Transkript
SCHWERPUNKT
GYNEA
«Meine Mens: zu häufig, zu stark!»
Blutungsstörungen im jugendlichen Alter
Blutungsstörungen in der Adoleszenz sind ein häufiges Phänomen und betreffen mehr als ein Drittel der Konsultationen nach der Menarche. Häufig sind sie Folge einer Durchgangsphase innerhalb des Normbereichs im Rahmen der noch instabilen endokrinen Achse. Sie können aber auch Folge einer relevanten endokrinen oder organischen Störung sein, die erkannt und entsprechend behandelt werden sollte.
RUTH DRATHS
Das erste und wichtigste Instrument zur Erfassung einer Blutungsstörung ist eine detaillierte Anamnese. Dabei geht es darum, die Menstruationsblutung in ihrer Stärke, Dauer und Häufigkeit zu erfassen, was insbesondere für Jugendliche schwierig ist, da die Auseinandersetzung mit der Periodenblutung noch neu ist. Hilfreich bei allen Formen der Blutungsstörungen ist das Führen eines Menstruationskalenders.
Juvenile Dauerblutung
Die juvenile Dauerblutung ist eine azyklische Blutung. Sie entspricht einer Durchbruchsblutung bei anovulatorischem Zyklus. Die Blutung kann so stark werden, dass sie ohne Intervention lebensbedrohliche Ausmasse annehmen kann. Wichtig ist, dass Gestagene allein nicht ausreichen, da das Endometrium weitgehend abgestossen ist. Daher ist immer eine Östrogensubstitution nötig. Die Ursache der Anovulation liegt meist in der noch unreifen hypothalamo-hypophysären Achse, welche zu einer insuffizienten Ausschüttung von GnRH und LH und damit zur insuffizienten Ovarialfunktion mit gestörter Follikelreifung und fehlender Corpus-Luteum-Bildung führt. Hinter der Anovulation können aber auch eine Essstörung, extreme sportliche Aktivität, ein Androgenexzess oder eine andere endokrine Erkrankung stecken. Differenzialdiagnostisch sind ein Frühabort, eine Neoplasie, Entzündungen sowie hämatologische Erkrankungen einzubeziehen.
Therapieempfehlungen Therapieziel ist der rasche Blutungsstopp, der mit Östrogenen erreicht wird. Heute wird die Gabe von Ethinylestradiol (EE) empfohlen, meist in Form von oralen Kontrazeptiva. Bei milder oder moderater Anämie wird mindestens 30 µg EE, allenfalls 50 µg EE, einmal täglich eingenommen. Bei schwerer Anämie oder anhaltender Blutung wird über 3 bis 6 Tage ein
30 µg-EE-Präparat alle sechs Stunden verabreicht, dann die Dosis langsam reduziert, aber während mindestens eines Monats fortgeführt. Anschliessend soll eine Rezidivprophylaxe mit oralen Kontrazeptiva (OC) über 3 Monate erfolgen. Alternativ zur Behandlung mit OC kann 10 mg Estradiolvalerat i.m. und anschliessend Primosiston® über 20 Tage gegeben werden. Zur Rezidivprophylaxe eignet sich auch ein Gestagen in der zweiten Zyklushälfte oder Cyclacur® über 3 bis 6 Monate.
Polymenorrhö
Die Polymenorrhö ist definiert als eine zu häufige Blutung, die Blutungsabstände betragen weniger als 24 Tage. Davon zu unterscheiden ist eine Ovulationsblutung bei sonst genügendem Periodenabstand. Diese zeigt sich in einer kurzen, schwachen, meist nur eintägigen mittzyklischen Schmierblutung. Ein regelmässig geführter Menstruationskalender kann darüber Klarheit schaffen. Die Polymenorrhö ist während der Pubertät häufig und meist Ausdruck einer verkürzten Follikelreifungsphase, einer verkürzten Lutealphase oder von anovulatorischen Zyklen. Zur Diagnose reichen meist die Anamnese und der Menstruationskalender aus.
