Transkript
SCHWERPUNKT
Androgene für die Libido?
Untersuchungen für den Einsatz bei der Frau in der Menopause
Die Gabe von Androgenen – DHEA oder Testosteron – zur Substitutionsbehandlung der postmenopausalen Frau, die unter verminderter Libido leidet, wird seit einiger Zeit diskutiert. Im Folgenden werden Hintergründe sowie Resultate der zu diesem Thema verfassten prospektiv-randomisierten Studien erläutert: Der Einsatz muss wegen unklarer Wirksamkeit und unsicheren Langzeitrisiken kritisch beurteilt werden.
ANNA RAGGI, CHRISTIAN DE GEYTER
Die medikamentöse Beeinflussung verschiedener Aspekte der menschlichen Sexualität ist ein potenziell lukratives Betätigungsfeld für viele Leistungsanbieter in der heutigen Gesundheitsmedizin. Als prominentes und erstes Beispiel hierfür kann die erstmalige Einführung eines oralen Ovulationshemmers (Anovlar, 1961) herangezogen werden. Weitere Beispiele sind die hormonelle Behandlung des klimakterischen Syndroms in der Menopause sowie fertilitätsförderende Medikamente in der Reproduktionsmedizin, wie Clomiphenzitrat, humanes menopausales Gonadotropin (hMG) und humanes Choriongonadotropin (hCG). Während alle diese Hormonpräparate eher indirekt für die Behandlung von Begleitphänomenen der eigentlichen Sexualität, wie Schwangerschaft und Verhütung, konzipiert wurden, ist mit Sildenafil erstmals ein Medikament für den Mann eingeführt worden, welches unmittelbar den Vorgang des Geschlechtsverkehrs unterstützt. Es ist nicht mehr als konsequent, wenn auch die Wirkung von Androgenen auf die Sexualität der Frau untersucht wird, da Testosteron auch bei der Frau die wichtigste endokrine Mittlersubstanz für das sexuelle Verlangen oder Libido ist.
Androgenmangel
Sexuelle Dysfunktionen sind bei der alternden Frau keine Seltenheit. Besonders die Zeit um die und nach der Menopause geht mit einer stetigen Abnahme des sexuellen Interesses einher (1). In den USA leiden vor der Menopause 26,7% der Frauen, nach der Menopause 52,4% aller Frauen unter Libidomangel (Fachbegriff: «hypoactive sexual desire», HSDD) (2). Inwieweit ein Mangel an Testosteron auch für die Abnahme des sexuellen Interesses nach der Menopause verantwortlich gemacht werden kann, ist angesichts der widersprüchlichen Datenlage unklar. Zusammen mit der Nebennierenrinde produziert das postmenopausale Ovar nach der Menopause nicht nur weniger Östrogen, sondern auch weniger Testosteron (Abbildung). Diese Abnahme des Testosterons ist jedoch mit einer Abnahme der Produktion
des «sex hormone binding globulin» (SHBG) in der Leber vergesellschaftet, sodass relativ mehr Testosteron für die Bindung am Androgenrezeptor verfügbar ist (3–5). Während die natürliche Menopause eher nicht grundsätzlich als eine Lebensphase mit einem chronischen Androgenmangel bezeichnet werden kann, gibt es klinische Situationen, in denen ein Androgenmangel eindeutig für einen Teil der verminderten Libido verantwortlich gemacht werden kann. Hierzu gehören der Verlust der endokrinen Funktion der Ovarien als Folge einer Chemotherapie, einer Bestrahlung oder einer beidseitigen Ovarektomie im Rahmen einer Behandlung eines bösartigen Leidens sowie der Verlust der Funktion der Nebennierenrinde im Rahmen einer Autoimmunerkrankung wie Morbus Addison oder als Folge einer beidseitigen Adrenalektomie.
Androgenpräparate für den Einsatz bei der Frau
Es existiert eine Vielfalt androgen wirksamer Steroide, von denen jedoch bisher nur zwei systematisch untersucht wurden, ob sie sich für die Substitutionsbehandlung von Androgenmangelerscheinungen eignen. ■ Dihydroepiandrosteron (DHEA) und ■ Testosteron (T). DHEA wird aufgrund seiner schwachen androgenen Wirksamkeit allgemein als Nahrungsergänzungsmittel eingestuft und steht deshalb nicht als qualitätsgeprüfte Medikation mit konsistenter Dosierung zur Verfügung. Die Qualität der in Drogerien oder über Internet verfügbaren Präparate ist unzuverlässig. In Europa (nicht jedoch in der Schweiz) steht lediglich ein geprüftes, transdermales Präparat für die Substitution der Frau mit Testosteron zur Verfügung: Intrinsa® (300 µg/Tag). Das ebenfalls oft bei Frauen angewendete Testosterongel (Testogel®, 50 mg/Beutel) ist deutlich überdosiert. Selbst die Anwendung der Zehntelmenge pro Sachet führt allzu häufig zu Überdosierungen (6).
