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SCHWERPUNKT
Psychische Erkrankungen in der Menopause
Depressive Störungen und Psychosen
Viele Frauen leiden in der Perimenopause an einer Verschlechterung ihres psychischen Befindens mit erhöhter Stimmungslabilität. Auch schwere Depressionen und sogar Psychosen treten vermehrt auf. Häufigkeit, mögliche Ursachen und therapeutische Möglichkeiten werden erläutert; dabei wird der dringende Kooperationsbedarf zwischen Gynäkologie und Psychiatrie beschrieben.
ANITA RIECHER-RÖSSLER
Die Menopause ist ein physiologisches Ereignis, welches mit hormonellen und biologischen, aber auch zahlreichen psychosozialen Veränderungen einhergeht. Diese Veränderungen können offensichtlich psychische Störungen bei vulnerablen Frauen auslösen oder verstärken. Im Folgenden werden depressive Störungen und Psychosen exemplarisch betrachtet. Dabei wird auf den Einfluss der Östrogene und die therapeutischen Möglichkeiten, die sich durch eine Östrogenbehandlung ergeben, fokussiert. Hintergründe sind die derzeitigen sehr kontroversen Diskussionen um die Östrogene, obwohl der perimenopausale Östrogenverlust von grosser, bisher oft vernachlässigter Bedeutung für die psychische Gesundheit von Frauen sein kann.
Serum
Östrogene und Hirnfunktion
Heute wissen wir, dass Östrogene zahlreiche neuround psychoprotektive Effekte haben – vor allem das Estradiol-17, das natürliche Östrogen, das die stärkste Aktivität im Gehirn zeigt. So gibt es Hinweise darauf, dass Östrogene nicht nur den zerebralen Blutfluss und den Glukosemetabolismus des Gehirns, sondern auch das neuronale Wachstum und die Myelinisierung verbessern. Ferner ist bekannt, dass sie die Synapsendichte und -plastizität im Gehirn erhöhen, die neuronale Konnektivität verbessern, antioxydativ wirken und den neuronalen Zelltod inhibieren (Abbildung). Ausserdem modulieren sie die verschiedenen Neurotransmittersysteme im Gehirn, die für unser psychisches Befinden relevant sind, etwa das serotonerge, das dopaminerge, das glutamerge, das noradrenerge und das cholinerge (Übersicht bei [1–3]). Klinisch gibt es inzwischen Hinweise für die verschiedenen positiven Effekte der Östrogene – insbesondere des Estradiol-17 – auf das psychische Befinden. Vermutet wird unter anderem eine Verbesserung affektiver Symptome, eine antipsychotische Wirkung, die Reduktion aggressiven und suizidalen Verhaltens,
Estradiol 50 ng/ml Abbildung: Wachstum von Neuriten unter Östrogeneinfluss bei Explantaten neugeborener Mäuse in Organkultur (Nucleus arcuatus/ventromedialis 19 Tage in vitro)
Quelle: Toran-Allerand 1980 (32)
eine stressprotektive Wirkung sowie eine Verbesserung kognitiver Funktionen (Übersichten bei [1–4]). Fink et al. bezeichneten die Östrogene wegen dieser zahlreichen positiven Effekte als «Psychoschutz der Natur» (5).
