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Titel
Orales Immunstimulans für die wirksame Prophylaxe
Untertitel
Rezidivierende Harnwegsinfektionen
Lead
Überwiegend junge, aber auch postmenopausale Frauen sind von rezidivierenden unteren Harnwegsinfektionen betroffen, die einer Langzeitprophylaxe bedürfen. Die antibiotische Prophylaxe ist oftmals mit Nebenwirkungen verbunden; ein noch grösseres Problem sind zunehmende multiresistente, uropathogene, gramnegative Keime. Alternative Strategien zur antibiotischen Prophylaxe sind erforderlich. Die orale Immunstimulation mit einem Bakterienlysat (Uro-Vaxom®) ist von zentraler Bedeutung.
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Kongressbericht / Neue Therapien
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2432
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Kongressbericht/Neue Therapien
27. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), Paris, 24. bis 28. Februar 2012

Rezidivierende Harnwegsinfektionen
Orales Immunstimulans für die wirksame Prophylaxe

Überwiegend junge, aber auch postmenopausale Frauen sind von rezidivierenden unteren Harnwegsinfektionen betroffen, die einer Langzeitprophylaxe bedürfen. Die antibiotische Prophylaxe ist oftmals mit Nebenwirkungen verbunden; ein noch grösseres Problem sind zunehmende multiresistente, uropathogene, gramnegative Keime. Alternative Strategien zur antibiotischen Prophylaxe sind erforderlich. Die orale Immunstimulation mit einem Bakterienlysat (Uro-Vaxom®) ist von zentraler Bedeutung.

«20 bis 30% der erwachsenen Frauen, die eine untere Harnwegsinfektion durchmachten, entwickeln eine rezidivierende Harnwegsinfektion», betonte Prof. Kurt G. Naber, Technische Universität München. Die rezidivierende Harnwegsinfektion (rHWI) ist definiert als ≥ 3 HWI/Jahr oder ≥ 2 HWI/Halbjahr.
Richtiges Verhalten verhindert Harnwegsinfektionen
Eine Harnverdünnung soll die Vermehrung der Erreger in den Harnwegen hemmen, da damit die Konzentrationen von Salzen und Substraten verringert sind, welche Bakterien für ihre Stoffwechselvorgänge brauchen. Die Harnverdünnung vermindert jedoch auch die Konzentration von Bestandteilen des Immunsystems. Der Patientin solle daher keine ganz extreme Flüssigkeitszufuhr empfohlen werden, so Naber. Andererseits müsse sie aber auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Dem Geschlechtsverkehr scheint bei 70 bis 95% sexuell aktiver Frauen eine ursächliche Rolle bei der Infektion zuzukommen. Mit steigender Koitusfrequenz, mehreren Geschlechtspartnern, neuem Partner in den vorangegangenen 12 Monaten und Oral- oder Analverkehr erhöht sich das Risiko einer Zystitis signifikant. Es wurde zudem ein Zusammenhang zwischen rHWI und dem Gebrauch von Spermiziden nachgewiesen. Intrauterinpessare (IUP) können das Scheidenmilieu verändern, welches mit einem erhöhten Risiko für eine rHWI verbunden ist. Daher sollte einer Patientin, die ein IUP einsetzt, ein Wechsel empfohlen werden (1).

Antibiotische Prophylaxe
Gemäss den EAU-Leitlinien 2011 soll eine antibiotische Prophylaxe erst dann durchgeführt werden, wenn Verhaltensänderungen keine Wirkungen zeigen (2). Es stehen Nitrofurantoin, Trimethoprim oder Cotrimoxazol und Fosfomycin-Trometamol sowie im Falle einer Schwangerschaft Cefalexin zur Verfügung (Tabelle 1). Alle Substanzen sind bei der kontinuierlichen Prophylaxe über sechs Monate als auch bei der postkoitalen Prophylaxe annähernd gleich effektiv. Bestehende Antibiotikaresistenzen können den Therapieerfolg beeinträchtigen. ESBL (= extended spectrum beta-lactamase)- und MDR (= multidrug resistant)Organismen stellen ein wachsendes Problem dar. Dieses betrifft nicht nur Entwicklungsländer, sondern auch Industriestaaten. Im Zuge der hohen gesellschaftlichen Mobilität werden gefährliche Keime rasch über den gesamten Globus verbreitet. Wie Prof. Javier Garau, Universität Barcelona, feststellte, wurde in einer Studie eine starke Zunahme an Fosfomycin-Resistenzen in ESBL-produzierenden Escherichia-coli-Bakterien beobachtet. Die steigende Anzahl an Enterobacteriaceae mit Carbapenem-Resistenz stellt ebenfalls ein ernstes Problem dar. Die Notwendigkeit eines sparsamen, gezielten Antibiotikaeinsatzes ist daher um so wichtiger. Garau untermauerte: «Bei Harnwegsinfektionen ist eine ständig wachsende Resistenz der Erreger zu beobachten. Daher ist es dringend notwendig, Alternativen zu nutzen, die den Einsatz von Antibiotika überflüssig machen.»

