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Kongressbericht
45. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Orlando/Florida, 29. Mai bis 2. Juni 2009
Fortgeschrittener Brustkrebs
Vielversprechende neue Substanzen in klinischer Entwicklung – Teil 2
«Personalizing cancer care», das Motto des diesjährigen ASCO-Jahresmeetings, bezieht sich auf zielgerichtete Therapien, die sich auch bei fortgeschrittenem Brustkrebs etablieren. Neue Substanzklassen und Kombinationen in Phase-II- und -III-Studien versprechen Fortschritte in der individualisierten Therapie bei schwer behandelbarem Brustkrebs. Dabei stehen «tripel-negative» Tumoren wie auch der HER2-Status im Mittelpunkt.
Auf dem weltweit grössten Krebskongress, dem Jahrestreffen der ASCO mit rund 30 000 Krebsspezialisten, nahmen Biologie, Diagnostik und Therapie, insbesondere des fortgeschrittenen Brustkrebses, einen breiten thematischen Raum ein. Neben den neuen PARP-Hemmern (vgl. Teil 1, siehe Fussnote) standen vor allem die folgenden Neuentwicklungen und Studien im Mittelpunkt des Interesses:
Trastuzumab-DM1 (T-DM1) beim HER2-positiven Tumor
Eine weitere neue Wirkstoffsklasse, einsetzbar bei HER2-positivem Tumor, ist Trastuzumab-DM1 (T-DM1): Bei der neuen Substanzklasse handelt es sich um sogenannte Antikörper-ArzneimittelKonjugate (ADC – Antibody-Drug Conjugates), welche zwei Behandlungsansätze in der Tumortherapie vereint: ■ Trastuzumab (Herceptin®), ein speziell
gegen HER2 gerichteter Antikörper, der zur Behandlung von HER2-positivem Brustkrebs bereits seit über zehn Jahren eingesetzt wird sowie ■ DM1, eine hochwirksame zelltötende Substanz (Chemotherapie), die in den Achtzigerjahren klinisch getestet wurde, deren Entwicklung aber aufgrund des Nebenwirkungsprofils gestoppt wurde. Das Wirkprinzip: Trastuzumab transportiert den Wirkstoff DM1 zu den Tumorzellen, die HER2-positiv sind. Dort
* Vgl. Bericht zu PARP-Hemmern bei «tripel-negativen» und BRCA1-2-defizienten Mammakarzinomen in GYNÄKOLOGIE 2009; 4: 30.
blockiert es den HER2-Rezeptor und aktiviert das Immunsystem gegen die Tumorzellen. T-DM1 wird dann nach einer Weile in die Zelle aufgenommen und DM1 von Trastuzumab abgetrennt. Spätestens dann wird die Zelle durch DM1 abgetötet. Durch die Kombination beider Wirkstoffe ist T-DM1 in der Lage, gezielt gegen Krebszellen vorzugehen und den besten klinischen Effekt zu erreichen, während Nebenwirkungen minimiert werden.
Offene Phase-II-Studie und laufende Phase-III-Studie Bei Patientinnen mit fortgeschrittenem HER2-positivem Brustkrebs hat die Behandlung mit T-DM1 in einer Phase-IIStudie (1, 2) bei einem Viertel der eingeschlossenen Patientinnen einen bemerkenswerten Tumorrückgang bewirkt. An der in den USA durchgeführten, einarmigen Open-Label-Studie nahmen 112 Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs teil. Ihre Krankheit hatte sich trotz vorangehender Behandlung mit zwei oder mehr auf HER2 gezielten Therapien weiter verschlechtert. In der Zweit- und Drittlinientherapie mit T-DM1 nach einem medianen Follow-up von 9½ Monaten kam es zu den folgenden Resultaten: Rund 35% der Patientinnen verzeichneten entweder einen Tumorrückgang, oder ihre Erkrankung stabilisierte sich für mindestens sechs Monate. Das Ansprechen wurde von unabhängigen Radiologen evaluiert. Nach erneuter Prüfung des HER2-Status der Patientinnen in einem Zentrallabor lag der Anteil der Teilnehmerinnen, die solch eine klinische Verbesse-
rung aufwiesen, sogar bei 44%. Die häufigsten Grad-3- und -4-Nebenwirkungen waren Hypokalämie (8%) und Thrombozytopenie (7%). Schwere kardiospezifische Toxizität wurde nicht beobachtet. «Solch eine Wirkungskraft mit einer Monotherapie zu erzielen ist äusserst ungewöhnlich und es ist wichtig, dass wir diese vielversprechende Substanz in Phase-III-Studien weiter erforschen», kommentierte Jose Baselga, Barcelona/Spanien, einer der Prüfärzte, der in das klinische Entwicklungsprogram von T-DM1 involviert ist. Momentan wird weltweit eine Phase-IIIStudie (EMILIA) durchgeführt, bei der T-DM1 in der Zweitlinie bei HER2-positivem Brustkrebs geprüft wird. Die mit 580 Patientinnen durchgeführte, randomisierte Studie wurde im Februar 2009 begonnen, um die Monotherapie mit T-DM1 und die Kombination Lapatinib (Tyverb®) plus Capecitabin (Xeloda®) miteinander zu vergleichen.