Depression und Menopause
Einer der interessantesten und stabilsten epidemiologischen Befunde zur Depression ist derjenige des Geschlechtsunterschieds: Die Prävalenz depressiver Störungen ist bei Frauen zwei- bis dreimal so hoch wie bei Männern. Dieser Geschlechtsunterschied beginnt offensichtlich nach der Pubertät. Für diesen Häufigkeitsunterschied gibt es vielfältige psychosoziale Erklärungen (6). Immer wieder wurde aber auch beobachtet, dass milde depressive Symptome, emotionale Labilität und Irritabilität einen Zu-
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sammenhang mit der Fluktuation des Östrogenspiegels zeigen (7, 8). Dies betrifft sowohl das Prämenstruum wie auch die Postpartalzeit, vor allem aber die Perimenopause. Die milden depressiven Verstimmungen und die erhöhte emotionale Labilität und Irritabilität einiger Frauen in der Perimenopause, also in der Zeit abfallender Hormonspiegel, sind insbesondere den Gynäkologen bekannt (3) (Tabelle). Neuere Studien zeigen, dass auch die Inzidenz und Prävalenz schwerer, krankheitswertiger Depressionen in der Perimenopause ansteigen (9, 10) – und zwar in Korrelation mit den hormonellen Schwankungen, was sehr stark für die biologische Mitverursachung dieses Anstiegs spricht. In der Postmenopause dagegen scheint die Prävalenz der Depression bei Frauen stabil zu bleiben oder sogar wieder abzusinken (Übersicht bei [2, 3]). Interventionsstudien mit Östrogenen bei perimenopausaler Depression zeigen eine gute therapeutische Wirksamkeit, insbesondere bei operativ bedingter Menopause (Übersichten bei [3, 4]), aber auch bei physiologisch auftretender Menopause. So haben Zweifel und O’Brien 1997 (11) 26 Studien einer Metaanalyse unterzogen und konnten zeigen, dass Östrogene zumindest bei milden depressiven Symptomen hilfreich sind, und zwar vor allem in der Perimenopause, weniger in der Postmenopause. Neuere Studien zeigen auch eine Effektivität von Östrogengaben bei schwereren perimenopausalen Depressionen, die die DSM-Kriterien erfüllen (Übersicht bei [2]).
Schizophrene Psychosen und Menopause
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannten Psychiater die möglichen Zusammenhänge zwischen Psychosen und Östrogenen (Übersichten bei [12]). Sie beschrieben Anzeichen eines chronischen Östrogenmangels bei Frauen mit Schizophrenie, ausserdem erkannten sie bereits den Zusammenhang zwischen hormonellen Schwankungen und psychotischer Symptomatik. So berichtete schon Manfred Bleuler (13) über die Häufung der Spätschizophrenien bei Frauen – also der schizophrenen Ersterkrankungen nach dem 40. Lebensjahr – und brachte diese Störung in Zusam-
menhang mit den hormonellen Schwankungen in diesem Lebensalter. Die Forschung der letzten Dekaden hat weitere Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Östrogenen und Schizophrenie gebracht: Wie wir in der ABC-Studie (Age, Begin and Course of Schizophrenia) zeigen konnten (14, 15), haben Frauen mit schizophrenen Psychosen einen deutlich späteren Erkrankungsbeginn als Männer, jedoch einen zweiten Erkrankungsgipfel nach dem 45. Lebensjahr. Dieser Befund könnte dadurch erklärt werden, dass die Östrogene bis zum 45. Lebensjahr einen gewissen Schutz vor dem Ausbruch der Erkrankung geben, dass er nach dem 45. Lebensjahr aber durch das physiologische Sistieren der Estradiolproduktion nachlässt, sodass es zu einem Nachholeffekt bei vulnerablen Frauen kommt. Frauen in der Postmenopause haben wahrscheinlich dadurch bedingt nicht nur eine etwa doppelt so hohe Inzidenz schizophrener Psychosen als Männer derselben Altersgruppe, sondern auch eine deutlich schwerere Symptomatik und einen schlechteren Verlauf (16). Auch der Verlauf chronischer, vorbestehender Psychosen scheint sich in der Postmenopause zu verschlechtern (17). Erste Östrogeninterventionsstudien bei Frauen mit Schizophrenie und anderen Psychosen zeigten positive Effekte. Nach-
dem schon Bleuler erste unsystematische Therapieversuche mit einem Kombinationspräparat aus ovariellen und hypophysären Hormonen unternommen hatte (18), berichtete auch Mall (19, 20) aus einem deutschen Landeskrankenhaus, dass eine Subgruppe von «hypofollikulären», schizophreniekranken Frauen «relativ leicht» durch eine Substitutionstherapie mit Östrogenen (Primodian® oder Depot-Progynon®) vollständig «geheilt werden kann». Inzwischen haben Kulkarni et al. (21–23) bei akut psychotischen jüngeren Frauen zeigen können, dass sich durch eine adjuvante Östrogengabe zusätzlich zu Standardneuroleptika eine raschere Symptomverbesserung erzielen lässt. Einen ähnlichen Effekt berichteten Lindamer et al. (24) über eine postmenopausale Frau. Diese Autorengruppe konnte auch zeigen, dass postmenopausale schizophreniekranke Frauen, die aus medizinischer Indikation eine Östrogensubstitution erhielten, weniger schizophrene Minussymptomatik aufwiesen und eine signifikant geringere Neuroleptikadosis benötigten.