Immunstimulation mit Bakterienlysat
Entsprechend den EAU-Leitlinien 2011 soll eine kontinuierliche oder eine postkoitale antimikrobielle Prophylaxe erst dann durchgeführt werden, wenn andere Massnahmen erfolglos sind (Empfehlungsgrad A). Eine Alternative zur Antibiotikaprophylaxe stellt die Immunprophylaxe mit Bakterienlysaten dar (Tabelle 2). Diese stimulieren die körpereigene Immunabwehr und wirken so der bakteriellen Infektion entgegen. Das orale Immunstimulans OM-89 (UroVaxom®) enthält abgetötete fraktionierte Bakterienextrakte aus 18 verschiedenen uropathogenen Stämmen des Darmbakteriums E. coli, das für über 75% aller Harnwegsinfekte verantwortlich ist. UroVaxom® ist als Immuntherapeutikum zur Prophylaxe von rezidivierenden Infektionen der unteren Harnwege und als Adjuvans zur Behandlung akuter HWI zugelassen. Es stimuliert die T-Lymphozyten, induziert die Produktion von endogenem Interferon und erhöht die sekretorischen IgA-Werte im Urin. So wird sowohl das angeborene (u.a. dendritische Zellen) als auch das spezifische Immunsystem (u.a. IgA- und IgG-Antikörper) stimuliert (3). Erste Forschungsergebnisse weisen daraufhin, dass ein Zusammenhang zwischen OM-89 und TLR4 besteht. «Die Toll-like-Rezeptor-Familie (TLR) ist ein Schlüsselelement des angeborenen Immunsystems, das bakterielle Infektionserreger in der Blase wirksam bekämpft»,

Tabelle 1:
Antibiotische Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfektionen (rHWI)

Medikament Nitrofurantoin Trimethoprim Cotrimoxazol
Fosfomycin-Trometamol Cefalexin

Dosis 50–100 mg/Tag 50–100 mg/Tag 40/200 mg/Tag oder dreimal wöchentlich 3g/10 Tage 125–500 mg/Tag

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erklärte Prof. Björn Wullt, Universität Lund/Schweden. Von besonderer Bedeutung ist TLR4. Dieser Rezeptor ist massgeblich an der Erkennung von gramnegativen Bakterien beteiligt. Es gibt verschiedene Varianten des TLR4Gens mit unterschiedlichem Expressionsniveau, sodass bei bestimmten Varianten die Abwehrkraft geschwächt ist. Der TLR4-Polymorphismus, der Zusammenhang zwischen TLR4 und OM-89 und die hiervon abhängigen Einflüsse auf die Abwehrkraft gegenüber HWI sind derzeit Gegenstand der Forschung. In den EAU-Leitlinien 2011 wird Uro-Vaxom® mit Evidenzniveau 1A und Empfehlungsgrad B für die Immunprophylaxe bei Patienten mit rezidivierenden, unkomplizierten unteren HWI empfohlen.

Tabelle 2:
Rezidivierende Harnwegsinfektionen (rHWI): alternative Prophylaxe
Eine kontinuierliche oder postkoitale antimikrobielle Prophylaxe wird bei Frauen mit rHWI erst empfohlen, wenn nichtantimikrobielle Massnahmen nicht ausreichend wirksam sind. (EN: 1a, EG: A gemäss EAU-Leitlinien 2011).
Nichtantimikrobielle Massnahmen: ■ Immunoaktive Prophylaxe*
– Uro-Vaxom® (EN: 1a, EG: B) ■ Probiotika (EN: 4, EG: C) / Laktobazillen (EN: 1b, EG: C) ■ Cranberry-Saft (EN: 1b, EG: C) ■ Hormonelle lokale Ersatztherapie (EN: 1b, EG: C)
bei postmenopausalen Frauen.
Anmerkung: Nichtantimikrobielle prophylaktische Strategien bei rHWI (nach 2, S. 21). EN: Evidenzniveau; EG: Empfehlungsgrad *Andere Bakterienlysate wie StroVac® oder Solco-Urovac® sind in den Leitlinien erwähnt (EN: 1a, EG: C) aber in der Schweiz zurzeit nicht zugelassen und erhältlich.
Abnahme der HWI-Rezidivrate innerhalb von 6 Monaten