Therapieempfehlungen Eine Therapie der Polymenorrhö sollte erwogen werden, wenn sie anämisierend ist oder das Lebensgefühl der Adoleszenten einschränkt. An therapeutischen Alternativen stehen je nach Ätiologie eine Progesteronsubstitution in der zweiten Zyklusphase (bei Corpus-Luteum-Insuffizienz), eine Östrogen-GestagenKombination (Primosiston) oder eine komplette Substitution mit zyklischer Östrogen-Gestagen-Kombination zur Verfügung. Bei Kontrazeptionsbedarf ist die Wahl einer oralen Kontrazeption indiziert. Handelt es sich um eine Mittelblutung, die ihre Ursache im periovulatorischen Östrogenabfall hat, emp-
10 GYNÄKOLOGIE 4/2009
SCHWERPUNKT
GYNEA
fiehlt sich die Substitution mit 1 bis 2 mg Östradiol vom 10. bis 16. Zyklustag.
Menorrhagie und Hypermenorrhö
Definiert wird die Menorrhagie als Gesamtblutverlust von > 80 ml pro Menstruation, gemittelt über mehrere Monate. Diese betrifft zirka 30% der Frauen im reproduktiven Alter. Diese Angaben sind in der Praxis aber wenig hilfreich. Daher wurde versucht, den Blutverlust durch die Anamnese zu schätzen. Es ist wichtig, nach der Menstruationsdauer, -stärke und -häufigkeit zu fragen, aber auch nach der Anwendung von Binden und Tampons. Bei der Notwendigkeit von einem ein- bis zweistündlichen Wechsel derselben an mehr als zwei Tagen pro Zyklus sowie einem nächtlichen Wechsel kann von einer Hypermenorrhö ausgegangen werden, sofern das Blutungsmuster über mehrere Zyklen besteht. Als weiteres Kriterium gilt der Abgang von Blutkoagula.
Ätiologie An erster Stelle steht bei Adoleszenten die physiologische Unreife der Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse mit Anovulation, Follikelpersistenz und CorpusLuteum-Insuffizienz. Dabei spielt der Prostaglandinhaushalt eine entscheidende Rolle. Während PGF2α zur Vasokonstriktion führt, wirken PGE2 sowie PGI2 gerinnungshemmend und vasodilatatorisch, was zu einem vermehrten Blutverlust während der Menstruation führt. Die erhöhte lokale Prostaglandinsekretion wird durch das Progesterondefizit und die konstante Östrogeneinwirkung begünstigt. So werden bei Frauen mit Menorrhagie höhere Prostazyklinspiegel und erhöhte PGE2-Spiegel im Vergleich zu PGF2α gefunden. In diesem Zusammenhang steht die günstige therapeutische Wirkung der Cyclooxygenasehemmer.
Diagnostik Differenzialdiagnostisch muss bei Jugendlichen eine Uterusanomalie, eine endokrine Störung und eine hämorrhagische Diathese einbezogen werden. Eine hämatologische Störung liegt bei zirka 2% der Bevölkerung vor, bei Frauen mit Menorrhagie aber in 10 bis 20% und bei Adoles-
Tabelle 1:
Fragebogen zur Evaluierung einer erhöhten Blutungsneigung bei Hypermenorrhö/Menorrhagie
(Deutsche Hämophilie Gesellschaft)
Menstruationsdauer länger als 7 Tage Tamponwechsel mehr als viermal täglich Häufiges Nasenbluten Zahnfleischblutung oder Blutungen der Mundschleimhaut Häufige blaue Flecken/Hämatome bei Bagatellverletzungen Impfhämatome Starke Blutung nach Zahneingriffen/Operationen/Geburten Bluttransfusionen in Anamnese Verlängerte Blutung nach Schnittverletzung Verwandte mit bekannter Blutungsneigung
? ? ? ? ? ? ? ? ? ?
