Transkript
Schweizerische Menopausengesellschaft Société Suisse de la Ménopause Società svizzera di Menopausa
Internet: www.menopausengesellschaft
Die neuen Empfehlungen zur HRT
Teil 2*: Praktische Empfehlungen – spezielle Aspekte
Schweizerische Menopausengesellschaft
Die Schweizerische Menopausengesellschaft (SMG) hat aktuell als Reaktion auf die breite Verunsicherung durch die Women’s Health Initiative (WHI) und Folgepublikationen Empfehlungen zur Behandlung des klimakterischen Syndroms und zur Prävention und Behandlung der Osteoporose herausgegeben. Die Empfehlungen wurden in Kooperation
mit der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) und der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) erarbeitet. Ziel ist es, eine klare Orientierung im Dschungel der vorhandenen Daten zu geben. In diesem 2. Teil werden praktische Empfehlungen zu verschiedenen, viel diskutierten Aspekten gegeben.
1. Klare Indikation, individueller Entscheid Jede Gabe von hormonell wirksamen Präparaten braucht eine klare Indikationsstellung und muss individuell entschieden werden. Die Behandlung des klimakterischen Syndroms und die Verbesserung einer Östrogenmangel-bedingten schlechten Lebensqualität sind die Hauptindikationen für eine Hormontherapie (HRT). Die HRT bleibt die wirksamste Therapiemöglichkeit. Bei leichteren Beschwerden stehen Alternativen zur Verfügung (siehe Punkt 12).
2. Information über Vorteile und Risiken Vor Beginn der Therapie müssen die Vorteile und Risiken einer Hormontherapie mit der Patientin besprochen werden. Die Entscheidung zur Therapie erfolgt zusammen mit der voll informierten Patientin.
3. Dauer der HRT Eine Behandlung mit einem östrogenhaltigen Präparat wegen klimakterischer Beschwerden sollte zunächst über einen Zeitraum von zirka zwölf Wochen erfolgen. Später kann sie, unter Abwägung der Vor- und Nachteile der Therapie, über einen Zeitraum von maximal fünf Jahren durchgeführt werden. Klimakterische Beschwerden können allerdings bereits vor dem Eintritt der Menopause auftreten
*Teil 1: Therapie des klimakterischen Syndroms. In: GYNÄKOLOGIE 5/04 Teil 3: Empfehlungen zur Osteoporoseprophylaxe und -therapie. In: GYNÄKOLOGIE 1/05
und länger als fünf Jahre nach der Menopause andauern. Daher sollte mit der Patientin bereits zu Beginn der Therapie mit einem östrogenhaltigen Präparat über eine spätere Dosisreduktion gesprochen werden. Eine Hormontherapie sollte nicht länger fortgeführt werden, als eine Indikation gegeben ist. Eine Langzeittherapie ist gerechtfertigt bei Frauen, deren Symptome nur mit Östrogenen beherrscht werden können, bei symptomatischen Frauen mit erhöhtem Osteoporoserisiko und zur Osteoporoseprävention, wenn keine Alternative in Frage kommt. Bei der Entscheidung für eine längerfristige Behandlung mit einem östrogenhaltigen Präparat müssen die Vorteile der Behandlung gegenüber den Nachteilen abgewogen werden und dieses Vorgehen mit der Patientin erörtert werden. Die Gründe für eine initiale sowie für eine längerfristige Behandlung müssen jeweils schriftlich im Dossier festgehalten werden.
4. Richtige Studieninterpretation Die Resultate von WHI und HERS dürfen nicht auf Frauen mit früher (40 bis 50 Jahre) oder vorzeitiger (< 40 Jahre) Menopause sowie auf symptomatische periund früh-postmenopausale Frauen mit zeitgerechter Menopause übertragen werden.
