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GYNEA
Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie
Das Gespräch über HIV und andere Geschlechtskrankheiten
Praxistipps zum Erkennen von Risikosituationen und präventiven Vorgehen bei Jugendlichen
Das BAG fordert uns Ärzte dazu auf, häufiger an die Möglichkeit einer HIV-Infektion zu denken, bei riskantem Sexualverhalten ein entsprechendes Beratungsgespräch zu führen und gezielt den HIV-Test einzusetzen. Ist es sinnvoll, auch mit Jugendlichen über HIV und andere sexuelle übertragbare Infektionen (STI) zu sprechen? Ist denn HIV für Jugendliche überhaupt relevant?
RUTH DRATHS
In den Augen vieler Jugendlicher sind HIV und Aids ein Problem von Erwachsenen, vor allem von Homosexuellen. Dank der Aufklärung in Schulen und Medien kennt zwar ein Grossteil der Jugendlichen die Begriffe Aids und HIV, jeder Dritte weiss aber nicht, ob man sich dagegen impfen lassen kann oder beantwortet die Frage mit «Ja». Die WHO erwähnt in den «10 facts on adolescent health» von 2008, dass 45% der HIV-Infektionen weltweit junge Menschen zwischen 15 bis 24 Jahre betreffen. Sie fordert weltweite Anstrengungen zur Verbesserung des Wissens um die Möglichkeiten des Schutzes vor HIV und einen direkten Zugang zu Beratung und HIV-Test. Dem HIV-Test in der Frühphase nach ungeschütztem Sexualkontakt kommt eine Schlüsselstellung zu, wenn es darum geht, Betroffene rechtzeitig medizinischer Pflege zuzuführen und die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern (WHOErklärung September 2008).
Unwissenheit und riskantes Verhalten
Weltweit gilt: Adoleszente zwischen 13 und 19 Jahren sind als eigene Risikogruppe für STI anzusehen. In der Arbeit von Branson, Centers of Disease Control (CDC), wird die Situation in den USA beschrieben, wo über 50% aller HIV-infizierten Adoleszenten nicht getestet sind und daher nichts von ihrer Infektion wissen. Besonders dramatisch ist die Situation junger Homosexueller, bei denen Stichproben eine hohe Infektionsrate (bis zu 14%) und mangelnde Kenntnis der Infektion (bis zu 80%) ergaben. Dies ist zwar nicht mit der Situation in der Schweiz vergleichbar, zeigt uns aber die Vulnerabilität Jugendlicher für diese schwerwiegende Infektion. Bei uns fordert das BAG die Ärzte dazu auf, vermehrt an die Möglichkeit einer HIV-Primoinfektion zu denken, vor allem bei unklaren Symptomen und Krankheitsbildern eine fortgeschrittene HIV-Infektion mit
einzubeziehen und vermehrt, aber gezielt auf HIV zu testen.
Was weist bei uns auf riskantes Verhalten hin?
Bei Hinweisen auf ein riskantes Sexualverhalten der jungen Patientin soll, so das BAG, ein präventives Beratungsgespräch geführt werden. Was ist nun aber ein riskantes Sexualverhalten? Wie erkennt man das? Zwei Beispiele aus dem Praxisalltag:
Fallbeispiel 1: Sarah, 13½-jährig Sie kommt zum ersten Mal in die frauenärztliche Sprechstunde. Angemeldet hat sie sich, «um die Pille zu bekommen». Lässt das allein schon auf ein riskantes Sexualverhalten schliessen? Ist das Alter ein Risikofaktor? In so einer Situation ist es wichtig, sich als Arzt/Ärztin mit den eigenen Wertvorstellungen auseinanderzusetzen und sich der nonverbal oder verbal vermittelten Signale bewusst zu werden. Denn Jugendliche, besonders in so jungem Alter, brauchen Mut und Vertrauen, damit sie ihre Bedürfnisse offenlegen. Sarah war bereits bei einem anderen Frauenarzt gewesen. Dieser gab ihr damals keine Pille mit der Begründung, dass sie zu jung sei. Das Alter allein sagt uns aber wenig über die Motive des Handelns aus. Die zentrale Frage ist nun: Warum möchte dieses Mädchen die Pille? Worum geht es genau? Wie steht es mit den Risikofaktoren? Dafür braucht es ein Gespräch über Sexualität, und das braucht Zeit und Vertrauen. Bei Sarah zeigen sich im Gespräch eine ganze Reihe von Risikofaktoren: Ihr Sexualpartner sei ein Bekannter, nicht ihr Freund. Er sei 18-jährig, damit gut fünf Jahre älter als sie. Es sei aber nicht ihre erste sexuelle Beziehung, sie habe bereits mit 13 Jah-
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ren mit einem Kollegen, ebenfalls ein junger Erwachsener, geschlafen. Schulisch gehe es ihr nicht gut, und sie werde in der Schule auch gemobbt, unter anderem wegen ihrer sehr frühen Pubertätsentwicklung (Menarche mit 10 Jahren; grosse, reife Brust). Sarah berichtet dann, dass sie mit 11 Jahren Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden sei, aber nie mit jemandem darüber gesprochen habe. Auch die Mutter wisse dies nicht. Die Mutter war 16-jährig, als sie Sarah bekommen hat.
