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SCHWERPUNKT
Präkonzeptionelle Beratung und Prävention
Empfehlungen bei Frauen mit Kinderwunsch
Die breite Etablierung des Vorsorgegedankens bei auftretendem Kinderwunsch ist bis heute schwierig, es bestehen die gleichen Barrieren wie bei anderen präventiven Massnahmen: Jene Frauen, die eine präkonzeptionelle Beratung am meisten benötigen, suchen diese am seltensten auf. Dies zu ändern ist unsere Aufgabe als Frauenärzte, trotz des hohen Zeitaufwands für eine individuelle Beratung. Im Folgenden werden die wichtigsten Themenbereiche, insbesondere bei Frauen mit chronischen Erkrankungen, verdeutlicht.
ANDRÉ B. KIND, DANIEL SURBEK
Durch Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen ist es gelungen, die mütterliche und kindliche Morbidität zu senken. In der Schweiz werden gemäss Krankenpflege-Leistungsverordnung bei unkomplizierten Schwangerschaften lediglich sieben Kontrollen bis zum Geburtstermin bezahlt; hinzu kommen zwei Screening-Ultraschalluntersuchungen. Dieses Angebot wird von den meisten Schwangeren angenommen. Dennoch und trotz des hohen medizinischen Standards sind wir von einer optimalen präventiven Versorgung der Schwangeren noch ein Stück entfernt: Dies zeigen die vergleichsweise hohe Frühgeburtenrate in der Schweiz und die zwar niedrigen, aber persistierenden Zahlen bei angeborenen Fehlbildungen, niedrigem Geburtsgewicht und mütterlicher Morbidität (1).
Zu einer Verringerung dieser Komplikationen kann die präkonzeptionelle Beratung beitragen. Dabei können vorbestehende Erkrankungen diagnostiziert und medizinische sowie soziale Risikofaktoren erkannt werden. Die Ziele sind es, vor Eintritt der Schwangerschaft den Gesundheitszustand zu optimieren und durch Unterstützung der Frau und ihres Partners medizinische und soziale Risikofaktoren zu minimieren.
Präkonzeptionelle Beratung: Konzept, Problemsituation
Obwohl das Konzept der präkonzeptionellen Beratung schon lange existiert, hat es sich immer noch nicht breit genug in der Gesellschaft etabliert. Die meisten Frauen reduzieren zwar ihre gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen (z.B. Rauchstopp) und ernähren sich gesünder, sobald der Schwangerschaftstest positiv ist. Das Problem aber: Zu diesem Zeitpunkt können bereits viele schädigende Einflüsse gewirkt haben. Ein Grossteil der kongenitalen Fehlbildungen entsteht zwischen Tag 17 und 56 post conceptionem, der Phase der Organogenese. Dies bedeutet, dass die kritische Zeit der potenziellen fetalen Organschädigung bereits drei Tage nach
Kind geplant? Mütter und Väter in spe sollten vermehrt wissen, dass sich ärztliche Präventionsmassnahmen vor einer Schwangerschaft lohnen: Gesundheits- und Fehlbildungsrisiken lassen sich damit deutlich reduzieren.
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Ausbleiben der erwarteten Menstruationsblutung beginnt. Diese Phase beginnt also meistens vor Feststellung der Schwangerschaft und weit vor der ersten Schwangerschaftskontrolle. Spätestens am Ende des ersten Trimenons haben sich «im Fall des Falles» alle fetalen grobstrukturellen Anomalien gebildet, und es ist für eine präventive Intervention zu spät. Bei der präkonzeptionellen Beratung muss zwischen «normalen» und «Risikoschwangerschaften» unterschieden werden. In die zweite Gruppe fallen Frauen mit chronischen Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, Epilepsie, Herzkrankheiten, rheumatologische Krankheiten) und Frauen mit belasteter geburtshilflicher Anamnese (z.B. Status nach Früh-/Spätabort, Präeklampsie, Frühgeburt). Einige der im Folgenden angesprochenen Themen betreffen alle Frauen im fertilen Alter, andere nur bestimmte Risikogruppen. Wesentlich ist, dass die präkonzeptionelle Beratung immer individuell auf die Frau respektive auf das Paar zugeschnitten ist. Die Pfeiler in der präkonzeptionellen Beratung sind in Tabelle 1 dargestellt.
