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Sun, Sex und STD
Geschlechtskrankheiten als Reisesouvenir in der Sprechstunde
Sexualkontakte im Urlaub stellen neuen Daten zufolge ein wachsendes Gesundheitsrisiko für immer mehr Frauen und Männer dar. Präventionsmassnahmen müssen in der Beratung von Fernreisenden heute explizit adressiert werden. Besondere Risikogruppen sind junge Menschen, die sich
länger in Entwicklungsländern aufhalten sowie alleinreisende Männer mit Ziel Thailand oder Philippinen. Impfung gegen Hepatitis B und Kondom-Benutzung sowie eine ärztliche Untersuchung nach dem Urlaub sind allen Partnern zu empfehlen.
Als Datenquellen einer gross angelegten britischen Recherche zum Thema «Sexualverhalten von Urlaubern und Vorkommen von sexuell übertragenen Krankheiten (STD)» wurden eine Medline-Recherche, Websites von Gesundheitsorganisationen und dem britischen Reisebüroverband herangezogen. Aufgrund der Ergebnisse wurden praktische Ratschläge für Ärzte ausgearbeitet.
Im Urlaub «neues Terrain erobern»
Allein seit 1997 hat beispielsweise die Anzahl von Briten, die ihre Ferien in fernen Ländern verbringen, um 27 Prozent zugenommen. Urlaub, ob in der Heimat oder Ferne verbracht, bietet sich immer mehr Menschen an, um das Sexualleben zu intensivieren. Studien aus den frühen Neunzigerjahren lassen ein beachtliches Risikoverhalten von Fernreisenden erkennen, die sich nach dem Urlaub zum «TropenCheck» vorstellen. Ein Viertel der Männer und Frauen, die wegen einer Geschlechtskrankheit in einer GUM-Klinik (= genitourinary medicine) behandelt wurden und in den vergangenen drei Monaten eine Reise unternommen hatten, gaben an, während dieser Zeit einen neuen Sexualkontakt geknüpft zu haben. Zwei Drittel hatten ganz auf Kondome verzichtet oder diese nicht konsequent benutzt. Eine aktuelle Studie mit Studenten ergab, dass 32 Prozent während des Urlaubs mit einem neuen Partner Verkehr hatten. Von britischen Touristen auf Teneriffa gaben 35 Prozent
Fernreise, Sehnsucht, Reiseabenteuer. Fern der Heimat fällt oft die Hemmschwelle für neue erotische Bekanntschaften, was der eigenen Gesundheit teuer zu stehen kommen kann ...
an, während ihres Ferienaufenthalts Sex mit einem neuen Partner gehabt zu haben. Frauen unterschieden sich in diesem Punkt nicht von Männern. Unter 25Jährige waren deutlich aktiver als Ältere (50% versus 22%), Frauen bevorzugten ausländische Partner.
STD nach Fernreisen stark im Vormarsch
In der heutigen Zeit mit mehr als 40 Millionen HIV-infizierten Menschen weltweit und steigender Inzidenz weiterer STD auch in europäischen Ländern ist jeder Sexualkontakt potenziell gefährlich. Da im Urlaub die Hemmschwelle neuen Sexualkontakten gegenüber sinkt (häufig in Verbindung mit Alkoholkonsum als «Katalysator») ist es nicht verwunderlich, dass STD, die als Urlaubsmitbringsel eingeschleppt werden, zunehmen. Von den Syphilisinfektionen heterosexueller Männer
in Grossbritannien sind 21 Prozent im Ausland erworben worden, 9 Prozent der Gonorrhöpatienten hatten in den drei vorausgegangenen Monaten Sex im Ausland. Zwei Londoner GUM-Kliniken bezifferten den Anteil der auf Reisen erworbenen Geschlechtskrankheiten auf 12 Prozent. Besonders gefährdet, sich «tropische Geschlechtskrankheiten» wie weichen Schanker, Lymphogranuloma venereum, Granuloma inguinale und Syphilis zuzuziehen, sind Frauen und Männer, die in Entwicklungsländer reisen. Das HIV-Infektionsrisiko ist besonders hoch in Ländern mit hoher HIV-Prävalenz (Subsahara, Fernost, Indien, Lateinamerika, Karibik). Zwischen 2000 und 2002 infizierten sich 70 Prozent der HIV-infizierten gebürtigen britischen Männer und ein Viertel der Frauen im Ausland. Menschen, die vorwiegend deshalb eine lange Reise antreten, um sich sexuell zu vergnügen, sind nach einer Untersu-
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chung an deutschen Thailand-Sextouristen meist zwischen 30 und 40 Jahre alt, allein stehend und gut situiert. Zum Fallstrick ihres «Hochrisikourlaubs» wird ihnen, dass sie gern vergessen, dass es Prostituierte sind, mit denen sie sich einlassen. Die Hälfte dieser Touristen hat aber auch Intimkontakte zu Hause und verbreitet somit die Infektion nach der Rückkehr im Heimatland.
