Transkript
UPDATE
HRT nach Mammakarzinom
Analyse relevanter klinischer Studien
PD Dr. med. Christian Jackisch et al.
Die Mehrzahl der Brustkrebsüberlebenden ist bereits postmenopausal; weitere Patientinnen kommen durch die Erkrankung und ihre Therapie frühzeitig in die Menopause. Für diese Frauen ist es besonders wichtig zu wissen, ob sie ein erhöhtes Risiko für ein Rezidiv oder eine Metastasierung eingehen, wenn sie ihre
klimakterischen Beschwerden mit einer Hormonersatztherapie behandeln. Die bisher vorliegenden Studienergebnisse zu dieser Fragestellung liessen keine Risikoerhöhung erkennen. Die frühzeitige Beendigung der HABITS-Studie (11) erfordert aber eine erneute klärende Diskussion.
Die aktuelle, auf unterschiedlichen Ebenen geführte Diskussion über den Zusammenhang zwischen HRT und Mammakarzinomentstehung gehört derzeit zu Recht zu den wichtigsten Diskussionen, die die Routineversorgung einer grossen Zahl gesunder Frauen betreffen. Daher erscheint es erwähnenswert, dass in keiner der jemals zur HRT durchgeführten klinischen Studien die Reduktion der Brustkrebsinzidenz- oder -detektion als primäres Studienziel postuliert wurde. In präventiver Intention wurden allerdings zahlreiche andere Vermutungen überprüft, über die bis heute diskutiert wird. So ist es durchaus verständlich, dass die gleiche Sichtweise auch bei Patientinnen angewandt wird, bei denen bereits ein Mammakarzinom diagnostiziert wurde. Nach den Daten in der Literatur leiden bis zu zwei Drittel der postmenopausalen Patientinnen unter klimakterischen Beschwerden. Die Behandlung der Östrogenmangelsymptomatik, die oftmals zu einer nicht akzeptablen Beeinträchtigung der Lebensqualität führt, mag somit in vielen Fällen eine Indikation zur Einleitung einer topischen oder systemischen HRT darstellen. Ob aber eine Hormonsupplementierung bei Mammakarzinompatientinnen den gleichen Stellenwert hat, wie er für die Karzinogenese vermutet wird, bleibt unklar.
Kohorten-, Fall-Kontroll- und Beobachtungsstudien
Die verständliche Sorge, durch eine HRT das Auftreten von Lokalrezidiven, kontralateralen Mammakarzinomen, Fernmetastasen oder gar Zweitkarzinomen zu för-
dern, die letztlich das Überleben verkürzen, macht die Zurückhaltung bei der Indikationsstellung einer HRT in dieser Situation nachvollziehbar. Diese Zurückhaltung findet sich auch in der derzeit gültigen Konsensusempfehlung «Hormonsubstitution nach Mammakarzinom» der Deutschen Gesellschaft für Senologie, die im Juni 2002 verabschiedet wurde (1). Unbestritten ist nach unserem derzeitigen Wissen der Nutzen eines temporären oder dauerhaften Östrogenentzugs in der adjuvanten Therapie des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms. Dies gilt für alle Altersgruppen und sowohl für die Monoals auch für die Sequenztherapie (2). Im Gegensatz dazu stehen Ergebnisse von elf Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien, in denen 214 Frauen nach Diagnose eines Mammakarzinoms eine HRT erhielten. Vier dieser Studien wiesen Kontrollgruppen auf. Bei den 214 Brustkrebspatientinnen, die im Mittel 52 Monate nach Diagnosestellung mit der HRT begannen, traten innerhalb einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 30 Monaten lediglich 17 Rezidive (4,2% pro Jahr) auf, verglichen mit 66 Rezidiven bei den 623 Frauen der Kontrollkollektive (5,4% pro Jahr) (3). Das Rezidivrisiko war somit deutlich erniedrigt (RR 0,64; 95% CI 0,36–1,15). Eine weitere retrospektive Beobachtungsstudie aus Australien untersuchte 1122 Patientinnen, bei denen in den Jahren 1964 bis 1999 ein Brustkrebs diagnostiziert und behandelt wurde. Insgesamt 286 dieser Frauen behandelten ihre menopausalen Beschwerden mit einer HRT (48% kontinuierlich-kombiniert, 27% orale Gestagene, 11% vaginale Östrogenanwendung, 7% vaginale kombinierte Anwendung, 6% Östrogene