Allgemeine Massnahmen im Rahmen der präkonzeptionellen Beratung
Neben allgemeinen Gesundheits- und Ernährungsempfehlungen gilt es, insbesondere folgende Aspekte bei Kinderwunsch zu beachten und in die Beratung beziehungsweise den Massnahmenkatalog einfliessen zu lassen:
Folsäure/Multivitaminpräparate Für kaum eine andere präkonzeptionelle Massnahme ist die Evidenz so eindeutig wie für die Folsäureprophylaxe zur Reduktion von Neuralrohrdefekten und anderen Fehlbildungen. Wie viele Frauen mit Kinderwunsch präkonzeptionell in der Schweiz Folsäure einnehmen, ist unbekannt. Studien zeigen aber, dass durch eine einmalige persönliche Beratung diese Rate massiv erhöht werden kann. Die Folsäureeinnahme muss bereits vor der Schwangerschaft begonnen werden, da der Schluss des Neuralrohrs zwischen den Tagen 22 bis 28 nach Befruchtung stattfindet. Eine Fehlbildungsverminderung wurde bisher neben den Neural-
Tabelle 1:
Drei Pfeiler in der präkonzeptionellen Beratung
1. Risikoerkennung ■ Anamnese (wichtigster Parameter zur Risikoabschätzung eines zukünftigen Schwangerschaftsver-
laufs) ■ körperliche Untersuchung ■ Screening (Zervixzytologie, Infektionen/Serologien, Urin, Blutdruck, Gewicht) ■ ggf. genetische Untersuchung
2. Gesundheitsberatung ■ allgemeine Gesundheits- und Ernährungsberatung mit Folsäureeinnahme, Rauch- und Alkohol-
stopp, Gewichtsmanagement, Sport/Bewegung, Verbesserung der psychosozialen Lebensbedingungen, Familienplanung
3. Interventionen ■ Auffrischung oder Nachholung von Impfungen ■ Umstellung/Anpassung/Sistieren von Medikamenten
rohrdefekten für Lippen-Kiefer-GaumenSpalten und Herzvitien sicher und für urogenitale Fehlbildungen mit Fragezeichen nachgewiesen. Folsäure ist in Orangensaft, Getreide und grünem Gemüse wie Spinat und Broccoli enthalten. Studien haben aber gezeigt, dass durch Nahrung allein die empfohlenen 0,4 mg täglich nicht erreichbar sind. Aus diesem Grunde sollten alle Frauen im reproduktiven Alter unabhängig von ihrem individuellen Risiko Folsäure einnehmen. Die Dosierung für Frauen ohne Risiko liegt bei 0,4 mg Folsäure pro Tag. Frauen mit einem erhöhten Risiko – beispielsweise wenn bereits ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt geboren wurde – sollten 4 mg Folsäure täglich einnehmen. Der grösste Effekt auf Fehlbildungsverminderung wurde gezeigt, wenn Folsäure länger als drei Monate präkonzeptionell und bis zur zwölften Schwangerschaftswoche eingenommen wurde. Ob die Folsäure in einem Präparat mit Multivitaminen integriert eingenommen werden sollte, oder ob Folsäure allein, ergänzt durch eine gesunde, vitaminreiche Ernährung, in einem Land wie der Schweiz, in dem Mangel- und Fehlernährung eher selten vorkommen, ausreicht, ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt jedoch Studienergebnisse, welche eine kombinierte Einnahme von Folsäure mit einem Multivitaminpräparat favorisieren.
Toxoplasmose Toxoplasma gondii verursacht eine milde mütterliche Erkrankung, die aber in der Schwangerschaft schwere Folgen für den Fetus haben kann. Das grösste Risiko für den Feten bei einer maternalen Infektion besteht im ersten Trimenon. Folgen können dann eine fetale Chorioretinitis, Hepatosplenomegalie, Mikrozephalie, Hydrozephalus und Abort sein. Die Infektion erfolgt über die Nahrungsaufnahme durch rohes Fleisch oder den Kontakt mit Katzenkot. Deshalb bestehen die Präventionsmöglichkeiten aus guter Hygiene mit Vermeidung von engerem Kontakt zu Katzen und dem Verzicht auf Kontakt und Genuss von rohem oder ungenügend gegartem Fleisch. Die Untersuchung auf Toxoplasmose sollte idealerweise präkonzeptionell erfolgen, um unklare Serologien und einen Infektionszeitpunkt bereits im Vorfeld abklären zu können und die Primärprävention frühzeitig zu beginnen.
