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Neue Therapien
Jahresversammlung der gynécologie suisse SGGG, Interlaken, Juni 2008
Aromatasehemmer: Anwendungsfragen in der Praxis
In charakteristischen, aber komplexen Situationen bei Brustkrebs in frühen und späten Stadien die «richtige Therapiestrategie» finden: Praktische Fragen zur Tumorkontrolle in der Postmenopause unter Aromatasehemmerbehandlung im Visier der aktuellen Studienlage erörterten Referenten und Zuhörer auf dem Novartis-Lunchmeeting während der SGGG-Jahresversammlung.
Rund die Hälfte der Frauen mit Brustkrebs hat bei Diagnosestellung eine hormonabhängige Erkrankung, feststellbar durch die Bestimmung der Östrogen(ER) und/oder Progesteron-(PgR-)Rezeptoren im Tumorgewebe. Die endokrine Therapie mit Aromatasehemmern wie Letrozol (Femara®) steht heute an erster Stelle bei Frauen in der Postmenopause und wird angewandt sowohl in der metastasierten als auch der adjuvanten Situation.
Spätstadien: aktuelle Firstbis Thirdline-Behandlungen
«Das metastasierte Mammakarzinom, nach heutigem Kenntnisstand nicht heilbar, lässt sich unter günstigen Bedingungen mit heutigen Therapien in eine chronische Erkrankung führen», erklärte Prof. Jens Huober, St. Gallen. Ziele der Therapie seien Lebensverlängerung, Linderung tumorbedingter Beschwerden und langfristiger Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit respektive der Lebensqualität. Die Antihormontherapie stellt die Behandlung der ersten Wahl dar; Ausnahmen sind ausgeprägte Symptomatik, ausgedehnter Organbefall sowie die endokrine Resistenz. Seitdem Mitte der Neunzigerjahre die Aromatasehemmer (AI) sich gegenüber Tamoxifen bei postmenopausalen Frauen in mehreren Phase-III-Studien als überlegen erwiesen haben, bilden sie den Goldstandard in der Firstline-Behandlung. Huober hob die Studie von Mouridsen (1) hervor, die unter Letrozol eine Remissionsrate bei 30% (vs. 20% unter Tamoxifen), einen klinischen Nutzen bei 49% der Frauen, eine mittlere TTP (time to tumor progression) von 9,4 Monaten (vs. 6 Mt.) und ein güns-
tiges Nebenwirkungsspektrum gezeigt hatte. In der Secondline-Behandlung ergaben sich in verschiedenen Studien signifikante Überlebensvorteile der drei AI gegenüber dem früher angewandten Megestrolacetat (2–4). Selbst in der Thirdline-Therapie, im Anschluss an Behandlungen mit Tamoxifen und danach Fulvestrant, erreichte die AI-Therapie einen klinischen Benefit noch bei mehr als 40% der Patientinnen (5).
Ziel: die endokrine Resistenz durchbrechen In jüngsten, teilweise noch laufenden Studien wird versucht, die endokrine Resistenz, die die Grenzen des therapeutischen Nutzens setzt, durch neue Strategien oder auch den Einsatz zielgerichteter Therapien zu durchbrechen. Huober beschrieb aktuelle Studienansätze: In einer experimentellen Studie wurde eine 4- bis 6-wöchige Therapiepause zum Zeitpunkt der endokrinen Resistenzbildung nach erfolgreicher LetrozolBehandlung bis zum 22. Monat (Response und Tumorregression) versucht. Während dieser therapiefreien Zeitspanne kam es zu deutlichem Tumorwachstum und HER2-Anstieg. Unter erneuter Letrozoltherapie stagnierte die Tumorprogression, der HER2-Spiegel sank (6). Die laufende SOLE-Studie von Paul Goss prüft diese Methode klinisch in zwei Studienarmen bei postmenopausalen nodalpositiven Brustkrebspatientinnen (zu 10% ER- und/oder PgR-positiv): Nach 4 bis 6 Jahren SERM- und/oder AIBehandlung werden die Patientinnen randomisiert, wobei Gruppe A durchgehend Letrozol für 5 Jahre erhält und Gruppe B Letrozol in dreimonatigen In-
