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Kongressbericht
37. Kongress der European Society of Medical Oncology (ESMO), Wien, 28. 9. bis 2. 10. 2012
Gynäkologische Tumoren und Brustkrebs
Highlights bei Ovarial- und Mammakarzinomen
Antiangiogenese bei fortgeschrittenem Eierstockkrebs und neue Optionen bei HER2-positivem fortgeschrittenem Brustkrebs standen bei der diesjährigen ESMOJahrestagung im Fokus der gynäkologischen Onkologie. In Wien trafen sich 16 000 Fachleute aus mehr als 120 Ländern, um die Ergebnisse ihrer klinischen Forschung zu präsentieren und den Einfluss auf den Therapiealltag zu diskutieren.
Prof. Christoph Zielinski, Wien, fasste den nachhaltigen Fortschritt in beeindruckenden Zahlen zusammen: «Vor zehn Jahren haben Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs im Durchschnitt 22 Monate überlebt, heute sind es 58 Monate – also fast dreimal so lange.»
Ovarialkarzinom: Antiangiogenese erfolgreich
Die Antiangiogenese mit Bevacizumab ist zurzeit der vielversprechendste Wirkansatz beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom und zeigt in Phase-III-Studien eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (PFS) sowohl in der Primärtherapie als auch in der Rezidivsituation für Patientinnen mit platinsensiblen und -resistenten Tumoren.
OCEANS Auf dem diesjährigen ESMO-Kongress wurde ein Update der Ergebnisse der plazebokontrollierten Studie OCEANS, die Gemcitabin (Gemzar®)/Carboplatin ± Bevacizumab (Avastin®) beim platinsensiblen Ovarialkarzinomrezidiv vergleicht, zum Gesamtüberleben (OS) präsentiert (1). Die signifikante und klinisch relevante Verlängerung des PFS (primärer Endpunkt) von 8,4 auf 12,4 Monate (HR = 0,484; p < 0,0001) durch den Zusatz von Bevacizumab setzte sich auch in der dritten Interimsanalyse, zu deren Zeitpunkt nahezu 60% der Patientinnen in beiden Studienarmen verstorben waren, nicht in eine Verlängerung des Gesamtüberlebens um. Das mediane OS betrug im Kontrollarm 33,7 Monate und im Verumarm 33,4 Monate (HR = 0,96; p = 0,74). Diskutiert wird, ob bei den inzwischen erreichten langen Überlebens-
zeiten nach Tumorprogress und weiteren Therapielinien überhaupt ein Signal im Gesamtüberleben erwartet werden darf. Ein historischer Vergleich der Zulassungsstudie von Gemcitabin/Carboplatin (Pfisterer et al., 2006) zeigte für das gleiche Patientenklientel ein medianes OS von 18,0 Monaten, wobei 10% der Patientinnen damals mehr als drei Therapielinien erhalten hatten. In der Studie OCEANS wurde im Kontrollarm, also mit derselben Behandlung, ein medianes OS von 33,7 Monaten erreicht; allerdings erhielten hier bereits 55% der Patientinnen mehr als drei Therapielinien und 11,2% sogar mehr als acht Nachfolgetherapien.
AURELIA Patientinnen mit platinresistentem Rezidiv profitieren ebenso von einer Bevacizumabtherapie. Laut Subgruppenanalyse der AURELIA-Studie ist dieser Benefit unabhängig vom Chemotherapiekombinationspartner (2). In dem Studienprotokoll war es dem behandelnden Arzt freigestellt, Topotecan (Hycamtin®), PLD (Caelyx®) oder Paclitaxel q1w (Taxol®) als Chemotherapie zu verwenden. Insgesamt wurde das mediane PFS durch Bevacizumab von 3,4 auf 6,7 Monate signifikant verlängert (HR = 0,48; p < 0,001). Für die unterschiedlichen Chemotherapieregime betrug die Hazard Ratio 0,32, 0,57 und 0,49. Prof. Nicoletta Colombo, Mailand, hob in ihrer Diskussion der Studie hervor, dass AURELIA die einzige positive Studie beim platinresistenten Ovarialkarzinom sei. Die soliden Resultate überzeugen, sodass die bevacizumabhaltige Kombinationstherapie bei diesem Patientenkollektiv als neue Standardoption eingesetzt werden sollte.
Frühes Mammakarzinom: adjuvantes Trastuzumab bestätigt
In der neoadjuvanten Therapie des Mammakarzinoms wurden keine klinisch relevanten neuen Signale für den Einsatz einer bestimmen Therapie in Bezug auf gezielte Patientenkohorten beobachtet. Daher sollten die bekannten Standardchemotherapieregime – Anthrazykline und Taxane – ohne Erweiterung der Anzahl der Therapiezyklen und ohne die additive Gabe weiterer Substanzen verwendet werden, resümierte Fartima Cardoso, Lissabon (3).