Impfschutz Die präkonzeptionelle Beratung sollte auch dazu genutzt werden, den Impfschutz der Patientin zu überprüfen, da dieser bei vielen Schwangeren unzureichend ist und Lebendimpfstoffe in der Schwangerschaft kontraindiziert sind. Neben den üblichen Impfungen wie Tetanus, Diphtherie und Polio gibt es Erkrankungen, die in der Schwangerschaft besondere Risiken aufweisen. Dies sind neben den Röteln auch die Varizellen.
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Tabelle 2:
Impfungen: Empfehlungen für Frauen im reproduktiven Alter
(gemäss EKIF, BAG, SGGG, 2006)
Röteln (+ Masern und Mumps) ■ Impfstatus mittels Impfbüchlein erheben: falls 2 Impfungen dokumentiert sind, erfolgt keine
Serologiekontrolle ■ Rötelnanamnese unzuverlässig: Nachimpfung, falls nicht geimpft: 2 Dosen im Abstand von 4 Wo-
chen, Schwangerschaft bis 4 Wochen nach Impfung ausschliessen
Varizellen ■ Impfstatus kontrollieren ■ Varizellenanamnese zuverlässig: falls Anamnese unklar: Serologie ■ Nachimpfung, falls nicht geimpft und keine sichere Anamnese: 2 Dosen im Abstand von 4 Wochen
Bei einer mütterlichen Rötelnerkrankung im ersten Trimenon kommt es bei 80% der Schwangeren zu einer vertikalen Transmission: Die Wahrscheinlichkeit einer Rötelnembryopathie mit ihren schweren Folgen beträgt dann 50%. Zirka 5 bis 10% der Frauen im reproduktiven Alter in der Schweiz sind Varizellen-IgG-negativ. Im Falle einer Infektion ist das ungeborene Kind nicht nur in der frühen Schwangerschaft gefährdet (kongenitales Varizellensyndrom mit Extremitätenhypoplasie, Augenproblemen und mentaler Retardierung), gefährlich ist auch eine peripartale Infektion (5 Tage prä- bis 2 Tage postpartal). Hierbei kann es zu einem perinatalen Varizellensyndrom kommen, welches in bis zu 30% letal verläuft (neonatale Mortalität). Die Schwangere selbst ist durch eine Varizellenpneumonie gefährdet, welche eine hohe Letalität aufweist (vgl. hierzu Tabelle 2).
Familienplanung In den USA sind über die Hälfte der Schwangerschaften ungeplant. Dieser Anteil dürfte in der Schweiz deutlich geringer sein, aber Familienplanung ist auch hier ein wichtiges gesundheitliches Thema. Rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften bergen ein erhöhtes Risiko für bestimmte Schwangerschaftskomplikationen wie intrauterine Wachstumsretardierung, Frühgeburtlichkeit und erhöhte Säuglingssterblichkeit. Dagegen ist bei einem optimalen Abstand zwischen den Geburten von zwei bis fünf Jahren sowohl der mütterliche Gesundheitszustand (weniger Endometritis, Anämie,
Depression, Uterusrupturen v.a. bei vorausgegangener Sectio) als auch die kindliche Gesundheit nachweislich deutlich besser (2).
Der Partner Nicht zuletzt sollte der Partner der Frau nicht vergessen werden. Männer sind für die Unterstützung des gesundheitsförderlichen Verhaltens ihrer Partnerin sehr wichtig und sollten in das Beratungsgespräch eingeschlossen werden: Sie können die reproduktive Gesundheit verbessern, indem sie sich gesund ernähren, nicht rauchen (zumindest nicht in der Nähe ihrer Partnerin), und sie sollten über eigene Risiken wie Medikamenten- und Drogeneinnahme informiert sein.
