Transkript
EDITORIAL
S ie ist 25 und stark übergewichtig. In die Praxis kommt sie, weil sie unter starken Monatsblutungen leidet. Ausserdem wünscht sie sich ein Kind, trotz regelmässiger «Versuche» mit ihrem Mann schon lange ohne Erfolg.
Adipositas und gynäkologische Folgen Eine Situation, die Behandlung erfordert: Bekanntermassen hat deutliches Übergewicht, insbesondere ein Zuviel an Bauchfett, einen grossen Einfluss auf den Stoffwechsel und Hormonhaushalt. Kardiovaskuläre Spätfolgen sind vorprogrammiert, das Risiko für viele Krebserkrankungen steigt. Im Auge zu behalten ist, dass Adipositas zu gynäkologischen Störungen und Krankheiten führt, da das viszerale Fettgewebe biologisch aktive Östrogene produziert. Ein polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS) mit Spätfolgen tritt
Übergewicht – wichtiges Thema beim Frauenarzt
vor allem bei adipösen Frauen auf, insbesondere wenn die Androgensekretion erhöht ist. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen mit Gestationsdiabetes und Notfallsectio sind bei Übergewichtigen charakteristisch. In der Postmenopause ist eine Hormonsubstitution wegen klimakterischer Beschwerden kontraindiziert, wenn bei der inzwischen noch stärker adipösen Frau ein hohes Brustkrebsrisiko oder/und auch schon eine KHK besteht. Nicht zu vergessen sind die Präkanzerose des Endometriums, der Descensus genitales mit Zysto- und Rektozele und Harninkontinenz, das erhöhte Operationsrisiko dieser adipösen Patientin (u.v.m.).
Prävention grossgeschrieben: moderne Ernährungsprinzipien Damit es erst gar nicht so weit kommt: Übergewicht – neben dem BMI ist der Taillenumfang (bzw. das viszerale Fett) der bedeutsame Marker – erfordert eine effektive Ernährungstherapie. PD Dr. Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler, erläutert Pathomechanismen der Folgekrankheiten des bei Übergewicht gehäuft auftretenden PCOS, vergleicht Diätformen und stellt die Bedeutung des glykämischen Indexes der Nahrungsmittel heraus. Eine Ernährungsumstellung, die vor allem darauf zielt, die Insulinkonzentration zu senken, vermindert markant die endokrinen Störungen und gleichzeitig die wichtigsten kardiometabolischen Risikofaktoren, und zwar selbst, wenn eine grössere Gewichtsreduktion nicht gelingt. Worm empfiehlt zur Senkung der «glykämischen Last» sogenannte LOGI-Diäten, bei denen Nahrungsmittel mit niedriger Blutzucker- und Insulinwirkung bevorzugt werden.
Statement: HRT bei gesunden Frauen zur Diabetesprävention Dass eine postmenopausale HRT bei gesunden, normalgewichtigen Frauen in der frühen Postmenopause – individuell dosiert – das Diabetesrisiko um fast die Hälfte senkt, stellt Prof. Matthias Wenderlein fest, der Jahrzehnte in der gynäkologischen Endokrinologie zu Hause war. Er analysierte die grossen, viel diskutierten HRT-Studien und fand heraus, dass in den Studienkollektiven trotz erhöhter metabolischer Probleme der Frauen (weil sie meist schon über 60 Jahre waren) markant weniger Diabetes-Neudiagnosen registriert wurden, als zu erwarten gewesen wäre. Als Gründe für seine Hypothese stellt er interessante Thesen auf.
Möglichkeiten und Grenzen der «Abspeckpillen» Wenns bereits «sehr spät» ist: Drei Medikamente sind derzeit zugelassen als Hilfe, den Fettabbau bei starker Adipositas zu beschleunigen. Prof. Fölsch nimmt sie kritisch unter die Lupe und findet, dass mit einer Kombination aus Lebensstiländerungen und Pharmakotherapie mittlere Gewichtsverluste von 12 kg erreichbar sind. Unter strenger Indikationsstellung und ärztlicher Überwachung von Nebenwirkungen kann also mit dieser Therapie ein markanter Schritt in Richtung Gewichtsnormalisierung eingeleitet werden. Eine ganzheitliche stabilisierende Behandlung soll sich aber anschliessen. Übergewicht ist mehr als ein kosmetisches Problem; Fragen zur Gesunderhaltung stehen oben auf der Wunschliste der Frauen. Gründe genug, der Gewichtsnormalisierung auch in der gynäkologischen Praxis einen hohen Stellenwert einzuräumen.
Bärbel Hirrle (Redaktion)
GYNÄKOLOGIE 4/2008
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