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SCHWERPUNKT
Venöse Thromboembolien in Schwangerschaft und Wochenbett
Fragen zum Management in der Praxis gemäss Risikoprofil
Die Aufgabe, Risikofaktoren für Thromboembolien in der Schwangerschaft und im Wochenbett herauszufinden, ist ein wichtiger Bestandteil des Anamnesegesprächs in der Schwangerenvorsorge. Bei sich veränderndem Risikoprofil ist eine Prävention und gegebenenfalls eine Behandlung einzuleiten.
TINA FISCHER
Tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien, zusammengefasst als venöse thromboembolische Ereignisse (VTE), zählen mit 21% nach den Hämorrhagien zu den häufigsten schwangerschaftsassoziierten Todesursachen in der Schweiz und in den westlichen Industrieländern. Aufgrund der kleineren Fallzahlen wird in der Schweiz die mütterliche Mortalitätsrate von je 10 Jahren analysiert. Von 1995 bis 2004 zeigte sich eine maternale Mortalitätsrate von 4,5/100 000 Lebendgeburten (1). Die folgenden Empfehlungen beruhen hauptsächlich auf den aktuellen Guidelines der Fachgesellschaften (2–5).
Physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft
Die physiologischen Veränderungen der Schwangerschaft erfüllen die Kriterien der Virchow-Trias. Mit der Schwangerschaft kommt es zur Aktivierung des prokoagulatorischen Systems (Anstieg von Fibrinogen und Faktor VII, VIII, X, vWF; Verminderung von Protein S, APC) und des profibrinolytischen Systems (Erhöhung von PAI-1, PAI-2). Diese Hyperkoagulabilität ist wichtig, um die Schwangere vor Blutungskomplikationen in der Schwangerschaft und unter der Geburt zu schützen. Progesteron-bedingt kommt es zu einem erniedrigten Venentonus und – im Verlauf der Schwangerschaft durch das Uteruswachstum – zu einer Kompression der Vena cava inferior und der pelvinen Venen. Die verminderte Mobilität der Schwangeren führt zur weiteren Stase. Endothelschädigungen sind bei der Implantation, einer Präeklampsie und unter der Geburt möglich (6, 7).
zwischen 0,5 und 1,7/1000 Geburten; dabei besteht eine Mortalitätsrate für VTE von 1,1/100 000 Geburten (6). Ray et al. zeigten 1999 in einer Metaanalyse, dass das Risiko für eine VTE in allen drei Schwangerschaftstrimestern gleich ist (2, 10). Gherman et al. berichteten, dass die Hälfte aller Thrombosen vor der 15. Schwangerschaftswoche (SSW) auftritt, während Pomp et al. das höchste Risiko im dritten Trimenon angeben (11, 9). Im Wochenbett, in dem sich die Hälfte der VTE ereignen, ist das Risiko 20-fach erhöht (8, 11). Eine Fallkontrollstudie aus den Niederlanden zeigt sogar einen 60-fachen Anstieg (9). Das Risiko bleibt bis 14 Wochen nach der Geburt bestehen, ist aber in den ersten 7 Tagen am höchsten (9).
Risikofaktoren
Grösster Risikofaktor und bei 15 bis 25% der VTE nachweisbar ist ein vorausgegangenes thromboti-
Merksatz
Das Risikoprofil einer Schwangeren für Thromboembolie kann sich im Schwangerschaftsverlauf und durch die Geburt verändern. Daher sollte eine
Risikoerfassung zu Beginn einer Schwangerschaft, bei jedem stationären
Aufenthalt, vor und nach der Geburt erfolgen, um neu aufgetretene Risikofaktoren zu detektieren und gegebenenfalls
eine Behandlung einzuleiten (3).
Inzidenz für Thromboembolie
In der Schwangerschaft ist das Risiko für ein thromboembolisches Ereignis 4- bis 5-fach erhöht (8, 9). 80% der VTE sind tiefe Beinvenenthrombosen und 20% Lungenembolien. Die Inzidenz der VTE variiert
sches Ereignis (4). An zweiter Stelle stehen die Thrombophilien, sie sind in 20 bis 50% nach einer Thromboembolie nachweisbar (4). Robertson et al. konnten zeigen, dass das VTE-Risiko abhängig von der Art der Thrombophilie ist (Tabelle 1) (12).
