Transkript
SCHWERPUNKT
HIV und Schwangerschaft
Heutige Präventionsstrategien
Die meisten HIV-infizierten Frauen in Europa befinden sich im gebärfähigen Alter. Da die Transmissionsrate von HIV auf das Neugeborene unter optimalen Bedingungen niedrig ist und die Lebenserwartung HIV-positiver Menschen unter Therapie gut ist, entscheiden sich immer mehr Betroffene, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. Die Betreuung einer HIV-positiven Schwangeren erfordert eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen, Infektiologen und Pädiatern.
KAROLINE AEBI-POPP, IRÈNE HÖSLI
In Europa beträgt der Frauenanteil an HIV-infizierten Menschen zirka 30%, wobei rund zwei Drittel davon im reproduktiven Alter zwischen 20 und 39 Jahren sind.
Vertikales Transmissionrisiko bei HIV
Die Minimierung der vertikalen HIV-Transmissionsraten von der Mutter auf das Kind stellt eine ausserordentliche Erfolgsgeschichte der modernen Medizin dar. Ohne jegliche Massnahmen zur Vermeidung der Mutter-Kind-Transmission von HIV werden bis zu 40% der Kinder HIV-positiver Mütter mit HIV1 während, nach oder selten auch vor der Geburt von ihren HIV-positiven Müttern infiziert (1). In den letzten Jahren konnte bei Schwangeren mit bekannter HIVInfektion die Mutter-Kind-Transmissionsrate auf unter 1 bis 2% reduziert werden (2–5). Diese niedrige Übertragungsrate ist das Ergebnis der Kombination: ■ einer antiretroviralen Behandlung der Schwange-
ren; ■ einer vaginalen Geburt bei supprimierter Viruslast
oder eines elektiven Kaiserschnitts; ■ einer antiretroviralen Postexpositionsprophylaxe
des Neugeborenen und ■ eines Stillverzichts.
HIV-Test in der Schwangerschaft
Die notwendigen Massnahmen zur Prophylaxe der Mutter-Kind-Übertragung von HIV können nur dann erfolgreich eingesetzt werden, wenn die HIV-Infektion der Mutter bekannt ist. Nicht bei allen HIV-infizierten Schwangeren sind Risikofaktoren für eine HIV-Infektion wie Herkunft aus einer HIV-Hochprävalenzregion, aktueller oder zurückliegender intravenöser Drogenkonsum oder eine HIV-Infektion des Partners erkennbar. Daher sollte grundsätzlich bei jeder Schwangeren ein HIV-Antikörpertest mit einer persönlichen kompetenten Beratung erfolgen.
In der Schweiz gilt seit 2003 das sogenannte Opt-outPrinzip als Grundsatz für den HIV-Test in der Schwangerenvorsorge. Die Durchführung eines HIV-Tests nach der Opt-out-Methode bedeutet, dass im Prinzip jede Schwangere auf HIV getestet wird, ausser sie lehnt diesen Test explizit ab. Das sogenannte Opt-inPrinzip (d.h. die Schwangere muss über den Test aufgeklärt werden und diesem dann aktiv zustimmen) wird beispielsweise in Deutschland angewendet. Bei diesem Prinzip neigen Frauen vermehrt dazu, auf den Test zu verzichten. 25% aller Frauen mit HIV, die in der Schweiz in den letzten Jahren entbunden haben, erhielten ihre HIVDiagnose durch den Screeningtest während der Schwangerschaft (6). Dies belegt auf eindrückliche Weise die Wichtigkeit des Angebots dieser HIV-Testung durch Kliniken und durch alle niedergelassenen Hausärzte und Gynäkologen.
Besondere Aspekte in der Schwangerenvorsorge
Ein entscheidender Stellenwert kommt neben den üblichen Vorsorgeuntersuchungen der konsequenten Diagnostik und Therapie genitaler Infektionen zu. Lokale Infektionen wie Herpes genitalis, Chlamydieninfektion, Trichomoniasis und eine bakterielle Vaginose können das HIV-Transmissionsrisiko erhöhen, indem sie die lokale Barriere der Vagina stören und ebenso zu vorzeitigen Wehen führen können. Die Infektionsdiagnostik sollte ein komplettes Screening auf sexuell übertragene Infektionen (STI) sowie eine vollständige Hepatitisserologie einschliessen. Bei bis zu einem Drittel HIV-infizierter Frauen zeigen sich vulväre, vaginale und zervikale Dysplasien, welche durch die Immunsuppression gehäuft progredient sein können. Im ersten Trimenon empfehlen sich daher eine Zervixzytologie, eventuell eine Untersuchung auf HPV-High-risk-Typen-DNA sowie eine
20 GYNÄKOLOGIE 4/2012
SCHWERPUNKT
kolposkopische Untersuchung. Dabei sollte man – wie bei der nicht schwangeren HIV-infizierten Frau – neben Vulva, Vagina und Zervix auch die Perianalregion auf Veränderungen untersuchen.
