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EXPERTENBRIEF NR. 38 DER GYNÉCOLOGIE SUISSE SGGG
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle Expertenbriefe zum Schwerpunktthema publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 38
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. Daniel Surbek
Misoprostol zur Geburtseinleitung
Obwohl in den meisten westlichen Ländern Misoprostol das meistverwendete Einleitungsmedikament ist, ist es in Europa nur in wenigen Ländern für die Anwendung zur Geburtseinleitung oder Atonietherapie offiziell registriert. Diese Off-label-Anwendung erfordert deshalb eine korrekte Indikationsstellung, eine Aufklärungspflicht und eine engmaschige Überwachung von Mutter und Kind.
Roland Zimmermann, Gero Drack, Irène Hösli, Olivier Irion, Daniel Surbek und Patrick Hohlfeld
Misoprostol wird vor allem aufgrund seiner besseren Wirksamkeit, eines ähnlichen Risikoprofils und eines deutlich günstigeren Preises im Vergleich zu E2-Prostaglandinen als Einleitungsmedikament bevorzugt. Es handelt sich um ein synthetisches Prostaglandin-E1-Analog, das in der Schweiz für die Therapie von Magen- und Duodenalulzera in einer Dosierung von 800 µg/d zugelassen ist. Aufgrund seiner stark kontraktilen Wirkung auf den Uterus ist es für Schwangere gemäss Beipackzettel kontraindiziert (1).
Swissmedic und international: Anerkennung für mehrere Indikationen
Die Swissmedic hat den therapeutischen Einsatz in der Geburtshilfe jedoch vor Jahren anerkannt und Misoprostol zum Beispiel im Zusammenhang mit ErsttrimesterSchwangerschaftsabbrüchen als akzeptiertes Einleitungsmedikament zugelassen (Beipackzettel Mifegyne®, [1]). Die WHO hat Misoprostol aufgrund des guten WirkungsNebenwirkungs-Profils im geburtshilflichen Einsatz, der guten Verfügbarkeit und der Haltbarkeit bei Zimmertemperatur auf die Liste der essenziellen Medikamente gesetzt (2). Misoprostol wird sowohl von der FIGO als auch von der ACOG für verschiedene Anwendungen in der Schwangerschaft und postpartal empfohlen (3–5).
Randomisierte Studien sprechen für den Einsatz
Misoprostol ist in zahlreichen randomisierten Studien mit über 30 000 eingeschlossenen Schwangeren mit Prostaglandin E2 verglichen und als etwas effizienter befunden worden (= höhere Rate an vaginalen Geburten, geringere Sectiorate) (6). Im Gegensatz zum Prostaglandin E2 hat es keine bronchokonstriktorische Wirkung und kann bei Patientinnen mit Asthma angewendet werden. Bezüglich Nebenwirkungen werden unter Misoprostol etwas häufiger Polysystolie und CTG-Veränderungen beobachtet. Die Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen wie Uterusruptur
oder neonataler Komplikationen ist jedoch nicht unterschiedlich – ausser bei vorausgegangener Sectio (= erhöhtes Risiko der Uterusruptur) (7). Durch die Seltenheit solcher Ereignisse ist diese Aussage aber noch vorläufig (6, 8).
Erhöhte Verantwortung und Aufklärungspflicht
Problematisch ist zurzeit die Off-label-Anwendung von Misoprostol. Die Tatsache, dass trotz zahlreicher Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Misoprostol keine Anwendungserweiterung für den Einsatz zur Geburtseinleitung und Atonietherapie beantragt wurde (mit Ausnahme weniger Länder), ist nach unserer Beurteilung weitgehend emotional (= das Medikament wird auch für Schwangerschaftsabbrüche verwendet) und – aus Herstellersicht – ökonomisch begründet. Bei der Verwendung von Misoprostol entstehen nur zirka 1% der Kosten verglichen mit denen der registrierten Prostaglandine E2. Damit erfüllt Misoprostol den KVG-Grundsatz WZW (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) eindeutig besser: Es ist etwas wirksamer bei weitgehend identischem Risikoprofil und bei wesentlich besserer Wirtschaftlichkeit. Off-label-Anwendungen von Medikamenten sind in der Schweiz nicht verboten, implizieren aber eine erhöhte Verantwortung der Ärzte und eine erhöhte Aufklärungspflicht (siehe hierzu auch Empfehlungen der SGGG, Expertenbrief Nr. 23) (9). Letztlich muss daran erinnert werden, dass unabhängig vom verwendeten Medikament für Geburtseinleitungen in seltenen Fällen gravierende Nebenwirkungen für Mutter und Kind auftreten können. Die Verwendung von Kontraktionsmitteln soll deshalb stationär und unter entsprechenden Überwachungsund Vorsichtsmassnahmen erfolgen.
