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Journal Club
Schwangerenvorsorge/HAPO-Studie
Schon leichte Hyperglykämie erhöht die Risiken
Ein manifester Gestationsdiabetes ist bekanntermassen signifikant mit einer erhöhten perinatalen Morbidität assoziiert. Es wird aber bis jetzt kontrovers diskutiert, ob eine leichte Hyperglykämie in der Schwangerschaft, die noch nicht die
Für die Adjustierung der Ergebnisse wurden verschiedene mögliche Einflussfaktoren erhoben und berücksichtigt. Dazu gehörten Alter der Schwangeren, Body-
Kriterien eines Diabetes mellitus erfüllt, das Risiko für perinatale Probleme erhöht. Die HAPO-Studiengruppe konnte diese Vermutung jetzt in einer umfangrei-
Mass-Index, Rauchen, Alkoholkonsum, Diabetes und Hypertonie in der Familienanamnese, Gestationsalter zum Zeitpunkt
chen multizentrischen Studie mit Fakten untermauern.
der oralen Glukosebelastung, Geschlecht
des Kindes, Parität, mittlerer Blutdruck,
Hospitalisierung während der Schwan-
gerschaft und Harnwegsinfektionen.
An der kürzlich publizierten grossen HAPO-Studie (= Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome) haben sich 15 Zentren aus 9 Ländern beteiligt. Ein-
Intensivtherapie des Neugeborenen, Hyperbilirubinämie und Präeklampsie. Verblindet wurden nach Ausfall der Blutzuckermessungen schliesslich die Daten
Resultate: deutliche Korrelationen im subdiabetischen Bereich
geschlossen wurden alle schwangeren von 23 316 Teilnehmerinnen. Für die ge- Mit steigendem Glukosespiegel der
Frauen, die im Studienzeitraum dort be- nannten Endpunkte wurden Odds Ratios Mutter nahm das Risiko für jeden der
treut wurden, es sei denn, eines oder kalkuliert, die mit einem Anstieg um eine primären Endpunkte zu. Bei einer Nüch-
mehrere der definierten Ausschlusskrite- Standardabweichung des Nüchternblut- ternblutzucker-Konzentration in der nied-
rien hätten zugetroffen. Dies waren zum zuckers (6,9 mg/dl; 0,4 mmol/l), des Blut- rigsten von sieben Kategorien wurde ein
Beispiel ein Alter unter 18 Jahren, Unsi- zuckers eine Stunde nach oraler Gluko- Geburtsgewicht oberhalb der 90. Per-
cherheit über den Zeitpunkt der letzten sebelastung (30,9 mg/dl; 1,7 mmol/l) zentile in 5,3% der Fälle, in der höchsten
Menstruation und Fehlen einer sonogra- und des Blutzuckers zwei Stunden nach Kategorie jedoch in 26,3% der Fälle be-
fischen Abschätzung zwischen der 6. und oraler Glukosebelastung (23,5 mg/dl; obachtet. Ähnlich verhielt es sich beim
24. Woche, Mehrlingsschwangerschaft, 1,3 mmol/l) assoziiert waren.
C-Peptid-Spiegel oberhalb der 90. Per-
Gravidität nach künstlicher Befruchtung
und ein manifester Diabetes vor oder während der Schwangerschaft.
Tabelle: Adjustierte Odds Ratios für Assoziationen zwischen mütterlicher
Studie mit 25 000 Teilnehmerinnen
Bei 25 505 schwangeren Frauen wurde zwischen der 24. und 32. Schwangerschaftswoche ein oraler Glukosetoleranztest mit 75 g Glukose durchgeführt.
Glykämie als kontinuierliche Variable und primären sowie sekundären Endpunkten
Endpunkte
Primäre Endpunkte
Plasma-Glukose-Spiegel: Odds Ratio (95%-KI)
Nüchtern
Eine Stunde nach
Zwei Stunden nach
oraler Glukosebelastung Glukosebelastung
Die Daten blieben verblindet, wenn der Nüchternblutzucker bei maximal 105 mg/dl (5,8 mmol/l) und der Blutzucker zwei Stunden nach Belastung bei höchstens 200 mg/dl (11,1 mmol/l) lag. Als primäre Endpunkte analysierte man ein Geburtsgewicht oberhalb der 90. Perzentile bezogen auf das Schwangerschaftsalter, primäre Sectio, klinisch dia-
Geburtsgewicht > 90. Perzentile
Primäre Sectio
Neonatale Hypoglykämie
C-Peptid > 90. Perzentile im Nabelschnurblut
Sekundäre Endpunkte
Entbindung vor der 37. Woche
1,38 (1,32–1,44) 1,11 (1,06–1,15) 1,08 (0,98–1,19) 1,55 (1,47–1,64)
1,05 (0,99–1,11)
1,46 (1,39–1,53) 1,10 (1,06–1,15) 1,13 (1,03–1,26) 1,46 (1,38–1,54)
1,18 (1,12–1,25)
1,38 (1,32–1,44) 1,08 (1,03–1,12) 1,10 (1,00–1,12) 1,37 (1,30–1,44)
1,16 (1,10–1,23)
gnostizierte neonatale Hypoglykämie und einen C-Peptid-Spiegel oberhalb der 90. Perzentile im Nabelschnurblut. Als sekundäre Variablen erfasste man eine Geburt vor der 37. Woche, Dystokie
Schulterdystokie/ Geburtsverletzung
Intensivtherapie des Neugeborenen
Hyperbilirubinämie
Präeklampsie
1,18 (1,04–1,33)
0,99 (0,94–1,05)
1,00 (0,95–1,05) 1,21 (1,13–1,29)
1,23 (1,09–1,38)
1,07 (1,02–1,13)
1,11 (1,05–1,17) 1,28 (1,20–1,37)
1,22 (1,09–1,37)
1,09 (1,03–1,14)
1,08 (1,02–1,13) 1,28 (1,20–1,37)