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SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Adjustierte relative Risiken für VTE in Abhängigkeit der Thrombophilie (12)
Thrombophilie Faktor-V-Leiden-Mutation (homozygot) Prothrombin-Mutation (homozygot) Antiphospholipid-Syndrom Faktor-V-Leiden-Mutation (heterozygot) Prothrombin-Mutation (heterozygot) Protein-C-Mangel Antithrombinmangel Protein-S-Mangel
Odds Ratio (95%-KI) 34,4 (9,9–120,1) 26,4 (1,2–559,3) 15,8 (10,9–22,8) 8,3 (5,4–12,7) 6,8 (2,5–18,8) 4,8 (2,2–10,6) 4,7 (1,3–17,0) 3,2 (1,5–6,9)
Tabelle 2:
Wichtigste Risikofaktoren für VTE; ohne Thrombophilien (3, 9)
Risikofaktoren Vorausgegangene VTE Postpartale Blutung + Operation Immobilisation postpartal Geburtshilfliche Blutung Systemischer Lupus erythematodes Immobilisation präpartal Transfusionen Thrombophlebitis Sectio + postpartale Infektion Präeklampsie + IUGR
Odds Ratio (95%-KI) 24,8 (17–36) 12,0 (3,9–36,9) 10,8 (4,0–28,8) 9,0 (1,1–71,0) 8,7 (5,8–13,0) 7,7 (3,2–19,0) 7,6 (6,2–9,4) 7,0 6,2 (2,4–16,2) 5,8 (2,1–16,0)
Das zunehmende Alter der Schwangeren ist ein weiterer wichtiger Risikofaktor. Bei Greer et al. betrug die Inzidenz für VTE bei Frauen unter 35 Jahren 0,6/1000 versus 1,2/1000 bei Frauen über 35 Jahren (7). Diese Unterschiede konnten auch in den schweizerischen Daten dargestellt werden (1). Weitere Risiken sind bedingt durch die genannten physiologischen Veränderungen, durch zusätzliche Faktoren (z.B. BMI ≥ 30, Rauchen, Immobilität) und zahlreiche Komplikationen in der Schwangerschaft und im Wochenbett (z.B. Reproduktionsmedizin, Mehrlinge, Gestationsdiabetes, Hypertonie, Frühgeburtlichkeit, Sectio, Infektion, Blutungen) (Tabelle 2) (2–4).
Fragen zur Therapie
Wer sollte während der Schwangerschaft antikoaguliert werden? Bei allen Schwangeren besteht eine erhöhte VTEGefahr. Die «Top Ten» der Risikofaktoren für VTE in der Schwangerschaft und im Wochenbett sind in Tabelle 2 aufgeführt. Die Thromboseprophylaxe sollte risikoadaptiert erfolgen. Die RCOG (= Royal College of Obstetricians and Gynaecologists) und AWMF (= Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) haben zur besseren Einschätzung drei Risikoklassen definiert, die in Tabelle 3 dargestellt sind (2, 3).
Welches Antikoagulans sollte verwendet werden? Zur Auswahl stehen unfraktionierte Heparine (UFH), niedermolekulare Heparine (NMH) und Vitamin-KAntagonisten (orale Antikoagulanzien; OAK). In der Schwangerschaft sollten Heparine bevorzugt werden, da sie nicht teratogen sind und weder durch die Plazenta noch in die Muttermilch gehen (13). Aufgrund des zunehmenden Blutvolumens von 40 bis 50% und des Körpergewichts kommt es in der Schwangerschaft zu einer erhöhten glomerulären Filtration und damit zu einer erhöhten Exkretion des Heparins. Daraus resultieren kürzere Halbwertszeiten und niedrigere Plasmakonzentrationen, sodass höhere Dosierungen, mehrmalige Anwendungen und Anpassungen nötig sein können (6, 7).