zenten mit Menorrhagie noch häufiger. Dabei spielt die Von-Willebrand-Erkrankung (ca. 1% der Bevölkerung) die wichtigste Rolle, daneben Plättchenfunktionsstörungen und Thrombozytopenien. Entsprechende Hinweise sind aus der Anamnese erfragbar (vgl. Liste in Tabelle 1). In vielen Fällen ist aber die Menorrhagie der einzige Hinweis auf die Blutungsstörung. Die Abklärung im Labor ist nicht einfach, da der Von-Willebrand-Faktor von hormonellen Schwankungen beeinflusst wird (Schwankungen im Zyklus, Veränderungen unter oraler Kontrazeption sowie in der Schwangerschaft) und bei milden Formen mit normalen Gerinnungsparametern einhergehen kann. Als verlässlichster Labortest bei der Suche nach der Von-Willebrand-Erkrankung hat sich die Bestimmung des Kofaktors Ristocetin ergeben. Weiter soll die Labordiagnostik Auskunft geben über eine allfällige Anämie, die Thrombozytenzahl und -funktion sowie über die Blutungszeit und Gerinnungsparameter (TPZ, aPTT), welche aber erst bei einer Erniedrigung um > 60% pathologisch erscheinen. Die Von-Willebrand-Erkrankung (benannt nach ihrem Erstbeschreiber, dem finnischen Arzt Erik Adolf von Willebrand) führt zu vermehrten Blutungen aufgrund einer Insuffizienz oder eines Fehlens des Von-Willebrand-Faktors (VWF). Die erste beschriebene Patientin war ein 13-jähriges Mädchen, das an der Menorrhagie verstorben ist. Der VWF wird aus Speicherbläschen vom Endothel freigesetzt und erfüllt mehrere Funktionen im Gerinnungssystem, darunter die Stabilisierung des Faktors VIII im Blut, die Bindung der
Thrombozyten an Endothel und Kollagen sowie die Plättchenadhäsion. Durch diese vielseitige Funktion ist die Erkrankung unterschiedlich ausgeprägt und die Diagnostik komplex. Für die Praxis empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Bei Menorrhagie und Hypermenorrhö sind ein kleines Blutbild sowie eine Basisdiagnostik Gerinnung zu erheben (Quick-Wert, aPTT, Thrombozytenzahl). ■ Sind die Gerinnungswerte normal, ist
eine Diathese unwahrscheinlich. In diesem Fall kann die Eisensubstitution, eine Behandlung mit NSAID perimenstruell und/oder, bei Kontrazeptionsbedarf, eine hormonelle Kontrazeption erfolgen. Bei fehlendem Erfolg ist eine Gerinnungsabklärung indiziert. ■ Bei pathologischen Gerinnungswerten oder Anämie und positiver Blutungsanamnese kann die Blutungszeit (PFA-Test) im Speziallabor eruiert werden. Bei pathologischen Werten ist eine VWF-Diagnostik im Speziallabor indiziert.
Therapieempfehlungen Die Therapie der Menorrhagie umfasst die Eisensubstitution, die Reduktion des Blutverlustes durch Tranexamsäure (Cyclokapron®), die Gabe eines NSAID als Cyclooxygenase-Inhibitor (Mefenaminsäure oder Ibuprofen) oder eine hormonelle Therapie. NSAID reduzieren die endometrialen Prostaglandine, erhöhen die uterine Vasokonstriktion und verstärken Plättchenaggregation und Degranulation. Sie sollten zu Beginn der
12 GYNÄKOLOGIE 4/2009
SCHWERPUNKT
GYNEA
Tabelle 2:
Medikamentöse Therapie der Menorrhagie
1. Eisensubstitution 2. Hemmung der Cyclooxygenase mit NSAID:
(Mefenaminsäure 3 x 500 mg; erste Menstruationstage), andere NSAID (Ibuprofen): Verringerung der Blutung um ca. 30% (1) 3. Antifibrinolytikum Tranexamsäure: (3 x 1,5 mg/Tag für erste 3 Menstruationstage) 4. Gestagene: (zyklisch, kontinuierlich, Depotpräparate, lokal/Mirena) 5. Kombinierte hormonale Kontrazeption: (wenig Studien, klare Besserung, günstig im Langzyklus, auch Patch oder Ring)