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Zur Vermeidung von gravierenden Komplikationen im Rahmen von Geburtseinleitungen mit Misoprostol sind folgende Eckpunkte empfohlen: ■ Zum Priming respektive zur Geburtseinleitung muss
eine klare Indikation vorliegen. ■ Bei vaginaler Verwendung von Misoprostol ist die
Einzeldosis auf 25 µg initial zu beschränken mit einem Intervall von 3 bis 6 Stunden bis zur nächsten Dosis und einer maximalen Anzahl von 8 Dosen. In ausgewählten Situationen kann Misoprostol vaginal auch in einer Dosierung von 50 µg alle 6 Stunden (maximal 6 Dosen) eingesetzt werden – zu beachten ist, dass damit etwas häufiger Polysystolien und CTG-Veränderungen auftreten. ■ Alternativ kann Misoprostol oral in einer Dosierung von 20 bis 40 µg alle 2 Stunden mit maximal 12 Dosen angewendet werden (10, 11). Vaginale und orale Verabreichungen haben vergleichbare Wirkungs- und Nebenwirkungsprofile; einzelne Autoren bevorzugen tendenziell die orale Verabreichung (6, 8). ■ Eine stationäre Überwachung von Mutter und Kind ist zwingend. Die Klinik muss in der Lage sein, in Notsituationen eine Notsectio mit einer kurzen EntscheidungsEntbindungszeit zu gewährleisten. ■ Misoprostol ist bei Zustand nach Uterusoperation wie Sectio kontraindiziert. Vorsicht ist auch am Platz bei Mehrgebärenden mit 3 oder mehr vaginalen Geburten am Termin und bei Mehrlingen, da sie per se ein erhöhtes Rupturrisiko aufweisen. ■ Ist nach einem kompletten Einleitungszyklus die Geburt noch nicht in einer aktiven Phase, muss die Situation mit der Schwangeren individuell evaluiert werden (Wechsel auf eine andere Einleitungsmethode oder Kaiserschnitt, Ruhepause etc.). ■ Die Herstellung der Präparate sollte in der korrekten Dosierung durch eine Spitalpharmazie oder eine Apotheke erfolgen.
Aufklärung der Patientin
Bezüglich Empfehlung zur Aufklärung der Patientin über die Off-label-Anwendung von Misoprostol vor einer Geburtseinleitung verweisen wir auf den «Expertenbrief Nr. 23» (9). Eine umfassende Aufklärung über die Geburtseinleitung, deren Vorteile und Risiken (inkl. Uterusruptur), die Off-labelAnwendung von Misoprostol und mögliche Alternativen mit schriftlicher Dokumentation in der Krankengeschichte (evtl. Aufklärungsprotokoll) ist unbedingt zu empfehlen.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Daniel Surbek Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern E-Mail: qsk-sggg@insel.ch
Datum: 1. Juni 2011
Literatur: 1. Arzneimittel-Kompendium der Schweiz. Documed AG Basel, 2010. 2. WHO Model list of essential medicines. 16th list, March 2009 (unedited version 30th April 2009). 3. Weeks A, Faundes A.: Misoprostol in obstetrics and gynecology. Int J Gynaecol Obstet 2007; 99 Suppl 2: S156–59. 4. Elati A and Weeks AD.: The use of misoprostol in obstetrics and gynaecology. BJOG 2009; 116 Suppl 1: 61–69. 5. ACOG Practice Bulletin No. 107: Induction of labor. Obstet Gynecol 2009; 114 (2 Pt 1): 386–97. 6. Hofmeyr GJ, Gulmezoglu AM, Pileggi C.: Vaginal misoprostol for cervical ripening and induction of labour. Cochrane Database Syst Rev, 2010. 10: CD000941. 7. Surbek DV.: Misoprostol for labor induction in term pregnancy. Eur Clinics Obstet Gynaecol 2007; 3: 25–99. 8. Alfirevic Z and Weeks A.: Oral misoprostol for induction of labour. Cochrane Database Syst Rev, 2006: CD001338. 9. Surbek D. et al.: Off-label use von Arzneimitteln in Gynäkologie und Geburtshilfe. Expertenbrief Nr. 23, Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, 2007. 10. Weeks A. et al.: Misoprostol for induction of labor with a live fetus. Int J Gynaecol Obstet, 2007. 99 Suppl 2: S194–97. 11. Dällenbach P. et al.: Oral misoprostol or baginal dinoprostone for labor induction: A randomized controlled trial. Am J Obstet Gynecol, 2003; 188: 162–67.
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