Transkript
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Die Impfanamnese bei der erwachsenen Frau
Praktische Hinweise für Auffrisch- und Nachholimpfungen in der Gynäkologiepraxis
Im Infektionsordner des BAG werden Gynäkologinnen und Gynäkologen aufgefordert, den Impfstatus ihrer Patientinnen vollständig zu erfassen und falls nötig zu ergänzen. Im Folgenden werden aus der Praxis für die Praxis Tipps und Infos für typische Situationen gegeben.
DANIEL BRÜGGER
Der Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und die zusätzliche Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) an die Schweizer Gynäkologen, Impflücken bei Frauen zu schliessen, ist entstanden, da auffällig wurde, dass junge Frauen bis zum Alter von 45 Jahren von allen Arztgruppen am häufigsten die Gynäkologiepraxis aufsuchen. In dieser Funktion haben Frauenärzte und -ärztinnen wichtige Präventionsaufgaben.
«Stützen» und Besonderheiten in der Anamnese
Bei den 20- bis 45-jährigen Frauen kann die Impfanamnese anhand des Impfausweises schwerpunktmässig auf 4 bis 5 Impfungen fokussiert werden: ■ Varizellen (VZV) ■ Masern-Mumps-Röteln (MMR) ■ Diphtherie-Tetanus (dt) ■ Hepatitis B (HepB) ■ in endemischen Gebieten die durch Zecken über-
tragene Frühsommermeningoenzephalitis (FSME). Das Deckblatt der gynäkologischen Krankengeschichte sollte im Sinne einer «Anamnese-Stütze» entsprechend strukturiert werden. Als Erinnerungshilfe für allfällige Auffrischimpfungen (wie Tetanusund FSME-Booster) sowie weitere notwendige Impfungen sollte ein Impfplan in aller Kürze aufgeführt sein. In Tabelle 1 ist ein übersichtlicher und sehr kurz gefasster Plan zur Überprüfung des Impfstatus dargestellt. Hervorzuheben und vom impfenden Arzt zu beachten sind die folgenden anamnestischen Besonderheiten: ■ VZV: bei negativer/unsicherer Krankheitsanamne-
se erfolgt die zweimalige Impfung nur bei negativer Serologie. ■ HepB: Die HepB-Impfung fehlt anamnestisch häufig im Ausweis. Nur zweimal ist HepB im Jugendschema (Zeitfenster 11–15 Jahre) mit dem Erwach-
senenimpfstoff zu verabreichen, ebenfalls nur zweimal im Kombinationsimpfstoff (Hepatitis A und B = Twinrix® 720/20: Zeitfenster 1–15 Jahre). Die Grundimmunisierung der Erwachsenen erfordert drei Dosen. ■ Poliomyelitis: Die Anzahl der Polioimpfungen sollte anamnestisch – je nach Alter zum Zeitpunkt der ersten Grundimmunisierungsdosis – zwischen 3 und 5 liegen. Orale Impfstoffe (OPV) wurden in der Vergangenheit auch monovalent und bivalent angeboten, enthalten dann nur Typ 1, 2 oder 3 der Poliovirenstämme. Ein monovalenter und ein bivalenter Impfstoff zusammengenommen, werden als eine Dosis trivalenter OPV gezählt. Seit 2001 ist in der Schweiz nur noch der inaktivierte (injizierbare) trivalente Poliomyelitis-Totimpfstoff (IPV) im Handel. Fehlende Poliodosen können, kombiniert mit dem dt-Booster (Td-Virelon® oder Revaxis®), in einer Spritze verabreicht werden. Bei vollständiger Poliogrundimmunisierung ist eine Auffrischimpfung bei Erwachsenen nur noch bei Reisedestinationen in Endemiegebiete, vor allem Afrika sowie Teile von Asien (Indien, Pakistan, Afghanistan, Nepal), indiziert. ■ FSME: Von der Schutzwirkung wird ab dritter Woche nach der zweiten FSME-Dosis ausgegangen. Die zur Grundimmunisierung zählende dritte Dosis (der erste Booster) kann bei der nächsten Jahreskontrolle verabreicht werden. Verwirrung kann durch den Begriff «Schnellimmunisierung» entstehen: Die eigentlichen «Schnellimpfschemata» erfordern nämlich eine Zusatzdosis in der Grundimmunisierung (4 statt 3 Dosen). Dies gilt für das Encepur® gegen FSME (0, 1, 3 Wochen, 6 bis 12 Monate) wie auch für die Hepatitis-B-Impfungen (Engerix®-B 20: 0, 1 Woche, 3 Wochen, 1 Jahr; HBvaxPRO® 10: 0, 1 Monat, 2 Monate, 1 Jahr). Die Schnellimmunisierung mit FSME-Immun® CC ist hingegen eine Verkürzung des ersten Impfdosen-
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intervalls auf zwei Wochen – ein Schema, dessen Wirksamkeit durch prozentual identisch hohe Titerkonvertierungen in einer Studie erhärtet wurde. Trotzdem wird das Kurzintervallschema von zwei Wochen statt eines Monats nur in der warmen Jahreszeit (Zeckensaison) empfohlen. Die Gesamtzahl der 3 nötigen Impfdosen bleibt vom gewählten Schema unbeeinflusst.
Sehr junge und ältere Patientinnen Bei den unter 20-jährigen Frauen sollte zusätzlich anamnestisch die Basisimpfung gegen humane Papillomaviren (HPV) erfasst oder besprochen werden. Zu beachten: Kantonal (BE) ist es so geregelt, dass alle Frauen mit Geburtsdatum ab dem 1.1.1988 rückwirkend Anspruch auf den Gratisimpfstoff haben und somit die Voraussetzungen zur Kostenübernahme nach KLV12a.l 1–3 gegeben sind. Für die Impfanamnese der über 65-jährigen Frauen gilt im Speziellen: Die Tetanus- und FSME-Booster sind im ZehnJahres-Intervall aufzufrischen. Zudem ist als Basisimpfung die jährliche Impfung gegen die saisonale Influenzagrippe zwischen Mitte Oktober und Mitte November empfohlen (der Übersicht halber ohne jeweiligen Eintrag im Impfausweis). Eine weitere Impfung im Lebensabschnitt nach dem 65. Geburtstag ist die Pneumokokkenvakzine mit einer einzigen Dosis (Pneumovax®). Diese Basisimpfung wird in der Schweiz noch zu wenig konsequent verabreicht. Die Ursache dürfte eine weitgehend fehlende Impfpromotion bei den Hausärzten sein oder eine zögerliche Haltung wegen noch fehlender KVG-Pflicht. Bei den Seniorinnen selber ist die Akzeptanz dieses Impfstoffes hoch, auch wenn er nur von den Zusatzversicherungen (VVG) rückerstattet wird. Neu ist im Alter zwischen 50 und 70 Jahren in individuellen Situationen die einmalige Impfung gegen Herpes zoster (Zostavax®) empfohlen: Studien haben eine 50%-ige Reduktion der Herpeszoster-Inzidenz und in zwei Drittel der Erkrankten weniger häufiges Persistieren der postherpetischen Neuralgien nachgewiesen. Im Alter von ≥ 70 Jahren ist aber die Wirksamkeit deutlich limitiert. Die Dauer der Immunogenität ist noch unklar.
Tabelle 1:
Vorschlag für die Neugestaltung einer Impfrubrik im Anamnese-Deckblatt (Patientinnenkartei)
Impfungen ❑ anamn. VZV ❑ pos. VZV-AK letzte Tetanus
❑ 2 × MMR ❑ 3 × HPV
❑ 1 × Pneumok. letzte FSME
❑ (2)3 × Hep B ❑ pos. HBsAK ❑ 2(3) × Hep A
Der verschollene Impfausweis: was nachholen?
