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EDITORIAL
O ft besteht noch die Befürchtung, die hormonale Kontrazeption werde für Jugendliche zum Freipass für emotionslose verfrühte sexuelle Aktivität. Neuere Untersuchungen zeigen das Gegenteil: Jugendliche benutzen beim ersten Geschlechtsverkehr weitaus häufiger Kondome. Dies ist vor allem auf die bei uns gut verankerte HIV-Prävention zurückzuführen sowie auf die immer besser greifenden Aufklärungsinfos zu weiteren STI (v.a. Hepatitis, Chlamydien-, HPV-Infekte). Ein weiterer Grund ist, dass der Zugang zu hormonalen Kontrazeptiva an einen Arztbesuch gebunden ist. Der Schritt zum Gynäkologen findet heute im Durchschnitt erst 1 bis 2 Jahre nach dem ersten Geschlechtsverkehr statt.
Offene Aufklärung ist wesentlich Erinnern wir uns daran, dass es in erster Linie die offene Aufklärung zum Thema Sexualität ist, die dazu beiträgt,
Kontrazeptiva: Freipass für Jugendliche?
das «erste Mal» hinauszuzögern. Ein erschwerter Zugang zur hormonalen Kontrazeption übt darauf nur einen geringen Einfluss aus (erhöht aber das Risiko einer unerwünschten Schwangerschaft). Und dennoch: Seit der Einführung der hormonalen Kontrazeption, deren Auswahlpalette immer grösser und besser wird, ist die Zahl der Geburten, aber auch der Schwangerschaftsabbrüche signifikant zurückgegangen – gerade auch bei Adoleszentinnen. Dass die hormonale Kontrazeption ein Medikament und nicht ein Lifestyle-Additivum ist, wird dem Laienpublikum durch aktuelle Medienberichte bitter ins Gedächtnis gerufen. Indikationen und Kontraindikationen müssen auch den jungen Patientinnen bekannt sein. Deshalb steht die Erhebung der persönlichen und der familiären Anamnese an oberster Stelle, wenn es um Entscheidungsfindung geht.
Therapeutische Wirkungen im Blick Gerade die Anamnese ist es auch, aus der sich die Indikationen für den therapeutischen Einsatz der Kontrazeptiva ableiten. Zu betonen ist, dass es nicht nur negative Nebenwirkungen und Risiken (z.B. thromboembolische) gibt, sondern auch positive Begleiteffekte – die therapeutischen Indikationen: Die Wirksamkeit auf die Zyklusregulation ist «evidence based». Wenn wir bedenken, dass 40% der Jugendlichen an Dysmenorrhö leiden und diese oft regel-
mässige Schulabsenzen zur Folge hat, ist dies von bedeutendem Interesse (siehe hierzu den Beitrag von R. Draths). Akne mit oder ohne belegtes Hyperandrogen- oder PCO-Syndrom gehört klar zum therapeutischen Spektrum der hormonalen Kontrazeption. Diese hilft den Betroffenen häufig, dass es nicht zur schweren psychosozialen Beeinträchtigung kommt. Aber auch bei Endometriose, deren Relevanz bei Adoleszentinnen noch oft unterschätzt wird, kann der hormonale Ansatz eine Chance für die reproduktive Gesundheit darstellen (s. Beitrag von S.G. Merki). Beim prämenstruellen Syndrom (PMS) führen oft bereits Informationen über Ätiologie und mögliche Selbsthilfe zu einer Linderung, welche wenn nötig durch nichthormonale Therapeutika weiter verstärkt wird. Beim PMS gilt: Nicht alle Kontrazeptiva haben eine positive Wirkung. Sie müssen vielmehr aufgrund ihrer hormonellen Zusammensetzung gezielt eingesetzt werden, beispielsweise in Langzyklen mit induzierter Amenorrhö (sofern gleichzeitig Dysmenorrhö besteht) oder durch die Wahl des Gestagens Drospirenon, wenn Stimmungsschwankung und Wassereinlagerung im Vordergrund stehen (s. Beitrag G. Wunder). Der «informed consent» nach der Beratung, bei der auch die individuelle Urteilsfähigkeit der Adoleszentinnen zu beurteilen ist, spielt eine entscheidende Rolle. Eine sorgfältige Dokumentation ist deshalb bei der Verordnung eines Kontrazeptivums (bzw. einer Alternative) zur Indikation Verhütung wie auch zur Indikation Therapie unabdingbar.
Dr. med. Saira-Christine Renteria Präsidentin GYNEA
Département de Gynécologie et Obstétrique Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV)
1011 Lausanne
GYNÄKOLOGIE 4/2009
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