Soziale Faktoren/Dystress Es gibt zahlreiche Studien, die einen Zusammenhang zwischen maternalem Dystress, Angst sowie Depression und Schwangerschaftskomplikationen belegen. Dabei zeigten sich Veränderungen in der Schwangerschaftsdauer, beim Geburtsgewicht und der fetalen neurologischen Entwicklung (3). Vor allem sozial benachteiligte Schwangere sind signifikant häufiger chronischem Dystress ausgesetzt. Im Durchschnitt ernähren sie sich häufiger falsch, verhalten sich gesundheitsschädigender und nehmen seltener Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen wahr als sozial besser gestellte Frauen. Andere Risiken wie Suchtmittelkonsum und die Infektionsgefahr durch HIV und Hepatitis C sind ebenfalls deutlich erhöht. Insgesamt treten bei Schwangeren aus sozial benach-
teiligten Schichten signifikant häufiger Fehl-, Früh- und Mangelgeburten auf (4). Vorschläge für eine behutsame Sozialanamnese: Zunächst müssen eine soziale Benachteiligung und der soziale Einfluss auf Krankheit und Gesundheit erkannt werden. Im klinischen Alltag ist dies bisweilen schwierig. Das Erheben einer Sozialanamnese erfolgt in der Regel, auch aus vermeintlicher Rücksicht auf die Patientin, nur oberflächlich, wenn nach Beruf und Zivilstand gefragt wird. Wichtige Fragen nach Belastungssituationen im Berufs- oder Privatleben sollten vermehrt und vorsichtig gestellt werden; dies betrifft ebenso diskrete Fragen nach eventuellen finanziellen Problemen. Neben stressreduzierenden Interventionen ist die Einbindung gefährdeter Frauen in ein festes soziales Netz hilfreich, wo sie Halt und Unterstützung finden. In einem solchen Netz sollte die Frau auch die Möglichkeit bekommen, soziale, rechtliche und finanzielle Hilfsangebote zu finden.
Medikamente Geschätzte 30% aller Frauen im gebärfähigen Alter verwenden pro Woche mindestens ein Arzneimittel (orale Kontrazeptiva nicht eingeschlossen), von denen einige einen negativen Einfluss auf das ungeborene Kind und die Schwangere haben können. Als Beispiel seien die Retinoide zur Behandlung von Hautkrankheiten genannt, die perikonzeptionell eingenommen embryotoxisch wirken und deshalb präkonzeptionell unbedingt abgesetzt werden müssen. Bei Patientinnen mit regelmässiger Medikamenteneinnahme wegen chronischer Erkrankungen empfiehlt sich abhängig von der Art und der Dosierung des Arzneimittels unter Umständen eine Therapieumstellung, ein Sistieren oder eine Dosisanpassung, und zwar bereits bei der Planung der Schwangerschaft. Dies ist beispielsweise bei Epilepsiemedikamenten und oralen Antikoagulanzien wesentlich.
Präkonzeptionelle Massnahmen bei chronischen Vorerkrankungen
Auch wenn die Prävalenz chronischer Krankheiten bei Frauen im fertilen Alter
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insgesamt noch gering ist, darf nicht unterschätzt werden, dass diese Erkrankungen auch bei jungen Frauen vorkommen. Die frühzeitige Diagnose und Therapie ist gerade bei Kinderwunsch wesentlich, damit in der Schwangerschaft mütterliche und fetale Komplikationen vermieden bis verringert werden. Eine sorgfältige Beratung der chronisch kranken Frau ist präkonzeptionell besonders wichtig. Dabei müssen die Auswirkungen der Schwangerschaft auf die chronische Erkrankung und die Folgen von Erkrankung und Medikamenteneinnahme auf die Schwangerschaft und den Feten erklärt werden. Die diesbezügliche Beratung wird an Bedeutung zunehmen, da mit dem Anstieg des Durchschnittsalters der Schwangeren in der Schweiz chronische Erkrankungen zunehmen. Wichtig ist, dass Frauen mit chronischen Erkrankungen ihre Schwangerschaften planen. Darin sollten wir Frauenärzte sie unterstützen, denn durch eine enge Zusammenarbeit der Patientin und ihrem Partner mit dem interdisziplinären Ärzteteam ist eine Schwangerschaft fast immer risikoarm möglich. Im Folgenden werden wesentliche Eckpunkte bei chronischen Vorerkrankungen aufgezeigt:
Adipositas Auch in der Schweiz ist eine gravierende Zunahme der Adipositas zu verzeichnen. Bereits über 7% der Bevölkerung haben einen Body-Mass-Index (BMI) von über 30; bei den Schwangeren ist dieser Prozentsatz sogar noch höher (5). Mit steigendem BMI steigt auch das Risiko für maternale und fetale Komplikationen während der Schwangerschaft deutlich an. So haben Schwangere mit einem BMI > 25 ein um 30% höheres Risiko für eine Frühgeburt im Vergleich zu normalgewichtigen Schwangeren. Auch das Risiko für Neuralrohrdefekte, Gestationsdiabetes, schwangerschaftsbedingter Hypertonie und Thromboembolien ist signifikant erhöht. Während eine Gewichtsreduktion bei eingetretener Schwangerschaft nicht empfohlen wird, zeigt eine Gewichtsreduktion vor der Schwangerschaft eine deutliche Risikoreduktion für diese Komplikationen.