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Ergebnisse randomisierter Studien Wenige randomisierte Studien haben die Wirksamkeit von DHEA und Testosteron für die hormonelle Substitutionsbehandlung bei der Frau untersucht. Die älteste prospektiv-randomisierte, plazebokontrollierte Studie mit einer androgen wirksamen Substanz wurde bei Frauen mit Nebenniereninsuffizienz durchgeführt (7). Die Verabreichung von 50 mg DHEA pro Tag über einen Zeitraum von vier Monaten führte bei Frauen mit Nebenniereninsuffizienz zu einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität. Bei postmenopausalen Frauen konnten verschiedene randomisierte, plazebokontrollierte Studien mit unterschiedlichen Dosierungen des DHEA (zwischen 25 und 100 mg täglich) keine reproduzierbaren Effekte erzielen (8). Im Gegensatz zum DHEA, welches nur über eine schwache androgene Wirksamkeit verfügt, konnten mit Testosteron (300 µg pro Tag, transdermal) im Rahmen verschiedener prospektiv-randomisierter Studien signifikante positive Auswirkungen auf die Libido postmenopausaler Frauen erzielt werden, besonders beim «hypoactive sexual desire disorder» sowie nach beidseitiger Ovarektomie. Diese positiven Effekte blieben auch ohne eine Begleitbehandlung einer konventionellen Hormonersatztherapie mit Östrogenen und Gestagenen messbar (Tabelle).
Nebenwirkungen und Risiken unter Testosterongabe Bei einer Dosis von 300 µg transdermalem Testosteron und bei einer täglichen Anwendung für die Dauer von zirka 24 Wochen wurde bei fast 20% der Probandinnen Hirsutismus als Nebenwirkung registriert (14). Bei einer niedrigeren Testosterondosierung von 150 µg wurde dieses Symptom jedoch nicht häufiger als in der Kontrollgruppe, welche mit einem Plazebo behandelt wurde, gemeldet. Zeichen einer Virilisierung, wie Alopezie, Klitorishypertrophie oder Stimmbruch, wurden unter beiden Dosierungen nicht häufiger gemeldet als in der Kontrollgruppe. Da Testosteron in Östradiol enzymatisch umgewandelt werden kann, wurde die Inzidenz des Mammakarzinoms im Rahmen einer Langzeitanwendung von trans-
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Abbildung: Die Menopause geht mit einer dynamischen Veränderung im Regelkreis der Geschlechtshormone einher (17): Das menopausale Ovar produziert in dieser Lebensphase zwar keine Östrogene mehr, es trägt jedoch weiterhin signifikant zur Konzentration der im Blutkreislauf befindlichen Androgene bei. Diese werden dort überwiegend in Östron umgewandelt, welches nach der Menopause Östradiol als das dominante Östrogen ablöst. Neben dem Ovar trägt die Nebennierenrinde ebenfalls zu den in der Blutbahn zirkulierenden Androgenen bei. Die Nebennierenrinde ist sowohl vor als auch nach der Menopause die Hauptquelle des DHEA und des DHEAS.
dermalem Testosteron evaluiert. Hier stehen allerdings noch keine prospektiv erhobenen Daten zur Verfügung, sodass die Inzidenz des Mammakarzinoms unter Anwendung von Testosteron nur in grossen Studien, wie in der Nurses’-HealthStudie und in der Women’s-Health-Initiative-(WHI-)Studie, evaluiert wurde: Während im Rahmen der Nurses’-Health-Studie ein signifikanter Anstieg des Mammakarzinomrisikos registriert wurde (Risikozunahme 2,65; 95%-Vertrauensintervall 1,63–4,30 bei 2066 Frauen mit Brustkrebs
[15]), konnte dieses im Rahmen der WHIStudie aufgrund einer viel geringeren Fallzahl nicht bestätigt werden (Risikozunahme 1,30; 95%-Vertrauensintervall 0,91– 1,93 bei 35 Frauen mit Brustkrebs [16]). Sicherlich bleibt diese Risikomeldung so lange ungeklärt, bis nichtaromatisierbare Androgene (wie Dihydrotestosteron) ebenfalls zur Substitutionsbehandlung zur Verfügung stehen. Andere denkbare Langzeitrisiken sind Veränderungen im Lipidprofil, Polyzythämie, metabolisches Syndrom und das
Tabelle:
Ergebnisse der transdermalen Verabreichung von Testosteron in den wichtigsten bisher veröffentlichten, prospektiv-randomisierten, plazebokontrollierten Studien und deren Auswirkung auf Libido und Sexualität der Frau
Studie Indikation HRT
Dosis
[9] OvarX
[10] OvarX [11] OvarX [12] Menop. [13] OvarX [14] Menop.