transdermal). Die Behandlung wurde im Mittel etwa ein Jahr (0 bis 23 Jahre) nach Diagnosestellung begonnen und 1,75 Jahre (0,17 bis 34 Jahre) lang durchgeführt. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug in der Kontrollgruppe 5,1 Jahre, bei den HRT-Anwenderinnen 5,8 Jahre. Auch in dieser Analyse zeigte sich ein geringeres Rezidivrisiko der HRT-Anwenderinnen mit einem relativen Risiko von 0,62 (95% CI 0,43–0,87) sowie eine Absenkung des relativen Risikos für die brustkrebsbezogene Mortalität (RR 0,40; 95% CI 0,22–0,72) (4). Eine weitere Fall-Kontroll-Studie von O’Meira und Mitarbeitern bestätigte diese Ergebnisse bei 174 Mammakarzinompatientinnen, die eine HRT benutzten: Auch hier waren Rezidivinzidenz und Mortalität geringer (5). Eine Zusammenstellung von kleineren retrospektiven Analysen oder Beobachtungsstudien, in denen insgesamt 656 Brustkrebspatientinnen, die zu irgendeiner Zeit nach Diagnosestellung eine HRT erhalten hatten, mehr als zwölf Jahre nachbeobachtet worden waren, kommt zu den gleichen Ergebnissen (6). In der bisher verfügbaren Literatur konnte unter der Massgabe einer evidenzbasierten Datenanalyse maximal nur eine Level-III-Evidenz gefunden werden. In dieser prospektiven Kohortenstudie wurden von 319 Brustkrebspatientinnen 39 prospektiv mit einer HRT behandelt. Lediglich eine Patientin (2,6%) in der HRT-Gruppe entwickelte in der Nachbeobachtungsphase ein neues Mammakarzinom, wohingegen in der Kontrollgruppe bei 14 Patientinnen (5%) entweder ein neues Mammakarzinom oder ein Rezidiv auftrat (7).
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GYNÄKOLOGIE 4/2004
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HRT nach Mammakarzinom
Prospektiv randomisierte Studien
In einer am Royal Marsden Hospital in London durchgeführten Pilotstudie wurden 100 von 261 Brustkrebspatientinnen mit klimakterischen Beschwerden prospektiv randomisiert (HRT vs. keine HRT) behandelt (8). Zielkriterien waren ◗ die Akzeptanz der Rekrutierung ◗ die Fortführung der randomisiert zu-
gewiesenen Behandlung und ◗ der Effekt einer HRT auf vasomotori-
sche Symptome unter Tamoxifen. Von den 100 rekrutierten Frauen erhielten 49 eine Tamoxifen-Therapie. Die HRT (2 mg Estradiolvalerat bei hysterektomierten Patientinnen oder 2 mg Estradiolvalerat + 75 µg Levonorgestrel, d12–28) erfolgte für die Dauer von sechs Monaten. Unter HRT wurden bei zwei Frauen Metastasen gefunden, in der Kontrollgruppe lediglich bei einer Patientin. Die Kontrolle der vasomotorischen Beschwerden unter HRT, die das Haupteinschlusskriterium dieser Untersuchung darstellte, wurde – unabhängig von einer begleitenden Tamoxifen-Therapie – aus Sicht der Patientinnen als gut bewertet. Der Effekt einer länger dauernden HRT (für die Dauer von zwei Jahren) bei Brustkrebspatientinnen wird derzeit in drei prospektiv randomisierten Studien geprüft (10).
HRT und gleichzeitige Antiöstrogengabe
Neben den Patientinnen mit dem kausalen Östrogenentzug zuzuordnenden vasomotorischen Symptomen ist die Gruppe derjenigen Frauen zu beraten, die unter einer Therapie mit Antiöstrogenen vasomotorische Defizite beklagen. Hier gilt es zusätzlich zu beachten, dass eine zunehmende für die Patientinnen belastende Symptomatik die Compliance gegenüber der antineoplastischen Therapie gefährden kann. Eine aktuelle Arbeit von Dew et al. untersuchte 1472 Brustkrebspatientinnen, die sich entweder einer Antiöstrogentherapie mit Tamoxifen unterzogen (51%) oder einen positiven Östrogen-Rezeptorstatus aufwiesen und über vasomotorische Beschwerden klagten. Insgesamt 23,2 Pro-
zent der Frauen entschieden sich für eine hormonelle Behandlung ihrer menopausalen Beschwerden. Die HRT begann im Durchschnitt drei Jahre nach Diagnosestellung und wurde im Mittel 1,6 Jahre (0,25 bis 22 Jahre) lang durchgeführt. Das rezidivfreie Überleben wurde mit dem der verbliebenen 1130 Frauen verglichen (9). Die gleichzeitige Durchführung einer kontinuierlich kombinierten HRT mit einer Tamoxifen-Therapie ergab ein RR von 0,67 (95% CI 0,14–4,24; p = 0,67), während eine vaginal-topische Östrogensubstitution in Kombination mit einer TamoxifenTherapie ein RR von 0,31 (95% CI 0,10–2,57; p = 0,28) ergab. In dieser Untersuchung konnte bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von drei Jahren keine erhöhte Rezidivrate für HRT-Anwenderinnen unter einer Antiöstrogentherapie beobachtet werden.