Der unauffindbare Impfausweis stellt eine häufige Situation im Praxisalltag dar. In der ländlichen Praxis des Autors kommt diese Situation bei rund zehn Patientinnen im Monat vor. Der Verlust des Impfausweises bei einer 20- bis 40-jährigen Frau verursacht Kosten von mindestens 250 Franken (Kosten für Nachholimpfungen von dt, IPV, 2 × MMR, 1 × HepB sowie Tetanus- und HepB-Impftiter). Bei fehlender Impfdokumentation und lange zurückliegenden Impfungen sind prinzipiell die Basisimpfungen nachzuholen: ■ HepB soll bis zum Alter von 40 Jahren
nachgeholt werden. – Liegt anamnestisch die erste Imp-
fung mehr als fünf Jahre zurück, wird eine HepB-Dosis nachgeimpft und ein Monat später eine Titerkontrolle durchgeführt: HBsAK ≥ 100 IE/l bedeutet lebenslange Immunität; ein Titer von < 100 IE/l erfordert 2 weitere HepB-Dosen im Abstand von fünf Monaten. – Liegt die letzte HepB-Dosis weniger als fünf Jahre zurück, wird zu-
erst der HBsAK-Titer bestimmt; bei einem Titer von < 10 IE/l wird nur 2-mal nachgeimpft (≥ 10 IE/l heisst Responderin = kein Booster). ■ VZV: Bei unklarer Anamnese und negativen VZV-Antikörpern sind heute alle Frauen zu impfen, die nach 1968 geboren sind (älter als 40 Jahre). ■ MMR: Gegen Röteln wurden seit 1973 nur adoleszente Mädchen geimpft; seit 1985 gilt die MMR-Impfung für alle Kleinkinder. Der MMR-Impfstatus (2 ×) soll bei der ersten gynäkologischen Konsultation seit Februar 2006 systematisch kontrolliert werden. Alle nach 1963 Geborenen sollen bei fehlender Impfdokumentation 2-mal nachgeimpft werden. ■ Tetanus: Mit Ausnahme eines anamnestischen Tetanusboosters von weniger als drei Jahren und ausser einer früheren Arthus-Reaktion erhalten alle Patientinnen ohne Ausweis als Booster entweder Td-Virelon® oder Revaxis®. Vor allem ältere Frauen gehören zur Risikogruppe der 3 bis 5 gemeldeten Tetanusfälle jährlich in der Schweiz – mit potenziell bis zu 30% letalem Ausgang. Bei einem Booster im Abstand von weniger als 18 Monaten besteht theoretisch das Risiko der selten auf-
Kasten:
Schema für die Tetanusimpfung bei verschollenem Impfausweis
4 Wochen nach erster Tetanusimpfdosis wird der Tetanus-Antitoxin-Titer im Serum kontrolliert. Je nach Titer wird wie folgt vorgegangen: ■ ≤ 0,1 IU/ml: Beweis der Primovakzination: 2 weitere Dosen (2 und 8 Monate nach der vorheri-
gen Dosis) ■ > 0,1 bis 0,5 IU/ml: ungenügender Boostereffekt (mögliche Primovakzination): 2 weitere Dosen
(2 und 8 Monate später) ■ > 0,5 bis < 1 IU/ml: 1 weitere Dosis (6 Monate später) ■ 1 bis 5 IU/ml: nächste Auffrischimpfung in 10 Jahren ■ > 5 IU/ml: keine Auffrischimpfung bis zur nächsten Antitoxin-Titer-Kontrolle in 10 Jahren. Werte ≤ 0,5 IU/ml erfordern total 3 Dosen, also eine komplette Grundimmunisierung. Die beobachteten niedrigen Titer bei 20% der Patientinnen mit unauffindbarem Ausweis bedeuten also, dass jeder fünfte «verschollene Ausweis» wahrscheinlich nie existiert hat.
