Transkript
SCHWERPUNKT
PCO-Syndrom und Kinderwunsch
Problematik, Beratung, Therapiemöglichkeiten
Die häufigste Ursache (in etwa 25%) der weiblichen Infertilität ist die fehlende Ovulation. Die meisten hiervon betroffenen Frauen leiden an einem Polyzystischen Ovarsyndrom (PCO-Syndrom, PCOS). Besteht Kinderwunsch, kann gute Nachricht gegeben werden: Bei PCOS-Patientinnen sind die Chanchen einer erfolgreichen Kinderwunschbehandlung sehr hoch.
ALESSANDRO SANTI
Patientinnen mit PCOS weisen meist eine Kombination aus Oligo-Amenorrhö, dem typischen sonografischen Bild der Ovarien (d.h. viele kleine randständige Follikel) und/oder klinische oder laborchemische Zeichen einer Hyperandrogenisierung auf.
PCOS und Übergewicht
Das PCOS ist häufig mit einem relevanten Übergewicht assoziiert. Deshalb steht die Gewichtsreduktion an erster Stelle der Thessaloniki-Konsensusempfehlungen (1), die 2008 gemeinsam von der European Society of Human Reproduction (ESHRE) und der American Society for Reproductive Medicine (ASRM) veröffentlich wurdeN. Mehrere publizierte Arbeiten haben gezeigt, dass mit einer Gewichtsabnahme eine deutliche Verbesserung der Spontanovulation bei PCOS erreicht werden kann (2, 3). Ein Gewichtsverlust von gerade 5% kann die Rate von Lebendgeburten signifikant erhöhen (4). Leider ist zum einen dieses Ziel nicht immer einfach zu erreichen, und zum anderen sind nicht alle Frauen mit einem PCOS übergewichtig. Auf jeden Fall sollen – bei einem BMI von > 35 kg/m2 – die empfohlenen Strategien zur Gewichtsreduktion vor einer Kinderwunschtherapie diskutiert werden. In einigen Ländern (u.a. Grossbritannien) wird eine Kinderwunschtherapie ab einem BMI > 35 sogar verweigert, und bei jungen Frauen wird ein BMI von < 30 angestrebt (5). Zentral bleiben die Gewichtsreduktion und die Erhöhung der körperlichen Aktivität in der Kinderwunschberatung respektive -therapie. Die möglichen Alternativen – medikamentöse Behandlungen oder die bariatrische Chirurgie – sind vorderhand nicht als First-line-Methoden anzuwenden. Zu den wichtigen Aspekten, die in der Beratung der adipösen PCOS-Patientinnen angesprochen werden müssen, gehören alle Risiken, die mit einer Schwangerschaft verbunden sein können (6, 7). Diese sind in der Tabelle zusammengefasst.
Insulinsensitizer Metformin
Eine separate Diskussion ist vor Verwendung von Metformin sinnvoll. Wie im Artikel «Das polyzystische Ovarsyndrom – Differenzialdiagnostik und Therapie» von Prof. von Wolff in dieser Ausgabe erklärt, ist die Einführung eines Insulinsensitizers individuell zu entscheiden und sollte nur bei bewiesener erhöhter Resistenz (HOMA-Index > 2) vorgesehen werden. Normalerweise wird die Dosierung sequenziell erhöht (500 mg/Tag in der ersten Woche, dann 1000 mg/Tag und ab der dritten Woche 1500 mg/Tag; jeweils drei Einzeldosen täglich). Wichtig ist eine klare Information der Patientin über mögliche Nebenwirkungen von Metformin (v.a. Übelkeit, Blähungen, Unterbauchschmerzen): Diese sind häufig, aber temporär, sodass die Patientin in den ersten 4 bis 8 Wochen nach Therapiebeginn Geduld haben muss! Medizinisch relevant sind zudem die möglichen Komplikationen (u.a. die Laktatazidose, welche allerdings sehr selten auftritt); zudem sind regelmässige Kontrollen der Leberwerte zu planen. Die Therapie mit Metformin soll mindestens für drei Monate angesetzt werden. Trotz Verbesserung der spontanen Ovulationsrate unter Metformin haben mehrere Publikationen die effektive Wirkung bezüglich der Schwangerschaftsund Geburtenrate relativiert (8). Insbesondere wurde gezeigt, dass die Geburtenrate bei zusätzlicher Verwendung von Metformin gegenüber der von Clomifencitrat nicht verbessert wird (9). Für die Frauen, die unter Metformin-Behandlung schwanger geworden sind, wird nach dem Thessaloniki-Konsensus empfohlen, das Medikament ab positivem Schwangerschaftstest abzusetzen, da die aktuelle Datenlage bezüglich Sicherheit im ersten Trimenon noch nicht ausreichend ist.