Antiretrovirale Therapie
Die kombinierte antiretrovirale Therapie (cART) stellt die effektivste Methode zur Viruslastsenkung in der Schwangerschaft dar und konnte die MTCT von HIV auf ein Minimum reduzieren (2, 4). Frauen, die bereits eine cART einnehmen, sollten diese auf jeden Fall in der Schwangerschaft fortführen. Ausserdem stellt eine cART heute die einzige akzeptable Therapieform für die HIV-Infektion dar, weil Mono- oder Dualtherapien ungenügend wirken und zu einer raschen Resistenzentwicklung des HI-Virus führen. Bei Beginn einer antiretroviralen Therapie während der Schwangerschaft zur Prophylaxe wird eine Kombinationstherapie (cART) gewählt. Die Viruslastsenkung und Verträglichkeit der Therapie für die Mutter als Voraussetzung für eine gute Adhärenz sind dabei das entscheidende Kriterium für die Auswahl der geeigneten Medikamente. Bis anhin gibt es in einem umfassenden internationalen Schwangerschaftsregister keine Evidenz für erhöhte Felhlbildungsraten durch verschiedene antiretrovirale Substanzen (www.apregistry.com). Für HIV-positive Schwangere gelten grundsätzlich die gleichen Behandlungsindikationen wie für nicht schwangere Erwachsene. Klinisch stellt jede symptomatische HIV-Infektion eine Behandlungsindikation dar. Bei asymptomatischem Verlauf der Infektion liegt spätestens bei einer CD4-Zell-Zahl unter 350/µl eine Therapieindikation vor. Bei entsprechenden Kofaktoren wie beispielsweise einer chronischen Hepatitis ist auch bei höheren CD4-Werten ein Therapiebeginn sinnvoll. Wenn möglich, sollte die antiretrovirale Prophylaxe während der Schwangerschaft gemäss der jeweiligen Viruslast begonnen werden, im Allgemeinen jedoch nach dem ersten Trimenon. Durch die natürliche Immunsuppression während der Schwangerschaft kann die CD4-Zell-Zahl um 10 bis 20% abfallen, wobei bei Vorliegen einer HIV-Infektion diese Reduktion bis zu 40% betragen kann. Die CD4Zell-Zahl kann sich jedoch nach Ende der Schwangerschaft wieder normalisieren. Dies muss bei der Indikationsstellung zur antiretroviralen Therapie bedacht werden. Grundsätzlich wird in der Schweiz in der Schwangerschaft eine cART eingesetzt, die auf einem ProteaseInhibitor (PI) basiert (geboostet oder ungeboostet) und zwei nukleosidale/nukleotidartige Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI) enthält. Die antiretrovirale Therapie dieser Art hat eine vergleichsweise niedrige Plazentagängigkeit der Proteinase-Inhibitoren (Schutz des Kindes). Zudem gewährt sie als Kombinationstherapie eine genetischen Barriere, die eine Resistenz-
entwicklung erschwert und somit zukünftige Therapieoptionen für die Mutter erhält. Beim NNRTI Nevirapin ist zu beachten, dass er bei CD4-Werten über 250/µl nicht eingesetzt werden sollte, da dann ein erhöhtes Risiko für eine mütterliche Hepatotoxizität besteht. Insgesamt ist die Verträglichkeit der neuen antiretroviralen Medikamente sehr gut; die Motivation für eine gute Adhärenz, die Therapie regelmässig einzunehmen, sollte durch den betreuenden Arzt so gut wie möglich unterstützt werden. Ziel von regelmässigen Kontrollen der HI-Viruslast ist es, gegen Ende der Schwangerschaft eine «nicht nachweisbare Viruslast» (derzeit < 40 Kopien/ml) zu erreichen. Eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe des Neugeborenen von Geburt an über vier Wochen wird unabhängig vom Geburtsmodus verabreicht, auch wenn die HI-Viruslast der Mutter unter der Nachweisgrenze ist. Diese Therapie kann als Monotherapie oder bei Frühgeburt oder nachweisbarer Viruslast unter der Geburt als Kombinationstherapie verordnet werden. Pränatale Diagnostik Die pränatale Diagnostik im Rahmen des Ersttrimesterscreenings und der folgenden Ultraschalluntersuchungen (inkl. Organdiagnostik) sollte grundsätzlich allen HIV-positiven Frauen angeboten werden. Insgesamt gilt eine strenge Indikationsstellung für jede invasive Diagnostik aufgrund des erhöhten Risikos einer vertikalen Transmission (7). Ein derartiger Eingriff kann