HERA und PHARE: Trastuzumab Um die adjuvante Therapie des HER2positiven Mammakarzinoms zu optimieren, wurde in der HERA-Studie die Dauer der Erhaltungstherapie mit Trastuzumab (Herceptin®) untersucht. Nach einer Nachuntersuchungsperiode von 8 Jahren zeigte sich kein Unterschied zwischen dem krankheitsfreien Überleben (DFS) bei Patientinnen, die entweder 1 oder 2 Jahre Trastuzumab erhalten hatten (4). Auch die Studie PHARE beschäftigte sich mit der Dauer der Trastuzumabgabe im adjuvanten Setting, hier wurden 6 versus 12 Monate der Therapie untersucht. Sowohl beim DFS mit einer Hazard Ratio von 1,28 als auch beim OS (HR = 1,47) war die 6-monatige Gabe der 12-monatigen Erhaltungstherapie unterlegen (5). Inzwischen wurden nahezu 14 000 Patientinnen in Studien zur Dauer der Trastuzumabgabe untersucht. Diskutantin Sandra Swain, Washington DC, meinte, diese Zahl reiche für eine Evidenz. Trastuzumab sollte wie gehabt im adjuvanten Setting für ein Jahr gegeben werden.
Fortgeschrittenes Mammakarzinom: zielgerichtete neue Option T-DM1
Für das HER2-positive Mammakarzinom hat sich T-DM1 (Trastuzumab Emtansin) als neue Therapieoption bestätigt mit einer überzeugenden Verlängerung des Gesamtüberlebens von fast 6 Monaten.
GYNÄKOLOGIE 5/2012
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Kongressbericht
37. Kongress der European Society of Medical Oncology (ESMO), Wien, 28. 9. bis 2. 10. 2012
EMILIA In der Phase-III-Studie EMILIA wurden 980 Patientinnen mit HER2-positivem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, die unter einem Taxan und Trastuzumab progredient waren, mit T-DM1 oder Capecitabin plus Lapatinib bis zum Tumorprogress behandelt. Die Ergebnisse der ersten Interimsanalyse, präsentiert auf der ASCO-Jahrestagung 2012, zeigten eine signifikante Verlängerung des PFS von median 6,4 Monaten unter Capecitabin/Lapatinib verglichen mit 9,6 Monaten unter T-DM1 (HR = 0,650; p < 0,0001). In einer zweiten Interimsanalyse des Gesamtüberlebens nach 331 Ereignissen wurde ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Therapiearmen zugunsten des T-DM1 beobachtet (medianes OS: 30,9 vs. 25,1 Monate; HR = 0,682; p = 0,0006). Es sprachen signifikant mehr Patientinnen auf T-DM1 an (ORR: 43,6 vs. 30,8 %), und auch die Dauer des Ansprechens zeigte einen deutlichen Vorteil für die T-DM1-Therapie (DOR: 12,6 vs. 6,5 Monate) (6).
CEREBEL Da unter der Therapie mit Trastuzumab Bedenken in Bezug auf das Auftreten von Hirnmetastasen bestehen, untersuchte die randomisierte Phase-III-Studie CEREBEL prospektiv das Auftreten von Hirnmetastasen bei Patientinnen mit HER2positivem Brustkrebs, die mit Capecitabin in Kombination mit entweder Lapatinib (n = 271) oder Trastuzumab (n = 269) behandelt worden waren. Insgesamt war das Sicherheitsprofil unter beiden Therapien vergleichbar, mit klinisch relevanten Nebenwirkungen bei 13 respektive 17% der Patientinnen und einer Studienabbruchrate aufgrund von Nebenwirkungen von 11% respektive 13%. Das Auftreten von Hirnmetastasen war in beiden Studienarmen vergleichbar: Im Lapatinibarm traten Hirnmetastasen als erstes Rezidiv bei 3% der Patientinnen (vs. 5% im Trastuzumabarm) (p = 0,36) auf.
