Metainformationen


Titel
Syphilis in der Schweiz
Untertitel
Wird ein Screening bei Schwangeren sinnvoll?
Lead
Sexuell übertragene Infektionen, darunter gerade die Syphilis, nehmen in Westeuropa einschliesslich der Schweiz seit Mitte der Neunzigerjahre zu. Gynäkologisch tätige Ärzte sollten mit Infektionen, Risikofaktoren und Konsequenzen vertraut sein, gerade weil diese Infektionen bei Frauen oftmals verkannt werden. In der Geburtshilfe könnten durch die hohen vertikalen Übertragungsraten neue Richtlinien zur Prävention einer Lues connata beim Kind sinnvoll werden.
Datum
Autoren
-
Rubrik
SCHWERPUNKT
Schlagworte
Artikel-ID
2298
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/2298
Download

Transkript


SCHWERPUNKT

Syphilis in der Schweiz
Wird ein Screening bei Schwangeren sinnvoll?
Sexuell übertragene Infektionen, darunter gerade die Syphilis, nehmen in Westeuropa einschliesslich der Schweiz seit Mitte der Neunzigerjahre zu. Gynäkologisch tätige Ärzte sollten mit Infektionen, Risikofaktoren und Konsequenzen vertraut sein, gerade weil diese Infektionen bei Frauen oftmals verkannt werden. In der Geburtshilfe könnten durch die hohen vertikalen Übertragungsraten neue Richtlinien zur Prävention einer Lues connata beim Kind sinnvoll werden.

PD Dr. med. Stephan Lautenschlager Chefarzt, Dermatologisches Ambulatorium
Stadtspital Triemli, Zürich
Gynäkologie: Herr Dr. Lautenschlager, wie sehen Sie zurzeit die Häufigkeit von Lues respektive Syphilis in der Schweiz? Ist die Situation bei uns gefährlich? PD Dr. med. Lautenschlager: Von einer gefährlichen Situation kann grundsätzlich nicht gesprochen werden, jedoch wäre es fahrlässig, die Syphilis mit ihren vielfältigen klinischen Erscheinungsbildern und zahlreichen Komplikationen – nicht zuletzt die Lues connata – zu bagatellisieren oder bei uns zu ignorieren. Gerade bei Frauen wird die Diagnose meist aufgrund der Hautbefunde mehrheitlich erst im sekundären Stadium gestellt. Das primäre Ulkus wird infolge atypischer Morphologie, Symptomatik oder Lokalisation sehr oft übersehen. Nachdem die Lues connata in der ehemaligen Sowjetunion zwischen 1991 und 1999 einen Anstieg um das 26-Fache (!) er-
“ Gerade bei Frauen wird die Diagnose mehrheitlich erst im sekundären ”Stadium gestellt.
fahren hat, zeichnet sich verzögert ein ähnliches Phänomen für Westeuropa ab. Beispielsweise wurden im Jahr 2005 in Grossbritannien 36 infizierte Kinder gemeldet. Bei uns musste Anfang dieses Jahres bei einem Neugeborenen eine Frühform einer konnatalen Syphilis diagnostiziert werden.