bei strenger Indikation unter der Einnahme einer cART (möglichst mit vollständig supprimierter mütterlicher Viruslast) stattfinden, wobei sich in einer Studie unter optimalen Bedingungen keine Erhöhung der HIV-Transmissionsrate gezeigt hat (8). Geburtsmodus Viele Jahre war in Europa die primäre Sectio caesarea eine der Säulen der Transmissionsprophylaxe von Geschichte der Prophylaxe der Mutter-zu-Kind-Übertragung von HIV (PMTCT) in Europa Vor 1994 1994 1997 1999 1999–2002 2002 2002–2012 Keine Prophlyaxe zur Vermeidung der HIV-Mutter-zu-KindTransmission, MTCT-Raten 20–40%. Resultat der ACTG076-Studie zeigt 68% Effizienz der ZDV-Monotherapie bei Gabe vor und unter Geburt, MTCT-Raten 8–10%. Kombinierte antiretrovirale Therapie als Standard in Europa. Die Mode-of-delivery-Studie und -Metaanalyse zeigen, dass eine elektive Sectio caesarea das Transmissionsrisiko von HIV halbieren kann. MTCT-Raten < 3% mit Zidovudinmonotherapie und elektiver Sectio caesarea. PACTG-316-Studie: Einsatz von hoch aktiver antiretroviraler Therapie (HAART) reduziert die HIV-MTCT < 2%. MTCT-Raten < 1–2% unabhängig vom Geburtsmodus bei supprimierter Viruslast. GYNÄKOLOGIE 4/2012 21 SCHWERPUNKT HIV, da nachgewiesen werden konnte, dass sie die vertikale Transmissionsrate von HIV halbieren kann (9–11). Der protektive Effekt des Kaiserschnittes ist jedoch nach neueren Untersuchungen bei Frauen, die in der Schwangerschaft eine cART erhalten und deren Viruslast gegen Ende der Schwangerschaft in einem sehr niedrigen Bereich (bzw. unter der Nachweisgrenze) liegt, nicht mehr klar nachweisbar. Die Sectio caesarea hat jedoch eindeutig eine höhere Morbidität für Mutter und Neugeborenes im Vergleich zur vaginalen Geburt. Es gibt Untersuchungen, die sogar eine erhöhte Komplikationsrate bei HIV-infizierten Frauen im Vergleich zu HIV-negativen Frauen zeigten (z.B. häufiger Fieber, Hämatome und Wundheilungsstörungen) (12–14). 2008 konnte eine grosse französische Kohortenstudie (5) zeigen, dass HIV-positive Schwangere mit einer Viruslast unter 400 Kopien/ml, die eine cART einnahmen und vaginal entbanden, eine vergleichbar niedrige Übertragungsrate von HIV aufwiesen wie Frauen, die per Sectio caesarea entbunden hatten. Verschiedene europäische Leitlinien empfehlen derzeit die Vaginalgeburt bei nicht nachweisbarer Viruslast (15). Die Schweiz hat die vaginale Geburt in ihren aktuellen Empfehlungen zur Prävention der vertikalen HIV-Transmission (16) zur Regel erhoben, wenn HIV-positive Frauen eine cART einnehmen und eine Viruslast < 40 Kopien/ml aufweisen, wenn keine geburtshilflichen oder infektiologischen Gründe dagegen sprechen. Der Anteil an Spontangeburten bei Frauen mit HIV entspricht derzeit in der Schweiz zirka 30%. Stillen Es scheint, dass eine effektive cART der Mutter in der Stillperiode auch die MTCT durch das Stillen zum Grossteil reduzieren kann. Trotzdem besteht durch Stillen ein länger dauerndes Risiko, das HI-Virus zu übertragen, und für eine verlängerte Exposition des Neugeborenen gegenüber den potenziell toxischen Merkpunkte ■ Die Übertragung des HI-Virus von der Mutter auf ihr Kind kann durch die moderne antiretrovirale Kombinationstherapie unter 1% reduziert werden. ■ Die Schwangerenvorsorge von Frauen mit HIV sollte unter anderem ein ausführliches STI-Screening und ein zytologisches Zervixscreening mit Kolposkopie umfassen. ■ Die Durchführung des HIV-Tests nach dem Opt-outPrinzip bei allen Frauen in der Schwangerschaft ist ein wichtiger Faktor, um die vertikale Transmission von HIV zu vermeiden. ■ Bei erfolgreicher Therapie und supprimierter HI-Viruslast zum Zeitpunkt der Geburt darf die Spontangeburt empfohlen werden. antiretroviralen Medikamenten. Deswegen wird Müt- tern mit HIV-Infektion in den Schweizer Leitlinien wei- terhin vom Stillen abgeraten. Anders sieht die Situa- tion in Ländern aus, in denen kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung steht und das Stillen die neonatale Mortalität reduziert. Die