Transkript
INTERVIEW
Dr. med. Franziska Maurer-Marti, Chefärztin der Frauenklinik am Bürgerspital in Solothurn, ist als erste Frau zur Präsidentin der gynécologie suisse SGGG gewählt worden. Sie gab Auskunft zu ihren Vorstellungen und Zielen in den nächsten zwei Jahren.
Gynäkologie: Es heisst, dass die neue Frauenarztgeneration weiblich ist, denn seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Frauen mit Facharzttitel in Gynäkologie und Geburtshilfe in der Schweiz ganz markant zu. Immer häufiger trifft man auch Frauen auf Chefarztposten. Wie haben Sie diese Entwicklung erlebt? Dr. med. Franziska Maurer: Wie überall in der Arbeitswelt finden sich Frauen auch in der Medizin
«Die zunehmende Feminisierung ruft nach Anpassung»
leitenden Ärztinnen und Oberärzten und -ärztinnen aufgebaut. Diese können mich hundertprozentig vertreten, wenn die Arbeit als Präsidentin der SGGG meine Anwesenheit anderswo fordert. Die Präsidentschaft erfordert zeitlich ein 30-Prozent-Pensum, das vor allem an Wochenenden und nachts erarbeitet wird.
erst jetzt zunehmend in Kaderpositionen. Als ich vor zehn Jahren Chefärztin wurde, war ich die dritte in der Schweiz. Inzwischen sind 12 der insgesamt 67 Chefstellen an Schweizer Spitälern von Frauen besetzt. Hier findet also derzeit ein Wandel statt. Wie Sie richtig feststellen, wird die neue Frauenarztgeneration weiblich sein. Derzeit sind in der Altersgruppe der 35- bis 50-jährigen Gynäkologen die Hälfte Ärztinnen. Markant ist, dass über 80 Prozent der jungen Ärzte und Ärztinnen, die sich in der gynäkologisch-geburtshilflichen Weiterbildung befinden, Frauen sind. Allerdings wird sich die Gesamtzahl der Frauenärzte und -ärztinnen in den nächsten Jahren nicht erhöhen, im Gegenteil: Immer weniger junge Leute ergreifen das Fach Gynäkologie/Geburtshilfe in der Weiterbildung. Zudem gehen in den kommenden Jahren viele Frauenärzte in Pension.
Was hat Sie dazu bewogen, für das Präsidialamt der gynécologie suisse SGGG zu kandidieren? Franziska Maurer: Nun, es braucht jemanden, der sich dieser Arbeit, zusätzlich zum eigentlichen ärztlichen Beruf, annimmt. Ich habe mich dieser Aufgabe jetzt gestellt – zu einem Zeitpunkt, der mir erstmalig die Möglichkeit gibt, mich breiter für ausserklinische Tätigkeiten zu engagieren. Zudem ist mein Sohn inzwischen erwachsen, sodass ich als Mutter entlastet bin – ein wichtiger Moment für uns Frauen, die Familie und Beruf vereinen. Inzwischen habe ich eine zehnjährige Erfahrung als Chefärztin an den zwei Frauenkliniken, zuerst in Grenchen, später in Solothurn, habe mir einen Namen, das Wissen in unserer Standesorganisation und ein verlässliches Team von
Was sind Ihre Hauptaufgaben als SGGG-Präsidentin? Franziska Maurer: Hierzu gehören die Vorbereitung und Leitung der grossen Vorstandsitzungen, die alle sechs Wochen intensiv, während sechs Stunden ohne Pausen stattfinden. Dazu kommen die kleinen Vorstandssitzungen im «nur» fünfköpfigen engeren Kreis an Samstagvormittagen. Hier werden Traktanden und Dokumentationen vorbereitet, diskutiert, festgelegt und Besprechungen mit externen Gremien vorbereitet. Inhaltlich geht es zum Beispiel um die Planung von schweizerischen wie internationalen Fortbildungskongressen, Patientenaufklärungsprotokolle, Expertenbriefe, Tariffragen. Ganz wichtig sind ferner Ausarbeitungen von Kriterien, die in
« 80 Prozent der Ärzte,
die sich derzeit in der
gynäkologisch-geburtshilflichen
Weiterbildung befinden,
»sind Frauen.
externen Ausschüssen erörtert werden, wie demnächst im BAG anlässlich der Vernehmlassung des neuen Bundesgesetzes für Prävention. Viele darin noch unberücksichtigte Aspekte, die unser Fachgebiet betreffen, müssen abgeklärt werden. Dann gibt es interne und externe Anfragen an die SGGG zu beantworten, die Ausarbeitung des neuen Weiterbildungsprogramms, die Konzeption und Vermarktung von E-Learning sowie Aufgaben in der Qualitätssicherung zu bewerkstelligen. Und das sind nur die Hauptaufgaben!