Östrogentherapie – eine Option für psychisch kranke Frauen in der Perimenopause?
Ausgelöst durch die One Million Women Study (25) und die Women’s-Health-In-
Tabelle:
Einige wichtige Effekte der Östrogensubstitution
Positive Effekte ■ Perimenopausale Beschwerden vermindert
körperlich: weniger Hitzewallungen, genitale Beschwerden, Kollagenalterung (Haut, Gelenke, Bandscheiben) psychisch: weniger Depression, Irritabilität, emotionale Labilität ■ Osteoporoserisiko gesenkt
■ Verzögerung kognitiver Störungen/ Morbus Alzheimer?
■ Kardiovaskuläre Protektion? (wenn Beginn unmittelbar nach Menopause)
Quelle: Riecher-Rössler 2008 (31)
Negative Effekte ■ Endometriumkarzinomrisiko erhöht bei allei-
niger Östrogengabe (wenn Uterus noch vorhanden nur in Kombination mit Gestagenen verordnen!)
■ Risiko für Mammakarzinom erhöht? (nicht bei Risikopatientinnen und nicht länger als 7 Jahre verordnen oder dann in reduzierter Dosis!)
■ Risiko für Thrombose und Schlaganfall erhöht (nicht bei Risikopatientinnen verordnen!)
■ Kardiovaskuläre Risiken (Arteriosklerose, KHK) erhöht? (nur innerhalb der ersten 10 Jahre nach der Menopause beginnen und nicht bei schon bestehenden kardiovaskulären Erkrankungen!)
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itiative-(WHI-)Studie (26) ist in den letzten Jahren eine Kontroverse um die postmenopausale Hormon(ersatz)therapie, H(R)T, entstanden. Dabei wurde die Interpretation, vor allem die Verallgemeinerung der Ergebnisse der WHI-Studie, scharf kritisiert (3, 27). So wurde in dieser Studie nur die prophylaktische, nicht die therapeutische Anwendung von Östrogenen untersucht. Das mittlere Alter der Frauen war bei Behandlungsbeginn mit 63 Jahren extrem hoch. Entsprechend wiesen diese Frauen zahlreiche kardiovaskuläre und andere Risikofaktoren auf. Zahlreiche Konsensusgruppen haben inzwischen trotzdem neue Richtlinien verabschiedet (z.B. Übersichten bei [3, 9, 28]). Fazit all dieser Richtlinien ist immer wieder, dass unter Beachtung der Kontraindikationen und der individuellen Nutzen-Risiko-Analyse die Indikation für jede Frau äusserst sorgfältig zu stellen ist (Tabelle). Die meisten Fachgesellschaften empfehlen keine langfristige Östrogengabe mehr und betonen das «window of opportunity»: Der Hormonersatz soll unmittelbar in oder möglichst früh nach Eintritt der Menopause starten. Dann überwiegen die positiven die potenziell negativen Wirkungen. Wichtig scheint es – bei der Indikationsstellung und Risikoabwägung –, zwischen vorübergehenden Hormongaben aus therapeutischen Gründen (einer Hormonersatztherapie im engeren Sinn, etwa bei perimenopausalen Beschwerden) und langfristigen Hormongaben aus prophylaktischen Gründen (bei symptomfreien Frauen, etwa zur Vorbeugung von Osteoporose) zu unterscheiden. In der Psychiatrie geht es nicht um einen prophylaktischen Einsatz (bei dem die Sicherheitsanforderungen ganz besonders hoch sein müssen), sondern um den therapeutischen Einsatz bei bestehenden Beschwerden. Hier müssen die Östrogene dem Vergleich mit anderen Behandlungsmethoden, etwa Psychopharmaka, standhalten.