Stigmatisierung von Frauen aus bestimmten Kulturen, die nicht stil- len, sollte in diesem Zusammenhang wenn möglich offen diskutiert werden, um eine individuelle Lösung zu finden. ■ Dr. med. Karoline Aebi-Popp MSc Universitätsfrauenklinik Universitätsspital Basel Zurzeit: Department of Infectious Diseases and Genito-Urinary Medicine St. James’s Hospital, Dublin 8/Irland E-Mail: mail@aebi-popp.com Prof. Dr. med. Irène Hösli Klinik für Geburtshilfe Universitätsfrauenklinik Universitätsspital Basel 4031 Basel Quellen: 1. European Group CS. Children born to women with HIV-1 infection: natural history and risk of vertical transmission. Lancet 1991; 337: 253–260. 2. Boer K, Nellen JF, Patel D et al.: The AmRo study: Pregnancy outcome in HIV1-infected women under effective highly active antiretroviral therapy and a policy of vaginal delivery. BJOG 2007; 114: 148–55. 3. European Collaborative Study. Mother-to-child transmission of HIV Infection in the era of highly active antiretroviral therapy. Clin Infect Dis 2005; 40: 458–65. 4. Townsend CL, Cortina-Borja M, et al.: Low rates of mother-to-child transmission of HIV following effective pregnancy interventions in the United Kingdom and Ireland, 2000–2006. AIDS 2008; 22: 973–81. 5. Warszawski J, Tubiana R, Le Chenadec J, et al.: ANRS French Perinatal Cohort. Mother-to-child HIV transmission despite antiretroviral therapy in the ANRS French Perinatal Cohort. AIDS 2008; 22: 289–99. 6. Aebi-Popp K, Lapaire O, Glass TR, Vilén L, Rudin C, Elzi L, Battegay M, Keiser O, de Tejada BM, Hoesli IM: Swiss Mother And Child HIV Cohort Study. Pregnancy and delivery outcomes of HIV infected women in Switzerland 2003-2008. J Perinat Med. 2010; 38(4): 353–8.PMID: 20184398. 7. Maiques V, Garcia-Tejedor A, Perales A, et al.: HIV detection in amniotic fluid samples. Amniocentesis can be performed in HIV pregnant women? Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2003; 108: 137–41. 8. Mandelbrot L, Jasseron C, Ekoukou D, et al.: ANRS French Perinatal Cohort (EPF). Amniocentesis and mother-to-child human immunodeficiency virus transmission in the Agence Nationale de Recherches sur le SIDA et les Hépatites Virales French Perinatal Cohort. Am J Obstet Gynecol. 2009; 200: 160.e1–9. 9. European Collaborative Study. Caesarean section and risk of vertical transmission of HIV-1 infection. Lancet 1994; 343: 1464–67. 10. Kind C, Rudin C, Siegrist CA, et al.: Prevention of vertical HIV transmission: additive protective effect of elective cesarean section and zidovudine prophylaxis: Swiss Neonatal HIV study group. AIDS 1998; 12: 205–10. 11. The International Perinatal HIV Group: The mode of delivery and the risk of vertical transmission of human immunodeficiency virus type 1 a meta-analysis of 15 prospective cohort studies. N Engl J Med 1999; 340: 977–87. 12. Lapaire O, Irion O, Koch-Holch A, Holzgreve W, Rudin C, Hoesli I: Swiss Mother and Child HIV Cohort Study.Increased peri- and post-elective cesarean section morbidity in women infected with human immunodeficiency virus-1: a case-controlled multicenter study. Arch Gynecol Obstet. 2006; 274(3): 165–69. 13. Rodriguez EJ, Spann C, Jamieson D, et al.: Postoperative morbidity associated with cesarean delivery among human immunodeficiency virus- seropositive women. Am J Obstet Gynecol. 2001; 184(6): 1108–11. 14. Urbani G, de Vries MM, Cronje HS, et al.: Complications associated with cesarean section in HIV-infected patients. Int J Gynaecol Obstet. 2001; 74(1): 9–15. 15. Boer K, England K, et al. (European Collaborative Study): Mode of delivery in HIV-infected pregnant women and prevention of mother-to-child transmission: changing practices in Western Europe. HIV Med. 2010; 11(6): 368–78. 16. Fachkommission Klinik und Therapie HIV/AIDS des BAG. HIV, Schwangerschaft und Geburt. Ein Update der Empfehlungen zur Prävention der vertikalen HIV-Transmission. Bulletin des BAG 2009; 26.1.2009, 5: 69–75. 22 GYNÄKOLOGIE 4/2012