Transkript
SCHWERPUNKT
Verhütung nach dem 40. Lebensjahr
Spezielle Aspekte in der Perimenopause
Obwohl ab dem 40. Lebensjahr die Fertilität der Frau stark abnimmt, reicht diese Tatsache alleine nicht aus, um Frauen zwischen 40 und 55 Jahren vor einer unerwünschten Schwangerschaft zu schützen. Lebensumstände und Begleiterkrankungen haben eine zunehmende Bedeutung für die Wahl der kontrazeptiven Methode. Spezifische Aspekte dieser Lebensphase mit Einfluss auf die Wahl der Kontrazeption werden im Folgenden aufgezeigt.
BRIGITTE FREY TIRRI
Als 1961 die erste hormonale Kontrazeption auf den Markt kam, ermöglichte dies den Frauen erstmals verlässlich ihre Schwangerschaften zu planen. Dies hat inzwischen dazu geführt, dass ein Teil der Frauen mit 40 Jahren noch eine Schwangerschaft plant, andere in diesem Alter nie schwanger werden möchten oder ihre Familienplanung bereits abgeschlossen haben und eine sichere Verhütung bis zur Menopause brauchen. Mögliche Begleiterkrankungen wie Adipositas, kardiovaskuläre Erkrankungen, Nikotinabusus, Blutungsstörungen, Akne/Hirsutismus und Sexualstörungen spielen in dieser Lebensphase eine Rolle bei der Wahl der Kontrazeption. Zudem müssen auch veränderte Lebenssituationen wie Trennung, Scheidung und neue Partnerschaft miteinbezogen werden. Richtlinien und Erkenntnisse aus Studien sollten bei der Verschreibung des Kontrazeptivums hinzugezogen werden. Sehr nützlich haben sich die WHO Eligibility Criteria (1) oder die Richtlinien der Faculty of Family Planning and Reproductive Health Care (FFPRHC) (2) erwiesen, die vom Internet direkt heruntergeladen werden können. Grundsätzlich gilt: Die Kontrazeption in dieser Lebensphase ist sehr individuell zu wählen; der Nutzen einer Verhütungsmethode muss gegenüber deren Risiko sorgfältig abgewogen werden. Wichtig ist es, das Gespräch mit der Patientin zu suchen, die Vorund Nachteile jeder Methode zu besprechen und gemeinsam mit ihr die für sie infrage kommende kontrazeptive Methode zu wählen.
Fertilität und Schwangerschaften
Die Fertilität sinkt kontinuierlich vom 22. bis zirka 36. Lebensjahr, um dann weiter rasch zu fallen. Allerdings nimmt seit 1985 die Schwangerschaftsrate bei Frauen zwischen 40 und 44 Jahren im Gegensatz zur abnehmenden Fertilität ab Mitte 30 wieder zu (3).
Einige Untersuchungen haben die Gründe für die Verschiebung des Zeitpunkts der Familienbildung eruiert: Eine interessante Studie, 2007 in Kanada durchgeführt, hat die Gründe bei 500 kinderlosen Männern und 1006 kinderlosen Frauen untersucht. Die vier meist genannten Gründe für späte Schwangerschaften bei den Frauen (Gründe in Prozent angeben) waren (4): 1. finanzielle Sicherheit (85%) 2. Eignung des Partners, Kinder zu erziehen (84%) 3. eigener Wunsch (Interesse), Kinder zu bekommen
(77%) 4. Wunsch (Interesse) des Partners, Kinder zu haben
(79%). In allen Untersuchungen, die in den entwickelten Ländern durchgeführt wurden, zeigte sich, dass die Frauen mit Kinderwunsch im «fortgeschrittenen Alter» sich sehr bewusst waren, dass ihre Fruchtbarkeit sank und dass sie riskierten, kinderlos zu bleiben.
Kontrazeptionsbedarf ab 40 Wünschen Frauen ab 40 Jahren nicht mehr schwanger zu werden, ist es sehr wichtig, Ihnen zu erklären, dass die Fertilität zwar gesunken ist und zahlreiche Zyklen anovulatorisch verlaufen, jedoch eine Schwangerschaft ohne Verhütung weiterhin möglich ist. In diesem Alter ist nicht ungewöhnlich, dass eine Schwangerschaft aus mehreren Gründen unerwünscht ist; Schwangerschaftsabbrüche bei diesen Frauen sind nicht selten. In der Altersgruppe der über 40-Jährigen können aufgrund der geringeren Fertilität auch Verhütungsmethoden mit einem etwas höheren Pearlindex in Betracht gezogen werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Risikofaktoren, die in Kombination mit einem Kontrazeptivum bei dieser Altersgruppe eine Rolle spielen, beschrieben.