Unfraktionierte Heparine (UFH) Die UFH zählen zu der altbewährten Standardmedikation bei VTE. Aufgrund vermehrter Blutungskomplikationen (2%), von Knochendichteverlust mit Frakturen (2,2%), Heparin-induzierter Thrombozytopenie Typ II (1–3%) und allergischen Reaktionen (2%) werden sie zunehmend von den NMH verdrängt. Indikationen für UFH sind hämodynamisch instabile Patientinnen, ein erhöhtes Blutungsrisiko (Plazentaanomalien, postoperativ), eine hochgradige Niereninsuffizienz sowie eine drohende Geburt. Stillen ist unter der UFHGabe möglich (2, 4, 5, 7).
Statements der AWMF
(= Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften):
■ Das Risiko für venöse thromboembolische Ereignisse (VTE) ist in allen Trimestern einer Schwangerschaft gleich. In der Phase des Wochenbettes ist das Thromboserisiko erhöht. Vor und nach einer natürlichen Geburt oder einer Entbindung per Kaiserschnitt ist bei Frauen, bei denen keine zusätzlichen Risikofaktoren vorliegen, eine medikamentöse VTE-Prophylaxe nicht erforderlich.
■ Liegen Risikofaktoren für eine VTE vor, sollte zusätzlich zur nicht medikamentösen VTE-Prophylaxe eine medikamentöse VTE-Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen (NMH) für die Dauer des erhöhten Risikos respektive im Wochenbett (bis 6 Wochen postpartal) durchgeführt werden.
Niedermolekulare Heparine (NMH) Aufgrund der niedrigeren Komplikationsrate, günstigen Dosis-Wirkungs-Beziehung, längeren Halbwertszeit und besseren Handhabung bei gleicher Effektivität im Vergleich zu UFH sind NMH die Medikamente der ersten Wahl (3). Die RCOG empfiehlt nur unter UFH-Gabe Thrombozytenkontrollen. Rath hingegen befürwortet regelmässige Thrombozytenkontrollen bis 14 Tage nach Beginn der Prophylaxe wegen des Off-label-use der NMH in der Schwangerschaft, um medikolegale Probleme zu vermeiden (3, 18). Nachteilig sind die höheren Kosten und die längere Halbwertszeit der NMH, welche sich un-
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ter der Geburt ungünstig auf eine Regionalanästhesie und auf postpartale Blutungen auswirken können. Bei einer Kreatininclearance unter 30 ml/min muss eine Dosisreduktion erfolgen. Stillen ist möglich (5, 7, 13).
Vitamin-K-Antagonisten Orale Vitamin-K-Antagonisten (OAK) passieren die Plazentaschranke und sollten in der Schwangerschaft wegen ihrer Teratogenität vermieden werden. Kritisch ist die 6. bis 12. SSW, sodass die ACOG und AWMF empfehlen, wenn möglich rechtzeitig vor dieser vulnerablen Phase auf Heparine zu wechseln (5). Die Angaben über die Häufigkeit der Embryopathien variieren beträchtlich von unter 5% bei niedriger Dosierung (Warfarin unter 5 mg/Tag) bis zu 30% (14, 15). Zusätzlich werden erhöhte Abortraten von 15 bis 56% und mehr Blutungskomplikationen von 5 bis 10% beschrieben (6). Eine Ausnahme stellen Patientinnen mit mechanischen Herzklappen dar. Diese Patientinnen haben ein extrem hohes Thromboserisiko selbst unter Heparintherapie, sodass eine multidisziplinäre Betreuung und Beratung erfolgen muss. Stillen ist möglich, die Vitamin-K-Substitution des Neonaten empfohlen (4).
Heparinallergie Bei ausgeprägter Hautreaktion oder Heparin-induzierter Thrombozytopathie kann Danaparoid, ein Heparinoid (bis 10% Kreuzreaktion) oder Fondaparinux, ein synthetisches Pentasaccharid gegeben werden (4, 16).