5. Urogenitale Beschwerden Eine HRT bessert urogenitale Beschwerden und trägt durch die Behandlung der Dyspareunie zur Erhaltung einer positiv gelebten Sexualität bei. Randomisierte
Studien zeigen, dass eine Östrogengabe urogenitale Beschwerden (Dyspareunie, atrophe Kolpitis, vulvovaginaler Pruritus, atrophe Urethrozystitis) verbessert. Fehlt eine Indikation für eine systemische Östrogengabe, kann auch eine lokale Östrogengabe mit Östriol erfolgen. Bei einer lokalen Östrogenapplikation ist eine zusätzliche Gestagengabe nicht erforderlich.
6. Libido Die Wirkung einer Östrogentherapie auf die Libido ist umstritten, doch liegen Daten für den günstigen Effekt bei der Gabe von Tibolon oder von Androgenen vor. Für letztere Therapie fehlen heute noch die geeigneten Präparate.
7. Gelenk- und Gliederschmerzen, Haut Unter Hormontherapie bessern sich unspezifische peri- und postmenopausale Gelenk- und Gliederschmerzen. Hautund Schleimhäute sowie Bindegewebe sprechen günstig auf Östrogene an. Die Wundheilung kann durch eine Östrogenbehandlung beschleunigt werden. Die Hautalterung kann verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden. Durch exzessive Sonnenexposition erlittene Hautschäden werden durch Östrogene nicht rückgängig gemacht.
8. Kognitive Funktionen, Verstimmungen Kognitive Funktionen können durch Östrogene verbessert werden. Eine endogene Depression wird durch Östrogene al-
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lein nicht beeinflusst. Eine depressive Verstimmung findet sich oft zusätzlich im Rahmen des klimakterischen Syndroms und kann durch eine Östrogensubstitution effektiv behandelt werden.
9. Osteoporose- und Frakturprävention Die Osteoporose- und Frakturprävention ist ein gesicherter Nutzen einer Östrogengabe. Allerdings stehen heute für die Therapie der Osteoporose Alternativen zur Verfügung, sodass bei einer alleinigen Osteoporose bei der älteren Frau eine Substitutionsbehandlung mit einem Östrogen nicht mehr Therapie der ersten Wahl ist. Eine anamnestische Erfassung der Risikofrakturen für Osteoporose und der Zusammensetzung der Ernährung, sowie eventuell auch ein messtechnisches Screening der Osteoporosegefährdung, sind weiterhin Bestandteil der ärztlichen Betreuung einer peri- und postmenopausalen Frau. Für die Osteoporoseprophylaxe allein können oft auch niedrigere Östrogendosierungen angewendet werden, als sie bei der Behandlung des klimakterischen Syndroms eingesetzt werden. Allerdings fehlt hinsichtlich der Wirksamkeit der niedrigen Östrogendosierung noch die notwendige wissenschaftliche Evidenz (keine Knochenfrakturstudien). Eine Östrogensubstitution ist ohne zusätzliche Gabe von Kalzium und Vitamin D sinnlos.
10. Kardiovaskuläre Prävention Herz- und Kreislauferkrankungen stellen bei der älteren Frau die häufigste Todesursache dar. Obwohl die günstige Auswirkung einer Östrogengabe auf das Lipidprofil und auf die Gefässwand eindeutig ist, besteht heute keine Indikation für eine Behandlung mit Östrogenen zur kardiovaskulären Prävention allein. Hingegen kann das kardiovaskuläre Risiko bei Frauen, welche wegen ihres klimakterischen Syndroms Östrogene erhalten, längerfristig gesenkt werden (Primärprävention). In den ersten Anwendungsjahren kommt es bei peroraler Östrogengabe zu einem Anstieg des Thromboserisikos (zirka 1 bis 2 zusätzliche Erkrankungen bei 5000 bis 8000 Frauen), was bei einer vorbeste-
henden Atherosklerose zu lokalen Thrombosen und Embolien führen kann. Daher ist der Beginn einer Östrogenbehandlung bei bereits bestehender atherosklerotischer Gefässerkrankung (zum Beispiel nach einem Insult), nach einem akuten Myokardinfarkt oder bei Angina pectoris («Sekundärprävention») kontraindiziert. Nach einem koronaren Ereignis dürfen Frauen, die bereits zuvor unter einer Östrogentherapie standen, Östrogene zur Behandlung eines klimakterischen Syndroms weiterhin einnehmen, da in dieser Situation das Thromboserisiko durch die Östrogenbehandlung nicht weiter erhöht wird. Wenn möglich, ist die transdermale oder intranasale Applikation vorzuziehen.
