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Medikamentöse Optionen beiunJdahdreersCkUoornnotgginryeensnes–ccdeoPealSorrogiIscnyi2teAe0tr0ysns4(oaI–CtciiSoa)ntiaoln (IUGA)
CONGRESS WATCH
Blasenfunktionsstörungen
Bewährte und ganz neue Therapieansätze
Blasenfunktionsstörungen unterschiedlicher Genese, mit oder ohne Inkontinenzepisoden, gehören zu den weit verbreiteten Krankheitsbildern, vor allem bei Frauen. Die heute verfügbaren Therapieoptionen bieten eine breite Palette von Möglichkeiten, um den Betroffenen wieder zu mehr Lebensqualität zu verhelfen, wie anläss-
lich des ICS/IUGA-Meetings Ende August 2004 in Paris zu erfahren war. Neben weiteren Erkenntnissen und einem neuen Wirkstoff zur anticholinergen Behandlung der hyperaktiven Blase wurde erstmals auch über eine Option zur Pharmakotherapie der Stressinkontinenz berichtet.
Bei der Behandlung der hyperaktiven Blase (auch als Reizblase bezeichnet), die durch Symptome wie Pollakisurie, imperativen Harndrang mit und ohne Dranginkontinenz gekennzeichnet ist, hat sich der Einsatz von Anticholinergika seit langem bewährt. Aufgrund ihrer blasenentspannenden Eigenschaften, die auf einer Blockade der für die Übererregbarkeit des Blasenmuskels vorwiegend verantwortlichen Muskarinrezeptoren beruhen, lindern sie die Drangsymptomatik. Dadurch reduziert sich nicht nur die Häufigkeit der Toilettengänge, sondern auch die Anzahl der Inkontinenzepisoden. Zu den für diese Indikation verfügbaren, gut dokumentierten Anticholinergika gehören Wirkstoffe wie Oxybutynin, Trospiumchlorid und Tolterodin, dessen Retard-Formulierung (Tolterodin SR) inzwischen als Goldstandard angesehen wird.
Wirkspektrum der Anticholinergika
Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Substanzen liegen in der jeweiligen Rezeptor- beziehungsweise Organselektivität begründet. Muskarinrezeptoren und ihre fünf derzeit bekannten Subtypen M1 bis M5 finden sich in verschiedenen Körperorganen, wobei M2 und M3 ihre Aktivität vorwiegend in der glatten Muskulatur der menschlichen Harnblase entfalten. Während die Blockade der M2Rezeptoren eine zunehmende Entspannung des Blasenmuskels verursacht, be-
wirkt die Hemmung der M3-Bindungsstellen vor allem eine Abschwächung bestehender Detrusorkontraktionen. M3Rezeptorsubtypen beeinflussen jedoch auch die Aktivität anderer Organe und Gewebe des Körpers, wie die glatte Muskulatur der Blutgefässe sowie des Gastrointestinal- und des Respirationstrakts, und vor allem die Tätigkeit der Speicheldrüsen. Die unerwünschten Wirkungen anticholinerger Substanzen, wie Mundtrockenheit, Obstipation oder Sehstörungen, hängen also unter anderem vom Ausmass ihrer Affinität zu den Bindungsstellen der M3-Rezeptoren ab. Als eine der unangenehmsten Nebenwirkungen der Anticholinergika wird die Mundtrockenheit angesehen, die den Patienten erheblich zu schaffen machen kann.
Vorteilhaftes abendliches Dosierungsschema
Der Erfolg einer medikamentösen Behandlung hängt nicht nur von der Wirksamkeit, sondern in hohem Masse auch von der Verträglichkeit des eingesetzten Wirkstoffs ab. Dass sich die Verträglichkeit und damit die Zufriedenheit der Patienten auch durch einfache Massnahmen, wie der Einführung eines abendlichen Dosierungsschemas, wirkungsvoll steigern lassen, zeigten die Ergebnisse einer aktuellen plazebokontrollierten Studie, in der die Daten von zwei kontrollierten Studien zusammengefasst
wurden (1). Insgesamt 1700 Patienten mit hyperaktiver Blase erhielten entweder Tolterodin SR in einer einmal täglichen Dosierung von 4 mg (n = 848) oder Plazebo (n = 850) über einen Zeitraum von zwölf Wochen. Dabei wurden die Patienten angehalten, die jeweilige Prüfsubstanz nicht am Morgen, sondern erst etwa vier Stunden vor dem Schlafengehen einzunehmen. Nach Ablauf der zwölf Behandlungswochen zeigte sich bei den mit Verum behandelten Patienten nicht nur eine eindeutige Besserung der Blasenfunktionen (Anstieg des Miktionsvolumens um 15,3% vs. 8,7%; p < 0,0001; Reduktion der Miktionshäufigkeit und der nächtlichen Toilettengänge), sondern auch eine deutlich bessere Verträglichkeit. Während die Nebenwirkungsraten für Mundtrockenheit und Obstipation in früheren Behandlungsstudien noch bei 23 Prozent beziehungsweise 6 Prozent lagen, liessen sie sich durch die abendliche Einnahme des Wirkstoffs auf 11 Prozent (Mundtrockenheit) beziehungsweise 3 Prozent (Obstipation) reduzieren. Die Begleitwirkungen fallen also weit weniger ins Gewicht, wenn der Anstieg des Wirkstoffspiegels während der Nacht erfolgen kann. Dementsprechend erlebten die mit Tolterodin SR behandelten Patienten einen deutlichen, statistisch signifikanten Behandlungserfolg (62,2% vs. 53,1%; p = 0,0001) und zeigten sich gleichermassen zufrieden (62,0% vs. 54,9%; p = 0,001). 