Pränatale VTE-Prophylaxe
Bei Schwangeren mit vorangegangener Thrombose ausserhalb einer Schwangerschaft, welche im Zusammenhang mit temporären Risikofaktoren (z.B. Langstreckenflug) stand, kann auf eine medikamentöse Prophylaxe verzichtet werden. Empfohlen werden Basismassnahmen (Mobilisation, Hydrierung) und physikalische Massnahmen (Kompressionsstrümpfe, Klasse II) (2, 5). Eine Thromboembolieprophylaxe sollte bei Status nach spontaner oder Östrogen-assoziierter VTE erfolgen. Eine Thrombophilie-Abklärung ist in dieser Situation nicht erforderlich (2). Viele asymptomatische Thrombophilien benötigen keine Prophylaxe. Eine Indikation zur Prophylaxe stellen der Antithrombinmangel, die homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation, die homozygote Prothrombin-G20210A-Mutation, kombinierte thrombophile Defekte oder das Auftreten zusätzlicher Risikofaktoren dar (4, 5). Daher ist es bei vorausgegangener VTE wichtig, auf angeborene Thrombophilien und Antiphospholipid-Antikörper zu testen, damit eine individuelle Prophylaxe erfolgen kann (Tabelle 1, Abbildung) (12). James et al. berichten, dass durch die adäquate Prophylaxe das Wiederholungsrisiko einer VTE in der nächsten Schwangerschaft oder im Wochenbett von 2,4% bis 12,2% auf 0% bis 2,4% gesenkt werden konnte (6, 12).
Tabelle 3:
Beispielhafte Einteilung der Schwangeren in Risikogruppen für VTE (2–4)
VTE-Risiko Niedrig (0–2%) Mittel (2–20%)
Hoch (20–50%)
Risikogruppen in der Schwangerschaft Schwangere mit: ■ familiärer Thromboseanamnese ■ St. n. Thrombose, entstanden unter temporären
Faktoren ■ thrombophilen Faktoren ohne eigene oder familiäre
Thromboseanamnese ■ St. n. Thrombose ohne hereditäres thrombophiles Risiko
oder St. n. VTE an einer ungewöhnlichen Lokalisation ■ wiederholten Spontanaborten oder schwerer Prä-
eklampsie/HELLP-Syndrom und Thrombophilie ohne Thrombose in der Eigenanamnese ■ homozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation ■ niedrigem Risiko und zusätzlichen Risikofaktoren wie Adipositas, Präeklampsie, Infektion oder Bettlägerigkeit ■ wiederholten Thrombosen in der Eigenanamnese ■ St. n. östrogenabhängiger Thrombose ■ homozygoter Faktor-V-Mutation, Antithrombinmangel oder kombinierten thrombophilen Faktoren und einer Thrombose in der Eigenanamnese
Die medikamentöse Prophylaxe wird für alle Schwangeren bei Auftreten von zusätzlichen Risikofaktoren für deren Dauer empfohlen. Schwangere ab mittlerem Risiko sollten eine Thromboseprophylaxe erhalten; bei hohem Risiko sollte diese so früh wie möglich (ab positivem Schwangerschaftstest) begonnen werden. Im Rahmen einer medikamentösen Antikoagulation (mit UFH, evtl. auch NMH) können den Schwangeren zur Osteoporoseprophylaxe begleitend Kalzium und Vitamin D angeboten werden. In prophylaktischer Dosierung wurde bisher keine Osteoporose beschrieben (2).