Das Auftreten von Hirnmetastasen zu jedem Zeitpunkt wurde bei 7 versus 6% der Patientinnen (p = 0,86) beobachtet. Die Zeit bis zum ersten Auftreten einer Hirnmetastase betrug median 5,7 Monate (vs. 4,4). Sowohl das PFS (6,6 vs. 8,0 Monate; HR = 1,3; p = 0,021) als auch das OS (22,7 vs. 27,3 Monate; HR = 1,24; p = 0,095) waren unter der Trastuzumabtherapie verlängert im Vergleich zum Lapatinibarm. In einer Subgruppenanalyse zur Trastuzumabvorbehandlung zeigten Patientinnen mit vorheriger Trastuzumabtherapie keinen Benefit. Dementsprechend profitierten trastuzumabnaive Patientinnen deutlich besser als die Gesamtpopulation (PFS: 6,3 vs. 10,9 Monate; HR = 1,70) (7).
TURANDOT
Erste Wirksamkeitsergebnisse der Pha-
se-III-Studie TURANDOT, die zwei beva-
cizumabhaltige Regime als Erstlinienthe-
rapie beim HER2-negativen metastasier-
ten Brustkrebs vergleicht, zeigen ein
verlängertes PFS (11,0 vs. 8,1 Monate;
HR = 1,36; p = 0,0052) und eine höhere
Ansprechrate unter Bevacizumab in Kom-
bination mit Paclitaxel verglichen mit der
Kombination von Bevacizumab und Ca-
pecitabin (8). Da es sich um eine Nicht-
unterlegenheitsstudie handelt, kann nur
gesagt werden, dass beide Therapien
nicht verschieden sind. Die Studie ver-
mittelt allerdings den Anschein, dass Be-
vacizumab plus Paclitaxel wirksamer sein
könnte.
■
Ine Schmale
Quellen:
1. Goff B et al.: Updated overall survival analysis in OCEANS, a randomized phase 3 trial of gemcitabine + carboplatin and bevacizumab or placebo followed by Bevacizumab or placebo in platinum-sensitive recurrent epithelial ovarian, primary peritoneal, or fallopian tube cancer. ESMO 2012, #967O.
2. Poveda AM et al.: Weekly paclitaxel, pegylated liposomal Doxorubicin or topotecan ± Bevacizumab in platinum-resistant recurrent ovarian cancer: analysis by chemotherapy cohort in the GCIG AURELIA randomized phase III trial. ESMO 2012, #LBA26.
3. Cardoso F: The best of the ESMO 2012 Congress – early breast cancer. ESMO 2012, Congress Highlights Session. 4. Goldhirsch A et al.: HERA TRIAL: 2 years versus 1 year of trastuzumab after adjuvant chemotherapy in woman with HER2-positive early breast cancer at 8 years of median follow up. ESMO 2012, #LBA6_PR. 5. Pivot X et al.: PHARE trial results comparing 6 to 12 months of trastuzumab in adjuvant early breast cancer. ESMO 2012, #LBA5_PR. 6. Verma S et al.: Updated overall survial results from EMILIA, a phase 3 study of trastuzumab emtansine vs. capecitabine and lapatinib in HER2-positive locally advanced or metastatic breast cancer. ESMO 2012, #LBA12. 7. Pivot X et al.: CEREBEL (EGF111438): An open-label randomized phase III study comparing the incidence of CNS metastases in patients with HER2+ metastatic breast cancer, treated with lapatinib plus capecitabine versus trastuzumab plus capecitabine. ESMO 2012, #LBA11. 8. Zielinski C et al.: First efficacy results from the TURANDOT phase III trial comparing two Bevacizumabcontaining regimens as first-line therapy for HER2-negative metastatic breast cancer. ESMO 2012, #317O.
Zusammenfassung für die Praxis
■ Beim Ovarialkarzinom ist die Angiogenesehemmung mit bevacizumabhaltigen Regimen derzeit Therapiestandard. Wann, bei wem und in welcher Kombination Bevacizumab am besten einzusetzen ist, wird heftig diskutiert und in diversen laufenden Studien geklärt. Zugelassen ist Bevacizumab derzeit in der Primärtherapie.
■ Beim frühen HER2-positiven Mammakarzinom hat sich weder in der Standard-, in der neoadjuvanten Therapie noch bei der Dauer der Trastuzumabgabe im adjuvanten Setting etwas geändert.
■ Beim fortgeschrittenen HER2-positiven Mammakarzinom ist T-DM1 neuer Standard. Dem Regime Lapatinib/Capecitabin sollte nach einer trastuzumabhaltigen Therapie der Vorzug vor Trastuzumab/Capecitabin gegeben werden. Bei trastuzumabnaiven Patientinnen sind beide Regime eine gute Option, aber nun gegen den Einsatz von T-DM1 abzuwägen. Beim Einsatz von Bevacizumab ist Paclitaxel als Kombinationspartner eventuell wirksamer als Capecitabin.
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