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Tabelle 2:
Unterstützende ärztliche Tools bei Fragen im Zusammenhang mit der Impftätigkeit
Tool Zeitbedarf
fact sheet
max. 1 min
IMPFEN
gynécologie suisse
viavac
max. 10 min
Fragen an Infovac max. 48 h
Vorteile
transparente Übersicht
Simulation von Beispielen, Speichermedium mit Printversion Dialog mit Experten
Nachteile gewusst wo? (nachschlagen)
an PC/Notebook gebunden
kollegiale Formulierung
Kosten
nötiger Zugriff
mit Impferfahrung
gratis für täglich
Mitglieder von
gynécologie
suisse
1 × 198 Fr. wöchentlich
Jahresabo 25 Fr.
monatlich
Zukunft
URL
ca. 3-mtl. Updates
jährliches Update geplant
http://www.sggg.ch /ag/files/fact_sheet _IMPFEN_gynecologie _suisse.pdf www.viavac.ch
jederzeit auf www.infovac.ch neustem Stand
Tabelle 3:
Beispiel für den aktuellen Impfstatus einer Patientin im viavac-Programm
tretenden Hyperimmunisierung mit schwerer lokaler Entzündung und Gewebsnekrose (= Arthus-Reaktion). Deshalb wird bei unbekannter Anamnese nur 1-mal geimpft und die Auffrischimpfung je nach Resultat des im Serum bestimmten Tetanus-AntitoxinTiters weitergeführt (siehe Kasten).
Unterstützende Tools für die Impftätigkeit
Als Hilfen zum korrekten Impfen im gynäkologischen Praxisalltag stehen dem Arzt drei Tools – als Download im Internet, als käufliche Software und als kostenpflichtige E-Mail-Plattform – zur Verfügung:
■ «fact sheet Impfen» der gynécologie suisse SGGG
■ «viavac» ■ «Infovac». Details, Vor- und Nachteile, Kosten und Adressen sind in Tabelle 2 dargestellt.
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«viavac»: Mit der neuen Software können die Impfungen über drei Masken erfasst werden: 1. gleicher Impfstoff, mehrere Daten 2. gleiches Datum, verschiedene Impf-
stoffe 3. individuelles Datum, individueller
Impfstoff. Im Impfstatus (Tabelle 3) bedeutet die «grüne» Markierung einen positiven Impfschutz und somit Immunität. «Rot» heisst ungenügend geimpft, «grau» weist auf inaktive Krankheiten und Impfungen hin. Die Farbe «orange» weist auf empfohlene, aber fehlende Impfungen hin. Es besteht eine Druckversion, deren Layout dem Design der heutigen Impfausweise entspricht. Das Programm wird mit
zunehmender Impferfahrung komplexeren Situationen vorbehalten sein und von Ärzten mit Impferfahrung regelmässig ein- bis zweimal pro Woche mit geringem Zeitaufwand eingesetzt werden können. «Infovac», Fragen-/Antwort-Plattform von Impfexperten über E-Mail: Die Fragen müssen ausserhalb des Konsultationstermins formuliert werden, die Antworten können ein bis zwei Tage später eintreffen. «fact sheet Impfen» der gynécologie suisse SGGG, vom Autor verfasst, wird regelmässig auf der SGGG-Homepage in einem Update aktualisiert und kann von den SGGG-Mitgliedern unter den folgenden URL-Adressen heruntergeladen werden:
■ http://www.sggg.ch/ag/files/fact_sheet_ IMPFEN_gynecologie_suisse.pdf
■ http://www.sggg.ch/ag/files/Legende NachholimpfungenFrauen.pdf. ■
Dr. med. Daniel Brügger FMH Gynäkologie und Geburtshilfe Bahnweg 55 3177 Laupen E-Mail: daniel.bruegger@hin.ch Internet: www.danielbruegger.gyndoc.ch
Quelle: BAG: Infektionskrankheiten Supplementum XX: Impfung von Frauen im gebärfähigen Alter gegen Röteln, Masern, Mumps und Varizellen. Februar 2006.
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