Diabetes mellitus Während die Prävalenz von Typ-2-Diabetes, bedingt durch die steigende Zahl adipöser Menschen, kontinuierlich zunimmt, wächst auch die Zahl von Frauen mit Typ-1-Diabetes im reproduktiven Alter. Bei Frauen mit Diabetes mellitus ist eine Beratung mit Optimierung des Blutzuckers präkonzeptionell besonders wichtig, denn: Die Höhe des Blutzuckers im ersten Trimenon korreliert mit der Rate an Spontanaborten; und die häufigsten Fehlbildungen von Kindern diabetischer Mütter betreffen Organe, die sich in den ersten vier bis acht SSW entwickeln. Dabei lässt sich eine Korrelation zwischen der Höhe des HbA1c-Werts und der Häufigkeit fetaler Anomalien nachweisen (6). 6 bis 12% aller Kinder diabetischer Mütter sind vor allem von komplexen Herzvitien, Fehlbildungen des ZNS und des Urogenitalsystems betroffen. Ziel ist deshalb, präkonzeptionell einen möglichst tiefen HbA1c-Wert ohne Hypoglykämien zu erreichen. Bei optimaler Einstellung ist kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko im Vergleich zu Nicht-Diabetikerinnen zu erwarten. Durch fetales Programming ist das Risiko für das Kind, später ebenfalls einen Diabetes mellitus zu entwickeln, allerdings erhöht. Die unverzichtbare präkonzeptionelle Umstellung von oralen Antidiabetika auf Insulin bei Typ-2-Diabetikerinnen sollte mit einer erneuten Ernährungsberatung und der Motivation zur Bewegungsförderung einhergehen. In der präkonzeptionellen Untersuchung dieser Frauen ist vor allem die Diagnose von Vaskulopathien und Nephropathien wichtig, um das Risiko für mütterliche Komplikationen wie Präeklampsie abschätzen zu können. Falls solche Organschäden vorliegen, ist die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen dem Geburtshelfer, Diabetologen und gegebenenfalls Kardiologen und/oder Nephrologen unerlässlich.
Hypertonie Auch die Prävalenz der Hypertonie nimmt mit dem heute gestiegenen Durchschnittsalter der Schwangeren zu. Neben dem Risiko der Entwicklung einer Propf-Präeklampsie muss die Patientin über das Risiko einer intrauterinen
Wachstumsretardierung aufgeklärt werden. Vor der Schwangerschaft eingenommene Antihypertonika müssen auf potenzielle fetale Schädigungen hin überprüft werden, gegebenenfalls muss eine Umstellung vorgenommen werden. Dies gilt beispielsweise für die ACEHemmer, unter denen fetale Fehlbildungen und fetales Nierenversagen beschrieben werden.