Das präventive Vorgehen in der Risikosituation
Die Pille zu geben, ist nur ein kleiner Teil der dringend nötigen Prävention in einem Fall wie bei Sarah. In mehreren Gesprächen werden die verschiedenen Präventionsaspekte angesprochen, so auch der Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen. Der HIV-Test sowie die Kontrollen von Chlamydien- und Gonokokken-Infektionen dienen auch dazu, über zukünftige Schutzmöglichkeiten und insgesamt über Sexualität zu sprechen. Natürlich werden der HIV-Test sowie alle Untersuchungen mit informed consent, also mit Zustimmung der Patientin, durchgeführt. Ich habe allerdings in vielen Jahren noch nie eine Patientin erlebt, die diesen Test, wenn er durch die Anamnese indiziert ist, nicht durchführen lassen wollte. Im Gegenteil, die Patientinnen fühlen sich ernst genommen und sind für die Beratung zu diesem immer noch mit Tabus und Vorurteilen behafteten Thema sehr dankbar. Bei Sarah ist die Indikation zum Test durch verschiedene Risikofaktoren, insbesondere auch durch die erlebte sexuelle Gewalt, gegeben. Anschliessend besprechen wir die Anwendung des Kondoms, und Sarah erzählt, dass sie sich nicht getraut hat, vom Sexualpartner zu verlangen, dass er das Kondom benützt. Die Situation von Sarah wird in der Kinderschutzgruppe besprochen und eine begleitende Therapie im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst (KJPD) eingeleitet. Sie wechselte die Klasse, ist eine gute Schülerin geworden und hat inzwischen eine Lehre als Fachangestellte Gesundheit begonnen. Einen Sexualpartner hat sie seit diesem Vorfall nicht mehr, sie wollte nun die Lehre in den Vordergrund stellen. Dennoch hat sie zwei Jahre die Pille regelmässig und zuverlässig eingenommen, für ihre eigene Sicherheit.
Fallbeispiel 2: Michaela, 16-jährig Die 16-jährige Michaela hat seit einem halben Jahr einen Freund und nimmt seit Längerem die Pille. Während der gynäkologischen Sprechstunde berichtet sie von einer neu aufgetretenen Dysmenorrhö. Sonst gehe es ihr gut, sie sei beschwerdefrei.
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An sich gibt es hier keinen Hinweis auf ein riskantes Sexualverhalten. Erst im weiteren Gespräch erzählt Michaela, dass ihr Freund über zehn Jahre älter sei als sie und manchmal auf das Kondom verzichten wolle. Im Zusammenhang mit der Dysmenorrhö-Abklärung wird ein Abstrich für Chlamydien und Gonokokken abgenommen. Dieser zeigt eine Gonorrhö. Als Infektionsquelle kommt für sie nur ihr Freund infrage, der seine letzten Ferien allein in Thailand verbracht hat.
