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Prämenstruelles Syndrom bei Adoleszentinnen
Vorkommen, Differenzialdiagnostik und therapeutische Möglichkeiten
Obwohl das prämenstruelle Syndrom, eine Kombination von psychischen und physischen Symptomen, schon zu Zeiten Hippokrates’ beschrieben wurde, sind bis vor Kurzem sowohl Definition als auch Diagnostik und Therapie unklar geblieben. Ebenso umstritten war, ob sich das prämenstruelle Syndrom (PMS) schon in der Adoleszenz oder erst im Erwachsenenalter manifestiert.
DOROTHEA WUNDER-GALIÉ
Pathophysiologie
Noch vor einiger Zeit wurde davon ausgegangen, dass ein Progesterondefizit die Symptome des PMS auslösen würde. Dies ist jedoch nicht so einfach: Heute weiss man, dass ein oder mehrere Neurotransmitter und/oder das neurohormonale System (Serotonin, GABA, Opiate, adrenerge Rezeptoren, Allopregnanolon) mit einer abnormen Antwort auf die natürlichen Fluktuationen der Geschlechtshormone während des Menstruationszyklus reagieren (1, 2). Weiter haben Studien über den Kalzium- und Vitamin-D-Metabolismus gezeigt, dass ein Ungleichgewicht in der Kalziumhomöostase ein Trigger von
Tabelle 1:
Symptome eines PMS
depressive Verstimmung, Hoffnungslosigkeit, selbstherabsetzende Gedanken Ängstlichkeit, Anspannung deutliche Stimmungsschwankungen (plötzliche Traurigkeit, Weinen, Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen) andauernde Reizbarkeit oder Wut Interesselosigkeit gegenüber üblichen Aktivitäten Konzentrationsschwierigkeiten leichte Ermüdbarkeit, Energieverlust Appetitveränderungen (z.B. Heisshungerattacken) Schlafstörungen (erhöhtes Schlafbedürfnis, Schlaflosigkeit) Gefühl des Überwältigtseins oder Gefühl, ausser Kontrolle zu geraten körperliche Symptome (Mastodynien, Kopf-, Gelenk-, Muskelschmerzen, Wassereinlagerung, Gewichtszunahme, Blähungen, Durchfall etc.) verminderte Lebensqualität, häufige Lustlosigkeit, Auswirkung auf Körpererleben und Sexualleben, Leistungsminderung, Probleme in Schule und Beruf, sozialer Rückzug, Gefühl der Isolation
PMDD-(premenstrual dysphoric disorder)-Symptomen sein kann (3).
Prädisponierende Faktoren
Schon 1991 haben Wilson et al. festgestellt, dass Töchter von Müttern mit PMS signifikant häufiger an einem PMS leiden als Töchter von Müttern ohne PMS. Ob es sich dabei um eine soziale Prägung oder um einen genetischen Faktor handelt, bleibt offen. Zwillingsstudien haben jedoch gezeigt, dass eine genetische Prädisposition möglich ist (4). Weitere prädisponierende Faktoren sind ein Status nach körperlicher oder sexueller Gewalt in der Kindheit/ Adoleszenz (5) und Adipositas (6). Im Allgemeinen (nicht speziell in der Adoleszenz) wird das PMS gehäuft bei Frauen beobachtet, die rauchen und/oder einen Alkoholabusus sowie einen höheren sozioökonomischen Status in der Anamnese aufweisen. Psychoanalytische Theorien assoziieren das PMS mit einem ambivalenten Schwangerschaftswunsch, unbewussten Konflikten hinsichtlich der sexuellen Orientierung und psychologischen, sozialen und kulturellen Faktoren sowie mit der Mutter-Tochter-Kommunikation (7).
Häufigkeit und Schwere
Nicht sehr viele Forschungsarbeiten betreffen das Vorkommen des PMS im jugendlichen Alter, wahrscheinlich wird die Problematik unterschätzt. Die Zahlen variieren je nach Literaturangabe: Demnach leiden zwischen 61 und 86% der Adoleszentinnen unter einem PMS oder PMDD (8), knapp 6% leiden unter einem PMDD. Knapp 19% haben mittlere bis schwere Symptome eines PMS (9). Es wird angenommen, dass bezüglich der Schwere der Symptome zwischen Jugendlichen und Erwachsenen kein Unterschied besteht. Leider existieren keine Studien über Komorbiditäten (Essstörungen, Abhängigkeit, Depressionen, Angststörungen) bei Adoleszentinnen
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Tabelle 2:
Klinische Kriterien für das PMDD
Hauptsymptome depressive Verstimmung, Dysphorie Ängstlichkeit, Anspannung Affektlabilität Reizbarkeit, Wut Weitere Symptome vermindertes Interesse an Aktivitäten Konzentrationsschwierigkeiten Energieverlust Heisshungerattacken, Überessen zu viel Schlaf oder Schlaflosigkeit Gefühl des Überwältigtseins körperliche Symptome (Mastodynien, Aufgedunsensein etc.)
mit PMS. Mehrere Studien konnten prämenstruell ein gehäuftes Vorkommen von Suiziden, Selbstverletzungen, erhöhtem Alkoholkonsum und autoaggressivem Verhalten zeigen (10).