Clomifencitrat (CC)
Die Behandlung mit diesem selektiven Östrogenrezeptormodulator ist seit Jahren die First-Line-Me-
16 GYNÄKOLOGIE 1/2012
SCHWERPUNKT
thode bei PCOS, dies wurde auch im ESHRE/ASRMKonsensus bestätigt. Ziel ist eine indirekte Erhöhung der FSH- und LH-Produktion, sodass das Follikelwachstum stimuliert werden kann. Die Vorteile dieser Therapie sind vielseitig: sehr einfach anzuwenden (keine Injektionen), kostengünstig (ca. 10 Fr. pro Behandlungszyklus) und erfolgversprechend. Initial wird eine Therapie mit 50 mg CC/Tag über fünf Tage empfohlen, die zwischen dem 2. und 5. Zyklustag begonnen werden soll. Bei Nichtansprechen auf diese Dosierung kann sie in 50 mg Schritten (bis max. 150 mg/Tag) in den nächsten Zyklen erhöht werden. Insgesamt empfehlen wir, CC nicht mehr als in 3 bis 4 Zyklen einzusetzen. Unter CC erreichen zirka 75 bis 80% der Patientinnen eine Ovulation; die Schwangerschaftsrate beträgt ungefähr 20% (10). Obwohl CC sehr einfach anzuwenden ist, ist das potenzielle Risikoprofil nicht zu unterschätzen, dies betrifft insbesondere die Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft. Regelmässige sonografische Kontrollen der Follikel sind unverzichtbar, um dieses Risiko deutlich zu vermindern. Sobald mehr als zwei Follikel über 14 mm sichtbar sind (v.a. bei einem Östradiolwert von > 2000 pmol/L), ist ein Zyklusabbruch angezeigt. Auch wenn eine klare Evidenz fehlt (1), finden wir es sinnvoll, die Ovulation immer medikamentös (z.B. mittels 5000 IE Pregnyl® s.c.) auszulösen, sobald der Follikel einen Durchmesser vom 18 bis 20 mm erreicht hat, da eine verbesserte hormonelle Unterstützung luteal gewährleistet wird. Andere mögliche Komplikationen sind Übelkeit, Mastodynie und starke Stimmungsschwankungen mit Reizbarkeit. Sehr selten können Augenprobleme auftreten (Opticus-Neuropathie). Deutlich häufiger (bis zu 20% der Fälle) können die negativen Aspekte der antiöstrogenen Wirkung sichtbar werden: Hierzu gehören die Dysmukorrhö und sonografisch die dünne Endometriumdicke (< 6 mm). In dieser Situation ist eine Wiederholung der CCTherapie nicht sinnvoll; stattdessen sollen Gonadotropine eingesetzt werden. Als Alternative werden Aromatasehemmer diskutiert; die Datenlage dazu ist aktuell allerdings noch nicht ausreichend. Da die offizielle Zulassung für Aromatasehemmer zur Ovulationsinduktion noch nicht gegeben ist, sollten diese Substanzen nur unter Studienbedingungen angewandt werden («off-label-use»). Die FSH-Stimulation mittels Gonadotropinen Der Einsatz von Gonadotropinen in der Reproduktionsmedizin bleibt Fachpersonen, die Erfahrung mit dieser Stimulationsmethode haben, vorbehalten. Die «Idee» der FSH-Stimulation ist es, das physiologische Follikelwachstum zu unterstützen, um das progressive korrekte Follikelwachstum zu gewährleisten. Bei PCOS-Patientinnen ist die alleinige Verwendung von Tabelle: Risiken durch Adipositas bei Kinderwunsch/in der Schwangerschaft im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen 1. Trimenon 2./3. Trimenon 3. Trimenon ■ Verschlechterte Reaktion auf Medikamente (Clomifencitrat, FSH) ■ verringerte Implantationsrate ■ erhöhte Abortrate ■ erhöhte Fehlbildungsrate ■ Präeklampsie ■ Schwangerschaftsdiabetes ■ erhöhte Sectiorate ■ Frühgeburtlichkeit Abbildung: Algorithmus zur assistierten Reproduktion bei Frauen mit PCOS und bei aktuellem Kinderwunsch: Die Gabe von Clomifencitrat (CC) gilt international als Firstline-Methode; die niedrig dosierte FSH-Stimulation ist secondline und bleibt Fachpersonen mit Erfahrung mit dieser Methode vorbehalten. FSH (rekombinant oder urinär) ausreichend, da die eigene LH-Produktion bereits vorhanden ist. Normalerweise ist die Dosis niedriger als bei einer «Standard-Kinderwunschpatientin» zu wählen, sodass in der Regel 33 bis 50 IE FSH täglich (z.B. Puregon® oder Gonal-F®) für die meisten Frauen