Transkript
Prisma
Die Menopausensprechstunde aus psychosomatischer Sicht
Der menopausale Übergang ist ein komplexer biologischer, psychologischer und sozialer Prozess. Deshalb sollte die Menopausensprechstunde auf einem biopsychosozialen Modell aufbauen, in dem den verschiedenen Dimensionen der Patientin Rechnung getragen wird. Dies setzt aufseiten des Arztes ein Interesse und ein Wissen voraus, welches von der gynäkologischen Endokrinologie bis zur Sozialmedizin, Psychologie und Sexualmedizin reicht.
Neben dem Wissen braucht der Arzt aber auch spezielle kommunikative Fertigkeiten, die vom «aktiven Zuhören» über das «Arbeiten mit der Patientinnenagenda» bis zum «shared decision making» und «motivational interviewing» reichen.
Perspektiven des menopausalen Übergangs Der menopausale Übergang kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden:
Entwicklungspsychologische Perspektive In jeder Lebensphase bildet der einzelne Mensch, teilweise bewusst, teilweise unbewusst, Entwicklungsziele und Entwicklungsbedürfnisse aus. Zur Zeit des menopausalen Übergangs sind diese Ziele zum Beispiel Gesunderhaltung, Beibehaltung der Leistungsfähigkeit, Abwendung der Angst vor schweren Erkrankungen, Bedürfnisse nach partnerschaftlicher Zuwendung und Stabilität, Wünsche nach Weiterentwicklung und Wachstum. Gleichzeitig bestehen bei jedem Menschen sehr individuelle Entwicklungspotenziale im körperlichen und seelischen Bereich. Diese sind häufig durch die Lebensgeschichte und die persönliche Konstitution vorgegeben, dazu gehören ebenso Lebenserfahrung, Kompetenz, Beziehungen, Vernetzung, Wissen und so weiter. Diese «Persönlichkeitsfaktoren» treffen auf eine spezifische Umwelt, welche entweder entwicklungsfördernd oder entwicklungshemmend ist. Diese Passung zwischen Individuum und Umwelt stellt einen wichtigen Faktor für die Gesundheit der Frau im menopausalen Übergang dar.
Endokrinologisch-psychoendokrine Perspektive Die bisherigen Signale (Progesteron und Östrogene sowie teilweise Testosteron)
wirken nicht mehr im gleichen Ausmass auf das Gehirn ein. Diese Abnahme der Steroidsignalwirkung kann zu Veränderungen der vegetativen Symptome (Hitzewallungen), zu Veränderungen der affektiven Befindlichkeit im Sinne der Dysphorie und Depression führen und mit Veränderungen der Sexualität, insbesondere Libidoabnahme, Erregungsstörung und Dyspareunie einhergehen. Neben diesen somatopsychischen Wirkungen bestehen gleichzeitig psychosomatische Wechselwirkungen, bei denen das Gehirn als Signalgeber und die spezifischen Körperfunktionen als Signalempfänger verstanden werden müssen. Bei diesen Prozessen führen Änderungen der Emotionalität (Angst, Depression), des Denkens (Pessimismus, irrationale Gesundheitsüberzeugungen) und des Verhaltens (Rückzug, Passivität) zu körperlichen Symptomen. So kann ein endokrin-psychisch-endokriner, sich selbst verstärkender Teufelskreis entstehen.
Die Public-Health- respektive Präventionsperspektive In dieser Perspektive ist der menopausale Übergang eine vulnerable Phase im Prozess des Älterwerdens. Dabei geht es sowohl um Erkenntnisse zu Risiken für im Alter häufig vorkommende Erkrankungen (kardiovaskuläre und neoplastische Erkrankungen) als auch um Möglichkeiten, den Alterungsprozess im Sinne des «guten Älterwerdens» zu beeinflussen («better aging», gesundheitsförderndes Verhalten).