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SCHWERPUNKT
Kardiovaskuläre Risiken und Kontrazeption
Kardiovaskuläre Risiken spielen bei der kombinierten hormonalen Kontrazeption (CHC) eine wichtige Rolle. Da diese Verhütungsmethode auch bei Frauen über 40 Jahren sehr verbreitet ist, soll speziell darauf eingegangen werden.
Venöse Thromboembolien Das Risiko venöser Thromboembolien (VTE) steigt mit dem Alter (Tabelle 1) (5). Sie zeigen sich vor allem als tiefe Beinoder Beckenvenenthrombosen mit oder ohne Lungenembolie und sind in 1 bis 2% der Fälle tödlich. Die kombinierte hormonale Kontrazeption ist mit einem 2- bis 3-fach höheren Thromboserisiko assoziiert. Die Wahl des Gestagens spielt eine, wenn auch nur geringe Rolle (Tabelle 2) (5). Das VTE-Risiko ist im ersten Jahr der Anwendung am höchsten. Um das Risiko zu minimieren, ist eine ausführliche Anamnese notwendig. Diese sollte sich nicht nur auf die persönliche Anamnese beschränken, sondern unbedingt auch die Familienanamnese beinhalten. Insbesondere muss nachgefragt werden, ob in der Familie oder bei der Frau selbst bereits eine Thrombose oder eine Lungenembolie aufgetreten sind, damit eine Thrombophilie oder ein Antiphospholipidsyndrom erkannt wird. Sowohl das Antiphospholipidsyndrom als auch die hereditäre Thrombophilie stellen Kontraindikationen für die Verschreibung einer kombinierten hormonalen Kontrazeption dar. Eine Thrombophilieabklärung ist nur in Ausnahmefällen – am besten nach Rücksprache mit einem Hämatologen – indiziert (6). Weitere Risikofaktoren für eine Thrombose sind eine kürzlich erfolgte Operation, eine längere Hospitalisation, eine Infektion, ein liegender zentralvenöser Katheter oder eine maligne Erkrankung (7).
Arterielle Hypertonie, Myokardinfarkt, Hirnschlag Bei gesunden Frauen ohne Risikofaktoren ist das Risiko für Herzinfarkt und Hirnschlag unter kombinierten hormonalen Kontrazeptiva nicht erhöht. Findet sich aber ein anderer Risikofaktor wie Nikotinabusus, Drogen, neurologische Er-
Tabelle 1:
Altersabhängiges Risiko venöser Thrombosen ohne Einnahme hormonaler Kontrazeptiva
Altersgruppe Frauen mit venöser
Thrombose (n)
15–19 Jahre
250
20–24
444
25–29
537
30–34
598
35–39
685
40–44
797
45–49
902
Gesamt
4213
95%-Konfidenzintervall
Rate/10 000 Frauenjahre
1,84 2,98 3,60 3,77 4,21 5,25 6,59 4,03
Adjustierte Rate (95%-KI) 0,39 (0,33–0,45) 0,62 (0,54–0,70) 0,86 (0,76–0,96) 1,00 (Referenz) 1,18 (1,05–1,32) 1,57 (1,41–1,74) 2,09 (1,88–2,32) –
Tabelle 2:
Risiko venöser Thrombosen während einer Behandlung mit Ovulationshemmern (OH) in Abhängigkeit der Ethinylestradioldosis (EE) und der Gestagenkomponente respektive einer Gestagenmonotherapie
Hormonkomponente
kein OH OH mit 50 g EE OH mit 20–40 g EE und: – Levonorgestrel – Desogestrel oder Gestoden – Drospirenon Gestagenmonotherapie – Levonorgestrel (30 g) oder
Norethisteron 350 g – Desogestrel 75 g – Levonorgestrel-IUP
Frauen mit venöser Thrombose (n) 2168 65
201 1370 103
12
3 34
Rate/10 000 Frauenjahre 3,01 7,84
5,47 6,82 7,83
1,82
3,32 3,35
Adjustierte Rate (95%-KI) 1,00 (Referenz) 2,67 (2,09–3,42)
2,02 (1,75–2,34) 3,55 (3,30–3,83) 4,00 (3,26–4,91)
0,59 (0,33–1,04)
1,10 (0,35–3,41) 0,89 (0,64–1,26)
krankungen (z.B. Migräne mit Aura), eine arterielle Hypertonie, ein Diabetes mellitus, eine Adipositas oder Lipidstoffwechselstörungen, wird empfohlen auf die Verschreibung einer kombinierten hormonalen Kontrazeption bei Frauen ab 35 Jahren zu verzichten. Eine kombinierte hormonale Kontrazeption sollte nach dem 40. Lebensjahr bei Erstanwenderinnen auch ohne Risikofaktoren aus Sicherheitsgründen nicht mehr verschrieben werden. Frauen, die keine Risikofaktoren haben und schon mehrere Jahre mit dieser Methode verhüten, dürfen bis zur Menopause unter sorgfältiger, regelmässiger ärztlicher Kontrolle von Blutdruck, Gewicht und eventuell Cholesterin- und Lipidwerten diese Methode weiter anwenden. Bestehen Kontraindikationen für eine kombinierte hormonale Kontrazeption, sollen unbedingt alternative Verhütungsmethoden (evtl. KupferIUD) mit der Patientin diskutiert werden.