tervallen bekommt. Wie Craig Jordan auf der St. Galler Brustkrebskonferenz 2007 referierte, gibt er als ThirdlineTherapie bei eingetretener Antihormonresistenz sogar ganz niedrig dosiertes Östrogen mit dem Ziel, die Hormonempfindlichkeit erneut zu induzieren und um resistente Zellen zu vernichten. Bei Hormonempfindlichkeit wird erneut ein Aromatasehemmer verabreicht. Ein weiterer Weg ist der zusätzliche Einsatz zielgerichteter Therapien, wie Huober erklärte. Die auf dem ASCOMeeting 2008 vorgestellte randomisierte RECIST-Studie bei metastasiertem Brustkrebs untersuchte den Therapienutzen durch den EGFR-Signalweg mit Gefinitib plus Anastrozol versus Plazebo plus den AI: Dabei zeigte sich ein deutlich verlängertes Überleben von 14,4 versus 8,2 Monate und ein signifikanter klinischer Benefit (48 vs. 34% nach 24 und mehr Wochen) bei den postmenopausalen Frauen mit metastasiertem Brustkrebs (Charakteristika: ER- u./o. PgR-positiv, Metastasierung unter bzw. nach Tamoxifen oder auch bei ausgebliebener endokriner Therapie). In der TAnDEMStudie (7) wurde die Beeinflussung des HER2-Signalweges mit Trastuzumab als Zugabe zu Anastrozol genutzt: Es ergab sich ein klinischer Benefit bei 42,7% (vs. 27,9%) der Frauen und in der Subgruppenanalyse der Frauen mit zentral bestätigtem hormonrezeptorpositivem Status ein medianes PFS von 5,6 vs. 3,8 Monaten. Die laufende ELECTRA-Studie ist eine analoge Studie in der FirstlineTherapie, die eine entsprechende Klientel unter Trastuzumab-plus-Letrozol-Therapie untersucht. Dabei erhält ein Teil der Gruppe der Patientinnen mit HER2-posi-
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Adjuvante Aromatasehemmer-Therapie (AI) bei postmenopausalen Brustkrebspatientinnen
R
IA
R
ATAC, BIG 1-98
SW
R
SE
ARNO, ABCSG, ITA, IES
BIG 1-98
EA
R
Ma.17
«musts»
5 Jahre
TAM
AI PLAZEBO
Exakte AI-Therapiedauer noch nicht festgelegt (> 30 Monate)
Abbildung: Die wichtigsten Studien (rechts stehend) zur Strategie der adjuvanten endokrinen Therapie
Legende: TA = «initial adjuvant» | SW = «switch» (Wechsel) | SE = sequenziell EA = «extended adjuvant» | R = endokrine Response
Prof. Köchli
Optimale Therapiestrategie aufgrund des Risikoprofils
(gemäss der derzeitigen Studienlage)
(%-Angaben im TED)
A Patientin, 55 Jahre
Tumorcharakteristika: pT1c; pN0, M0, ER- und PR-ausgeprägt positiv, erbB2-negativ, G2.
Status nach brusterhaltender und Sentineloperation sowie Bestrahlung.
Bewertung: nodalnegativ, kein Hochrisiko.
Optimale Therapie: nach Beratung im Tumorzentrum im Brustzentrum:
2 Jahre Tamoxifen, dann Wechsel auf Aromatasehemmer («switch»).
(56% der Antworten)
B Patientin, 60 Jahre (dieselbe 5 Jahre später) Tumorcharakteristika: pT1c; pN1 (3/16), M0, ER- und PR-positiv, erbB2-negativ, G3. Status nach brusterhaltender und axillärer Chirurgie, Radio- und Chemotherapie sowie 2 Jahren Tamoxifen. Bewertung: nodalnegativ, Hochrisiko, erfolgte Tamoxifen-Therapie während 2 Jahren. Optimale Therapie: Wechsel auf Exemestan (Aromasin®) («Switch»). (44% der Antworten, 50% würden auf Letrozol wechseln)
C Patientin, 62 Jahre
Tumorcharakteristika: pT2; pN1 (2/18), M0, ER- und PR-positiv, erbB2-negativ, G3.
Status nach brusterhaltender und axillärer Chirurgie, Radio- und Chemotherapie sowie
antihormonaler Therapie.
Bewertung: nodalpositiv, Hochrisiko.
Optimale Therapie: Alternativ: Wechsel auf Letrozol (Femara®) oder auch
Anastrozol (Arimidex®) – für mindestens 5 Jahre: «initial adjuvant».
