Transkript
SCHWERPUNKT
Was wird aus der gynäkologischen Krebsvorsorge?
Neue Perspektiven zum Vorgehen beim Zervixscreening in der Praxis
Vor dem Hintergrund der greifenden HPV-Impfung sowie neuartiger molekularer Testmethoden für Zervixscreening und -diagnostik eröffnen sich zukunftsgerichtete Möglichkeiten in der gynäkologischen Praxis, und zwar gerade auch unter Berücksichtigung der Kostenaspekte. Die Implementierung der aktuellen wissenschaftlichen Studien in den klinischen Alltag erlaubt den Vorschlag eines neuen Algorithmus, in dem ein Co-Testing sinnvoll erscheint.
DANIEL BRÜGGER
Dieser Artikel bezieht sich im Wesentlichen auf Studienpräsentationen und Kommentare, welche auf dem internationalen EUROGIN-Kongress (= EUropean Research Organisation on Genital Infection and Neoplasia) zur Zervixkarzinomprävention (Monte Carlo, Februar 2010) erläutert und diskutiert wurden. Daneben widerspiegelt der Autor, Experte für Impffragen der gynécologie suisse SGGG, seine eigenen Erfahrungen zum Zervixscreening respektive zur Zervixdiagnostik aus seiner langjährigen Praxiserfahrung und schlägt einen neuen Algorithmus für die Praxis vor. Seine Überlegungen wurden als Diskussionsgrundlage inter collegas verfasst.
Die aktuelle Situation und Erwartungen
In der Schweiz stehen inzwischen zwei Präparate zur HPV-Impfung gegen die Hochrisiko-HPV-Typen 16 und 18 zur Verfügung, seit Januar 2007 Gardasil® und seit Juni 2010 Cervarix®. Erwartet wird, dass umgekehrt proportional zum Durchimpfungsgrad der 11bis 14-jährigen Mädchen die in den Impfstoffen enthaltenen HPV-Typen an Bedeutung verlieren werden. In der Schweiz stehen bei gesunden Frauen neben dem häufigsten Hochrisiko-HPV-Typ 16 die Typen 31, 45, 51, 52, 58 und 59 an vorderster Stelle, und zwar in der abnehmenden Häufigkeitsreihenfolge (1). Diese Letzteren dürften bei hohem Durchimpfungsgrad eventuell an Bedeutung gewinnen, es sei denn, die Prävalenz beispielsweise des HPV-Typs 31 (bzw. verwandter Typen) nimmt durch Kreuzprotektion ebenfalls ab. Aufgrund der momentanen HPV-Impfsituation dürfte sich keine Änderung der Screeningstrategie gegen das Zervixkarzinom aufdrängen, da die zervikale Gesamtkrankheitslast nur partiell reduziert wird. Als Wirksamkeitsendziel der HPV-Impfungen hat sich der Sur-
rogatmarker CIN2+ (zervikale intraepitheliale Neoplasie Grad 2 oder höher) etabliert, bei welchem – aufgrund der epidemiologischen Daten – eine Abdeckungsrate durch die HPV-16/18-Impfungen von rund 50% zu erwarten wäre. Da keine randomisierten Wirksamkeitsstudien zum Direktvergleich der beiden Impfstoffe vorliegen, sind die nachfolgenden Studienzahlen aus dem schweizerischen Arzneimittel-Kompendium mit Vorsicht zu interpretieren. So können unterschiedliche Populationen die Wirksamkeitsresultate der Präparate beeinflussen, wenn beispielsweise mehrere Volksgruppen mit unterschiedlichem Sexualverhalten oder nicht einheitlicher Häufigkeitsreihenfolge («Durchseuchungsrate») der HochrisikoHPV-Typen an der Studie teilnehmen. National zu berücksichtigen ist, dass der HPV-Typ 18 in der Schweiz erst an 9. Stelle der Hochrisikotypen in einem Vorsorgeuntersuchungskollektiv vorkommt (1).
Protektionsdaten Für die Strategie des weiterhin nötigen Screenings gegen das Zervixkarzinom sind für die Gynäkologin/den Gynäkologen die Protektionsdaten zum Gesamtrisiko HPV-assoziierter Erkrankungen an der Zervix (verursacht durch jeglichen HPV-Typ) von vorrangiger Bedeutung. Im Arzneimittel-Kompendium wird die Impfstoffwirkung auf die zervikale Gesamtkrankheitslast bei 15bis 26-jährigen Adoleszentinnen nach 5 bis 6 Jahren Beobachtung (2) für die beiden HPV-Impfstoffe wie folgt angegeben: ■ Cervarix®: 70% Schutz vor CIN2+ ■ Gardasil®: 43% Schutz vor CIN2+.