OvarX Menop. OvarX
unter HRT
unter HRT unter HRT unter HRT unter HRT ohne HRT ohne HRT ohne HRT ohne HRT
150 g/Tag 300 g/Tag 450 g/Tag 300 g/Tag 300 g/Tag 300 g/Tag 300 g/Tag 150 g/Tag 150 g/Tag 300 g/Tag 300 g/Tag
Anzahl Dauer
106 24 Wochen 110 24 Wochen 111 24 Wochen 533 24 Wochen 283 24 Wochen 549 24 Wochen 37 24 Wochen 267 24 Wochen 267 24 Wochen 267 24 Wochen 267 24 Wochen
Wichtigstes Resultat kein Effekt positiv kein Effekt positiv positiv positiv positiv positiv kein Effekt positiv kein Effekt
Erklärungen: OvarX: Zustand nach beidseitiger Ovariektomie, chirurgisch bedingte Menopause Menop.: nach natürlicher Menopause HRT: hormonelle Substitutionsbehandlung mit einem Östrogenpräparat oder mit einem kombinierten Östrogen-Gestagen-Präparat.
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SCHWERPUNKT
Korpuskarzinom des Uterus (17). Die bisher durchgeführten Studien waren zu kurzzeitig, um hierüber genügend Informationen zu liefern.
Fazit
Während die Wirksamkeit von DHEA zur Substitutionsbehandlung bei Frauen mit einer Nebenniereninsuffizienz wissenschaftlich gesichert ist, konnte eine Vielzahl von Studien die Wirksamkeit von DHEA bei der physiologischen Menopause nicht belegen. Die transdermale Gabe von Testosteron (300 µg täglich) ist bei umschriebenen klinischen Situationen, welche mit einem spezifischen Libidomangel einhergehen, wirksam. Diese Feststellung beruht allerdings auf einer Reihe von Studien, deren Aufbau erstaunlich ähnlich ist und die zum Teil von einer kleinen, in sich geschlossenen Autorengruppe konzipiert wurden. Die Gabe von Testosteron über einen langen Zeitraum ist nicht ohne Nebenwirkungen. So gibt es noch ungesicherte Hinweise auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko als Spätfolge, besonders wenn Testosteron mit einer herkömmlichen hormonellen Substitutionsbehandlung, basierend auf Östrogenen und Gestagenen, kombiniert wird. Die bisher
durchgeführten Studien waren von zu
kurzer Dauer (zumeist 24 Wochen), um
Rückschlüsse über mögliche Langzeitrisi-
ken, wie Brustkrebs und metabolisches
Syndrom, zu erlauben.
Der Einsatz eines Medikamentes sollte
kein Vorwand sein, organische wie hor-
monelle Ursachen für einen Libidoman-
gel (wie Hyperprolaktinämie oder Er-
krankungen der Schilddrüse) nicht zu
diagnostizieren oder das Problem einer
partnerschaftlichen Problematik ausser
Acht zu lassen.
■
Prof. Dr. med. Christian De Geyter (Korrespondenzadresse) Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitäts-Frauenklinik Basel Spitalstrasse 21 4031 Basel
Dr. med. Anna Raggi Universitäts-Frauenklinik Basel
Quellen:
1. Birkhäuser MH: Quality of life and sexuality issues in aging women. Climacteric 2009; 12 Suppl 1: 52–57.
2. West SL, D’Aloisio AA, et al.: Prevalence of low sexual desire and hypoactive sexual desire disorder in a nationally representative sample of US women. Arch Int Med 2008; 168: 1441–1449.
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9. Braunstein GD, Sundwall DA, et al.: Safety and efficacy of a testosterone patch for the treatment of hypoactive sexual desire disorder in surgically menopausal women. Arch Int Med 2005; 165: 1582–1589.
10. Buster JE, Kingsberg SA, et al.: Testosterone patch for low sexual desire in surgically menopausal women: a randomized trial. Obstet Gynecol 2005; 105: 944–952.
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