ausreichend ist. Auch hier sind sonografische Kontrollen des Follikelwachstums obligat. Die erste Kontrolle wird etwa eine Woche nach dem Therapiebeginn angesetzt. Im Gegensatz zur CC-Therapie ist eine Weiterführung der Gonadotropin-Behandlung auch über mehrere Wochen möglich. Sinnvoll ist eine konsekutive Erhöhung der Dosis um 50% wöchentlich. Ähnlich wie beim CC-Schema ist auch unter Gonadotropin-Gabe eine Auslösung der Ovulation sinnvoll, sobald der Leitfollikel 18 bis 20 mm Durchmesser erreicht hat. Dieses Behandlungschema ist mit einer Schwangerschaftsrate von 20% pro Zyklus verbunden, sodass kumulativ nach sechs Zyklen über 70% GYNÄKOLOGIE 1/2012 17 SCHWERPUNKT der Frauen mit einer PCOS-bedingten Infertilität schwanger werden können (11, 12) (Abbildung). Wichtig für die Praxis in der Schweiz ist die Notwendigkeit einer Kostengutsprache der Krankenkasse, bevor die Behandlung begonnen wird. Dies gilt im Übrigen auch für die CC-Stimulationen, da CC in der Spezialitätenliste der Medikamente als «Gonadotropin-Analoga» beschrieben wird! Die Kosten werden normalerweise für zwölf Monate ab der ersten Medikamentgabe gedeckt, inklusiv drei intrauterine Inseminationen, die wir in der Regel nur mit einer FSH-Stimulation kombinieren, da die Schwangerschaftsrate im Vergleich zur CC-Therapie höher liegt (13). Was tun bei CC- und FSH-Versagen? Trotz dieses Stufenschemas ist es bei einer Gruppe von PCOS-Patientinnen nicht möglich, eine Ovulationsinduktion zu erreichen: Entweder ist die Antwort zu hoch (d.h. es entsteht ein multifollikuläres Wachstum bei kleiner FSH-Menge), oder es sind wiederholte Zyklusunterbrechungen wegen zu starker Follikelentwicklung notwendig. Mit diesem Patientinnenkollektiv kann als letzte Option vor der Planung einer IVF/ICSIBehandlung ein «Ovarian drilling» diskutiert werden. Diese chirurgische Methode wird derzeit noch kontrovers beurteilt, sie scheint aber die Schwangerschaftsrate signifikant zu verbessern (14). Ziel dieser Operation, die laparoskopisch oder transvaginal durchgeführt werden kann, ist eine selektive Zerstörung des Ovarialgewebes zur Verminderung der Androgenproduktion. Damit kann eine spontane postoperative Ovulationsrate von bis zu 80% erreicht werden. Da das Risiko möglicher Komplikationen durch die Operation selbst oder späterer Folgen (z.B. Adhäsionen im Bereich der Ovarien durch die Thermokoagulation) nicht unterschätzt werden soll, bleibt das «Ovarian drilling» nur als Third-line-Option sinnvoll, welche bei Frauen, die weder auf CC noch auf FSH adäquat angesprochen haben, eingesetzt werden soll. Für die Patientinnen, die die operative Behandlung nicht wünschen, oder für Situationen, in denen die Kontrollierbarkeit der ovariellen Stimulation sehr Merkpunkte 1. PCOS und Übergewicht sind streng assoziiert – eine Kinderwunschbehandlung bei morbider Adipositas soll nur nach Lifestyle-Änderungen vorgesehen werden. 2. First-line-Behandlung bei Kinderwunsch-Patientinnen mit PCOS bleibt Clomifencitrat. Bei Versagen erfolgt eine Stimulation mit Gonadotropinen (FSH) (second-line): Die Patientinnen werden sonografisch überwacht zur Vermeidung einer Mehrlingsschwangerschaft. 3. Bei PCOS sind die kumulativen Chancen einer Schwangerschaft nach der Therapie sehr gut (über 70%). 4. Metformin soll für die Frauen mit einer erhöhten Insulinresistenz (HOMA > 2) reserviert werden und bei positivem Schwangerschaftstest abgesetzt werden.
schwierig ist, bleibt als letzte mögliche Behandlungs-
trategie die IVF/ICSI-Therapie. Frauen mit PCOS
unter Kinderwunschtherapie haben ein relevantes
Risiko für die Entwicklung eines ovariellen Hypersti-
mulationssyndroms. In diesem Zusammenhang wird
es heute empfohlen, spezielle Stimulationsproto-
kolle (GnRh-Antagonisten, Ovulationsinduktion mit
GnRh-Analoga) zu verwenden, um diese Risiken so-
weit wie möglich zu reduzieren (15, 16).
