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EDITORIAL
S eit Jahresanfang empfiehlt das BAG, auf das generelle Toxoplasmose-Screening in der Schwangerenvorsorge zu verzichten. Grund: Primärinfektionen in der Schwangerschaft sind selten, die Übertragung der Mutter auf das Kind noch seltener, die Infektion des Kindes nochmals seltener – und vor allem Bluttests und Behandlung der Mutter nicht mit Sicherheit effektiv. Das Screening beunruhige die Schwangere, sobald sie nach ihrem ersten Vorsorgetermin von dem Befund «seronegativ» erfährt. Ängste verspürt sie mit Sicherheit, wenn bei einer weiteren Untersuchung der Antikörpertest positiv wird und sich Fragen nach weiteren Abklärungen, Therapie und Folgeentscheidungen stellen. Die neue Empfehlung in der Schweiz: auf die Primärprävention setzen, sprich Aufklärung der Frauen über Hygienemassnahmen in der Küche und Überprüfung der Essgewohnheiten. Zwei Artikel in dieser Ausgabe beschreiben Details.
Toxoplasmose, Zytomegalie, Syphilis:
Screenen, behandeln oder nicht?
Wird man bei CMV behandeln können? Ähnlich verhält sich die Situation bei Zytomegalievirus(CMV-)Infektionen. Die meisten Geburtshelfer in der Schweiz nehmen aus den gleichen Gründen kein generelles CMV-Screening der Schwangeren vor. Die Expositionsprophylaxe durch hygienische Massnahmen scheint zurzeit – theoretisch – die einzige Schutzmöglichkeit zu sein, aber praktisch ist sie wegen der verschiedenartigen Übertragungswege (Tröpfchen-/ Schmierinfektion, Genitalsekrete, Speichel) kaum möglich. Und doch kommen Botschaften aus Deutschland, wo ein Algorithmus zum CMV-Screening in der Schwangerschaft aufgestellt wurde. An der L.-MaximilianUniversitäts-Klinik in München beginnt eine prospektiv randomisierte Studie mit 25 000 Frauen, das engmaschige CMV-Screening und die vielversprechenden Therapieresultate von CMV-Hyperimmunglobulin bei serokonvertierten Schwangeren zu untersuchen. Julia Jückstock aus München erläutert Hintergründe in ihrem Beitrag.
Wird Syphilis bei uns nicht bald zu teuer? Zahlenmässig gar nicht mehr selten ist bei uns inzwischen wieder die Syphilis – wurden doch im letzten Jahr mit fast 780 die höchsten Fallzahlen gemeldet, bedingt durch Migration und Fernreisen. Die Geschlechtskrankheit mit schwersten Folgen darf nicht länger bagatellisiert werden, wie der Venerologe und Dermatologe Stephan Lautenschlager aus Zürich betont. Entsprechend ist in der Schwangerenvorsorge
das Risiko der elterlichen Übertragung auf das Kind zu beachten: Bei mütterlicher Frühsyphilis (wegen kaum auffallender Symptome meist unerkannt) ist die Rate vertikaler Übertragungen sehr hoch, die Infektionsgefahr des ungeborenen Kindes liegt bei quasi 100 Prozent. Lautenschlager schätzt, dass ein generelles Screening in der Schwangerschaft vor dem Hintergrund der enormen Gesundheitskosten eines infizierten Kindes wahrscheinlich kosteneffektiv ist. Österreich beispielsweise hat sich aus genau diesem Grund für das generelle Screening entschieden.
Was tun die Nachbarn? Der Blick in die Nachbarländer sei erlaubt. Während die offiziellen Empfehlungen in Deutschland derzeit ebenfalls vom Toxoplasmose-Screening abraten, befürworten die offiziellen österreichischen, französischen und italienischen Richtlinien eindeutig das generelle Screening, und zwar gleich an mehreren Terminen, in ein- bis dreimonatigen Abständen. Auch diese Länder besitzen keine andere Behandlungsmöglichkeit! Wie effektiv die CMV-Behandlung bei Schwangeren wirklich ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen – und dies wird Auswirkungen auf Überlegungen zum Screening haben. Bezüglich Syphilis scheint sich die Screeningempfehlung geradezu aufzudrängen. Warum sollten die Empfehlungen in Österreich und darüber hinaus länderübergreifend jene der Internationalen Union gegen STI (IUSTI), breit unterstützt von der WHO, denn nicht für die Schweiz gelten? Bleibt nicht der Entscheid für oder gegen einen dieser Screeningtests weithin dem Ermessen des Geburtshelfers überlassen – oder vielleicht einer Mentalität respektive der Einstellung und dem Geldbeutel einer jungen Familie?
Bärbel Hirrle (Redaktion)
GYNÄKOLOGIE 2/2009
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