicht 900 mg/m2. Studien aus den Siebzigerjahren zeigten eine hohe Mortalität als Folge der Kardiomyopathie; in den neueren Studien ist die Mortalität aufgrund der verbesserten Behandlung und Früherkennung deutlich tiefer. Anthrazylininduzierte Kardiotoxizität, als Typ I bezeichnet, führt zur Myozytenschädigung und kardialen Dekompensation. Sie gilt als irreversibel. Eine frühe Diagnose und Therapie der noch asymptomatischen Kardiomyopathie ermöglicht jedoch eine wesentliche Erholung der kardialen Funktion. Im Bestreben, die Kardiotoxizität zu vermindern, sind verschiedene Infusionsprotokolle zum Einsatz gekommen: Eine längere Infusionszeit gilt als weniger kardiotoxisch.
Monoklonale Antikörper Der monoklonale Antikörper Trastuzumab wird in der adjuvanten Therapie immer in Kombination mit Chemotherapie eingesetzt. Da es Hinweise gibt, dass Anthrazykline bei HER2-positiven Tumoren besonders wirksam sind, werden häufig beide Medikamente – in der Regel sequenziell – eingesetzt. Da Trastuzumab wie auch Anthrazykline kardiale Nebenwirkungen verursachen, gilt bei einer solchen Therapie den Zeichen einer kardialen Toxizität besondere Aufmerksamkeit.
Kardiale Spätfolgen
Anthrazykline Die durch Anthrazykline verursachte Kardiotoxizität kann sich als akute oder chronische Toxizität manifestieren. Akute oder subakute kardiale Toxizität tritt während der Chemotherapie oder wenige Wochen nach deren Abschluss auf und kann sich als ■ supraventrikuläre oder ventrikuläre Arrhythmie ■ AV-Block ■ ventrikuläre Dysfunktion ■ pathologisches EKG oder Perikarditis-Myositis-
Syndrom manifestieren. Chronische Toxizität macht sich am häufigsten innerhalb des ersten Jahres bemerkbar, kann aber auch Jahre nach dem Abschluss der Chemotherapie auftreten. Asymptomatische Verschlechterung der sy-
Überwachung Vor dem Beginn einer anthrazyklinhaligen Therapie wird eine Echografie durchgeführt, was der Empfehlung der American Heart Association (AHA) entspricht. Zu welchem Zeitpunkt man eine Echografie im Verlauf der Behandlung respektive in der Nachsorge wiederholen soll, geht aus der Empfehlungen nicht hervor. Kardiale Biomarker, Troponin und BNP (B-type natriuretic peptid) eignen sich aufgrund der tiefen Spezifizität nicht für das Screening. Aufgrund der hohen Sensitivität ist BNP jedoch ein guter Marker, um kardiale Dekompenstation auszuschliessen. BNP wird gelegentlich eingesetzt, um eine asymptomatische Verminderung der kardialen Funktion frühzeitig zu erkennen.
Trastuzumab Die trastuzumabinduzierte Kardiotoxizität ist nicht dosisabhängig und häufig rückgängig nach dem Absetzen des Medikaments. Sie wird als Typ II bezeichnet und führt – im Gegensatz zum Typ I – nicht zu einer Myozytenschädigung, sondern zu einer Verminderung der Kontraktilität (stunning oder hybernation). Nach der Erholung der kardialen Funktion wird eine Re-Exposition von Trastuzumab häufig gut toleriert. In den adjuvanten Studien mit Trastuzumab wurde eine Inzidenz der Kardiotoxizität im Grad III oder IV
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von 0 bis 3,9 % beobachtet. Als Risikofaktoren gelten eine vorangegangene Therapie mit Anthrazyklinen und ein Alter von über 50 Jahren.