Die angegebene prozentuale CIN-Protektion bezieht sich auf alle HPV-Typen und wurde von Frauen mit negativem Co-Testing bei Impfbeginn erreicht. Dies
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SCHWERPUNKT
bedeutet: Die Studienpopulationen hatten eine normale Zervixzytologie (Pap I–II) und einen negativen Hochrisiko-HPVDNA-Test (12–14 Typen inkl. 16 und 18) als Einschlusskriterium. Im klinischen Alltag dürfte diese Vorbedingung am ehesten vom Kollektiv, für welches die Schweizer HPV-Basisimpfung (Kantonale Impfprogramme, 11- bis 14-Jährige) vorgesehen ist, erreicht werden. Die effektiven Intention-to-treat-Wirksamkeitsdaten (unabhängig vom Infektionsstatus: 15- bis 26-Jährige; alle HPVTypen) liegen deutlich tiefer (Cervarix®: 30% gegen CIN2+; Gardasil®: 18% gegen CIN2+): Diese Zahlen entsprechen dem zu erwartenden Schutz im Kollektiv, für welches die Schweizer HPV-Ergänzungsimpfung vorgesehen ist (15- bis 26Jährige). Durch die noch ungenügende HPV-Impfstoff-Akzeptanz in den schweizerischen Schulprogrammen wird die CIN2+-Reduktion zusätzlich eingeschränkt. Aufgrund der Verkaufszahlen wurden bis Ende 2009 schätzungsweise ein Drittel der 11- bis 19-Jährigen mit Gardasil® geimpft (3). Mit dieser Impfabdeckung würde in Zukunft die Gesamtkrankheitslast für CIN2+ bestenfalls um 15% reduziert.
HPV-Onkogenese
Für seine Entdeckung, dass das humane Papillomavirus (HPV) das Zervixkarzinom verursacht, erhielt Prof. Harald zur Hausen, zuletzt Vorsitzender des Stiftungsvorstands des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, im Jahr 2008 den Nobelpreis für Medizin. Als prominenter Referent stand er am EUROGIN-Kon-
gress 2010 auch für die Diskussion zur Verfügung. Vorstufen von zervikalen, vaginalen und vulvären Karzinomen aufgrund von HPVInfektionen sind seit Jahrzehnten Gegenstand von Forschung und klinischer Anwendung in der gynäkologischen Diagnostik und Therapie. Die aktuell bekannten Fakten in der Onkogenese des Zervixkarzinoms schliessen die folgenden Mechanismen ein: Von der transienten HPV-Infektion ohne Krankheitswert unterscheidet sich die Hochrisiko-HPV-bedingte Onkogenese durch die Viruspersistenz. Diese Persistenz entwickelt sich nach neueren Erkenntnissen über mehrere Schritte und zeichnet sich wie folgt aus: ■ Schritt 1: zervikale Infektion mit Hoch-
risiko-HPV ■ Schritt 2: Integration des Virusgenoms
in die Zellkerne der Target Cells (wahrscheinlich basale Stammzellen [4]) des Zervixepithels ■ Schritt 3: deregulierte Überexpression der onkogenen Proteine E6/E7 (basierend auf der ribosomalen Translation der HPV-mRNA) als Ausdruck der Hochrisiko-HPV-Infektpersistenz ■ Schritt 4: Die onkogenen Proteine neutralisieren die lokale Immunabwehr, reduzieren die Funktion der Tumorsuppressoren p53 und Retinoblastomprotein und induzieren damit die Karzinogenese.