Neratinib-Kombination bei HER2-positivem Tumor
Bei HER2-positiven Tumoren steht eine zweite neue Substanz in klinischer Prüfung, die oral verabreicht werden kann. Bei der Substanz Neratinib handelt es sich um einen irreversiblen Hemmer der HER2- and EGFR-Tyrosinkinase. Erste Daten aus zwei noch laufenden Studien bei fortgeschrittenem, HER2-positivem Brustkrebs liegen bereits vor: 1. Neratinib in Kombination mit Trastu-
zumab 2. Neratinib plus Paclitaxel.
Neratinib plus Trastuzumab bei fortgeschrittenem Brustkrebs Die Phase-I/II-Studie (3) untersuchte 45 Patientinnen mit fortgeschrittenem, HER2-positivem Brustkrebs, welcher nach der Standardbehandlung mit Trastuzumab weiter fortgeschritten war. Der primäre Endpunkt der zweiteiligen Studie ist das progressionsfreie Überleben (PFS) nach 16 Wochen. Im ersten Teil der
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Studie erhielten die Patienten Neratinib in der Dosierung 160 mg oder 240 mg täglich plus wöchentlich Trastuzumab (4 mg/kg i.v.; dann 2 mg/kg). Im zweiten Studienteil erhielten 33 Frauen, die auf die Therapie ansprachen, wöchentlich Trastuzumab und täglich Neratinib (240 mg). Zum Zeitpunkt der ASCO-Jahrestagung waren die Daten von 28 Patientinnen ausgewertet: ■ PFS nach 16 Wochen (Teil 2): 45% ■ medianes PFS: 16 Wochen ■ komplette Ansprechrate: 7%; partielle
Response: 21% ■ objektive Responserate: 29% ■ Nebenwirkungen: vor allem Diarrhö
(91% der Pat.), Appetitlosigkeit, Erbrechen (u.a.).
Neratinib plus Paclitaxel In einer weiteren, ebenfalls zweiteiligen Phase-I/II-Studie (4) wurden Patientinnen mit soliden Tumoren (Gebärmutter-, Gebärmutterhals-, Enddarm- und Speiseröhrenkrebs) aufgenommen; in den zweiten Teil lediglich Patientinnen mit metastasiertem HER2-positivem Brustkrebs. Insgesamt nahmen 102 Patientinnen an Teil 2 der Studie teil, wobei 97 von ihnen im Hinblick auf die Wirksamkeit auswertbar waren. Die Ansprechrate betrug in Teil 2 nach 16 Wochen 63%. Bei dieser Voranalyse ergab sich für die Kombination aus Neratinib (240 mg) und Paclitaxel (80 mg/m2) hinsichtlich der unerwünschten Ereignisse laut Unternehmen ein ähnliches Profil wie für die beiden Wirkstoffe, wenn sie jeweils als Monotherapie eingesetzt werden.
Bevacizumab-Kombination bei HER2-negativem Tumor
Auch bei HER2-negativen Tumoren konnten Therapiefortschritte erkannt werden, und zwar bei zugelassenen Präparaten. Die zusätzliche Gabe des VEGF-Inhibitors Bevacizumab (Avastin®) zur Standardchemotherapie bei Frauen mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten HER2-negativen Tumoren brachte in der plazebokontrollierten, randomisierten RIBBON-Studie (5) ein signifikant verlängertes PFS gegenüber der alleinigen Chemotherapie. Die Frauen erhielten in der Erstlinientherapie Bevacizumab plus Chemotherapie (Capecitabin, Paclitaxel bzw. Docetaxel oder eine Anthrazyklin-
basierte Chemotherapie). 1237 Patien- Quelle: ASCO-Pressekonferenz am 31. Mai 2009 so-
tinnen aus 22 Ländern nahmen teil.
wie Referenzen (s.u.)