Amenorrhö, Menopause, Fertilitätsstörungen
Eine zytostatische Behandlung kann bei prä- oder perimenopausalen Patientinnen eine vorübergehende Amenorrhö oder eine Menopause verursachen. Zu beachten ist ferner, dass auch Patientinnen, die nach einer Chemotherapie regelmässige Menstruationen haben, eine verminderte ovarielle Funktion und Fertilitätseinschränkung haben können. Die Verminderung der ovariellen Reserve ist abhängig vom Alter der Patientin, von den eingesetzten Zytostatika und deren Gesamtdosis. Ein direkter Zusammenhang zwischen Cyclophosphamiddosis und der ovariellen Insuffizienz konnte gezeigt werden. Die 6 Zyklen einer alkylanzienhaltigen Chemotherapie verursachen eine permanente Amenorrhö bei weniger als 20% der Frauen, die jünger als 30 Jahre sind. Bei Frauen über 40 Jahren liegt dieser Anteil bei mehr als 80%. Eine Therapie mit 4 Zyklen Adriblastin und Cyclophosphamid (AC) führt, vermutlich wegen der tieferen Kumulativdosis, seltener zu einer Amenorrhö. Eine neuere Studie zeigte, dass 85% der Frauen, die
jünger als 35 Jahre waren, 6 Monate nach dem Abschluss einer adjuvanten Chemotherapie wieder menstruierten. Bei Frauen über 40 Jahren waren es dagegen nur noch 25%.
Menopausale Symptome
Menopausale Symptome wie Trockenheit der vaginalen Schleimhaut und Wallungen beeinflussen die Sexualität und die Lebensqualität der Patientinnen. Die Behandlungsmöglichkeiten bei diesen Begleitwirkungen der adjuvanten Therapie sind bei Patientinnen mit hormonrezeptorpositiven Karzinomen limitiert, denn eine Therapie mit Östrogenen ist kontraindiziert. Die Wallungen können mit selektiven Serotonin-Reuptake-Hemmern behandelt werden. Diese Medikamentengruppe inhibiert jedoch den Metabolismus von Tamoxifen in den aktiven Metaboliten Endoxifen, wodurch die Wirksamkeit von Tamoxifen verringert werden kann. Gabapetin scheint ebenfalls eine Wirkung auf die Wallungen zu haben.
Sexualität
Die Auswirkungen der Brustkrebserkrankung und deren Therapie auf die Sexualität sind komplex. Soziale, kulturelle und psychologische Faktoren spielen aber immer eine wichtige Rolle zusätzlich zu den Faktoren, die man direkt als Nebenwirkungen der Therapie ver-
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steht. Einige grosse adjuvante Studien (ATAC; MA 17) zeigten, dass Patientinnen, die mit Aromatasehemmern behandelt worden waren, mehr Libidoverminderung, Dyspareunie und Trockenheit der vaginalen Schleimhaut aufwiesen als die Patientinnen, die Tamoxifen erhalten hatten. Nicht alle Studien sind jedoch zum gleichen Ergebnis gekommen.
Osteopenie und Osteoporose
Sowohl eine endokrine Therapie mit Aromatasehemmern oder LHRH-Analoga als auch eine Chemotherapie können Osteopenie oder Osteoporose verursachen. Eine Verminderung der Knochendichte bei den prämenopausalen Frauen, die mit Chemotherapie oder LHRH-Analoga behandelt wurden, ist höher als bei postmenopausalen Patientinnen, die Aromatasehemmer erhielten. Die ATAC-Studie (= Anastrozol, Tamoxifen, Alone or in Combination) zeigte, dass postmenopausale Frauen, die vor dem Beginn einer Therapie mit Aromatasehemmern eine normale Knochendichte aufwiesen, eine Osteopenie, aber keine Osteoporose entwickelt hatten. Dazu zeigte sich im längeren Follow-up, dass die Knochendichte nach dem Abschluss der Aromatasehemmertherapie wieder stieg. Ein Teil der Frauen, die zu Beginn der Behandlung eine Osteopenie aufwiesen, entwickelte während der Therapie eine Osteoporose.