In Zukunft wird hoffentlich die In-vitro-Maturation
(IVM) eine zusätzliche Alternative sein, sodass PCOS-
Patientinnen von einer noch stärkeren Reduktion der
Risiken der Gonadotropin-Stimulation profitieren
können. Leider ist heutzutage diese Variante noch
keine realistische Option, da die Schwangerschafts-
rate im Vergleich zu einer klassischen IVF/ICSI niedri-
ger liegt (17).
■
Dr. med. Alessandro Santi Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitäts-Frauenklinik Bern 3010 Bern E-Mail: alessandro.santi@insel.ch
Quellen
1. Consensus on infertility treatment related to polycystic ovary syndrome. Thessaloniki ESHRE/ASRM-Sponsored PCOS Consensus Workshop Group. Hum Reprod 2008; 23(3): 462–77.
2. Norman RJ, Noakes M, et al.: Improving reproductive performance in overweight/obese women with effective weight management. Hum Reprod Update 2004; 10(3): 267–80.
3. Moran LJ, Brinkworth G, et al.: Effects of lifestyle modification in polycystic ovarian syndrome. Reprod Biomed Online 2006; 12(5): 569–78.
4. Kiddy DS, Hamilton-Fairley D, et al.: Improvement in endocrine and ovarian function during dietary treatment of obese women with polycystic ovary syndrome. Clin Endocrinol 1992; 36(1): 105–11.
5. Balen AH, Anderson RA, et al.: Impact of obesity on female reproductive health: British Fertility Society, Policy and Practice Guidelines. Hum Fertil 2007; 10(4): 195–206.
6. Froen JF, Arnestad M, et al.: Risk factors for sudden intrauterine unexplained death: epidemiologic characteristics of singleton cases in Oslo, Norway, 1986–1995. Am J Obstet Gynecol 2001; 184: 694–702.
7. Boomsma CM, Eijkemans MJ, et al.: A meta-analysis of pregnancy outcomes in women with polycystic ovary syndrome. Hum Reprod Update 2006; 12: 673–83.
8. Legro RS, Barnhart HX, et al.: Clomiphene, metformin, or both for infertility in the polycystic ovary syndrome. N Engl J Med 2007; 356(6): 551–66.
9. Moll E, Bossuyt PM, et al.: Effect of clomifene citrate plus metformin and clomifene citrate plus placebo on induction of ovulation in women with newly diagnosed polycystic ovary syndrome: randomised double blind clinical trial. BMJ 2006; 332: 1485–92.
10. Homburg R.: Clomiphene citrate-end of an era? A mini-review. Hum Reprod 2005; 20: 2043–51.
11. Eijkemans MJ, Imani B, et al.: High singleton live birth rate following classical ovulation induction in normogonadotrophic anovulatory infertility (WHO 2). Hum Reprod 2003; 18: 2357–62.
12. Homburg R, Hendriks ML, et al.: Clomifene citrate or low-dose FSH for the firstline treatment of infertile women with anovulation associated with polycystic ovary syndrome: a prospective randomized multinational study. Hum Reprod 2011; Nov 28 (epub).
13. ESHRE Capri Workshop Group: Mono-ovulatory cycles: a key goal in profertility programmes. Hum Reprod Update 2003; 9: 263–74.
14. Fernandez H, Morin-Surruca M, et al.: Ovarian drilling for surgical treatment of polycystic ovarian syndrome: a comprehensive review. Reprod Biomed Online 2011; 22(6): 556–68.
15. Al-Inany HG, Youssef MA, et al.: Gonadotrophin-releasing hormone antagonists for assisted reproductive technology. Cochrane Database Syst Rev 2011; 11(5).
16. Youssef MA, Van der Veen F, et al.: Gonadotropin-releasing hormone agonist versus HCG for oocyte triggering in antagonist assisted reproductive technology cycles. Cochrane Database Syst Rev 2011; 19(1).
17. Roesner S, von Wolff M, et al.: In vitro maturation: a five-year experience. Acta Obstet Gynecol Scand 2012; 91(1): 22–7.
18 GYNÄKOLOGIE 1/2012