Tabelle 1: Faktoren (Auswahl) für sexuelles Risikoverhalten
1. Grosser Altersunterschied zum Sexualpartner 2. Flüchtige sexuelle Bekanntschaft 3. Frühe erste sexuelle Beziehung 4. Frühe Pubertätsentwicklung 5. Mutter oder Schwester mit Teenager-Schwangerschaft 6. Erlebte sexuelle Gewalt 7. Schulische und soziale Probleme (Mobbing)
Tabelle 2: Klinische Indikationen für einen HIV-Test
(in der Gynäkologie)
1. Schwangerschaft (auch eine Frühschwangerschaft) 2. Sexuell übertragbare Infektionen (Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien, Lympho-
granuloma venereum, Herpes genitalis, Condylomata accuminata, Hepatitis B und C) 3. Dysplasie der Cervix uteri 4. Mononukleose-ähnliches Krankheitsbild
Quelle: Klinische Indikationen für einen HIV-Test, aus: Der HIV-Test als wichtiges Element der HIV/STIPrävention. BAG-Bulletin, 4. Juli 2011.
Tabelle 3: Besondere Gefährdung Jugendlicher für STI
1. Häufiger Partnerwechsel bei Jugendlichen: je früher erste sexuelle Aktivität, desto mehr Partnerwechsel
2. Biologische Faktoren: u.a. gehäufte Zervixektopie 3. Begünstigung der HIV-Infektion durch andere STI 4. Etwa zehnfach höheres Infektionsrisiko für HIV und andere STI (Chlamy-
dien, Gonorrhö) als in mittleren Jahren 5. Junge Männer unter 25: etwa sechsfach höheres Infektionsrisiko als über
25-jährige 6. Grösstes HIV-Übertragungsrisiko besteht bei 15- bis 20-Jährigen 7. Frauen zeigen generell ein zwei- bis dreifach höheres STI-Risiko als Männer
Bei einem zweiten Termin wird Michaela über die Risiken von sexuell übertragbaren Infektionen aufgeklärt. Zudem erfolgen weitere STI-Tests, auch für HIV, Lues und Hepatitis B und C. Zum Glück sind die weiteren Testbefunde bei Michaela negativ, und gegen Hepatitis B besteht ein Impfschutz. Michaela und ihr Partner werden behandelt und die konsequente Anwendung des Kondoms dringend empfohlen. In der Nachkontrolle berichtet Michaela, dass sie dies nicht noch einmal erleben wolle, sie könne sich aber auch nicht vorstellen, sich von ihrem viel älteren Freund zu trennen. Er habe ihr die «Schuld» an der Gonorrhö zugeschoben und ihr Untreue vorgeworfen. Sie sei sich aber sicher, dass er die In-
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fektion aus Thailand mitgebracht habe, da sie keinen anderen Partner gehabt habe. In einer länger dauernden Begleitung wird das Problem der STI immer wieder thematisiert und Michaela bestärkt, auf der Anwendung des Kondoms zu bestehen.
Fazit
Jugendliche sind – entgegen ihrer eigenen Wahr-
nehmung – für STI besonders gefährdet. Die HIV-Tes-
tung wie auch Abstriche für weitere STI sind somit bei
früher sexueller Aktivität und Hinweisen auf Risiko-
verhalten sinnvoll.
Dem Schutz der sexuellen und reproduktiven Ge-
sundheit Jugendlicher wird in der Praxis oft zu wenig
Gewicht beigemessen. Die knapp bemessene
Sprechstundenzeit könnte sinnvoller für die STI-
Prävention genutzt werden, als beispielsweise für
nicht indizierte PAP-Abstriche bei Jugendlichen. Da-
mit würden wir längerfristig mehr zur Gesundheit Ju-
gendlicher beitragen.
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Dr. med. Ruth Draths FMH Gynäkologie und Geburtshilfe Leitende Ärztin Ambulatorium Gynäkologie Neue Frauenklinik und Kinderspital Luzern Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 E-Mail: ruth.draths@luks.ch
Quellen /Literatur:
WHO: 10 facts on adolescent health (www.who.int/).
Branson BM et al.: Revised recommendations for HIV testing of adults, adolescents, and pregnant women in health-care settings. MMWR Recomm Rep. 2006 Sep; 55(RR-14): 1–17; quiz CE1–4.
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