Fazit: Prognoseverschlechterung nicht nachgewiesen
Auf der Basis der bisher vorliegenden Daten, die verständlicherweise nur ein geringes Evidenzniveau erreichen, konnte eine HRT nach entsprechender Aufklärung und Ausschöpfung aller supportiven Möglichkeiten zur Behandlung vasomotorischer menopausaler Beschwerden durchaus empfohlen werden, da eine Prognoseverschlechterung nicht erkannt werden konnte (10). Die Sicherheit einer zweijährigen HRT gegenüber einer HRT-freien Kontrollgruppe sollte in der prospektiv randomisierten HABITS-Studie an 1300 Brustkrebspatientinnen mit menopausalen Symptomen überprüft werden. Das Ergebnis einer «Safety-Analyse» dieser Studie ergab nach einer medianen Nachbeobachtung von 2,1 Jahren, dass in der HRT-Gruppe insgesamt 26 «Brustkrebsereignisse» verglichen mit 8 «Brustkrebsereignissen» im Kontrollarm auftraten. Das Steering-Komitee hat daraufhin die vorzeitige Beendigung dieser Studien im Dezember 2003 empfohlen (11). Die Erkenntnisse der früheren Studien zur Reduzierung vasomotorischer Beschwerden durch eine HRT müssen dennoch bei der Beratung beachtet werden. So betrug
das krankheitsfreie Intervall vor Aufnahme
der HRT im Mittel mehr als 48 Monate ge-
genüber 30 Monaten in der HABITS-Studie.
Ob die unter HRT vermehrt aufgetretenen
ipsi- und kontralateralen Rezidive, aber
auch die Fernmetastasen Einfluss auf die
Mortalität haben werden, bleibt abzuwar-
ten. Die bisher vorliegenden Daten der HA-
BITS-Studie lassen nicht erkennen, dass die
HRT bei rezeptornegativen Karzinom-
patientinnen zu einer Änderung des Thera-
pieverhaltens bei dieser Fragestellung
führen muss.
◗
PD Dr. med. Christian Jackisch
Stellvertretender Direktor
Klinik für Gynäkologie, Gynäkologische Endo-
krinologie und Onkologie
Klinikum der Philipps-Universität Marburg
D-35037 Marburg
E-Mail: jackisch@med.uni-marburg.de
Quellen: 1. Emons G: Hormonsubstitution nach Mammakarzinom – eine Konsensusempfehlung. Gynäkologie 2002; 35: 1114–1116. 2. Goldhirsch A. et al.: Meeting highlights: updated international expert consensus on the primary therapy of early breast cancer. J Clin Oncol. 2003, 21: 3357–3365. 3. Col NF. et al.: Hormone replacement therapy after breast cancer: a systematic review and quantitative assessment of risk. J Clin Oncol 2001; 19: 2357–2363. 4. Durna EM et al.: Hormone replacement therapy after a diagnosis of breast cancer: cancer recurrence and mortality. MJA 2002; 177: 347–351. 5. O’Meira ES et al.: Hormone replacement therapy after a diagnosis of breast cancer in relation to recurrence and mortality. J Natl Cancer Inst 2001; 93: 754–762. 6. Peters GN. et al.: Estrogen replacement therapy after breast cancer: a 12-year follow-up. Ann Surg Oncol 2001; 8: 828–832. 7. Vassilopoulou-Selin R. et al.: Estrogen replacement therapy after localized breast cancer: clinical outcome of 319 women followed prospectively. J Clin Oncol 1999; 17: 1482–1487. 8. Marsden J. et al.: Are randomized trials of hormone therapy in symptomatic women with breast cancer feasible? Fertil Steril. 2000; 73: 292–299. 9. Dew JE. et al.: Tamoxifen, hormone receptors and hormone replacement therapy in women previously treated for breast cancer: a cohort study. Climacteric 2002; 5: 151–155. 10. Pritchard KI. et al.: Clinical practice guidelines for the care and treatment of breast cancer: 14. The role of hormone replacement therapy in women with a previous diagnosis of breast cancer. CMAJ 2002; 166: 1017–1022. 11. Holmberg L. et al.: HABITS (= hormonal replacement therapy after breast cancer – is it safe?), a randomised comparison: trial stopped. Lancet 2004; 363: 453–455.
Erstpublikation in: Frauenarzt 2004; 3 (43): 228–230. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren, des Publi-Med-Verlages sowie des Berufsverbandes der Frauenärzte Deutschlands.
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