Krebsrisiko und Kontrazeption
Im Alter über 40 Jahren steigt das Risiko für Krebserkrankungen. Bezüglich Zervixkarzinom zeigen Studien, dass bei Frauen mit persistierender HPV-Infektion unter langdauernder kombinierter hormonaler Kontrazeption ( 5 Jahre) das Risiko, an Zervixkarzinom zu erkranken, erhöht sein kann. Eine regelmässige Zervixzytologie ist deshalb wichtig. Die HPVPositivität alleine ist aber noch kein Grund, von einer kombinierten hormonalen Kontrazeption (CHC) abzusehen (8). Das Risiko für Brustkrebs wurde in mehreren Studien und Metaanalysen untersucht. Die Daten sind sehr unterschiedlich; Speroff et al. (9) fassen die Studien wie folgt zusammen: ■ Der Zustand nach oder die aktuelle
Anwendung von CHC sind nicht mit einer Erhöhung des Brustkrebsrisikos assoziiert.
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SCHWERPUNKT
■ Es besteht kein Zusammenhang zwischen erhöhtem Brustkrebsrisiko und sowohl der Pilleneinnahmedauer als auch der Östrogenkonzentration in der Pille.
■ Es besteht kein höheres Risiko für Frauen mit familiär erhöhtem Brustkrebsrisiko.
■ Mammakarzinome sind unter der hormonalen Kontrazeption bei deren Diagnose weniger weit fortgeschritten.
■ Unter CHC und kurz nach Absetzen könnte, gemäss Studien, eine Verbindung mit einem leicht erhöhten Auftreten von Brustkrebs bei Frauen unter 35 Jahren bestehen. Die Tumore bei diesen Frauen sind vor allem lokal begrenzt. Insgesamt tritt der Brustkrebs in dieser Altersgruppe sehr selten auf. Der Effekt ist reversibel.
Die CHC schützt vor Endometriumkarzinom. Der grösste Effekt wird nach einer mindestens 3 Jahre dauernden Anwendung erreicht. Dieser Effekt hält bis zu 20 Jahre nach Absetzen der CHC an. Das Ovarialkarzinom wird mit zunehmender Einnahmedauer reduziert, mit einer 80%-igen Reduktion nach mehr als 10 Jahren Anwendung. Der positive Effekt hält ebenfalls bis 20 Jahre nach Absetzen der Pille an. Bei Frauen mit positiver Familienanamnese für Ovarialkarzinom kann eine kontinuierliche Einnahme der Pille über 10 Jahre das Risiko für das Ovarialkarzinom auf (oder sogar unter) dasjenige von Frauen mit negativer Familienanamnese senken.