Intrapartale VTE-Prophylaxe
Patientinnen mit antepartaler prophylaktischer Antikoagulation müssen bei beginnender regelmässiger Wehentätigkeit die Applikation stoppen. 12 Stunden nach prophylaktischer Gabe von NMH besteht kein erhöhtes Blutungsrisiko mehr (2, 4). Bei therapeutischer Dosierung muss peripartal die Umstellung auf ein UFH s.c. erfolgen. Kein erhöhtes Blutungsrisiko besteht, wenn therapeutisch dosierte NMH 18 bis 24 Stunden und UFH 4 bis 6 Stunden vor Geburt abgesetzt werden. Eine erneute Heparinisierung ist 4 bis 6 Stunden nach vaginaler und 6 bis 12 Stunden nach operativer Entbindung bei klinisch unauffälliger Situation angezeigt (2). Bei Hochrisikopatientinnen sollte die Heparinisierung beibehalten und die Umstellung von therapeutischer auf prophylaktische Dosierung oder eine PTT-angepasste UFH-Infusion erfolgen. Während der reduzierten oder unterbrochenen Heparinisierung sollten die Patientinnen Kompressionsstrümpfe tragen (4).
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SCHWERPUNKT
Eigene und familiäre Anamnese (venöse Thromboembolien, geburtshilfliche Komplikationen
Negativ
Positiv
Kein Screening
Bekannte Thrombophilie Screening durchführen
Negativ
Positiv
Prophylaxe nur bei weiteren Risikofaktoren
Prophylaxe auf individueller Basis
Prophylaxe essenziell
Screening: Faktor-V-Mutation, Prothrombin-Mutation, Antithrombin, Protein C und S, Antiphospholipid-Antikörper
Abbildung: Thrombophiliescreening und Thromboseprophylaxe bei geplanter Schwangerschaft (12)
Postpartale VTE-Prophylaxe
Bei Frauen, die eine antepartale Prophylaxe erhielten, sollte diese auch postpartal fortgeführt werden. Bei mittlerem Risiko wird die Dauer von der AWMF für 3 bis 5 Tage, von der RCOG für 7 Tage und bei persistierenden Risikofaktoren für 6 Wochen – oder solange Risikofaktoren bestehen – angegeben (2, 3).
Thromboseprophylaxe in Schwangerschaft und Wochenbett
Thromboseprophylaxe: pränatal ■ Schwangere mit zusätzlichen Risikofaktoren
– prophylaktische Dosierung ■ Schwangere ab mittlerem Risiko nach AWMF-Leitlinie
– prophylaktische, intermediäre oder therapeutische Dosierung ■ Schwangere mit bereits präkonzeptioneller Vitamin-K-Antagonisten-Gabe
– therapeutische Dosierung ■ Schwangere mit künstlichen Herzklappen
– stark erhöhtes Risiko, individuelle Beratung.
Thromboseprophylaxe: individuell diskutieren ■ Asymptomatische Frauen ohne durchgemachte VTE mit
– Protein-C- oder Protein-S-Mangel – Antiphospholipid-Syndrom – homozygoten oder kombinierten Thrombophilien ■ Status nach einmaliger VTE ausserhalb der Schwangerschaft – im Zusammenhang mit temporären Faktoren – keine Thrombophilie oder aktuell zusätzliche Risikofaktoren.
Thromboseprophylaxe: postpartal ■ Alle, die pränatal eine Prophylaxe erhielten
– unabhängig vom Entbindungsmodus – NMH oder Vitamin-K-Antagonisten möglich, Stillen erlaubt ■ Sectio = 3- bis 5-fach erhöhtes Risiko für VTE – keine Thromboseprophylaxe bei primärer Sectio nach AWMF-Leitlinie – Frühmobilisation, physikalische Massnahmen – aber in den meisten Kliniken: routinemässige Thromboseprophylaxe ■ Sectio + Risikofaktoren, Notfallsectio, sekundäre Sectio – Frühmobilisation, physikalische Massnahmen – Thromboseprophylaxe für mindestens 7 Tage.
Bei allen Thrombophilien wird eine Thromboseprophylaxe für 7 Tage empfohlen und für 6 Wochen, wenn zusätzliche Risikofaktoren bestehen (2, 5). Hochrisikopatientinnen sollten unabhängig vom Geburtsmodus eine medikamentöse und eine physikalische Prophylaxe für mindestens 6 Wochen erhalten, ausser wenn die Prophylaxe der Prävention wiederholter Aborte gedient hat (2). Erst ab einer geplanten Antikoagulation länger als 6 Wochen postpartal wird in den Guidelines die Umstellung auf ein OAK empfohlen (4).