(in %)

Neuere Studienanalysen Eine neue Metaanalyse hat die Effektivität des Bakterienlysats in der Prophylaxe von rHWI bestätigt. In dieser Analyse wurden fünf doppelblinde, plazebokontrollierte Studien mit gleichem Design eingeschlossen (> 2 vorangegangene HWI, Antibiotikatherapie bei akutem HWI mit Erregerelimination als Basistherapie, 3 Monate Prophylaxe mit 6 mg Verum bzw. Plazebo in Form einer täglichen Kapsel, 3 behandlungsfreie Monate als Nachkontrolle). Es zeigte sich eine Verminderung der Rezidivraten innerhalb des Beobachtungszeitraums von sechs Monaten im Mittel auf 35,7% gegenüber Plazebo (Abbildung). Unter dem Bakterienlysat fand sich eine signifikante Verkürzung der Behandlungszeit von Durchbruchinfektionen. Der Verbrauch an Antibiotika konnte durch die Immunoprophylaxe ebenfalls signifikant reduziert werden (p = 0,0001; standardisierte mittlere Differenz – 0,29). Die Patienten vertrugen die Behandlung mit Uro-Vaxom® sehr gut (gleiches Nebenwirkungsprofil in den Plazebo- und Verumgruppen) (4). In einer weiteren Studie wurden die Patienten mit einem Booster-Regime behandelt. Dabei erhielten sie zunächst drei Monate das Bakterienlysat (1 Kapsel/Tag) (5). Im Anschluss an eine dreimonatige Behandlungspause folgte die BoosterPhase, bei der sie 10 Tage lang jeweils eine Kapsel einnahmen und dann 20 Tage pausierten – ein Zyklus, der insgesamt

Abbildung: OM-89 reduziert die mittlere Zahl von Harnwegsinfektionen (HWI) im Mittel um 35,7% gegenüber Plazebo innert 6 Monaten (4). In dieser Metaanalyse wurden 5 doppelblinde, plazebokontrollierte Studien mit dem oralen Immunstimulans OM-89 mit gleichem Design [>2 vorangegangene HWI; Antibiotikatherapie des akuten HWI mit Erregerelimination (Basistherapie); 3 Monate Prophylaxe mit 6 mg Verum beziehungsweise Plazebo (1 Kps./Tag); 3 behandlungsfreie Monate als Nachkontrolle] eingeschlossen.

dreimal durchlaufen wurde. Den Abschluss der Studie bildete eine dreimonatige Follow-up-Phase. Während der gesamten Studiendauer von 12 Monaten konnte die Rate der rHWI um rund 34% signifikant reduziert werden, während der letzten sechs Monate unter dem Booster-Regime sogar um 43%. «Die Booster-Dosierung ist aber noch nicht in der Schweiz zugelassen», so Naber.
Einnahmemodus Die Prophylaxe mit Uro-Vaxom® kann bei einer akuten HWI entweder zusammen mit oder nach der Antibiotikatherapie begonnen werden und sollte auch bei Auftreten einer Durchbruchsinfektion

nicht unterbrochen werden. Es wird empfohlen, morgens eine Kapsel auf nüchternen Magen mit etwas Flüssigkeit für drei Monate einzunehmen und dann drei Monate Therapiepause anzuschliessen.
Probiotika
Eine wichtige Rolle in der HWI-Pathogenese spielt die oftmals der Infektion vorausgehende, verstärkte perineale, vaginale oder urethrale Besiedlung mit Enterobacteriaceae. Im Scheidenmilieu ist vor allem bei von rHWI betroffenen Frauen in der Postmenopause der pH-Wert erhöht, die Zahl der Laktobazillen ist deutlich verringert. Die Wiederanreiche-