Symptome
Die Symptome eines PMS sind in Tabelle 1 aufgelistet. Die häufigsten Symptome im jugendlichen Alter sind Stimmungsschwankungen, Stress und Nervosität (11). Speziell im Alter von 13 bis 18 Jahren werden Heisshungerattacken, Stimmungsschwankungen, abdominale Beschwerden sowie Unzufriedenheit mit dem Aussehen genannt. Laut einer Studie ist die Intensität der Symptome im Alter von 16 bis 18 Jahren am stärksten (12).
Diagnostik
Obwohl seit Jahrtausenden viele Frauen unter dem PMS leiden, ist die Definition des PMS nur 26 Jahre jung. Denn erst 1983 wurden durch das National Institute of Mental Health in den USA Diagnosekriterien für das PMS definiert. 1987 wurde durch die American Psychiatric Association nach DSM III-R der Begriff «late luteal phase dysphoric disorder» geprägt. 1994 wurde die schwere Form des PMS nach DSM IV als «premenstrual dysphoric disorder» (PMDD) bezeichnet. Wichtig zu wissen ist, dass das prämenstruelle Syndrom sowohl in der Adoleszenz als auch bei der erwachsenen Frau durch keine Labortests erfasst werden kann. Weder die Bestimmung von Hormonwerten im Blut noch die Bestim-
mung von Elektrolyten wie zum Beispiel Kalzium oder Magnesium bringen Klarheit, ob eine Frau unter einem PMS leidet oder nicht. Einzige Möglichkeit der Diagnostik ist ein Symptomenkalender, der drei retrospektive und zwei prospektive Menstruationszyklen umfassen muss. Die Symptome werden auf einer Skala von 1 bis 5 festgelegt. Selbstverständlich müssen andere mögliche zugrunde liegende Pathologien zuvor ausgeschlossen werden. Ausserdem müssen die Symptome zwingend während der Lutealphase auftreten, nicht etwa schon vor der Ovulation. Des Weiteren müssen die Symptome beim Einsetzen der Menstruation wieder verschwunden sein. Da Adoleszentinnen oft einen unregelmässigen Zyklus haben, ist unter Umständen eine Basaltemperaturkurve zur Bestimmung des Ovulationszeitpunkts nötig.
verlangen, dass mindestens fünf Symptome (Tabelle 2) und davon mindestens ein psychisches Symptom während der Lutealphase auftreten. Dies muss durch mindestens zwei prospektiv aufgezeichnete Zyklen belegt sein. Ausserdem muss eine klare Funktionseinschränkung im Alltag bestehen, und andere (psychische) Erkrankungen (siehe Differenzialdiagnosen, Tabelle 3), deren Palette breit ist, müssen ausgeschlossen sein. Wichtig zu wissen ist auch, dass Komorbiditäten des PMS/PMDD sehr häufig sind. So beträgt die Prävalenz einer endogenen Depression bei Frauen mit PMS/PMSS je nach Literaturangabe zwischen 20 und 76%. 20% der Frauen mit PMDD haben andere psychiatrische Diagnosen wie Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie und Suchterkrankungen (13).
Schwere Form (PMDD) Zirka 2 bis 8% der Frauen leiden unter der schweren Form des PMS, dem PMDD. Die Diagnosekriterien des PMDD
Therapeutische Möglichkeiten
Die erste wichtige therapeutische Inter-
vention ist die einfache Aufklärung über
Tabelle 3:
Differenzialdiagnosen des prämenstruellen Syndroms
Psychiatrische Erkrankungen
Medizinische Erkrankungen
Anorexie, Bulimie Allergien
Chronische Erkrankungen mit bekannter prämenstrueller Exazerbation
Anämie
bipolare Störungen Anämie
Karzinome
Dysthymie generalisierte Angststörungen endogene Depression
Panikattacken Persönlichkeitsstörungen somatoforme Störungen Suchterkrankungen
Autoimmunerkrankungen chronisches Müdigkeitssyndrom vaskuläre Kollagenerkrankungen Diabetes mellitus Dysmenorrhö
Endometriose
Hypothyreose Reizdarmsyndrom Migräne Nebenwirkungen unter oraler Kontrazeption Perimenopause Anfallsleiden
endokrine Störungen Endometriose
psychiatrische Erkrankungen Anfallsleiden systemischer Lupus erythematodes
Psychosoziale Einflussfaktoren
Status nach sexuellem Missbrauch frühere oder aktuelle häusliche Gewalt
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das Zyklusgeschehen, denn damit lösen sich schon oft die Probleme von selbst (14). An zweiter Stelle kommen Lebensstiländerungen wie Stressmanagement, Erlernen von Entspannungstechniken, regelmässiger Schlafrhythmus (1). Auch eine Ernährungsumstellung (kohlehydratreiche Ernährung, weniger Salz und raffinierter Zucker, kleinere häufigere Mahlzeiten, Verzicht auf tierische Fette, Kaffee, Alkohol und Nikotin) kann viel bewirken: Symptome wie Ödeme, Mastodynien, Aufgedunsensein, Gewichtszunahme, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit bessern sich stark (15). Sehr effizient bei PMS ist auch die regelmässige Ausübung eines Sports (16). Ausserdem sollte Zigarettenrauchen, welches die Symptomatik des PMS verstärken kann, aufgegeben werden. Im Falle einer Adipositas soll eine Gewichtssenkung angestrebt werden (15). Eine weitere Therapiemöglichkeit ist – je nach Symptomatik und konkomittierender psychischer Erkrankung – die kognitive Verhaltenstherapie, deren Wirkung jedoch bisher nicht speziell beim PMS in der Adoleszenz untersucht wurde.