Sectio und Thromboseprophylaxe?
Eine Sectio erhöht das Risiko einer VTE um den Faktor 3 bis 5, bleibt aber mit insgesamt 0,4/1000 Geburten niedrig. Derzeit sind keine zuverlässigen Daten vorhanden, die zeigen, dass die prophylaktische Gabe von NMH die Rate an VTE nach Sectio senken kann. Die ACOG und die AWMF empfehlen nur Basismassnahmen und Kompressionsstrümpfe; eine routinemässige medikamentöse Prophylaxe nach primärer Sectio ohne zusätzliche Risikofaktoren wird nicht empfohlen. Alle anderen Sectiones sollten neben der physikalischen auch eine medikamentöse Prophylaxe für mindestens 7 Tage erhalten (2, 4). Diese Empfehlung wird kontrovers diskutiert. Die CEMACH-Studie ergab, dass vor allem die tödlichen Lungenembolien nach Sectio auftraten. Viele Kliniken führen eine generelle Thromboseprophylaxe nach Sectio durch. Das grösste Problem stellt die zunehmend kürzere Liegedauer nach Sectio dar, sodass viele Risikofaktoren und klinische Warnsymptome nicht erkannt werden. 38% der Thrombosen und 22% der Lungenembolien ereignen sich nach Entlassung. Daher ist eine gezielte Anamnese entscheidend (18).
Diagnostische Fragestellungen
Wie wird eine tiefe Beinvenenthrombose in der Schwangerschaft diagnostiziert? Die Diagnose einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT) in der Schwangerschaft ist nicht einfach, da viele Schwangere über gespannte und dicke Beine klagen. In 84% der Fälle betrifft es das linke Bein mit Schmerzen, Schwellung und einer Umfangsdifferenz von 2 cm und mehr. Bei jedem Verdacht auf eine TVT sollte ein Kompressionsultraschall (KUS) der betroffenen Venen erfolgen (5). Unbehandelte Thrombosen verursachen in 24% eine Lungenembolie und enden in 15% letal. Ist der KUS negativ und besteht ein dringender Verdacht auf eine Thrombose, sollte eine Antikoagulation oder ein MRT zur weiteren Abklärung erfolgen (3, 4). Während D-Dimere ausserhalb der Schwangerschaft eine wichtige Rolle in der Abklärung einer Thrombose spielen, sind sie in der Schwangerschaft von untergeordneter Bedeutung, da sie physiologisch erhöht sind (4).
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SCHWERPUNKT
Wie wird bei Verdacht auf Lungenembolie abgeklärt? Bei Verdacht auf eine Lungenembolie sind die Abklärungen bei Schwangeren identisch mit jenen bei Nichtschwangeren. Ein rasches Vorgehen ist entscheidend, da die meisten Todesfälle innerhalb von 30 Minuten stattfinden. Zur Diagnosesicherung kann ein Spiral-CT oder eine Ventilations-/Perfusionsszintigrafie durchgeführt werden. Beide weisen eine niedrige Bestrahlungsdosis für den Feten auf (4). Die RCOG empfiehlt, zunächst eine Röntgen-Thoraxaufnahme durchzuführen und erst wenn diese negativ ist, weitere radiologische Abklärungen zu initiieren (3).
Schlusswort
Grosse prospektiv randomisierte Studien zur VTE-
Prophylaxe in der Schwangerschaft fehlen bis heute.
Entscheidend ist es daher, durch gezielte Erhebung
der Eigen- und Familienanamnese die präexistenten
und neu aufgetretenen Risikofaktoren für eine VTE zu
erkennen, um so durch eine adäquate Thrombose-
prophylaxe die Mortalität und Morbidität der VTE zu
reduzieren.
■
Dr. med. Tina Fischer Oberärztin mbF Frauenklinik Stellvertretende Leiterin Geburtshilfe und Leiterin Akupunktur Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen E-Mail: tina.fischer@kssg.ch
Quellen:
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