27 GYNÄKOLOGIE 6/2004 CONGRESS WATCH Medikamentöse Optionen bei Blasenfunktionsstörungen Neu: M3-selektiver Rezeptorantagonist Zur Behandlung der hyperaktiven Blase steht mit Darifenacin in Kürze ein weiterer anticholinerger Wirkstoff zur Verfügung. Verglichen mit den für diese Indikation bereits verfügbaren Substanzen Oxybutynin, Trospiumchlorid und Tolterodin handelt es sich bei Darifenacin um einen M3-selektiven Rezeptorantagonisten (M3-SRA). Wie Untersuchungen an Knockout-Mäusen zeigen konnten, scheint die Kontraktilität des Blasenmuskels mehrheitlich durch die cholinerge Aktivierung der M3-Rezeptoren und weniger durch den M2-Rezeptorsubtyp gesteuert zu werden. Von einem M3selektiveren Wirkstoff wird daher erwartet, dass sich die hoch sensible, zu Kontraktionen neigende überaktive Harnblase gezielter beruhigen lässt. Um unerwünschte Wirkungen auf die peripheren M3-Rezeptoren (Mundtrockenheit, Obstipation, Sehstörungen) möglichst zu minimieren, ist Darifenacin in einer einmal täglich einzunehmenden, retardierten (controlled-release) Formulierung verfügbar. Nebenwirkungen durch die Beeinflussung anderer Muskarinrezeptorsubtypen wie M1 (Beeinträchtigung von Kurzzeitgedächtnis und Erinnerungsvermögen) oder M2 (Tachykardien) sind aufgrund der M3-Selektivität dagegen weniger zu erwarten, was besonders für die Behandlung älterer Patienten vorteilhaft ist. In verschiedenen multizentrischen, doppelblinden und plazebokontrollierten PhaseIII-Studien hat sich Darifenacin in Dosierungen von 7,5 mg und 15 mg bei hyperaktiver Blase mit statistischer Signifikanz gegenüber Plazebo als wirksam (Bes- serung der Drangsymptomatik, Reduktion der Toilettengänge sowie Steigerung der Blasenkapazität) und weit gehend gut verträglich erwiesen. Die Zahl der wöchentlichen Inkontinenzepisoden reduzierte sich bei den vorwiegend älteren Patienten um rund 70 Prozent (2). Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehörten Mundtrockenheit und Obstipation, während unerwünschte kardiale oder ZNS-wirksame Nebeneffekte nicht zu beobachten waren. Darifenacin wird unter dem Handelsnamen Emselex® verfügbar sein – die Zulassung in der Schweiz ist Ende Oktober 2004 erfolgt. Neue medikamentöse Option bei Stressinkontinenz Als Stress- oder Belastungsinkontinenz wird der unwillkürliche Abgang kleiner Urinmengen bei kurzfristigem Druckanstieg im Abdomen durch Niesen, Husten, Lachen sowie sportliche Betätigungen definiert. Die wesentlichsten Ursachen dafür sind eine Beckenbodenschwäche sowie eine Beeinträchtigung des Blasenschliessmuskels vor allem durch Schwangerschaft und Geburten, gehäuft bei familiärer Vorbelastung. Diese Form der Blasenschwäche, unter der die meisten der von Inkontinenz betroffenen Frauen leiden, war bisher mit medikamentösen Massnahmen nicht nachhaltig behandelbar. Mit der Einführung von Duloxetin scheint sich diese Lücke jetzt zu schliessen. Der Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin erhöht die Konzentration der Neurotransmitter im sakralen Rückenmark und bewirkt damit eine gesteigerte Kontraktilität des Blasensch- liessmuskels während der Urinspeicher- phase. Dadurch wird verhindert, dass es bei einem plötzlich auftretenden abdo- minalen Druckanstieg zum unwillkürli- chen Urinverlust kommt. Die bewusste Blasenentleerung wird dagegen nicht beeinflusst. Die Wirksamkeit von Duloxe- tin wurde bisher in vier verschiedenen Studien mit insgesamt 1900 stressinkon- tinenten Frauen belegt: Die Zahl der In- kontinenzepisoden liess sich bei den Be- troffenen um bis zu 52 Prozent (Plazebo: 34%) reduzieren. Unerwünschte Wir- kungen, meist Übelkeit, treten vorwie- gend bei Therapiebeginn auf und lassen im Verlauf der Behandlung nach. Duloxe- tin ist unter dem Handelsnamen Yen- treve® bereits auf dem europäischen Markt verfügbar. Die Zulassung für die Schweiz ist beantragt. ◗ Claudia Reinke Quellen: «Joie de Vivre – Patient-Focused Outcomes in OAB – Elevating Quality of Life», Satellitensymposium Pfizer AG; «M3-Selectivity: Bringing to Focus new considerations in OAB therapy», Satellitensymposium Novartis Pharma AG; jeweils anlässlich des ICS/IUGA-Meetings, Paris, 26. August 2004. Referenzliteratur: 1. Mattiasson, A., DeWit, E.J., Kirby, S.: Tolterodine for symptoms associated with overactive bladder: a nighttime dosing regimen maintains efficacy and improves tolerability. ICS 2004. 2. Haab, F., Stewart, L., Dwyer, P.: Darifenacin, an M3 selective receptor antagonist, is an effective and well-tolerated once-daily treatment for overactive bladder. Eur. Urol. 2004; 45 (4): 420–429. 28 GYNÄKOLOGIE 6/2004