Pharmakotherapie Als pharmakologische Möglichkeit kommt die Gabe von 1200 mg Kalziumkarbonat pro Tag infrage. Es konnte gezeigt werden, dass Adoleszentinnen bei erhöhter Milcheinnahme signifikant weniger unter abdominalem Aufgedunsensein, Krämpfen und Essattacken litten sowie seltener erhöhten Appetit hatten; allerdings wurden die psychischen Symptome durch die Milch nicht gebessert (11). Eine weitere pharmakologische Möglichkeit ist die kombinierte kontrazeptive Pille mit 20 µg Ethinylestradiol und dem Gestagen Drosperinon 3 mg während 24 Tagen pro Zyklus. Der positive Effekt konnte auch bei Adoleszentinnen gezeigt werden (14). Selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (Fluoxetin) sind laut Studien bei Kindern und Adoleszenten wirksam und werden bei Depressionen und Zwangsstörungen eingesetzt. Es gibt nur wenige Studien über ihren Einsatz bei Adoleszentinnen mit PMS. Wichtig ist, dass eine möglichst niedrige Dosierung (10–20 mg/Tag) gewählt und die inter-
mittierende Gabe bevorzugt werden sollte (17). Ausserdem darf die Gabe nur unter psychiatrischer Begleitung erfolgen. Die Wirkung von Spironolactonen in der Adoleszenz ist nicht speziell untersucht. Auch bestehen keine Langzeitstudien über den Einsatz von GnRh-Agonisten während der Adoleszenz. Deshalb ist nicht klar, ob trotz Östrogen-Addback-Therapie ein Osteoporoserisiko besteht. Langzeittherapien ausserhalb von klinischen Studien sind nicht empfohlen. Ein Einsatz über drei Monate zur Diagnosefindung (PMDD vs. psychiatrische Erkrankung) ist in manchen Fällen jedoch sicher hilfreich. Bei den pflanzlichen Präparaten steht der Mönchspfeffer an erster Stelle. Seine gute Wirkung beim PMS wurde durch randomisierte Studien belegt (18, 19), ausserdem bestehen kaum Nebenwirkungen. Jedoch wurde der Einsatz des Mönchspfeffers in der Adoleszenz nicht speziell untersucht. Die Lichttherapie hat besonders bei psychischen Symptomen einen guten Effekt gezeigt, wurde jedoch ebenfalls nicht speziell in der Adoleszenz untersucht.
Schlussfolgerungen
Die Häufigkeit eines PMS/PMDD in der Adoleszenz wird weitgehend unterschätzt. Eine exakte Diagnose (prospektive Aufzeichnung der Symptome über mindestens 2 Menstruationszyklen) ist eminent wichtig. Komorbiditäten sind häufig. Differenzialdiagnosen müssen ausgeschlossen werden. Erste Therapieansätze sind Aufklärung und Lebensstilanpassungen. Mit diesen relativ einfachen Massnahmen können die Symptome bei den meisten Adoleszentinnen so weit reduziert werden, dass das PMS dann keinen Krankheitswert mehr hat. Wenn diese Massnahmen nicht genügen, können weitere therapeutische Möglichkeiten eingesetzt werden. Je nach individueller Symptomatik und anderen Bedürfnissen sind das: die Pille (Ethinylestradiol und Drosperinon), Kalziumkarbonat, Mönchspfeffer, kognitive Verhaltenstherapie oder Lichttherapie (psychische Symptome). Falls damit immer noch keine Besserung erreicht wird, kann Fluoxetin gegeben werden, jedoch nur unter psychiatrischer Beglei-
tung. GnRH-Analoga sollten während
der Adoleszenz möglichst nicht als Lang-
zeittherapie gegeben werden, da sie
eine ungünstige Wirkung auf die Kno-
chendichte haben.
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PD Dr. med. Dorothea Wunder-Galié Médecin-chef Unité de Médecine de Reproduction et Endocrinologie Gynécologique Maternité, CHUV Avenue Pierre-Decker 2 1011 Lausanne E-Mail: dorothea.wunder-galie@chuv.ch
Interessenkonflikte: keine
Quellen:
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