Nachweisverfahren: HPV-Tests im Vergleich
Mit den handelsüblichen HPV-DNATests kann Schritt 1 nachgewiesen werden (mehrheitlich L1-Gen = late region
Tabelle:
Evaluation der verschiedenen Testverfahren im Screening gegen das Zervixkarzinom
Sensitivität Spezifität PPV (6)
LBC 70% (60–80)
93%
mRNA-HPV 93% 97% 93% 91% 59%
CIN2/3+ = zervikale intraepitheliale Neoplasie Grad 2/3 und höher LBC= Liquid Based Cytology mRNA-HPV= Aptima HPV-Assay (5), resp. NucliSens EasyQ (6) DNA-HPV= digene HPV-DNA-Test (5, 6) PPV= positiver Vorhersagewert (positive predictive value)
DNA-HPV 97% 97% 88% 86% 49%
CIN2+ Endpoint (5) CIN3+ Endpoint (5) CIN2+ Endpoint (5) CIN3+ Endpoint (5)
protein). Dabei lässt sich nicht unterscheiden, ob es sich um eine transiente (Life-Time-Risk ≥ 50–80%) Infektion ohne Krankheitswert oder um eine persistierende HPV-Infektion handelt. Schritt 3 kann mit den HPV-mRNA-Tests festgestellt werden (E6/E7-Gene = Early region protein). Diese Schwäche der lokalen Immunkompetenz ist pathologisch und klinisch bedeutsam, da sich daraus das Zervixkarzinom entwickeln kann. Zurzeit werden auf dem Markt bereits mehrere Hochrisiko-HPV-mRNA-Testverfahren angeboten und vertrieben. Sie beruhen auf den folgenden Prinzipien: ■ Quantitativer E6/E7-mRNA-HPV-Nach-
weis (IncellDx’s: HPV OncoTect®) ■ Nachweis der E6/E7-mRNA von 5
Hochrisiko-HPV-Typen (16, 18, 31, 33, 45) (bioMérieux: NucliSensEasyQ®; NorChip AS: PreTect® HPV-Proofer) ■ Nachweis der E6/E7-mRNA von 14 Hochrisiko-HPV-Typen (16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68) (Gen-Probe: Aptima® HPV-Assay). Im Vergleich zu den zahlreichen HPVDNA-Tests ist der mRNA-Test bei gleicher Sensitivität signifikant spezifischer, wie die Tabelle zeigt.
Erläuterungen Mit Sensitivität ist die Richtigpositivrate (Trefferquote) gemeint. Der einzelne zytologische Nachweis fällt im Vergleich zu den HPV-Tests relativ häufig falschnegativ aus, erkennt also 20 bis 30% der pathologischen Zervixbefunde nicht. Die mRNA- und die DNA-HPV-Tests besitzen dagegen eine hohe und vergleichbare Sensitivität. Ab Stadium CIN3 haben die beiden HPV-Testverfahren eine identische Trefferquote. Im Co-Testing, das heisst beim an derselben Probe durchgeführten zytologischen Befund und beim parallelen HPV-Test, wird eine nahezu 100%-ige Trefferquote erzielt. Die Spezifität bezeichnet die Richtignegativrate und damit den Anteil an gesunden Zellen (dazu gehören auch die transienten HPV-Infektionen), bei denen festgestellt wird, dass keine intrazervikale Neoplasie vorliegt. Der DNA-HPV-Test ist zu 5 bis 10% weniger spezifisch als der mRNA-Test und gibt bei transienten Infektionen den falschpositiven Eindruck einer zervikalen
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SCHWERPUNKT
Krankheit. Das Co-Testing mit der Zytologie erhöht proportional den Anteil an falschpositiven Befunden, vor allem bei jüngeren Frauen (5). Dies gilt für beide genannten HPV-Testverfahren. Der PPV, das heisst der positive Vorhersagewert, bestimmt, wie viele Patientinnen mit positivem Testresultat auch wirklich an einer intrazervikalen Neoplasie erkranken. Dieser PPV ist, wie von Monsonego nachgewiesen (5), beim mRNATest grösser als bei der «liquid based cytology» (LBC) und bei der LBC grösser als beim DNA-Test. (5)
Kosten-Nutzen-Überlegungen für die Praxis
Je nach kantonalem Taxpunktwert (TPW) verursacht die Zytologie nach Tarmed verschieden hohe Kosten. Beispielsweise berechnet ein externes Labor im Kanton St. Gallen mit einem TPW von 0,82 Franken für: ■ PapI/IIw-Nachweis: 18,70 Franken ■ CIN1/2-Nachweis: 66 Franken ■ CIN3-Nachweis: 120 Franken. Die gynäkologische Jahreskontrolle (ohne Pap-Verrechnung) beläuft sich auf mindestens 110 Franken (z.B. im Kanton Bern mit einem TPW von 0,86 Franken). Der Hochrisiko-HPV-mRNA-Test (Aptima® HPV assay) wird vom externen Labor in der Schweiz zum Preis von 79 Franken verrechnet. Das europäische Preisniveau bewegt sich für diesen Test im Bereich von 45 bis 50 Euro. Die Kostenüberlegung: Wenn dank eines negativen Aptima-Tests mehrere Jahreskontrollen oder eine CIN1/2-Analyse im Intervall ausgelassen werden können, so leistet das Co-Testing in der gynäkologischen Vorsorge einen beträchtlichen Beitrag zur Kostenersparnis im Gesundheitswesen.