(58% der Antworten)
D Patientin, 65 Jahre Tumorcharakteristika: pT2; pN1 (1/18), M0, ER- und PR-positiv, erbB2-negativ, G2. Status nach brusterhaltender und axillärer Chirurgie, Radio- und Chemotherapie sowie Tamoxifen während 5 Jahren. Bewertung: nodalpositiv, erfolgte Tamoxifen-Therapie während 5 Jahren. Optimale Therapie: Letrozol (Femara®) für mindestens 2 Jahre: «extended adjuvant». (32% der Antworten)
E Patientin, 51 Jahre Tumorcharakteristika: pT2; pN1 (4/19), M0, ER- und PR-positiv, erbB2-positiv, G3. (Erstdiagnose im 49. Lebensjahr.) Status nach brusterhaltender und axillärer Chirurgie, Radio- und Chemotherapie. Trastuzumab (Herceptin®) während 1 Jahr und Tamoxifen während 2 Jahren. Aktuell: sehr gering ausgeprägter E2-Rezeptor. Bewertung: nodalpositiv, Hochrisiko, beginnende Menopause. Optimale Therapie: Aromatasehemmer (Letrozol oder Anastrozol) für 5 Jahre: «initial adjuvant». (53% der Antworten)
tiven Tumoren nach Randomisierung Letrozol und dann Trastuzumab, der andere Teil beide Substanzen gleichzeitig. Huober fasste die Säulen der Therapieentscheidung beim metastasierten Mammakarzinom zusammen: ■ Allgemeinzustand und Alter der Frau ■ Aggressivität der Krankheit und Loka-
lisation der Metastasierung ■ Art der adjuvanten und palliativen
Vorbehandlung ■ Erwartungen und Wünsche der Pa-
tientin. «Bei der engen Therapiewahl sind Menopausenstatus, Typ der Vortherapie sowie Daten einer entsprechenden Therapiestudie Entscheidungskriterien.»
Adjuvante endokrine Therapie: wann welche?
Bezüglich der adjuvanten Therapie nach primärem operiertem Brustkrebs gilt nach St. Galler Konsensus die Hormonempfindlichkeit des Tumors als wichtigster Faktor bei der Festlegung der therapeutischen Strategie. Wie Prof. Ossi R. Köchli, Zürich, weiter erklärte, ist die Stärke der Rezeptorexpression grundsätzlich für die Response der endokrinen Therapie wegweisend. Postoperatives Ziel ist die Prävention von Lokalrezidiven und vor allem von Fernmetastasen. Bei Metastasierung bestehen derzeit 5-Jahres-Überlebensraten von lediglich 22% und 10-Jahres-Überlebensraten von nur 9% der Patientinnen. Hier zeigt Letrozol als einziger Aromatasehemmer eine signifikante Senkung des Fernmetastasenrisikos von bis zu 30% in den ersten zwei Jahren der adjuvanten Behandlung (8). Gegenüber Tamoxifen haben sich die AI in den meisten Situationen als vorteilhafter erwiesen mit weniger (v.a. östrogenen) Nebenwirkungen und besserer Wirksamkeit. Zudem zeigt Letrozol als einziger Aromastasehemmer hohe Effektivität selbst noch nach einer mehrjährigen Tamoxifentherapie, wie die kürzlich publizierte MA.17-Studie (9) gezeigt hat. «Zu beachten ist, dass in den ersten zwei postoperativen Jahren sich die meisten Rezidive entwickeln. Ebenso wichtig: Zirka die Hälfte aller spät auftretenden Rezidive treten in den ersten fünf Jahren nach einer fünfjährigen Tamoxifentherapie auf», so Köchli. In der MA.17-Studie (9) hat sich nach median 5,3 Jahren
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Letrozoltherapie (im Anschluss an 5 Jahre Tamoxifen) ein um 61% erniedrigtes Risiko für Fernmetastasen gegenüber Plazebo ergeben sowie ein um 63% verbessertes krankheitsfreies Überleben (Gesamtüberleben: HR = 0,58; 95% KI 0,37–0,90). Lediglich die Rate der Osteoporoseerkrankungen war unter dem AI erhöht. Vier (respektive 8, s.u.) wegweisende Studien haben das Potenzial der Aromatasehemmer Letrozol, Anastrozol und Exemestan und verschiedene Therapiemodalitäten im Vergleich zu Tamoxifen oder auch Plazebo untersucht (vgl. Abbildung): ■ die Studien ATAC und BIG 1-98 als
«initial adjuvant» (IA) ■ die Studie IES als Wechsel («switch»)
mit Tamoxifen (SW) (eine untergeordete Bedeutung haben auch ARNO, ABCSG und ITA) ■ die Studie BIG-1-98 als «sequenziell» (SE) ■ die Studie MA.17 als «extended adjuvant». Prof. Köchli prüfte in einer interaktiven Serie von fünf Krankheitsfällen das Wissen der Zuhörer. Via TED-Befragung wählten sie aus jeweils fünf Möglichkeiten die richtige Therapie aus. Die Fälle, die Beurteilung und die Therapiewahl entsprechend des Risikoprofils, wie sie
im Rahmen der Fortbildung diskutiert
wurden, sind im Kasten dargestellt.
