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I m klinischen geburtshilflichen Alltag sind Terminüberschreitung und Übertragung bei Schwangerschaften häufig. Neuere Studien zeigen für die Terminüberschreitung eine Inzidenz von 34% und für die Übertragung eine Inzidenz von 6%. Im Praxisalltag ist häufig unklar, wie Frauen mit risikoarmer Schwangerschaft, bei denen es zur Terminüberschreitung kommt, beraten werden sollen: Geburt einleiten oder expektativ verhalten unter engmaschiger Kontrolle mit Ultraschall und CTG? Die neuere Studienlage dazu ist inzwischen klar. Zu beachten sind einige Voraussetzungen in Diagnostik und Risikoanalyse sowie die Studiendaten.
Korrektes Gestationsalter dank Ersttrimesterscreening Ab einer Verlängerung um mehr als 14 Tage (d.h. nach 42 0/7 Wochen) spricht man gemäss WHO und
Übertragung: wann die Geburt einleiten?
FIGO von einer Übertragung; Terminüberschreitung wird die Zeit zwischen 40 1/7 und 41 6/7 Schwangerschaftswoche (SSW) genannt. Dank dem fast flächendeckenden Ersttrimesterscreening mit Ultraschall, bei dem der errechnete Geburtstermin bestätigt oder korrigiert werden kann, sind die heutigen Studien zur Terminüberschreitung respektive Übertragung sehr aussagekräftig. Die verbesserte Bestimmung des Gestationsalters hat gemäss einer englischen Studie zu einer signifikanten Abnahme der Geburtseinleitungen wegen Übertragung geführt.
Fetale Zustandsdiagnostik Pathophysiologisch spielt die verbleibende Plazentafunktion respektive ihre Reservekapazität eine bedeutende Rolle. Viele Studien haben mittlerweile gezeigt, dass die plazentäre Funktion bei Terminüberschreitung am besten durch die Bestimmung der Fruchtwassermenge (grösstes Fruchtwasserdepot oder besser Fruchtwasserindex) beurteilt werden kann. Die abnehmende Plazentafunktion korreliert nämlich sehr gut mit der Fruchtwassermenge. Zudem haben Studien gezeigt, dass die Fruchtwassermenge am besten mit dem perinatalen Outcome korreliert. Der Ultraschall hat in diesem Bereich in der Zwischenzeit den heute als obsolet geltenden Oxytocin-Belastungs-Test abgelöst. Nach wie vor hat das Ruhe-CTG (non-stress test) einen wichtigen Stellenwert in der fetalen Zustandsdiagnostik. Allerdings ist dessen prospektive Aussagekraft hinsichtlich einer beginnenden Plazentainsuffizienz dem Ultraschall
deutlich unterlegen. Bei bereits eingetretenen CTGAnomalien im Ruhe-CTG ist oftmals der Zeitpunkt bereits überschritten, an dem eine Geburtseinleitung nach dem Termin Erfolg versprechend ist. Die Dopplersonografie, insbesondere der A. cerebri media (Pulsatilitätsindex und maximale Flussgeschwindigkeit), ist ein zusätzliches Instrument bei der Beurteilung der Plazentareservekapazität bei Terminüberschreitung. Allerdings ist die Datenlage noch nicht klar genug, um die Dopplersonografie in der Routine der fetalen Überwachung bei Terminüberschreitung einführen zu können.
Fetale Risiken bei der Terminüberschreitung Zu beachten ist, dass die fetalen Risiken nicht erst mit dem Erreichen eines Gestationsalters von 42 0/7 Schwangerschaftswochen plötzlich auftreten. Vielmehr handelt es sich um ein kontinuierlich ansteigendes Risiko der perinatalen Morbidität und Mortalität, welche bereits nach der abgeschlossenen 38. SSW beginnt. Nach der 41. (0/7) SSW nehmen die Risiken jedoch sehr steil zu. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Intervention bei Terminüberschreitung respektive Übertragung sind drei Aspekte zu berücksichtigen: 1. Wie gross ist die Zunahme der perinatalen Morbi-
dität und Mortalität zu einem bestimmten Zeitpunkt? 2. Wie gross ist das absolute pränatale Morbiditätsund Mortalitätsrisiko? 3. Kann mit einer Intervention die perinatale Morbidität und Mortalität günstig beeinflusst werden, ohne dass die mütterliche Morbidität negativ beeinflusst wird?