Therapie der Depression in der Menopause
Insbesondere bei depressiven Erkrankungen in der Perimenopause könnte eine Estradiolsubstitution sinnvoll sein. Allerdings gibt es für diese Indikation noch keine Zulassung. Wenn es zusätzliche In-
dikationen für eine Östrogensubstitution gibt (z.B. Hitzewallungen oder erhöhtes Osteoporoserisiko), wäre ein solcher Therapieversuch aber sicherlich gerechtfertigt. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass keine Risikofaktoren oder Kontraindikationen für die Östrogensubstitution bestehen, und dass eine gut informierte Frau die Östrogensubstitution wünscht. Bei leichteren Depressionen in der Perimenopause könnte Estradiol-17 bei gegebenen Zusatzindikationen noch vor einem Antidepressivum eingesetzt werden, wie dies Gynäkologen teilweise schon lange praktizieren. Antidepressiva würden in diesen Fällen nur dann hinzugegeben, wenn eine Estradiolsubstitution allein nicht ausreichend ist. Bei schwererer Depression sind Antidepressiva auch in der Perimenopause Mittel der ersten Wahl, aber auch hier könnte eine zusätzliche, «adjuvante» Verordnung von Estradiol-17 hilfreich sein. In diesem Zusammenhang interessant sind Hinweise, dass Frauen mit Östrogenersatztherapie besser auf Antidepressiva vom SSRI-Typ ansprechen – möglicherweise deswegen, weil beide Substanzgruppen die serotonerge Aktivität im Gehirn erhöhen. Andererseits scheinen bestimmte Antidepressiva wie Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram oder Venlafaxin gegen Hitzewallungen wirksam zu sein, auch wenn keine Depression vorliegt. Ein Einsatz dieser Antidepressiva vom Typ der SSRI (Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) respektive SNRI (Serotonin-Noradrenalin-ReuptakeInhibitoren) ist deshalb zur Therapie von Hitzewallungen zu erwägen, wenn eine Estradiolsubstitution nicht indiziert ist (Übersicht bei [2, 3]). Auch der Psychotherapie kommt in dieser Lebensphase eine wichtige Bedeutung zu, da Frauen in dieser Zeit häufig sehr vielen psychosozialen Belastungen ausgesetzt sind. So werden sie durch die Menopause nicht nur mit dem Verlust ihrer Fruchtbarkeit konfrontiert, sondern haben sich auch mit dem Übergang in eine neue Lebensphase auseinanderzusetzen. Häufig bestehen grosse Ängste in Bezug auf den eigenen Körper, das Altern, die Attraktivität, die Sexualität und so weiter. Gleichzeitig erleben Frauen in dieser Zeit oft zahlreiche äussere Belastungen und Verluste, etwa durch die
Pflege der Eltern oder deren Tod, den Wegzug der erwachsen gewordenen Kinder, den Verlust des Partners oder eine Verschlechterung der eigenen körperlichen Gesundheit. Die Abklärung und Behandlung einer Depression bei Frauen nach dem 40./45. Lebensjahr sollte also unbedingt eine ganzheitliche sein, die sowohl die hormonellen und anderen körperlichen Aspekte als auch die psychiatrisch-psychotherapeutischen Möglichkeiten umfasst. Wichtig ist dabei, dass vor einer Therapie immer eine gute Abklärung stehen sollte, bei der andere Ursachen, wie etwa Schilddrüsenfunktionsstörungen, ausgeschlossen werden. Eine optimale Abklärung und Behandlung ist oft nur in Zusammenarbeit zwischen Frauenarzt und Psychiater möglich.
Therapie schizophrener Psychosen in der Perimenopause
Was schizophreniekranke Frauen betrifft, so wäre auch bei ihnen vor allem in der Perimenopause eine Östrogensubstitution zu erwägen. Insbesondere wenn bei einer Frau auch andere Indikationen für eine Östrogensubstitution bestehen, könnte die Schizophrenie eine zusätzliche Indikation darstellen, zum einen wegen der vermuteten antipsychotischen Effekte, zum anderen aber auch wegen der möglichen positiven Effekte auf die Kognition, die Affekte, die Stressvulnerabilität, die Aggressivität und Suizidalität. Durch die Hormonsubstitution könnten unter Umständen Neuroleptika (und deren Nebenwirkungen) reduziert werden. Für beide Diagnosegruppen, Frauen mit Schizophrenie und solche mit Depression, ist es vorteilhaft, dass eine Östrogensubstitution die klimakterischen Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlafstörungen, Irritabilität lindern kann. Denn diese Symptome können bei schizophreniekranken Frauen als rückfallprovozierende Stressoren infrage kommen und über den sogenannten Dominoeffekt auch eine Depression auslösen oder verstärken.