Ärztliches Vorgehen wenns schon passiert ist
Geschlechtskrankheiten aus den Entwicklungsländern richtig einzuordnen ist für den Praxisarzt hierzulande nicht immer leicht, weil er damit selten konfrontiert wird. Es gilt: Daran denken ist schon die halbe Diagnose. In Anamnese und Untersuchung festgestellter vaginaler oder urethraler Ausfluss kann bei allen sexuell erworbenen Infektionskrankheiten vorkommen. Der weiche Schanker tritt meist als Ulkus in Erscheinung, vor allem bei Männern. In 40 Prozent der Fälle ist er begleitet von einer schmerzhaften inguinalen Lymphadenopathie. Frauen klagen häufig über Schmerzen bei Defäkation oder Geschlechtsverkehr. Ulzerierende, granulomatöse oder hypertrophe Läsionen sind möglich beim Granuloma inguinale. Männer mit Lymphogranuloma venereum übersehen das initiale Ulkus häufig und kommen meist erst zum Arzt, wenn sich eine inguinale Lymphadenopathie entwickelt hat. Frauen weisen als Zeichen der Erkrankung oft nur Bauchoder Rückenschmerzen auf. Die Symptome können sich zusammen mit einem allgemeinen Krankheitsgefühl bis zu sechs Monate nach der Infektion manifestieren.
Cave Ko-Infektion Menschen, die sich zur Abklärung einer möglichen auf Reisen akquirierten Infektion vorstellen, müssen sehr umfassend untersucht werden. Zu beachten ist dabei das hohe Risiko einer Ko-Infektion. Für die Praxis empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Ergibt sich zum Beispiel im Abstrich aus einem genitalen Ulkus eine positive Herpeskultur, sind zusätzlich Syphilis und Chancroid auszuschliessen.
Beratung nach einem Sexualkontakt im Urlaub
Bei asymptomatischen Patienten q Untersuchung auf Gonorrhö und Chlamydien q Syphilis-, HIV- und HBV-Serologie zu Beginn,
nach 12 Wochen und 6 Monaten q Hepatitis-B-Impfung, falls der Sexualkontakt
kurze Zeit zurückliegt q HIV-Postexpositionsprophylaxe erwägen,
falls seit der Exposition nicht mehr als 48 Stunden vergangen sind q Beratung bezüglich Sexualkontakt, bevor Untersuchungsergebnisse vorliegen q Beratung für weitere Reisen
Bei symptomatischen Patienten q Überweisung an eine Spezialeinrichtung q Untersuchung auf «tropische Geschlechts-
krankheiten» je nach Symptomatik q HIV-PCR, falls klinische Symptome einer
Serokonversion vermutet werden
Infos in der Präventionssprechstunde
q Häufigkeit der STD im Reisegebiet, q Safer Sex q Risiko sexueller Übergriffe q HIV-Postexpositionsprophylaxe q Hepatitis-B-Impfung für Sextouristen und
Langzeiturlauber q Untersuchungsangebot nach dem Urlaub , q Reiseset (Kondome, ggf. HIV- Postexposi-
tionsprophylaxe
HIV-Tests dürfen nur durchgeführt werden, wenn der Patient vorher zugestimmt hat. HIV- und Syphilis-Tests sollten sechs bis zwölf Wochen nach der Exposition erneut erfolgen. Die Suche nach Hepatitis B muss nach sechs Monaten wiederholt werden. Liegt der Sexualkontakt in einem HBV-Endemiegebiet nicht länger als zwei Wochen zurück, kann eine sofortige Impfung gegen Hepatitis B noch einen gewissen Schutz bringen. Die HIV-Expositionsprophylaxe wird immer noch kontrovers diskutiert, kann aber erwogen werden, wenn die Betroffenen unverzüglich erscheinen. Sie umfasst drei antiretrovirale Medikationen und muss innerhalb der ersten 72 Stunden nach Exposition beginnen. Wenn eine sexuell übertragbare Infektion
festgestellt wurde, sollte nach Möglichkeit der (ständige) Partner beziehungsweise der betreffende Sexualpartner seit dem mutmasslichen Infektionsdatum ausfindig gemacht werden. Bei der antibiotischen Therapie ist zu beachten, dass aus dem Ausland «eingeführte» Gonokokken oft gegen Penizillin oder Ciprofloxacin vermindert empfindlich sind.
Mehr Prävention
Viel Gewicht muss auf die Prävention gelegt werden. Wenn Frauen und Männer ärztliche Beratung vor einer Reise suchen oder im Lauf einer Konsultation das Thema (Fern-)Reise und Sexualität angesprochen wird, muss der Arzt auf die Risiken hinweisen und über Vorbeugemassnahmen wie Kondome oder Hepatitis-B-Impfung sprechen. Eine besondere Risikogruppe, der man immer eine Impfung gegen Hepatitis B vorschlagen sollte, sind Studenten, die sich für ein Semester beurlauben lassen, um die Welt zu bereisen. Wichtig ist es auch, die Information zu vermitteln, dass nicht nur vaginaler und analer, sondern auch oraler Verkehr ein Infektionsrisiko bedeutet. Schliesslich muss daran gedacht werden, dass Reisende sich nicht nur freiwillig in sexuelle Abenteuer stürzen, sondern dass sie auch Opfer von Sexualdelikten werden können. Reisenden Frauen wie Männern sollte generell auch dazu geraten werden, sich nach dem Urlaub untersuchen zu lassen, wenn Sexualkontakte stattgefunden haben. Jeder, der sich mit genitalen Symptomen, Exanthemen, Lymphadenopathie oder Fieber vorstellt, sollte auch nach Sex im Urlaub befragt werden. Dabei darf man sich nicht scheuen, auch zu fragen, ob eventuell der Partner der erkrankten Patientin auf Reisen war. ◗
Angelika Bischoff
Quelle: K.E. Rogstad: Sex, sun, sea and STIs: sexually transmitted infections acquired on holiday; BMJ 2004: 329; 214–217.
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