Präventionsmöglichkeiten Verschiedene Studien haben gezeigt, dass bei aromatasehemmerinduzierter Osteopenie oder Osteoporose durch die Gabe von Bisphosphonaten oder Denosumab der Knochendichteverlust signifikant verringert werden kann. Ein risikoadaptiertes Vorgehen, basierend auf dem Resultat der Densitometrie vor Beginn der Behandlung sowie dem individuellen Frakturrisiko, wird empfohlen. Bei den prämenopausalen Patientinnen liegen nur Daten mit Bisphosphonaten zum Knochenschutz vor. Liegt in der Densitometrie ein T-Score > -1 vor, sind keine weiteren Massnahmen notwendig. Besteht ein T-Score von < -1,5 und insbesondere < -2,0, wird die Gabe antiresorptiver Substanzen (Biphosphonate oder Denosumab) empfohlen. Die Einnahme von Kalzium und Vitamin D wird allen Patientinnen empfohlen. Zweittumoren Tamoxifen erhöht das Risiko für ein Endometriumkar- zinom – je nach Studie – zirka um den Faktor 2,7, und zwar vor allem bei Frauen, die älter als 50 Jahre sind. Das Risiko erhöht sich mit verlängerter Therapie- dauer und sinkt nach dem Abschluss der Behand- lung. Das Risiko für Karzinosarkome (MMT) ist minim erhöht bei Patientinnen, die mit Tamoxifen behan- delt worden sind. ■ merkpunkte ■ Die adjuvante medikamentöse Behandlung ist eine risikoadaptierte Therapie, welche für jede Patientin individuell beurteilt wird und die Verbesserung des Gesamtüberlebens zum Ziel hat. ■ Die Eckpfeiler sind endokrine Therapie, Chemotherapie und monoklonale Antikörpertherapie (Trastuzumab). ■ Ausser Nebenwirkungen unter der Behandlung können die Toxizitäten erst nach Ende der Therapie klinisch manifest werden. Endokrine Therapie ■ Aromatasehemmer verursachen postmenopausale Symptome wie Hitzewallungen oder Trockenheit der vaginalen Schleimhaut sowie häufig muskuloskeletale Beschwerden. Die Abnahme der Knochendichte kann je nach den Initialwerten zu einer Osteopenie oder zu einer Osteoporose führen. Nach dem Absetzen der Therapie kommt es bei den postmenopausalen Frauen zu langsamer Besserung der Knochendichte. ■ Tamoxifen kann während der Therapie eine tiefe Beinvenenthrombose oder eine Embolie verursachen. Seltene späte Folge ist ein Endometriumkarzinom. ■ LHRH-Analoga werden bei prämenopausalen, meistens jungen Patientinnen eingesetzt (Stellenwert in laufenden Studien geprüft). Akute Nebenwirkungen sind ausgeprägte postmenopausale Symptome. Im Verlauf der Therapie kommt es zu einer ausgeprägten Knochendichteverminderung mit Osteopenie/Osteoporose. Chemotherapie ■ verursacht während der Behandlung akute Neben- wirkungen wie Nausea, Hämatotoxizität, Alopezie oder Infektgefahr. ■ Kardiotoxizität ist eine Spätfolge einer anthrazyklinhaltigen Therapie, die zu einer Herzinsuffizenz führen kann. ■ Polyneuropathie tritt während der Therapie mit Taxanen auf und kann lange nach dem Therapieabschluss persistieren. ■ Bei prämenopausalen Patientinnen kann eine Chemotherapie zu Amenorrhö, Fertilitätsminderung oder Menopause führen. Bei jungen Frauen ist die Amenorrhö häufig reversibel, bei Frauen älter als 40 Jahre ist sie meistens permanent. Alkylanzien gelten als besonders toxisch. ■ Im Zusammenhang mit der Menopause kommt es auch zum starken Abfall der Knochendichte, sodass man in der Nachsorge an die Möglichkeit einer Osteoporose denken muss. Dr. med. Tamara Rordorf Klinik für Onkologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich E-Mail: tamara.rordorf@usz.ch Literatur bei der Verfasserin. 14 GYNÄKOLOGIE 5/2012