Zum Fall D, bei dem die Strategie der
kürzlich publizierten Ma.17-Studie (9) an-
gewandt wird, betonte Köchli: «Selbst
Frauen, die mehrere Jahre nach Ab-
schluss einer Tamoxifentherapie noch
eine ausgeweitete adjuvante AI-Therapie
mit Letrozol einleiten, können ihr Rezidiv-
risiko markant senken.»
■
Bärbel Hirrle
Quelle: «Aromatasehemmer beim Mammakarzinom: State of the Art», Lunch-Meeting organisiert von Novartis Pharma Schweiz AG im Rahmen der SGGG-Jahresversammlung, Interlaken, 27. Juni 2008. Chair: Prof. Daniel Fink, Klinik für Gynäkologie, Universitätsspital Zürich
Referenzen:
1. Mouridsen, H. et al.: Superior Efficacy of Letrozole Versus Tamoxifen as First-Line Therapy for Postmenopausal Women With Advanced Breast Cancer: Results of a Phase III Study of the International Letrozole Breast Cancer Group. JCO 2001; 19: 2596–2606.
2. Kaufmann, M. et al.: Exemestane Is Superior to Megestrol Acetate After Tamoxifen Failure in Postmenopausal Women With Advanced Breast Cancer: Results of a Phase III Randomized Double-Blind Trial. JCO 2000; 18: 1399–1411.
3. Buzdar, A. U. et al.: Anastrozole versus megestrol acetate in the treatment of postmenopausal women with advanced breast carcinoma. Results of a survival update based on a combined analysis of data from two mature phase III trials. Cancer. 1998; 83: 1142–1152.
4. Dombernowsky, P. et al.: Letrozole, a new oral aromatase inhibitor for advanced breast cancer: double-blind randomized trial showing a dose effect and improved efficacy and tolerability compared with megestrol acetate. JCO 1998; 15: 453–461.
5. Howell, A. et al.: Fulvestrant, Formerly ICI 182,780, Is as Effective as Anastrozole in Postmenopausal Women With Advanced Breast Cancer Progressing After Prior Endocrine Treatment. JCO 2002; 20; 3396–3403.
6. Sabnis, G. J. et al.: Stopping Treatment Can Reverse Acquired Resistance to Letrozole. Cancer Res. 2008; 68: 4518–4524.
7. Kaufmann, B.: Trastuzumab plus anastrozole prolongs progression-free survival in postmenopausal women with HER2 positive, hormone-dependent metastatic breast cancer (MBC). European Society for Medical Oncology (ESMO) Congress, Abstract no. LBA2.
8. Mauriac, L. et al. (On the behalf of BIG 1-98 Collaborative Group and International Breast Cancer Study Group): Predictors of early relapse in postmenopausal women with hormone receptor-positive breast cancer in the BIG 1-98 trial. Annal. Oncol. 2007; 18: 859–867.
9. Goss, P. E. et al.: Late Extended Adjuvant Treatment With Letrozole Improves Outcome in Women With Early-Stage Breast Cancer Who Complete 5 Years of Tamoxifen. JCO 2008; 26: 1948–1955.
Prisma
Prix Gallien Suisse 2008 für Gebärmutterhals-Impfung
Der für herausragende und innovative Resultate der Arzneimittel- oder Diagnostikforschung verliehene Prix Gallien Suisse geht in diesem Jahr an den HPV-Impfstoff zur Prävention des Zervixkarzinoms und seiner Vorstufen Gardasil®.
Prof. Richard Herrmann, Direktor Onkologie am Universi-
tätsspital Basel und Präsident der Jury, würdigte die lang-
jährigen Forschungsarbeiten und die Einmaligkeit dieser
Impfung. Stifterin des Preises ist die «Medical Tribune».
Zum Anlass der Preisverleihung beschrieb Prof. Harald
zur Hausen, der Entdecker des HPV-Impfstoffes, den
spannenden Forschungsweg. Prof. Thomas D. Szucs und
Prof. Felix Gutzwiller erläuterten das Kosten-Nutzen-Ver-
hältnis und das in den meisten Schweizer Kantonen nach
den Sommerferien startende Impfprogramm für Jugend-
liche
▲
Quelle: Medienmitteilung Balanx Zürich
Dr. med Andrée Montigny, Country Manager Switzerland von Sanofi Pasteur MSD (Mitte), nimmt die begehrte Auszeichnung von Dr. med. Christine Mücke, «Medical Tribune» (rechts), und Professor Richard Herrmann, Jurypräsident Prix Gallien, entgegen.
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