Menstruationsblutung für 3 bis 5 Tage eingesetzt werden. An möglichen hormonellen Therapien stehen eine reine Gestagengabe (z.B. MPA zweite Zyklushälfte oder kontinuierlich), ein kombiniertes Östrogen-Gestagen-Präparat oder, bei Kontrazeptionswunsch, die oralen Kontrazeptiva zur Verfügung. Eine weitere Möglichkeit ist die Einlage einer Hormonspirale, die jedoch bei Jugendlichen nicht an erster Stelle der Therapie steht. Ebenso bleibt die Gabe von Depot-MPA (Depot-Provera®) bei Jugendlichen für spezielle Indikationen vorbehalten (wegen der Verringerung der Knochendichte als Begleitwirkung). Bei Patientinnen mit Blutungsstörungen (z.B. der Von-Willebrand-Erkrankung) hat sich zusätzlich zur oralen Kontrazeption die Gabe von Desmopressin (z.B. als intranasale Applikation) für die Zeit der Menstruation bewährt und zeigt in über 90% Erfolg. Antifibrinolytika (Tranexamsäure in einer Dosierung von 4 x 1 g/Tag ab Menstrua-
tionsbeginn für 4 bis 5 Tage) reduzieren die Blutungsstärke um 50% und sind der Gabe von Gestagen oder von NSAID überlegen. Orale Kontrazeptiva reduzieren den Blutfluss in zirka 73%, es existiert dazu aber nur eine kontrollierte Studie. Über die Wirkung von Patch und Ring bei Menorrhagie liegen keine kontrollierten Studien vor, gemäss Beobachtungen weist der Ring bei normaler Menstruation eine sehr gute Zykluskontrolle auf. Der Langzyklus von OC, Ring oder Patch führt zur Reduktion des Blutverlustes sowie der Anzahl Blutungen pro Jahr. Diese Therapie steht damit an erster Stelle für Frauen mit Kontrazeptionswunsch und Menorrhagie bei Fehlen von Kontraindikationen. Eine gute Alternative ist auch die Einlage des Intrauterinpessars (Mirena®) (vgl. Tabelle 2).
Zusammenfassung
Blutungsstörungen in der Adoleszenz sind häufig und können für die Betroffenen sehr belastend sein. Das wichtigste
diagnostische Instrument sind die sorg-
fältige Anamnese und der Blutungska-
lender. Je nach Blutungsstörung und Ur-
sache sind weitere Abklärungen sinnvoll.
Menorrhagie und Hypermenorrhö kön-
nen auf eine hämorrhagische Diathese
hinweisen und sollen sorgfältig abgeklärt
werden. In der Behandlung der Blu-
tungsstörungen spielt die hormonelle
Regulation eine wichtige Rolle.
■
Dr. med. Ruth Draths Leitung firstlove-Projekt und Kinder-/Jugendgynäkologie Kantonsspital Luzern E-Mail: ruth.draths@ksl.ch
www.firstlove.ch
Quellen:
* Strickland J.: Dysfunctional Uterine Bleeding in Adolescents; J Pediatr Adolesc Gynecol 2006; 19(1): 49–51.
* Nelson A.: Medical Therapies for Chronic Menorrhagia; Obstetrical & Gynecological Survey. 2007; 62: 272–281.
* Sanfilippo J.: Adoescent Gynecology. Obstet Gynecol 2009; 113: 935–47.
* Scheidel P. et al.: Die primäre Therapie der Menorrhagie; frauenheilkunde-aktuell 2000; 39: 233–242.
* Dietrich J. et al.: Von Willebrand's Disease J Pediatr Adolesc Gynecol 2007; 20: 153–155.
* Kulp JL.: Screening for Coagulation Disorders in Adolescents with Abnormal Uterine Bleeding; J.Pediatr Adolesc Gynecol 2008; 21: 27–30.
* Shankar M.: Von Willebrand Disease in Women with Menorrhagia. BJOG 2004; 111(7): 734–40.
* Philipp CS et al.: Age and the Prevalence of Bleeding Disorders in Women With Menorrhagia; Obstet Gynecol 2005; 105(1): 61–66.
* El-Hemaidi I. et al.: Menorrhagia and Bleeding Disorders: Curr Opin Obstet Gynecol 2007; 19: 513–520.
* Kadir R. et al.: Frequency of Inherited Bleeding Disorders in Women with Menorrhagia; Lancet 1998; 351: 485–89.
* ACOG Commitee: Von Willlebrand’s Disease in Gynecologic Practice Obstet. Gynecol 2001; 98: 1185–1186.
* Quint E. et al.: Menorrhagia in a Teenager; J Pediatr Adolesc Gynecol 2004; 17: 61–64.
* James A et al.: Testing for von Willebrand Disease in Women with Menorrhagia: Obstet. Gynecol 2004; 104 (2): 381–88.