11. Mammakarzinomrisiko Frühe Menarche, späte Menopause und Adipositas erhöhen das Mammakarzinomrisiko messbar, späte Menarche und frühe Menopause senken es. Eine Östrogenbehandlung erhöht in den meisten Studien nach einer Anwendungsdauer von mindestens fünf Jahren das Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken, signifikant. Allerdings konnte dieser Risikoanstieg im Östrogen-allein-Arm der WHI nicht bestätigt werden. Ausserdem erhöht die Einnahme von östrogenhaltigen Präparaten das Risiko für abklärungsbedürftige Veränderungen in der Mammografie. Daher sollten mindestens alle zwei Jahre Mammografiekontrollen durchgeführt werden, damit maligne Veränderungen im Brustdrüsengewebe frühzeitig nachgewiesen werden können.
12. Therapeutische Alternativen Bei der Behandlung des klimakterischen Syndroms gibt es zu den herkömmlichen östrogenhaltigen Präparaten nur zwei wirksame hormonelle Alternativen: ◗ Tibolon, ein STEAR (Livial®) ◗ Gestagene, wie Medroxyprogeste-
ronazetat (Prodafem®) oder Megestat®, als Monotherapie. Schwächer wirksam, aber zu empfehlen, sind auch folgende Substanzen: ◗ Venlafaxin (Efexor®), ein Antidepressivum, und Substanzen aus der Gruppe der Serotonin-Reuptake-Inhibitoren.
Damit kann mit einer 50-prozentigen
Reduktion der Hitzewallungen inner-
halb von sechs Wochen gerechnet
werden. Diese Substanzen sind be-
sonders indiziert, wenn die depressive
Komponente des klimakterischen Syn-
droms im Vordergrund steht.
◗ Clonidin, ein Antihypertonikum (Cata-
presan®, 0,1 mg täglich): ein alfa-ad-
renerger Agonist. Clonidin beeinflusst
die Zentren in der Hirnbasis ein-
schliesslich des Hypothalamus günstig
und verringert die zirkulierende Kon-
zentration des Noradrenalins, welches
massgeblich an der Entstehung der
Hitzewallungen beteiligt ist. Clonidin
ist weniger wirksam als eine Behand-
lung mit Östrogenen.
◗ Zur Osteoporoseprophylaxe kann eine
Behandlung mit Raloxifen, einem
SERM (Evista®), durchgeführt werden.
Allerdings ist Raloxifen nur bei Osteo-
porose der Wirbelsäule wirksam, je-
doch nicht bei klimakterischen Be-
schwerden. Raloxifen ist bei
Thromboserisiken kontraindiziert.
Die Risiken einer langfristigen Anwen-
dung dieser Alternativsubstanzen bei der
Therapie des klimakterischen Syndroms
sind nicht bekannt.
◗
Vorstand der Schweizerischen Menopausengesellschaft (SMG),
unter Mitwirkung von: Prof. Dr. med. Martin Birkhäuser, Bern
PD Dr. med. Bruno Imthurn, Zürich PD Dr. med. Marius Kränzlin, Basel Prof. Dr. med. German Marbet, Basel
Dr. med. C. Wölfle, Basel
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Christian De Geyter Präsident der Schweizerischen Menopausen-
gesellschaft (SMG) E-Mail: cdegeyter@uhbs.ch
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