Vorzeitige Menopause bei psychisch kranken Frauen Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass eine Neuroleptika- oder auch Antidepressivagabe zu
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einer vorzeitigen Menopause führen kann (29). Insbesondere viele prolaktinerhöhende Neuroleptika können zu einer massiven gonadalen Suppression führen. Das heisst, dass die Menopause bei so behandelten psychisch kranken Frauen oft deutlich früher eintritt als bei psychisch gesunden Frauen. Bei einem solchen Verdacht sollten Psychiater und Gynäkologe eng zusammenarbeiten.
Kooperationsbedarf Psychiatrie und Gynäkologie Ein sehr enger Kooperationsbedarf zwischen Gynäkologie und Psychiatrie besteht bezüglich der Indikationsstellung für eine Östrogentherapie. Risikofaktoren und Kontraindikationen des Östrogenersatzes sind durch die Gynäkologinnen sehr gut abzuklären. Gemeinsam ist eine sehr sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung durchzuführen, und zwar für jeden Individualfall. Eine Depression oder eine Psychose kann in dieser Abwägung als zusätzliches Argument für eine Östrogenersatztherapie gewertet werden.
Forschungsbedarf Viele Fragen im Bereich der Anwendung von Östrogenen in der Psychiatrie bleiben noch offen. So bedarf es dringend der Forschung zur besten Art des Hormonersatzes für psychisch Kranke. Vor allem für Estradiol-17 wurden neuropsychoprotektive Effekte gezeigt. Estradiol-17 wäre also bei psychischen Störungen indiziert. Dabei sollte wegen des günstigeren Nebenwirkungsprofils eventuell die transdermale Applikation (Pflaster oder Gel) bevorzugt werden. Normalerweise werden die Östrogene mit einem Gestagen kombiniert. Gestagene können aber die positiven Effekte der Östrogene auf das psychische Befinden antagonisieren (30). Systemische Gestagengaben sollten deshalb minimiert werden, was eventuell durch Applikation über ein Intrauterinpessar möglich ist. Auch wäre dringender Forschungsbedarf bezüglich der Kontraindikationen bei therapeutischem Gebrauch und der relativen Risiken im Vergleich zu Psychopharmaka gegeben. Weitere Studien müssten sich auf die geringste wirksame Dosis sowie auf die Kombination einer Östrogen(ersatz)therapie mit Psychopharmaka beziehen,
um mögliche Augmentierungsstrategien und Interaktionen zu untersuchen.
Schlussfolgerungen
Frauen in der Perimenopause haben sehr spezifische diagnostische und therapeutische Bedürfnisse. Diese sollten sowohl die verschiedenen psychosozialen als auch die biologischen und hormonellen Veränderungen berücksichtigen. Viele Frauen entwickeln in dieser Zeit psychische Störungen, vorbestehende psychische Störungen exazerbieren häufig. Die Therapie in dieser Lebensphase sollte neben der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung immer auch die hormonelle Situation berücksichtigen. Da Östrogene wichtige psychoprotektive Eigenschaften haben, kann ihr Verlust bei vulnerablen Frauen wahrscheinlich psychische Erkrankungen triggern oder verschlimmern. Eine Östrogensubstitution kann in solchen Fällen nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung hilfreich sein. Mehr Forschung über Indikation und Kontraindikation der Hormonersatztherapie bei psychisch kranken Frauen wäre dringend erforderlich. Zu hoffen wäre, dass die Forschung der künftigen Jahre die empirische Evidenz in diesem Bereich weiter verbessert, sodass ideologische Kontroversen mehr und mehr durch klare, empirisch fundierte Leitlinien ersetzt werden können. Dabei gibt es berechtigte Hoffnung, dass Östrogene als neuroprotektive und psychoprotektive adjuvante Therapiestrategien die traditionelle Psychopharmakotherapie bei psychischen Erkrankungen in Zukunft ergänzen werden. In der Klinik könnte schon jetzt durch eine engere Kooperation zwischen Gynäkologie und Psychiatrie sehr viel für unsere Patientinnen erreicht werden. ■
Prof. Dr. med. Anita RiecherRössler Chefärztin Psychiatrische Poliklinik, Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel E-Mail: ariecher@uhbs.ch
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
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