Die Arzt-Patientin-Beziehung Diese Beziehung in der Menopausensprechstunde ist durch mehrere Besonderheiten gekennzeichnet: Hier treffen häufig konflikthaft das medizinische und das Laienkonzept der Menopause aufeinander. Damit ist gemeint,
dass auf der Seite der betroffenen Frauen ganz häufig Vorstellungen von Natürlichkeit und Naturgegebenheit der Veränderungen vorliegen, während im medizinischen Konzept die objektivierbaren endokrinen Veränderungen im Vordergrund stehen. Diesen endokrinen Veränderungen sind im medizinischen Konzept gesundheitliche Risiken zugeordnet (Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen etc.), die im Konzept der Laien entweder nicht vorkommen oder anders bewertet werden. Daraus ergeben sich unterschiedliche Handlungsmotivationen und -intentionen. Im Laienkonzept besteht dabei häufig die tief liegende Sorge, dass gegen die Natur gerichtete Interventionen einen mittelbis langfristigen Preis fordern, der häufig mit einer Krebserkrankung, insbesondere im Bereich der Brust, assoziiert wird. Neben diesen unterschiedlichen konzeptionellen Auffassungen, die zu möglichen Konflikten führen, ergeben sich für die Ärztinnen und Ärzte neue Rollen. Da Frauen um die Menopause herum nicht im eigentlichen Sinn kranke Patientinnen sind, entstehen neue Aufgaben wie «Gesundheitsmanager» und «Lifestyleberater». Dabei ergeben sich neue Ziele, die nicht mehr klassisch unter dem Begriff der Krankheitsbehandlung zu fassen sind, sondern sehr viel mehr auf Lebensqualität, Schönheit und so weiter abzielen. In der Praxis bedeutet dies eine Langzeitbetreuung mit hohem zeitlichen Aufwand und neuen Inhalten. Es geht um das körperlich-seelische Allgemeinbefinden, um affektive Störungen, Sexualität, Lebensziele, Lebenskrisen und so weiter. Bei diesen Themen können Zielkonflikte zwischen Arzt und Patientin entstehen, die ein hohes Mass an kommunikativer Kompetenz bei der Ärztin oder dem Arzt verlangen. Schliesslich ist die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden und dem Sterben ein häufiges, wenn auch nicht explizit formuliertes, aber so doch implizit vorhandenes Thema. Zwischen den Zeilen geht es häufig um die Lebensbilanz. Auch diese Themen verlangen ein hohes Mass an Erfahrung der Ärztin/des Arztes sowie die Fähigkeit, mit der Patientin einfühlsam über ihre Vorstellungen und Gefühle zu diesen Themen zu sprechen.
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Prisma
Die Praxis der psychosomatisch orientierten Menopausensprechstunde Hierzu gehören: a. Erfassung der Beschwerden: körper-
lich, psychisch, sozial. Durch aktives Zuhören kann mit der Patientin eine gemeinsame Agenda formuliert werden. Welche Probleme, welche Prioritäten bestehen? b. Gemeinsame Hypothesenbildung über Ursachen und Bedingungen: Dabei ist es wichtig, dass die Ärztin/der Arzt sich nicht zu früh in der Konsultation auf eine einzige Entstehungsbedingung einengt. Die Patientin soll ihre Vorstellungen einbringen können (Laienhypothese). c. Untersuchungen: Hier geht es um die gezielte Anamnese und um den Einsatz von Untersuchungen. Auch hier scheint es wichtig, dass die Patientin wenn möglich in die Entscheidung mit einbezogen wird. d. Entwicklung einer gemeinsamen Arbeitsdiagnose: Beispiel: «Ich möchte die Ergebnisse
... zusammenfassen: Sie haben seit einigen Monaten bei sich folgende Veränderungen beobachtet: Müdigkeit, Schlafstörungen, Hitzewallungen ...» Danach ist die Klärungsphase der körperlichen und psychischen Beschwerden abgeschlossen. Die Konsultation tritt in die Lösungsphase ein, die sich in vier Abschnitte unterteilen lässt: a. Gemeinsame Zieldefinition: Dabei sind die Prioritäten der Patientin zu erfassen und in die gemeinsame Zieldefinition einzubeziehen. («Welche Ziele wollen Sie erreichen: besser schlafen können, Gewicht verlieren, Wallungen reduzieren, weniger gereizt reagieren ...? Wenn Sie eine Rangordnung aufstellen, was wäre ganz oben?») b. Brainstorming über Lösungswege: Dabei geht es um das Erfassen der Vorstellungen der Patientin. Mehrere Optionen erhöhen das Gefühl von Kontrolle. («Ich schreibe einmal hier auf, welche Lösungen aus Ihrer und meiner Sicht infrage kommen.»)
c. Gemeinsame Entscheidungsfindung («shared decision making»): Die Ärztin/der Arzt erstellt eine Liste mit den Vor- und Nachteilen. Es geht um die Antizipation von Konsequenzen im Bezug auf die Ziele. («Jeder Weg, über den wir gesprochen haben, hat Vor- und Nachteile. Was ist Ihre Meinung und was sind Ihre Fragen?»)
d. Praktische Umsetzung des Lösungsplans: Die Frage, welche Schwierigkeiten und welche Barrieren bei der Umsetzung in den Alltag auftreten können, steht im Vordergrund. Es geht um konkrete Hilfen. («Sie haben sich für eine Hormonersatztherapie mit Pflaster, Tabletten, Gel entschieden. Ich möchte mit Ihnen jetzt besprechen, wie das konkret im Alltag aussieht, welche Schwierigkeiten und Probleme auftreten können und wie Sie damit umgehen können.»)
Prof. Dr. med. Johannes Bitzer Chefarzt Universitäts-Frauenklinik Basel
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