Transkript
EDITORIAL
D ie Altersstruktur unserer Gesellschaft ändert sich rasant: Waren im Jahr 1900 gerade 5 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre, sind es hundert Jahre knapp 16 Prozent – Tendenz, und zwar ganz besonders bei den Frauen, stark steigend. Wir Gynäkologen werden folglich zunehmend mit der Gruppe «älterer» bis sehr alter Patientinnen konfrontiert.
Benötigt: altersadaptierte Therapien Viele der heutigen Therapieansätze beziehen aber genau diese Bevölkerungsgruppe nicht (genügend) ein. Schon bei der Definition des Seniums als Fachbegriff entstehen Verständnisprobleme, ist doch der Beginn dieser Altersphase individuell sehr unterschiedlich. Je nach kulturellem Hintergrund und Fachdisziplin wird der Zeitpunkt zwischen 60. und 80. Lebensjahr gesetzt. Durch die allgemein verbesserte Ernährung und Lebensqualität erreichen viele Senioren heute das 80. Lebensjahr in einem recht leistungsfähigen Zustand. Dennoch: Polymorbidität und Polymedikation als Charakte-
Das Senium – neue Herausforderung der Gynäkologie
ristikum des Seniums sind Aspekte, die beachtet werden müssen. Die Medizin ist entsprechend zu adaptieren.
Lebensqualität: individuelle HRT-Indikation im Auge Bevor die Frauen das Senium erreichen, spielt die Phase der Menopause eine sehr wichtige Rolle. Das mittlere natürliche Menopausenalter in den westlichen Ländern liegt bei 51 Jahren, sodass die Zeitspanne bis zum Senium lange ist. In den letzten Jahren wurde die Hormonersatztherapie zum Teil unkritisch beurteilt. In ihrer Reflexion über ihre Anwendung und mögliche Alternativen zeigen Frau PD Dr. med. Petra Stute und Prof. Michael von Wolff, dass eine individuell adaptierte Hormonersatztherapie die Lebensqualität der Frauen in der Postmenopause verbessern kann.
Senkungen und Inkontinenz: Sexualität thematisieren Gynäkologische Probleme bei älteren Frauen können Beckenbodenprobleme (mit Senkungen und Inkontinenz) oder Karzinom bei gleichzeitiger Polymorbidität beinhalten. Bei Deszensusbeschwerden sind Lebensqualität und Sexualität stark beeinträchtigt. In ihrer Übersichtsarbeit zeigt Frau Dr. med. Sonja Brandner auf, welche Kriterien zur Operationstechnik bei der Deszensuschirurgie beachtet werden müssen. Heutzutage ist die Sexualität der Frauen ein wichtiges Thema, so dass auf diesen Teil präoperativ einzugehen ist, auch wenn die Kolpokleisis immer noch eine valable Option ist. Die Urininkontinenz ist ein häufiges Problem im ho-
hen Alter, muss jedoch kein Schicksal sein. Frau Dr. med. Annette Kuhn zeigt, dass sowohl konservative wie operative Verfahren unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Situation angewendet werden können.
Brustkrebs im Alter: kurativen Ansatz nie fallen lassen Nahezu die Hälfte der Frauen mit einem Mammakarzinom ist älter als 65-jährig. Durch die gestiegene Lebenserwartung und verbesserte medizinische Versorgung bedürfen diese Patientinnen einer besonderen Diagnostik und adaptierten Therapie. PD Dr. med. Andreas Günthert fasst die aktuelle Datenlage bei dieser Gruppe zusammen und zeigt, dass es essenziell und medizinisch sinnvoll ist, auch betagte Frauen optimal zu behandeln und nicht den Vorwand des hohen Alters zu nehmen, um den kurativen Ansatz fallen zu lassen.
Endometriumkrebs: minimalinvasive Techniken sind möglich Parallel zur Alterung der Bevölkerung wurde in den letzten 20 Jahren Übergewicht ein zunehmendes sozioökonomisches und medizinisches Problem. Eine Folge: Das Endometriumkarzinom, häufigster genitaler Tumor der Frau, nimmt immer mehr zu. In ihrer Übersicht beschreibt Frau Dr. med. Silke Johann die aktuellen Therapieansätze beim Endometriumkarzinom im fortgeschrittenen Alter und weist vor allem darauf hin, dass dank der minimalinvasiven Chirurgie die Patientinnen heutzutage adäquat operiert werden können. Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe der «Gynäkologie» haben sich auf die praxisrelevanten Aspekte in ihren Beiträgen konzentriert – immer in der Absicht, für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen Behandlung und Beratung bei ihren älteren Patientinnen zu erleichtern.
Prof. Dr. med. Michael D. Mueller Ko-Direktor und Ordinarius
Chefarzt Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital Bern
GYNÄKOLOGIE 3/2009
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