GYNÄKOLOGIE 5/2008
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INTERVIEW
In der Frauenheilkunde von heute gibt es eine starke Tendenz zur Spezialisierung in Teilgebiete wie Urogynäkologie, onkologische Gynäkologie, Reproduktionsmedizin, also Facharzttitel FMH plus Spezialgebiet. Andererseits gibt es bei den Praxisärzten Bestrebungen, als Primärarzt der Frau einen festen Platz zu finden. Was erwarten Sie in den kommenden Jahren? Franziska Maurer: Die Tendenz zur Spezialisierung finden wir in jedem Gebiet der Medizin. Die Frauenheilkunde bildet da keine Ausnahme, und das ist gut, weil wir dem wissenschaftlichen Fortschritt
« Nicht zu vergessen ist, dass
viel Arbeit im Präsidium
und im Vorstand der SGGG auf
»die Wochenenden fällt.
und unserem ärztlichen Versorgungsauftrag auf dem neuesten Stand gerecht werden wollen. Deshalb haben wir auch ein neues Weiterbildungsprogramm ausgearbeitet, welches per 1. Juli 2008 in Kraft gesetzt wurde. Alle jungen Ärzte und Ärztinnen, die sich ab jetzt für die Fachrichtung Gynäkologie und Geburtshilfe entscheiden, werden dieses europakompatible Weiterbildungsprogramm durchlaufen. Während fünf Jahren werden sie zu Basisgynäkologinnen oder -gynäkologen ausgebildet, was sie befähigt, eine gynäkologische Praxis zu führen. Die Subspezialisierungen werden bei Interesse in einer zusätzlichen zweijährigen Weiterbildung erreicht. Neu dazu gekommen ist der Schwerpunkttitel für den operierenden Gynäkologen oder die operierende Gynäkologin. Künftig werden sich mit grosser Wahrscheinlichkeit Gruppenpraxen bilden, in welchen mehrere Ärzte ein ganzes Spektrum anbieten. Es wird Frauenärzte geben, die gynäkologische Grundversorgung anbieten, daneben werden sich spezialisierte Frauenärzte beispielsweise um Brustkrebs kümmern, um Krankheiten also, die viel Spezialwissen erfordern. Es ist auch möglich, Fachleute weiterer Disziplinen, beispielsweise einen Pädiater, in eine solche Gruppenpraxis zu integrieren.
Was sehen Sie, vielleicht gerade als Frau, als weitere aktuelle Herausforderungen der Schweizer Frauenheilkunde? Franziska Maurer: Ich möchte mithelfen, das Fachgebiet als solches, die Gynäkologie und die Geburtshilfe, zusammenzuhalten, und zwar als klinische und als wissenschaftliche Einheit, denn wir sind «eine Familie». Jedes Mitglied der gynécologie suisse SGGG soll wissen, dass der Vorstand und die Gesellschaft für jeden einzelnen Frauenarzt und jede einzelne Frauenärztin da sind. Hier möchte ich auch
helfen, die Kommunikation zu fördern. Die Mehrsprachigkeit in der Schweiz stellt uns zudem immer wieder vor Herausforderungen; bei grossen Fortbildungsveranstaltungen sind Simultanübersetzungen, bei Schriftverkehr die Zweisprachigkeit unverzichtbar. Ein Problem könnte durch den Nachwuchsmangel in einigen Jahren entstehen. In den nächsten 15 Jahren werden zirka 600 Frauenärzte in Pension gehen und nur 360 «rücken nach». Zusätzlich wollen immer weniger Medizinstudenten den Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe erreichen. Gerade auch den jungen Frauen, die Frauenärztin werden wollen, möchten wir Wege bieten, die Weiterbildung durchzuziehen. Aufgaben haben hier auch die Politiker! Die zunehmende Feminisierung in unserem Fach ruft nach Anpassung! Damit wir unsere Weiterbildung auf hohem Qualitätsniveau absolvieren können, brauchen wir, weil wir auch Mütter (und Väter!) kleiner Kinder sind, Krippen und Tagesschulen, die unseren Bedürfnissen angepasst sind, also solche, die flexible Öffnungszeiten haben. Ferner muss Kinderbetreuung steuerlich absetzbar sein. Zusätzlich müssen wir uns an Teilzeitstellen für Frauenärztinnen und -ärzte
« Ich möchte mithelfen, das
Fachgebiet zusammenzuhalten,
und zwar als klinische und als
wissenschaftliche Einheit,
»denn wir sind eine Familie.
gewöhnen sowie das Jobsharing auf Kaderebene fördern. Im Hinblick auf unsere Zukunft als Gynäkologen und auch auf unseren ärztlichen Versorgungsauftrag der Frauen muss die individuelle Karriereplanung mit jeder Kandidatin persönlich und differenziert angeschaut werden. Aus meiner persönlichen Erfahrung möchte ich sagen: Es geht mit Familie!
Frau Dr. Maurer, herzlichen Dank für das Gespräch. ■
Das Interview führte Bärbel Hirrle.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Franziska Maurer Präsidentin gynécologie suisse SGGG
Chefärztin Frauenklinik Bürgerspital Solothurn
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