Blutungsstörungen
Bei Frauen über 40 steigt die Konzentration des follikelstimulierendem Hormons (FSH) an und es können Zyklusunregelmässigkeiten auftreten. Dies kann für die Frau sehr unangenehm sein und bei anämisierenden Blutungen zu physischer Beeinträchtigung führen. In dieser Situation können vor allem die hormonalen Kontrazeptiva (mit eingeschlossen das Levonorgestrel-Releasing-IUS) eine regulierende Wirkung haben. Die Vorteile des LNG-IUS liegen darin, dass bei idiopathischer Hypermenorrhö die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden und diese auch bei Frauen mit Kontraindikationen für eine systemische hormonale Kontrazeption eingesetzt werden kann. Andere Verhütungsmethoden beeinflus-
Tabelle 3:
Kontrazeptive Effizienz und nicht kontrazeptive positive Effekte bei Frauen ab 40 Jahren (10)
Methode
Versagerrate
(%)
natürlich
25–30
Barrieremethoden
16–20
Kondom
15
kombinierte hormonelle 8
Kontrazeption (CHC)
Gestagen-only-Pillen 8
Kupfer-IUD
<1 LevonorgestrelReleasing-IUS Sterilisierung der Frau <1 <1 Sterilisierung des Mannes< 1 nicht kontrazeptiver Hauptrisiken Effekt unsichere Methode unsichere Methode STI-Prävention verminderte Blutung, vermin- arterielle und venöse derter Knochenabbau, Thromboembolien reduziertes Ovarial- und Endometriumkarzinomrisiko verminderte Blutung, unregelmässige reduziertes Ovarial- und Blutung Endometriumkarzinomrisiko reduziertes Ovarial- und unregelmässige Endometriumkarzinomrisiko Blutung, Expulsion reduzierte Blutung Expulsion reduziertes Ovarial- und Endometriumkarzinomrisiko keine reversible Methode keine reversible Methode sen die Blutungstörungen wenig oder können diese sogar noch verschlimmern (Kupfer-IUD). Bei natürlichen Methoden (Temperaturmessung, Zervixschleimuntersuchung) ist zu beachten, dass bei Zyklusunregelmässigkeiten, die Methoden wiederum weniger verlässlich sind. Die verschiedenen Kontrazeptionsmethoden mit ihren Vor- und Nachteilen bei Frauen ab 40 Jahren sind in Tabelle 3 zusammengefasst (8). Fazit Obwohl die Schwangerschaftsrate in der Altersgruppe der über 40-Jährigen abnimmt, ist eine Kontrazeption nötig. Schwangerschaften in dieser Lebensphase sind gehäuft unerwünscht mit einer höheren Rate an Schwangerschaftsabbrüchen als bei Frauen zwischen 30 und 40 Jahren. Diese Situation ist für die Frauen sehr belastend. Die Wahl der Verhütungsmethode sollte gemeinsam mit der Patientin nach ausführlichem Gespräch über Vor- und Nachteile, Einbeziehung möglicher Risikofaktoren und der Lebensumstände erfolgen. Nicht hormonale Kontrazeptionsmethoden werden in dieser Altersgruppe am häufigsten benützt. Sehr häufig werden die Sterilisation bei der Frau und das Kondom angewendet. Kombinierte hormonale Kontrazeptiva können bei Frauen über 40 Jahre, wenn keine Kontraindikationen bestehen und sie diese bereits seit Längerem einnneh- men, bis zur Menopause weiter verschrie- ben werden, sofern eine regelmässige, sorgfältige ärztliche Kontrolle erfolgt. Po- sitive nicht kontrazeptive Effekte einer Verhütungsmethode sollen bei der Wahl einer Methode berücksichtigt werden. ■ Dr. med. Brigitte Frey Tirri Frauenklinik Universitätsspital Basel Spitalstrasse 21 4031 Basel E-Mail: bfrey@uhbs.ch Quellen: 1 WHO Eligibility criteria (WHOMEC third edition) www.who.int/reproductivehealth/publications/family_planning. 2. Faculty of Family Planning and Reproductive Health Care. FFPRHC Guidance (Janary 2005) contraception for women aged over 40 years. J Fam Plann Reprod Health Care 2005; 31: 51–63. 3. ESHRE Capri Workshop Group. Female contraception over 40. Hum Reprod Update 2009; 0: 1–14. 4. Tough S, Benzies K, Fraser-Lee N, Nweburn-Cook C.: Factors influencing childbearing decisions and knowledge of perinatal risks among Canadian men and women. Matern Child Health J 2007; 11: 189–198. 5. Lidegaard O, Lokkegaard E, Svendsen AL, Agger C.: Hormonal contraception and risk of venous thromboembolism: national follow-up study. BMJ 2009; 339b. 6. De Geyter HC.et al.: Venöse Thromboembolien unter kombinierten oralen Kontrazeptiva – aktueller Stand. Schweiz. Ärztezeitung 2009; 90: 43. 7. Spencer FA et al.: Incidence rates, clinical profile, and outcome of patients with venous thromboembolism. The Worcester VTE study. J Throm Thrombolysis 2009; 28 (4): 401–409. 8. Practice Committee of the American Society for Reproductive Medicine. Hormonal contraception: recent advances and controversies. Fertil Steril 2008; 90: S103–13. 9. Speroff L et al.: A Clinical Guide for Contraception. 4th Edition 2005. 10. Trussell J.: Contraceptive failure in the United States. Contraception 2004; 70: 89–96. 12 GYNÄKOLOGIE 1/2010