Was ist bekannt über die derzeit hauptsächlichen Übertragungswege? Lautenschlager: Seit Wiedereinführung der Labormeldepflicht für Syphilis in der Schweiz im Jahr 2006 registrierte das Bundesamt für Gesundheit im Jahr 2008 mit 764 Fällen die höchste Zahl der letzten Jahre. Mehrheitlich (zu 70%) sind Männer betroffen; überwiegend solche mit gleichgeschlechtlichen Partnern. Da ein Teil dieser Männer sich trotz Sex mit Männern als heterosexuell versteht, wird zunehmend von infizierten Frauen («heterosexual bridging») und infizierten heterosexuellen Männern berichtet, was wir trendmässig bei uns im Ambulatorium bestätigen können. Weiterhin werden die Übertragungsrisiken in der Bevölkerung falsch eingeschätzt. Einerseits besteht ein
Das BAG meldete 2008 mit 764 Neuerkrankungen die höchste
“Fallzahl der letzten Jahre. ”durchschnittliches Risiko einer Übertragung von
30% pro ungeschützten Geschlechtsverkehr während einer Frühsyphilis. Andererseits sind auch extragenitale Primäraffekte sowie erosive Syphilide des Sekundärstadiums infektiös, weshalb es nicht selten durch ungeschützten Oralsex zur Infektion kommen kann.
Wie hoch ist das Übertragungsrisiko bei infizierten Schwangeren, und wie hoch ist das Risiko der Kinder im Mutterleib, an Lues zu erkranken? Lautenschlager: Die Übertragungsrate während einer Schwangerschaft auf das ungeborene Kind beträgt durchschnittlich 60 bis 70%, sie ist jedoch stark abhängig vom Krankheitsstadium. Während eine Frühsyphilis (primäres oder sekundäres Stadium) in bis zu 100% zur Infektion des Feten führt, wird das Kind bei einer spätlatenten Syphilis der Mutter nur noch zu etwa 10% angesteckt. Neben einer erhöhten Abort- und Totgeburtrate kommt es im Rahmen der

16 GYNÄKOLOGIE 2/2009

SCHWERPUNKT

Lues connata zu vermehrten Früh- und Mangelgeburten. Wenn das Kind überlebt, entwickeln sich im Verlauf der Kindheit Stigmata der Lues connata – mit typischen Ausprägungsformen je nach Manifestation vor oder nach dem zweiten Lebensjahr.
In welchen Ländern gibt es bereits ein Screeningprogramm für Lues? Halten Sie dies in der Schweiz für sinnvoll? Lautenschlager: Die existierenden Guidelines in Europa und Übersee empfehlen die Bestimmung der mütterlichen Antikörper in der Schwangerschaft; je nach Prävalenz des Landes und dem Risiko der Frau sind Zeitpunkt und Häufigkeit des Screenings entsprechend zu wählen. Beispielsweise empfehlen die Centers for Disease Control für die USA grundsätzlich eine Untersuchung bei allen Frauen im ersten Schwangerschaftstrimester sowie bei erhöhtem Risiko zusätzlich zwischen 28. und 32. Schwangerschaftswoche. Ähnlich sind die Empfehlungen der IUSTI (International Union Against Sexually Trans-

mitted Infections) in Europa sowie speziell die österreichischen Richtlinien. In Russland werden sogar drei Untersuchungen empfohlen (1. Trimester, SSW 21 und 36). Die Kosteneffizienz eines Screenings ist bis zu einer Prävalenz von 0,05 bis 0,07% in mehreren Ländern nachgewiesen worden, dies betrifft beispielsweise Grossbritannien, Norwegen, die USA und Australien. Da die Prävalenz der Syphilis bei Frauen im gebärfähigen Alter in der
“Warum sollten die
europäischen Empfehlungen
nicht auch für die Schweiz
”ihre Richtigkeit haben?
Schweiz nicht bekannt ist, kann bezüglich Kosteneffizienz eines Screenings keine Aussage gemacht werden. Es muss jedoch beachtet werden, dass das LuesScreening relativ günstig ist und die Kosten für ein betroffenes Kind schnell Hunderttausende von Franken ausmachen können.

Welche Empfehlung geben Sie derzeit Gynäkologen in der Praxis bezüglich Prävention der konnatalen Lues? Lautenschlager: Da die Prävalenz der Syphilis in den letzten Jahren auch in der Schweiz angestiegen ist und die Lues connata in Westeuropa ebenfalls zunimmt (speziell in Grossbritannien und Italien), müssen wir mit diesem Trend auch in der Schweiz rechnen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die europäischen IUSTI-Empfehlungen nicht auch für die Schweiz ihre Richtigkeit haben sollten. Folglich sollte bei allen Schwangeren im ersten Trimenon eine serologische Abklärung (z.B. TPPA oder äquivalenter ELISA-Test) erfolgen. Eine Wiederholung im dritten Trimenon muss in speziellen Risikosituationen erwogen werden.

Herr Dr. Lautenschlager, herzlichen Dank

für das Interview!

GYNÄKOLOGIE 2/2009

17