Herzerkrankungen Auch die Anzahl der Schwangeren mit Herzerkrankungen ist steigend. Neben dem zunehmenden Durchschnittsalter der schwangeren Frauen ist die verbesserte Diagnostik und Therapie der Herzerkrankungen dafür verantwortlich. So erreichen zunehmend Frauen mit kongenitalen Herzfehlern das fertile Alter und beschäftigen sich mit Fragen einer möglichen Schwangerschaft beziehungsweise Verhütung. Eine Gravidität ist bei Herzerkrankungen selten kontraindiziert, jedoch sind Art der Erkrankung und die aktuelle funktionelle Herzleistung wesentliche Einflussgrössen auf den Verlauf einer Schwangerschaft. Eine sorgfältige präkonzeptionelle Evaluation ist unerlässlich: Die physiologischen Umstellungen mit Zunahme des Blutvolumens, des Herzminutenvolumens und der Herzfrequenz stellen bei einigen Herzerkrankungen eine schwere Belastung dar. Frauen mit präkonzeptionell schlechter linksventrikulärer Ejektionsfraktion haben ein sehr grosses Risiko, durch die Zunahme des Blutvolumens eine Herzinsuffizienz zu entwickeln. Unter Umständen muss deshalb vor einer gewünschten Schwangerschaft eine operative Korrektur durchgeführt werden. Die gesteigerte Blutgerinnung während einer Schwangerschaft macht bei Frauen mit einem erhöhten Thromboserisiko eine Antikoagulation nötig (bzw. lässt ein Absetzen nicht zu). Orale Antikoagulanzien wie Marcoumar® (Phenprocoumon) müssen wegen ihrer teratogenen Wirkung präkonzeptionell auf niedrig molekulares Heparin umgestellt werden. Die meisten Herzfehlbildungen sind multifaktoriellen Ursprungs. Das individuelle Risiko für einen Fetus beträgt generell 2 bis 5%. Bei kongenitalen Herzvitien der Frau, ihres Partners oder einem zuvor ge-
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borenen Kind sollte präkonzeptionell das Risiko besprochen werden.
Rheumatologische Erkrankungen Bei rheumatoider Arthritis scheinen die Risiken durch eine Schwangerschaft gering zu sein. Bei etwa der Hälfte aller Patientinnen kommt es sogar zu einer Verbesserung während der Schwangerschaft. Aus den vorliegenden Daten scheint das Risiko für Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie und fetale Wachstumsretardierung nicht signifikant erhöht zu sein. Anders verhält es sich bei den Kollagenosen. Hier ist es zwingend notwendig vor jeder Schwangerschaft eine Risikoabschätzung durchzuführen, da das Risiko für Aborte, Frühgeburten und Wachstumsretardierungen erhöht ist. Schwangerschaften bei Patientinnen mit Kollagenosen sind immer Risikoschwangerschaften. Von einem besonders hohen Risiko muss dann ausgegangen werden, wenn eine schwere Nieren- oder kardiopulmonale Insuffizienz oder eine schlecht einstellbare Hypertonie präkonzeptionell vorliegt.
Bei der häufigsten Kollagenose, dem Lu-
pus erythematodes, kommt es bei zirka
30% der Patientinnen zu einer Krank-
heitsprogression während der Schwan-
gerschaft. Bei etwa 25 bis 30% tritt ein
Abort oder intrauteriner Fruchttod auf,
30% entwickeln eine Präeklampsie. Hier
ist eine interdisziplinäre präkonzeptio-
nelle Beratung dringend empfohlen. Bei
guter Zusammenarbeit zwischen Gynä-
kologen, Rheumatologen und Neonato-
logen muss nur in sehr schweren Fällen
von einer Schwangerschaft abgeraten
werden.
Patientinnen, die präkonzeptionell unter
immunsuppressiver Therapie stehen, dür-
fen Prednison und Azathioprin weiter ein-
nehmen. Methotrexat und TNF-alpha-
Inhibitoren sind dagegen in der Schwan-
gerschaft kontraindiziert.
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Dr. med. André B. Kind (Korrespondenzadresse)
Oberarzt Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern E-Mail: andré.kind@insel.ch
Prof. Dr. med. Daniel Surbek Chefarzt Geburtshilfe Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern E-Mail: daniel.surbek@insel.ch
Quellen:
1. http://www.bfs.admin.ch
2. King J.C.: The risk of maternal nutritional depletion and poor outcomes increases in early or closely spaced pregnancies. J Nutr 2003; 133 (5 Suppl 2): 1732S–36S.
3. Sandman C.A.: Maternal stress, HPA activity and fetal/ infant outcome. Ann NY Acad Sci 1997; 814: 266–75.
4. Mielck A.: Soziale Ungleichheit und Gesundheit – Empirische Ergebnisse, Erklärungsansätze, Interventionsmöglichkeiten. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 2000.
5. http://www.bfs.admin.ch
6. Gabbe S.G.: Management of Diabetes Mellitus Complicating Pregnancy. Am J Obstet Gyn 2003; 102: 857–68.
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