Vorschlag für einen neuen Screeningalgorithmus
Aus den vorliegenden Daten und Überlegungen lassen sich künftige Auswirkungen auf das Zervixscreening in der gynäkologischen Praxis ableiten. Bereits heute gilt hier: ■ Vor dem Alter von 21 Jahren erfolgt
kein Screening; da das Screening hier mehr Schaden als Nutzen bewirkt (7). ■ Nach dem 70. (bis 75.) Lebensjahr erfolgt kein Screening mehr, falls das Co-Testing oder die letzten drei Zytologien normal ausfielen. ■ Bei den ≥ 35-Jährigen kann bei normalem Co-Testing-Resultat (= Zytologie und HPV-mRNA-Test) das Screeningintervall auf 3 bis 5 Jahre verlängert werden. Vorbedingungen sind ein funktionierendes Recall-System und eine gute Patientinnen-Compliance! ■ Folgen für PapIIw- und PapIII-Tests: Das Intervall des zytologischen Nachweises richtet sich nach dem Resultat des HPV-mRNA-Tests: Bei positivem E6/E7-Nachweis erfolgt ein erneutes Co-Testing nach 3 bis 6 Monaten; bei negativem HPV-mRNA-Test nach 6 bis 12 Monaten. ■ PapI/II- und positiver HPV-mRNATest: Kontrolle des Co-Testings nach einem Jahr (Monitoring der Infektpersistenz). Hierbei ist zu beachten: Bei der Vorsorgeuntersuchung der 30jährigen Frauen ist der Aptima-Test bei zirka 9%, bei den 35-Jährigen noch bei zirka 5% positiv. Die zytologische Untersuchung und der Hochrisiko-HPV-mRNA-Test lassen sich aus derselben Probenentnahme mittels «liquid based cytology» (LBC-Medium) bestimmen. Bei einem PapIIw/PapIII-Test kann der Amplifikations-mRNA-Test (TMA = Transcription-Mediated Amplifi-
cation) also nachträglich in Auftrag gegeben werden. Die Indikation zur Konisation wird individuell und in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der gynécologie suisse gestellt (8). Letztere beinhalten in der Version vom April 2004 den HochrisikoHPV-mRNA-Test (noch) nicht. Guidelines für die gynäkologische Vorsorgeuntersuchung sind vom Vorstand der gynécologie suisse SGGG nicht vorgesehen (9). Die durch die Impfungen zu erwartenden Verschiebungen innerhalb der verschiedenen HPV-Typ-Prävalenzen sprechen für einen Hochrisiko-HPV-mRNA-Test mit möglichst breiter Typenabdeckung. ■
Dr. med. Daniel Brügger FMH Gynäkologie und Geburtshilfe Bahnweg 55 3177 Laupen E-Mail: daniel.bruegger@hin.ch
Der Autor erklärt keine Interessenkonflikte. Standardisierte Patientinnenbriefe zur Information des CoTesting-Resultats können beim Autor unter seiner E-MailAdresse angefordert werden.
Quellen: 1. Krech T et al.: Urogenitale humane Papillomviren und Chlamydien. Epidemiologie bei Schweizer Frauen unter Anwendung neuer Nachweisverfahren. Schweiz Med Forum 2010; 10(12): 230–232. 2. Arzneimittel-Kompendium der Schweiz; August 2010. 3. Masserey V: Vaccination contre HPV après 3 ans en Suisse. forum gynécologie Suisse 2010; 3: 14–15. 4. Baege A et al.: Entwicklung eines zervikalen OrgankulturModells zur Identifizierung der HPV-Targetzelle kompetent zur Induktion einer persistierenden Virusinfektion. Posterpräsentation während des Jahreskongresses gynécologie suisse, Juni 2010. 5. Monsonego J et al.: Evaluation of oncogenic human papillomavirus RNA testing with DNA and liquid based cytology in primary cervical cancer screening. Präsentation am EUROGINKongress, Februar 2010. 6. Cattani P et al.: HPV mRNA (E6/E7) versus DNA-assays for cervical cancer risk evaluation. Präsentation am EUROGIN-Kongress, Februar 2010. 7. Kinney WK: Screening of young adults: Is it necessary? Präsentation am EUROGIN-Kongress, Februar 2010. 8. Guideline zum Vorgehen bei suspektem und positivem zytologischen Abstrich der Cervix uteri; überarbeitete Fassung, Version 2.4.; April 2004. http://sggg.ch/de/members_news/998. 9. Protokoll Mitgliederversammlung gynécologie suisse, 25.6.2009.
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