Wichtige Resultate:
■ bis zu 55% verbesserte Chance, keine
Krankheitsverschlechterung zu erleben
■ signifikante Erhöhung der Tumorre-
duktion unter Bevacizumab (An-
sprechrate 51,3% vs. 37,9% unter Be-
vacizumab plus Anthrazyclin- oder
Taxan-Therapie) versus Chemothera-
pie allein
■ keine neuen Nebenwirkungen unter
der Bevacizumab-Kombination.
Damit bestätigt die Studie, dass Bevaci-
zumab sicher und effektiv mit einer Reihe
von Chemotherapeutika in der Erstlini-
entherapie bei HER2-negativem, meta-
stasiertem Brustkrebs kombiniert wer-
den kann.
■
Referenzen:
1. Krop, I.E. et al.: JCO 2009 Annual Meeting Proceedings Part I. Abstract 1003. Update-Daten nach Herstellerangaben (Roche).
2. Vogel, C.L. et al.: JCO 2009 Annual Meeting Proceedings Part I. Abstract 1017. Update-Daten nach Herstellerangaben (Roche).
3. Swaby, R. et al.: JCO Annual Meeting Proceedings Part I. Abstract 1004. Update-Daten nach Herstellerangaben (Wyeth).
4. Chow, L. et al.: JCO Annual Meeting Proceedings Part I. Abstract 3557. Update-Daten nach Herstellerangaben (Wyeth).
5. Robert, N.J. et al.: JCO Annual Meeting Proceedings Part I. Abstract 1005. Update-Daten nach Herstellerangaben (Roche).
Bärbel Hirrle
Neues Chemotherapeutikum durchbricht Resistenzen
Zu den Neuzulassungen 2009 in der Schweiz in der Therapie des metastasierten Brustkrebses gehört Ixabepilon (Ixempra®) aus der neuen Substanzklasse der Epothilone. In der Zulassungsstudie (1) erwies sich das neue Chemotherapeutikum in Kombination mit Capecitabin (Xeloda®) gegenüber der Capecitabin-Monotherapie bei Anthrazyklin- und Taxan-resistenten Patientinnen als überlegen. Wie zu erwarten, war die Toxizität in der Studiengruppe höher.
Das in den USA schon 2007 und in der Schweiz seit März 2009 zugelassene Medikament ist laut Prof. Beat Thürlimann, St. Gallen, und Dr. med. Roger von Moos, Chur, eine neue Waffe zur Durchbrechung von Chemotherapieresistenzen in der Behandlung bei metastasiertem (resp. lokal fortgeschrittenem) «tripel-negativem» Brustkrebs (Östrogen-/Progesteron-/HER2-negativem Tumor). Ixabepilon zeichnet sich dabei durch einen neuartigen Wirkmechanismus aus, welcher das weitere Tumorwachstum stoppt. Zwei klinische Studien haben den klinischen Einsatz in der Mono- respektive in der Kombinationstherapie bei der genannten Indikation bestätigt.
Verlängertes Überleben erreicht In der vergleichenden Studie von Thomas (1) mit 752 Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs, deren Tumor gegen Anthrazykline und Taxane resistent war, zeigte sich die Kombination Ixabepilon und Capecitabin der Monotherapie mit Capecitabin mit folgenden Hauptergebnissen überlegen: Das progressionsfreie Überleben betrug 5,8 (vs. 4,2) Monate (25%ige Reduktion des Progressionsrisikos) und die objektive Ansprechrate 34,7% (vs. 14,3%) (2,4-fach erhöht). In der nicht vergleichenden Studie von Perez (2) bei 126 Patientinnen mit Progredienz nach Anthrazyklinen, Taxanen und Capecitabin wurde die Monotherapie mit Ixabepilon evaluiert. Es wurden eine objektive Ansprechrate von 11,5%, ein Gesamtüberleben von 8,6 Monaten und ein progressionsfreies Überleben von 3,1 Monaten erreicht. Die Hälfte der Patientinnen erreichte eine Krankheitsstabilisierung; 14,3% lebten länger als 6 Monate. Die hauptsächlichen Nebenwirkungen betreffen Neuropathie (meist periphere sensorische Neuropathie), Neutropenie unter der Kombination sowie Lebertoxizität.
Quellen: Medienkonferenz «Neue Behandlungsformen bei metastasiertem Brustkrebs». BMS und H&O Communications, Zürich 21. August 2009. 1 Thomas ES et al.: J Clin Oncol 2007; 25: 5210–7. 2 Perez EA et al.: J Clin Oncol 2007; 25: 3407–14.
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