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rung von Laktobazillen in der Scheide kann die Infektabwehr begünstigen. Entsprechend der WHO und der UN Food and Agriculture Organisation bezeichnet man Bakterien, die in klinischen Studien nachweislich einen heilsamen Effekt zeigten, als Probiotika. Damit ein Probiotikum eine HWI verhindern kann, müssen die Organismen nach oraler oder vaginaler Verabreichung die Vagina auch besiedeln können. Dies konnte jedoch bisher nur für wenige Laktobazillus-Spezies nachgewiesen werden (z.B. für bestimmte Stämme von Lactobacillus rhamnosus, Lactobacillus reuteri und Lactobacillus crispatus). In den EAU-Leitlinien werden Probiotika lediglich mit Grad C zur Prophylaxe rezidivierender unkomplizierter HWI empfohlen (Tabelle 2).
Moos- und Preiselbeeren
Die grossfruchtige Moosbeere oder die kanadische Cranberry (Vaccinium macrocarpon) und andere Vacciniumarten wie die gewöhnliche und kleinfruchtige Moosbeere, Preiselbeere und Blaubeere können dosisabhängig durch ihren Gehalt an Proanthozyanidin die Bindungs-

fähigkeit der P-Fimbrien von E. coli an die Urothelzelle verringern. In den EAULeitlinien wird mit Grad C die tägliche Einnahme von mindestens 36 mg Proanthozyanidin zur Verhütung unkomplizierter Harnwegsinfektionen empfohlen (Tabelle 2). Verschiedene klinische Studien haben jedoch widersprüchliche Ergebnisse im Hinblick auf die Reduktion rHWI erbracht. Neue Studien konnten die vorbeugende Wirkung von Cranberry nicht eindeutig belegen.

Hormonsubstitution

Die vaginale Hormonsubsitution in der

Postmenopause mit Östriol (0,5 mg/Tag)

senkt gemäss mehrerer Studien die vagi-

nale Vorfeldbesiedelung und damit die

Auftretenshäufigkeit einer rHWI. Bei die-

ser Applikationsform und Dosis sind lo-

kale und systemische Nebenwirkungen

selten. In den EAU-Leitlinien wird die va-

ginale Hormonsubstitution allerdings le-

diglich mit Grad C zur Prophylaxe un-

komplizierter rHWI bei postmenopausa-

len Frauen empfohlen (2).

Claudia Borchard-Tuch

Quellen: Satellitensymposium: «The guidelines offer more than antibioprophylaxis to manage recurrent urinary tract infections». OM Pharma.
Referenzen: 1. Wagenlehner FME, Vahlensieck W, et al: Primär- und Sekundärprävention von Harnwegsinfektionen. Urologe 2011; 50: 1248–56. 2. Grabe M, Bjerklund Johansen TE, et al: Guidelines on urological infections. In: Urology EAO (Hrsg.): European Association of Urology Guidelines, Arnhem/NL , 2011. 3. Meredith M, et al.: Immunotherapy for Recurrent UTIs: Effects of an Escherichia coli Extract. Curr Urol 2009; 3: 1–8. 4. Naber K, et al.: Immunoactive prophylaxis of recurrent urinary tract infections: a meta-analysis. International Journal of Antimicrobial Agents 2009; 33: 111?19. 5. Bauer HW, et al.: Multicenter UTI Study Group. A longterm, multicenter, double-blind study of an Escherichia coli extract (OM-89) in female patients with recurrent urinary tract infections. Eur Urol 2005; 47: 542–48.
Interessenlage: Der Bericht entstand mit finanzieller Unterstützung von Vifor Pharma, Vifor AG, Schweiz. Weitere Informationen: «Arzneimittelkompendium der Schweiz» 2012 (www.compendium.ch).

Uro-Vaxom: Z: Lyophilisiertes Bakterienlysat von E. coli: 6 mg. I: Immuntherapie. Prophylaxe rezidivierender Infektionen der unteren Harnwege. Adjuvans zur Behandlung akuter Infektionen der Harnwege. D: Vorbeugende Behandlung: Eine Kapsel täglich, auf nüchternen Magen einnehmen, während 3 Monaten. Akute Infektion: Eine Kapsel täglich, zu einer konventionellen, antibakteriellen Therapie, bis zum Verschwinden der Symptome, mindestens 10 Tage. KI: Überempfindlichkeit gegen Inhaltsstoffe. VM: Kinder unter 4 Jahren. IA: keine bekannt. S/S: kein Risiko für das Kind bekannt, aber keine wissenschaftlichen Untersuchungen verfügbar. UW: Kopfweh, gastro-intestinale Beschwerden, Fieber, Hautreaktionen, allergische Reaktionen Liste: B. Detaillierte Informationen: Arzneimittelkompendium der Schweiz oder www.compendium.ch. Zulassungsinhaberin: OM Pharma • CH-1217 Meyrin. Vertrieb: Vifor SA • CH-1752 Villars-sur-Glâne

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