oder Geburtsverletzungen, Bedarf einer
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zentile (3,7% vs. 32,4%), bei der primären Sectio (13,3% vs. 27,9%) und auf niedrigerem Niveau bei der neonatalen Hypoglykämie (2,1% vs. 4,6%). Es konnten aber keine klaren Grenzwerte identifiziert werden, oberhalb deren das Risiko für das Auftreten der Endpunkte anstieg. Die Zunahme von Nüchtern- und Belastungsblutzuckerwerten im subdiabetischen Bereich um eine Standardabweichung war mit einem deutlich erhöhten Risiko für ein Geburtsgewicht und einen C-Peptid-Spiegel oberhalb der 90. Perzentile assoziiert. Die Odds Ratios für das erhöhte Geburtsgewicht betrugen 1,38 (95%-KI: 1,32–1,44), 1,46 (1,39–1,53) und 1,37 (1,30–1,44) für den Anstieg um eine Standardabweichung im Nüchternblutzucker, im Ein- und im Zweistundenwert nach Glukosebelastung. Diese beiden Endpunkte sind ursächlich eindeutig der mütterlichen Hyperglykämie zuzuordnen, während die übrigen primären Endpunkte sowie alle sekundären Endpunkte häufig als Komplikationen eines Gestationsdiabetes beobachtet werden. Doch auch hier fanden sich klare lineare Assoziationen. Das Risiko für primäre Sectio und neonatale Hypoglykämie war allerdings weniger deutlich erhöht als jenes für die beiden erstgenannten Endpunkte (Tabelle). Signifikante, aber noch schwächere Assoziationen wurden für die sekundären Endpunkte gefunden.
Limitationen der Studie
Aufgrund des Designs der Studie kann nicht geschlossen werden, dass die aufgetretenen perinatalen Probleme kausal mit der mütterlichen Hyperglykämie zusammenhängen, wenngleich dies sehr
plausibel erscheint. Als weitere Limitationen ihrer Studie geben die Autoren an, dass der Ernährungszustand und die Gewichtszunahme der Teilnehmerinnen während der Schwangerschaft das fetale Wachstum und das perinatale Outcome beeinflusst haben könnten. Daten dazu wurden jedoch nicht erhoben. Ausserdem ist es möglich, dass ein Gestationsdiabetes in der Vergangenheit oder das Körpergewicht der Mutter die Wahl des Entbindungsmodus mitbestimmt haben könnten.
Perspektiven: Re-Evaluation bei mütterlicher Glykämie sinnvoll
Auf der anderen Seite lassen die breiten Einschlusskriterien, die grosse Teilnehmerinnenzahl, die breite geografische Verteilung der Zentren und die Homogenität der gefundenen Korrelationen zwischen den Zentren darauf schliessen, dass die Ergebnisse verallgemeinert werden können. Sie könnten als Basis dafür dienen, outcomebasierte Kriterien für die Klassifizierung der Glykämie in der Schwangerschaft zu erstellen, die weltweit Anwendung finden. Denn bis anhin sind die Kriterien für die Diagnose eines Gestationsdiabetes nicht geeignet, um das Risiko für perinatale Probleme zu quantifizieren, sondern nur dazu, Frauen zu erkennen, die nach der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes aufweisen. Allerdings macht das Fehlen von klaren Grenzwerten und die Tatsache, dass die vier primären Endpunkte nicht unbedingt von gleicher klinischer Relevanz sind, die Implementierung der Ergeb-
merksätze
Bekannt ist: ■ Ein manifester Gestationsdiabetes erhöht die
perinatale Morbidität. Die Bedeutung einer leichten Hyperglykämie im subdiabetischen Bereich ist bis jetzt unklar. Die HAPO-Studie hat gezeigt: ■ Mit steigendem Glukosespiegel erhöht sich das Risiko für Geburtsgewicht und C-PeptidSpiegel im Nabelschnurblut oberhalb der 90. Perzentile, für primäre Sectio und neonatale Hypoglykämie. ■ Die höchsten adjustierten Odds Ratios pro Anstieg der Nüchtern- und Belastungsblutzuckerwerte um eine Standardabweichung fanden sich beim Geburtsgewicht und beim C-Peptid-Spiegel oberhalb der 90. Perzentile. Konsequenzen: ■ Die derzeit gültigen Diagnosekriterien einer Hyperglykämie in der Schwangerschaft müssen überarbeitet werden.
nisse in die klinische Routine zu einer
Herausforderung. Doch klar ist, dass die
gefundenen signifikanten Assoziationen
zwischen perinatalen Problemen und
einer geringfügigen Hyperglykämie in
der Schwangerschaft, die derzeit als
nichtdiabetisch eingestuft wird, eine
Überarbeitung der derzeit gültigen
Kriterien für Diagnose und Therapie der
Hyperglykämie in der Schwangerschaft
notwendig machen.
■
Angelika Bischoff
Quelle:
The HAPO Study Cooperative Research Group: Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcomes. N Engl J Med 2008; 358: 1991–2002.
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