Signifikanter Vorteil: Geburtseinleitung nach der 41. SSW In den letzten Jahren wurden verschiedene Studien publiziert, welche zeigen, dass eine Geburtseinleitung nach der 41 0/7. SSW hinsichtlich der perinata-
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len Morbidität und Mortalität einen signifikanten Vorteil bringt. Die kürzlich publizierte Metanalyse (1) aller Studien zur Frage, wann eine Geburtseinleitung wegen Terminüberschreitung sinnvoll ist, hat erstmals gezeigt, dass diese Risiken durch die Geburtseinleitung zu diesem Zeitpunkt gesenkt werden (relatives Risiko von 0,3). Die Autoren haben den Schluss gezogen, dass eine prinzipielle Indikation zur Geburtseinleitung im Fall einer Terminüberschreitung über 41 0/7 SSW zu einer Reduktion der perinatalen Mortalität führt, wobei das entsprechende absolute Risiko immer noch sehr klein ist. Ein weiterer wichtiger Parameter ist die Frage, ob durch die Geburtseinleitung nach der 41 0/7. SSW eine erhöhte Sectiorate resultiert. Interessanterweise ist genau das Gegenteil der Fall. Sowohl in der erwähnten Cochrane-Metaanalyse wie auch in der vor fünf Jahren publizierten Metaanalyse von SanchezRamos (2) hat sich eine signifikante Verminderung der Sectiorate um rund 10% gezeigt, wenn grundsätzlich nach 41 0/7 SSW die Geburt eingeleitet wird. Während dieser Unterschied in der Cochrane-Metaanalyse das Signifikanzniveau nicht erreicht hat, zeigt die Metaanalyse von Sanchez-Ramos einen signifikanten Unterschied (Odds Ratio von 0,88). Neben diesen beiden Metaanalysen gibt es zahlreiche weitere Studien, die in die gleiche Richtung weisen. Zu beachten ist dabei, dass in den Kollektiven jeweils die Risikoschwangerschaften ausgeschlossen sind, da bei diesen eine Schwangerschaftsbeendigung mittels Geburtseinleitung oder Sectio in aller Regel zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt wird. Diese umfassen Risiken wie die schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, die Präeklampsie, Diabetes mellitus, intrauterine Wachstumsretardierungen oder Blutgruppen-Alloimmunisierung.
Beratung und Betreuung der Schwangeren nach dem Termin Wie sollen wir uns angesichts dieser Datenlage bei der Beratung und Betreuung der schwangeren Frauen mit einer Terminüberschreitung verhalten? Wir sind grundsätzlich verpflichtet, die Schwangere über den aktuellen Stand des Wissens gut und ausführlich aufzuklären, um dann mit ihr gemeinsam zu entscheiden, ob im gegebenen Fall die Geburt nach der 41 0/7. SSW eingeleitet oder ob ein expektatives
Verhalten mit engmaschiger Kontrolle durch Ultraschall (Fruchtwassermenge) und CTG gewählt werden soll. Dabei ist es von Wichtigkeit, dass wir ■ die klinischen Befunde in die Entscheidung mitein-
beziehen (Beispiel Zervixreife/Bishopscore) ■ die Grundhaltung der Schwangeren gegenüber
einer Intervention (Geburtseinleitung) berücksichtigen und ihr mit der Beratung keine Angst einflössen. Sowohl Arzt wie auch Patientin müssen realisieren, dass die pränatale Mortalität als absolute Zahl zwischen der 41 0/7. und 42 0/7. SSW immer noch in einem extrem kleinen Bereich liegt. Letztlich wird nur eine gemeinsame Entscheidung, basierend auf korrekter Information (informed consent), die Grundlage bilden können für eine gute und gemeinsam getragene Entscheidung, welche zum besten «perinatalen Ergebnis» für Mutter und Kind führt. Schlussfolgernd kann gesagt werden, dass aufgrund der heutigen Datenlage eine Geburtseinleitung nach der 41 0/7. SSW der Schwangeren zumindest angeboten werden sollte. Wünscht diese ein expektatives Verhalten, kann die Schwangerschaft unter engmaschiger Überwachung mittels Ultraschall (Fruchtwassermenge) und CTG bis zur 41 6/7. SSW weitergeführt werden. Nach der 42 0/7. SSW sollte jedoch die Geburtseinleitung respektive die Schwangerschaftsbeendigung klar empfohlen werden. Diese Haltung entspricht den bestehenden Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und den zurzeit unter Mitarbeit des Autors in Publikation befindlichen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zur Terminüberschreitung.
Prof. Dr. med. Daniel Surbek Ordinarius und Chefarzt Geburtshilfe Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Inselspital Bern
Quellen: 1. Gülmezoglu AM, Crowther CA, Middleton P.: Induction of labour for improving birth outcomes for women at or beyond term. Cochrane Database Syst Rev. 2006 Oct 18;(4): CD004945. 2. Sanchez-Ramos L, Olivier F, Delke I, Kaunitz AM.: Labor induction versus expectant management for postterm pregnancies: a systematic review with meta-analysis. Obstet Gynecol 2003; 101: 1312–8.
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